Frigga Haug hat im vorigen Jahr ein neues Buch mit vorwiegend schon älteren Texten veröffentlicht, die sie durch Vor- und Zwischenworte nachträglich in einen persönlichen Entwicklungs- und Erkenntnisweg einordnet. Ich kann es nur empfehlen, wenn man sich mit der Vielfalt ihrer Gedanken und Praxen einlesen möchte oder mehr Hintergründe dazu wissen möchte. Deshalb habe ich auch eine Rezension für die junge Welt geschrieben.

Zur Rezension bei der jungen Welt

Die Kritische Psychologie stellt konzeptionelle Gedanken und Begriffe zur Verfügung, um die eigene Lebensführung zu durchdenken. Wenn alles gut läuft, braucht man sich meist nicht viele Gedanken machen – aber wenn es Probleme gibt, beginnt das Grübeln.

Die Suche nach Alternativen beginnt und bleibt dann allzuoft stecken in der Erfahrung, dass es ja doch nicht anders geht, als sich zusammen zu reißen und einfach irgendwie weiter zu machen.

Die traditionelle psychologisch orientierte Ratgebung versucht das Öl im Lager des Hamsterrades zu erneuern. Oder sie malt das Gestänge bunt an, damit das Tretmühlentreten interessanter wirkt. Oder besser noch: sie leitet die Betroffenen, d.h. die Klienten oder gar Patienten dazu an, selber Farbe in die Hand zu nehmen.
Stolz
Im Sinne der Kritischen Psychologie werden Probleme anders angegangen. Hier setzen sich Menschen zusammen, denen es um ähnliche Probleme geht. Sie beschäftigen sich mit Grundprinzipien und -begriffen, mit denen sie ihre psychischen Befindlichkeiten und Handlungsalternativen diskutieren können, ohne dass sie von anderen manipuliert oder gegängelt werden. Das bedeutet aber auch, dass sie sich selbst auf den Weg machen und die Ungewissheiten erkunden und ausprobieren, wie man außerhalb des Hamsterrades vorankommt. Das kann zum Tanz auf schwankendem Seil werden… (mehr …)

alf
Die „Kritische Psychologie“ hat ein ganzes System von Kategorien entwickelt, bei denen es nicht mehr darum gehen soll, aus Sicht von PsychologieexpertInnen über andere Menschen zu sprechen, sondern allen Begriffe in die Hand zu geben, mit der sie ihre eigene Selbst- und Welterfahrung besser verstehen können. Es geht um die „Selbstverständigung über die interessengeleiteten Beweggründe und Konsequenzen meines je eigenen Handelns in kritischen Lebenssituationen“. (Holzkamp 1996: 166)

Das Buch „Grundlegung der Psychologie“ (Holzkamp 1983) ist theoretisch sehr anspruchsvoll und trotz aufklärender Handreichungen wie „Die „Grundlegung der Psychologie“ lesen“ von Stefan Meretz (2012) oder des Versuchs der „Einführung in die Kritische Psychologie“ von Morus Markard (2009) blieb bisher oft unklar, wie diese Begriffe zur angestrebten Selbstverständigung genutzt werden können.

Ein neues Büchlein kann hier ein Stück weiter helfen. In ihm wurden Beiträge zum Thema „Alltägliche Lebensführung“ aus der Sicht der Kritischen Psychologie zusammen getragen. Kurt Bader und Klaus Weber stellen mehrere Beiträge von ihnen selbst, von Ute Ostkamp, Klaus Holzkamp, Ole Dreier, Frigga Haug und anderen zusammen, die vielfältige Herangehensweisen und Erfahrungen zeigen. (mehr …)


Auf der Veröffentlichungsseite meiner Webseiten bei Thur.de hatte mal wieder jemand mein Angebot gesehen, einen Reader mit Texten zur Kritischen Psychologie zu versenden. Ich habe aber gar keine gedruckten Exemplare mehr. Deshalb habe ich die Texte noch mal zusammen gestellt und biete sie hiermit zum Download an:

Menschsein

Hier noch der Download-Link: http://www.thur.de/philo/pdf/Menschsein.pdf


Im letzten Beitrag wurde beschrieben, wie Literatur zu einer „inneren Orientierung“ verhelfen kann. Zumindest in einem bedeutsamen Teil der Romanliteratur finden alle geschilderten Geschehnisse ein Ganzes, sie entfalten sich zu einem Panorama, in dem etwas Kohärentes vorausgesetzt ist: „Denn über Handlung und handelnde Personen hinaus transportiert der Roman des bestechende Postulat der Logizität. Der Zielgerichtetheit. Der Sinnhaftigkeit. Die Personen und Situationen, dem schöpferischen Wollen des Autors entsprungen, sind zu einer höheren Ganzheit verbunden. Die kleinste Bewegung oder Handlung geht in eine Richtung; jede Handlung steht in einem übergreifenden Zusammenhang, in dem sich eine unausdrückliche künstlerische Absicht manifestiert“ – schreibt Sven Birkerts. „Wir Leser registrieren das unbewußt und beginnen unter Umständen unser eigenes Handeln unter demselben Aspekt der Schicksalhaftigkeit zu betrachten.“ (mehr …)

poyamory

Manche Bücher, die ich verschenke, lese ich vorher selbst. Dazu gehört auch die Einführung in das Thema Polyamory von Thomas Schroeter und Christina Vetter bim Schmetterlingsverlag.

Sie beziehen sich in diesem Buch auch auf die Formulierung der „vielfältigen Lebensweisen“ nach Jutta Hoffmann. Die Praxis und Konzeption der vielfältigen Lebensweisen lehnt die bisher vorherrschende „Dreieinigkeit von Liebe, Sexualität und Lebensform (Ehe)“ ab. (mehr …)

Gespräch Mit der Grundlegung der Kritischen Psychologie entwickelte Klaus Holzkamp einen konzeptionellen Rahmen und Kategorien, die es ermöglichen sollen, die eigenen Beziehungen zur Welt besser verstehen zu können. Dabei wird ein menschliches Individuum nicht als eindeutig bestimmt von den objektiven Bedingungen gesetzt, aber auch nicht als bedingungslos freischwebend vorgestellt, sondern es wird vorgeschlagen, bestimmte Vermittlungsmomente zwischen mir als Individuum und der Welt genauer zu analysieren.

Der Gegenstand der Kritischen Psychologie ist dabei „nicht das Subjekt, sondern dessen Welt, wie sie von ihm empfindend, denkend und handelnd erfahren wird.“ (www.kritische-psychologie.de, vgl. Markard 2009: 55)
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Eine Möglichkeit, mir und meinen mich selbst behindernden Selbstkonstruktionen auf die Schliche zu kommen, entwickelte Frigga Haug mit der sog. „Erinnerungsarbeit“. Erinnerung zeigt nie „wie es wirklich war“, sondern sie ist konstruiert, sie ist durch die herrschende Meinung, den eigenen Widerstand und verschiedene Nahelegungen gegangen. Sie ist jedoch ein „Material, das uns erlaubt, die Archäologie unserer gesellschaftlichen Selbstformung zu studieren.“ (Haug 2003: 229)

Frigga Haug arbeitete jahrelang mit ihren Studentinnen mit dieser Methode. Gleichzeitig war sie zuerst unwillig, die Methode als solche zu stark festzulegen. „Dies widerspricht im Grunde meiner Vorstellung, den Prozess methodisch offen zu halten und so einen Freiraum zu lassen für innovatives Eingreifen.“ (Haug 1999: 7)
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Leider ist es nur ein Mythos, dass „wir die Guten“ sind, auch wenn dieses Denkmuster gerade bei Linken und Alternativen weit verbreitet zu sein scheint. Leider sind wir viel stärker in die objektiven Unterdrückungs- und Ausgrenzungspraktiken verwoben, als wir es subjektiv möchten. Der Arbeitsplatz, den ich gerade habe, könnte einem anderen erwerbslosen Menschen zu einem Einkommen verhelfen; der bundesdeutsche Pass, den ich habe, gestattet es mir, hier zu leben statt sonstwohin geschickt zu werden wie andere. Ich habe so oder so immer wieder mein Abendbrot verdient und so das System mit reproduziert.

Es fällt mir schwer, das Wissen über meine objektive Beteiligung an der Unterdrückung anderer zu ertragen. Aber ich tue es, irgendwie. Wie ich das mache, kennzeichnet meine Persönlichkeit, macht mein „Ich“ aus. Frigga Haug (1982) spricht davon, dass wir dabei „die Verhältnisse in uns einbauen“.
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Wir reden schnell von Handlungsgründen, aber uns ist oft nicht bewusst, dass wir damit auf eine Entscheidungsfreiheit verweisen, die sich deutlich unterscheidet von einem ebenfalls allgegenwärtigen Bedingtheitsdenken. Gerade das oben erwähnte Opferschema geht z.B. davon aus, dass die Opfer unter den gegebenen Bedingungen Opfer sein müssen. Die Bedingungen führen zu diesem oder jenem Handeln, eigentlich nur zur bestimmten Reaktionen. Die Kritische Psychologie setzt gegen diesen Bedingtheitsdiskurs den sog. Begründungsdiskurs. Natürlich gibt es in letzter Instanz objektive Bedingungen für menschliches Handeln. Menschen setzten sich dazu jedoch in ein bewusstes Verhältnis, sie entscheiden, ob und wie sie sich den Bedingungen anschmiegen bzw. sie zu verändern suchen. Dies geschieht über mehrere Vermittlungsebenen. So sind die objektiven Bedingungen von den Bedeutungen zu unterscheiden, die diese für das jeweilige Individuum haben. Die Begründungen sind im Unterschied zu den Bedingungen jeweils nicht von außen zu ergründen und zu erklären, sondern dies kann nur das Individuum selbst nachvollziehen. Kritisch-Psychologische Praxis kann deshalb nur eine intersubjektive Praxis sein, niemals von Experten für andere gemacht werden.
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