Wenn ich mir die ersten Minuten des MDR-Fernsehberichts des gestrigen Tages in Dresden anschaue, muss ich mich wohl zu den „gewaltbereiten Linksextremen“ und „Randalierern“ zählen, denn ich bin nicht in einem der 6 Busse aus Jena nach Dresden gekommen, um den Nazis bei ihrem Marsch durch Dresden aus sicherer Entfernung zuzuschauen.

Nein, auch ich gehörte zu den Tausenden, die mit der festen Absicht, „friedlich, aber sehr entschlossen“, wie es eine Teilnehmerin in Minute 5:30 des Berichts sagt, diesen Naziaufmarsch zu verhindern. Entsprechende Texte über den Gewaltfreien Ungehorsam gegen rechtsextreme Aufmärsche finden sich z.B. hier.

Unser Plan war, so weit wie möglich an Stellen vorzudringen, wo wir uns den Nazis blockierend in den Weg setzen können. Die Polizei sah ihre Aufgabe darin, den Nazis den Weg freizukämpfen. Unser Plan sah durchaus vor, auch Polizeiketten zu durchbrechen. Aber niemand von uns hatte irgend so etwas wie eine Waffe dabei – was könnte man schon gegen hochgerüstete Kampfmaschinen einsetzen? Nur unsere Körper haben wir, um durchzugehen. Und wir waren Tausende – und die Polizisten hatten nicht für jede und jeden von uns zwei, um uns festzuhalten. Was macht also eine zu allem entschlossene Polizei? Sie setzt Reizgas ein, ganz gezielt in die Gesichter und Augen der Menschen. Allein von den 8 Personen meiner Bezugsgruppe wurden zwei maßgeblich an den Augen verletzt, eine weitere erlitt Hautätzungen. Und ich kann es bezeugen: Niemand von uns war nur im mindesten gewalttätig!!! Wir wollten nur durch.
Der SPIEGEL berichtet: „Die Beamten hätten Reizgas einsetzen müssen, um die gebotene Trennung der politischen Lager einzuhalten, sagte eine Sprecherin.“ Diese Trennung wäre viel einfacher durchzuführen gewesen: Die Nazis nicht marschieren zu lassen! So geschah es ja letztlich auch, denn wir saßen dann doch auf einer vorgelagerten Kreuzung und viele andere an vielen anderen Stellen auch.

Dort ging, zumindest an den Stellen, an denen ich war – und das war meistens direkt neben den Polizeikräften – niemals Gewalt von uns aus. Wir wollten nur die Kreuzung halten, weil uns die Polizei dankenswerterweise mitgeteilt hatte, dass wir auf einer Marschroute der Nazis sitzen ;-). Allein in meiner Ecke – und unser Hiersein war inzwischen als „Mahnwache“ offiziell auch erlaubt – erlebte ich in den nächsten Stunden drei Polizeiübergriffe, die in gar keiner Weise durch uns provoziert worden waren. Einmal stand ich grad mit mehreren von uns beim Essen der Vokü-Suppe, als plötzlich eine Horde Schwarzer (Polizei) durch uns gestürmt kam und uns wirklich brutal runter- und wegstieß. Komischerweise gab es auch nichts, wo sie hinrannten, sondern es war wohl einfach ein Vorstoß gewesen, um unsere Blockade „aufzurollen“ (es ist immer wichtig, dass – auch wenn mal gegessen wird -, die meisten sitzen bleiben, statt rumzustehen, denn sitzende Menschen müssen weggetragen werden, stehende werden einfach überrannt). Das andere Mal kamen sie auch wieder mit Reizgas. Da war ich selbst dabei, als der junge Mann auf dem Bild verletzt wurde und ich kann beschwören, dass da nichts vorherging, was die Polizei irgendwie angegriffen hätte. Beide Bilder sind aus einer zusammen geschnittenen Film-Dokumentation, bei der die Bilder nicht in der tatsächlichen Reihenfolge und nicht von derselben Stelle aus folgen. An der entsprechenden Stelle (vor und um 0:40) sieht es nach Kämpfen und dabei eingesetztem Reizgas aus – ich weiß, dass der konkrete Fall mitten in einer friedlichen (!) Blockade geschah.

Übrigens, wie auch der SPIEGEL berichtet, können Reizgasangriffe tödlich ausgehen! Ich weiß nicht, welche Antwort die LINKE auf ihre Kleine Anfrage im Bundestag dazu erhielt….

Ich habe dabei erlebt, dass diese Polizeibrutalität genau jenen Frust und jene Wut erzeugt, die sich dann möglicherweise bei einem der nächsten Male auch wieder austobt beim ziemlich sinnlosen Herumrandalieren und -zündeln. Auch gestern standen wir oft mitten in Rauchwolken, zwei Brandstiftungen geschahen ganz in unserer Nähe. Natürlich haben wir allergrößte Probleme damit, wenn unser Konsens, friedlich und gewaltfrei vorgehen zu wollen, durch die Nähe anderer Aktionen in Zweifel gestellt wird. Hier wäre eine deutlichere Trennung der verschiedenen Aktionsformen absolut angebracht (oder noch besser: Einschalten des Gehirns bei den zündelnden Aktionisten).

Trotzdem haben mich, im Unterschied zu einer Äußerung die unser Jenaer Bürgermeister Albrecht Schröter am Ende der Blockade gemacht hat, weniger diese Aktionen verstört als die Brutalität der Polizei.

Wenn ich mir in Erinnerung rufe, welche Bedeutung die Gummiknüppel der DDR-Polizei am Ende der DDR hatten, ist es schon komisch, was sich eine Polizei in der BRD alles erlauben darf. Und wie die öffentliche Wahrnehmung wohl doch getäuscht werden kann (und will, um nicht aus der bequemen Ruhe gebracht zu werden?).

Wenn ich jetzt erleben muss, wie von Demonstration zu Demonstration (Anti-Castor, Anti-Nazi…), bei der ich beteiligt bin, die Polizeigewalt immer unverfrorener auch gegen friedliche Demonstranten angewendet wird, dann frage ich mich, wie weit das noch gehen kann.

Es wird weiter gehen, die Problemlagen dieser Gesellschaft brechen immer mehr auf, immer mehr Menschen können nicht mehr einfach so weiter machen wie vorher. Der fromme Wunsch, man könne die „Randalierer“ und „Gewaltbereiten“ einfach wegwünschen oder wegknüppeln oder mit Reizgas weg-sprayen wird nicht in Erfüllung gehen.

Auch die Nazis wurden nicht einfach von Gott oder Teufel in die Welt gekippt – auch sie sind eine Folge von tieferliegenden Problemen innerhalb der vorherrschenden Form unseres gesellschaftlichen Lebens. Einmal gesiegt zu haben, ihren Marsch verhindert zu haben, macht uns zufrieden – hoffentlich nicht selbstzufrieden.

Das Wichtigste an solchen Tagen sehe ich nicht im unmittelbaren Erfolg, sondern eher in den Lernprozessen, die wir dabei durchlaufen. Ob mehr Menschen lernen, dass die Welt brutal und böse ist und sie auch hart werden – oder ob es uns gelingt, kollektive Widerstands- und neue Koordinierungsformen zu finden, das wird an uns liegen. Und diese Arbeit wird vorwiegend zwischen den großen Aktionen zu leisten sein.

Das Gute daran ist, dass sich daran auch Menschen beteiligen können, die sich zu den Demonstrationen nicht hintrauen oder die Kraft dazu nicht haben.


Angesichts der Youtube-Filme, die ich gerade gesichtet habe, ist mir aufgefallen, dass die Darstellung überwiegend action- und gewaltdominiert ist. Aber so habe ich es nun auch wieder nicht erlebt. Deshalb möchte ich hier ans Ende dieses kleinen Berichts ein Foto setzen, das den Gittarrespieler neben mir zeigt, der aus einem „Liederbuch der Arbeiterbewegung“ singt, neben ihm zwei junge Leute mit einem aktuelleren Songbook. Und alle zusammen singen wir…

… und ganz am Ende gibts auch ein Tänzchen…


Nachtrag:

Es gab tatsächlich mehrere Menschen in meinem Umfeld, die, obwohl sie mich kennen, ziemlich ungerührt meinten: „Wer so was macht, muss auch mit den Folgen (Reizgas…) rechnen.“ Mit „so was“ meinten sie das „Umrennen der Polizei“, deren Vertreter ihnen „echt leid tun“.

Tja, auf diese Weise wird einiges offensichtlich an Bruchlinien in dieser Gesellschaft, die sonst oft verwischt sind. Klare Parteinahmen. Selektive Wahrnehmung, einseitig moralisierende Entsolidarisierung.

Zur Schärfung der Wahrnehmung seien hier noch zwei Berichte ergänzt:

19. Februar 2011 Naziangriff auf Praxis in Dresden

LKA läßt Pressebüro von „Dresden-Nazifrei“ stürmen