In der aktuellen Zeitschrift „Spektrum der Wissenschaft“ (Heft 7/14) fragt der Titelbeitrag „Was ist Realität?“. Er wurde von Meinard Kuhlmann, einem Professor für Philosophie in Bielefeld geschrieben. Der Artikel schließt mit einem Aufruf zu einem besseren Zusammenwirken von Naturwissenschaftlern, speziell den Physikern, und Philosophen.
Damit hat er unbedingt Recht. Nachdem in „Spektrum“ schon recht ominöse Interpretationen der Quantentheorie aufgetaucht waren, ist dieser Beitrag wohltuend sachlich. Fachlich exakt, gleichzeitig schön erläuternd und er bringt auch einen Teil der Lösung der Titelfrage: „Was ist Realität?“
Trotzdem möchte ich hier ergänzend darauf eingehen, denn erstens ist die Frage falsch gestellt und zweitens gibt es bessere Antworten zu dem Thema schon seit 30 Jahren.
Beginnen wir also mit der Erkenntnis aus dem genannten Beitrag. Gleich im Untertext zum Titel steht sie:
„Die fundamentalsten Objekte lassen sich nicht wie Alltagsdinge beschreiben, sondern als Bündel von Eigenschaften wie Form und Farbe, Masse und Ladung.“
Weil auch in Interpretationen der Quantentheorie von „Teilchen“ oder auch „Feldern“ gesprochen wird, die wir aus den klassischen Theorien zu kennen glauben, entstehen Vorstellungen über deren Eigenschaften und Verhaltensweisen, die in der Quantenwelt jedoch nicht mehr gelten. Schrödingers Katze ist weder tot noch lebendig – das kann doch nicht sein! Zwei verschränkte Teilchen wissen über astronomische Abstände hinweg voneinander, das kann doch erst recht nicht sein!
M. Kuhlmann erläutert ausführlich, warum es „wenig Sinn“ macht, „lokalisierte Teilchen als die Grundelemente der Wirklichkeit anzunehmen“. Auch unterscheidet sich die Quantenfeldtheorie deutlich von den klassischen Feldtheorien. Da die Quantentheorie zu Ergebnissen führt, die mit der Wirklichkeit übereinstimmen, schrieb Wolfang Pauli schon 1924, dass wir demzufolge „unsere Begriffe der Erfahrung anpassen“ müssen. An dieser Stelle zeigte sich auch häufig, dass besonders die kreativen Naturwissenschaftler häufig nicht zuletzt durch philosophische Ideen zu neuen konzeptionellen Vorstellungen kamen, die ihre Wissenschaft revolutionierten.
Im Fall der Quantentheorie geht es nicht nur darum, die mutmaßlichen Objekte mit neuen Begriffen zu belegen (etwa „Quantenobjekt“ statt „Teilchen“ oder „Feld“), sondern dass „es in Wirklichkeit nicht auf Dinge ankommt, sondern auf die Beziehungen zwischen ihnen“.
Wenn wir mit den Teilchen nicht zurecht kommen, dann gilt:
„Die einfachste Antwort lautet: Es gibt nur Relationen. Dieser Sprung führt zu einem radikalen Standpunkt, dem ontischen Strukturenrealismus.“
Das Wort „ontisch“ bezieht sich auf die Frage, was wirklich ist (von griechisch to on: das Seiende). In Wirklichkeit gibt es also nicht Dinge (wie Teilchen oder Felder), sondern Beziehungsstrukturen. Anders ausgedrückt: „Objekte besitzen keine Wesenseigenschaften, sondern gewinnen ihre Eigenart erst durch ihr Verhältnis zu anderen Objekten.“ Daraus folgt aber auch: „Die Theorie sagt uns zwar, was wir messen können, aber sie spricht in Rätseln, wenn es um die Frage geht, was eigentlich hinter unseren Beobachtungen steckt.“
Genau so ist es, möchte ich ausrufen. Das steht aber alles schon in Texten zu philosophischen Fragen der Naturwissenschaften seit ca. 30 Jahren. Oder noch länger: Bereits Ernst Cassirer schrieb 1937: „Es geht nicht um die Existenz von Dingen, sondern die objektive Gültigkeit von Relationen“. Nur: erstens erschienen die neueren Studien dazu in der DDR, was heute keinen Menschen mehr interessiert und zweitens waren nicht alle guten Schriften dazu in der DDR im Lehrkanon. Mit diesem Hintergrund kann ich nun auch erklären, was ich damit meine, dass die Frage falsch gestellt sei.
Was macht denn die Physik? Sie untersucht die Veränderbarkeit der (physischen) Welt durch unser Handeln, jeweils entsprechend unserem materiell-technischen und geistig-kulturellem Entwicklungsstand. Natürlich hat sie mit der Welt „an sich“ zu tun, also der Welt, wie sie ohne Menschen wäre. Aber wir können sie nur als Menschen erkunden. All unser Wissen über die Welt beruht auf Wechselbeziehungen, auf der Erfahrung mit gegenseitigen Einwirkungen. Von dieser Erfahrung können wir auch nicht abstrahieren, wenn wir dann sagen: „Wir haben über die Welt dies und das dabei gelernt.“ Letztlich können wir niemals sagen: „So oder so IST die Welt“, sondern wir können nur sagen, was wir aus den Wechselbeziehungen mit ihr gelernt haben.
Wenn man den Erkenntnisprozess genauer untersucht (dargestellt z.B. in Schlemm 2005), so werden wir finden, dass wir in der Physik die Verbindung zwischen uns und der Welt vor allem durch Messungen herstellen (vgl. Wahsner 1990). Dazu bilden wir Messgrößen, die einerseits auf realen Verhaltensweisen natürlicher Objekte beruhen, aber andererseits ermöglichen, bestimmte eigentlich unlösbar zusammenhängende Momente so voneinander zu trennen, dass quantifizierbare Größen in Gleichungen gebildet werden können (mehr dazu siehe hier). Solch eine Messgröße ist beispielsweise die Masse. Im Universum ohne Menschen gibt es keine Wage mit einem Urkilogramm, aber es gibt die Verhaltensweise von schweren Körpern, gegenüber einer Beschleunigung Widerstand zu leisten. Diese Verhaltensweise ist objektiv-real – dass wir die Messgröße „Masse“ einführen, um mit Wagen wägen zu können und diese Messgröße dann z.B. in Bewegungsgleichungen zu verwenden, ist ein menschliches „Konstrukt“. In der Form, wie die Masse von Galilei ursprünglich eingeführt wurde, blieb sie in der Relativitätstheorie dann auch nicht, sondern dort muss ein anderer (geschwindigkeitsabhängiger) Massebegriff eingeführt werden. In beiden Fällen werden reale Verhaltensweisen realer Objekte (einmal für Geschwindigkeiten weit unter der Lichtgeschwindigkeit, das andere Mal für Geschwindigkeiten nahe der Lichtgeschwindigkeit) so bestimmt, dass wir durch eine Messung unsere Hypothesen über die Zusammenhänge in der Welt verifizieren können.
Das Ziel der Naturwissenschaft, speziell der Physik, besteht nicht darin, etwas über die Welt an sich herauszubekommen, sondern das Wissen in Form von Naturgesetzen so darzustellen, dass wir erfahren, wie wir gezielt auf reale Verhaltensweisen der natürlichen Gegenstände einwirken können. Dass wir in der Wissenschaft nichts über die „Substanz“ der wirklichen Dinge, sondern über ihre Wechselwirkungsfähigkeit erfahren, wusste auch schon Newton. Er schrieb z.B. „die Neuern haben, nachdem sie die Lehre von den substantiellen Formen und den verborgenen Eigenschaften aufgegeben, angefangen die Erscheinungen der Natur auf mathematische Gesetze zurückzuführen.“
Deshalb stimmt die Aussage von M. Kuhlmann nicht nur für die Quantentheorie, sondern für die Physik insgesamt: „Die Theorie sagt uns zwar, was wir messen können, aber sie spricht in Rätseln, wenn es um die Frage geht, was eigentlich hinter unseren Beobachtungen steckt.“
Ob dies ein Manko ist, hängt davon ab, welche Vorstellungen man sich über die Wirklichkeit macht. Gibt es ein „Hinter unseren Beobachtungen“ überhaupt? Eine Welt „an sich“, d.h. abstrahiert von allen Beziehungen? Besteht die Wirklichkeit aus einer Menge isolierter Dinge, deren „inneres Wesen“ zu verstehen sei und denen Beziehungen nur äußerlich zukommen (die für ihre qualitative Bestimmung unwesentlich sind)? Oder besteht die Wirklichkeit aus dem wechselseitigen Verhalten von verschiedensten Entitäten, deren Verhaltensqualitäten durch eine Isolation beschädigt bis zerstört würde? Die letztere Ansicht kennzeichnet unter anderem dialektische Konzepte von der Wirklichkeit, deshalb ist es wohl kein Zufall, dass vor allem dialektisch basierte Wissenschaftstheorien wie die von Ulrich Röseberg (1978) und Renate Wahsner (1988, 1990) wie bei Hase und Igel als Igel schon längst an der Ziellinie stehen und sagen können: „Das wussten wir doch schon längst!“.
Und sie wissen sogar noch einiges mehr. Der erste Schritt war das Wegkommen von der verdinglichenden Vorstellung der isolierten Dinge. Er führte zur gegenteiligen Annahme, dass Relationen, Strukturen, Beziehungen die Wirklichkeit bilden. Aber dieses Gegenteil wäre auch einseitig. Letztlich geht es um Gegenstände, die sich im Zusammenhang mit anderen auf bestimmte Weise verhalten können. Der Fokus auf das Verhalten anstatt auf Eigenschaften betont die Bezogenheit auf Anderes. Eigenschaften „haben“ auch einzelne Dinge, unabhängig von Wechselbeziehungen. Im Verhalten jedoch realisieren sich Verhaltensmöglichkeiten und dieses ist auf jeweils gegenständliches Anderes gerichtet (Wahsner 1996: 42).
Wir schalten uns mit unseren Messmitteln in diese Verhaltensmöglichkeiten ein, erhalten damit aber niemals ein Abbild des isolierten „Dings“, sondern immer einen Ausschnitt aus dem Verhaltensspektrum, der unseren Messmöglichkeiten und dem jeweiligen Erkenntnisziel entspricht. All dies gilt letztlich nicht nur für die Quantentheorie, aber bei dieser stellen sich zu vereinfachte Vorstellungen über die Aufgaben und Methoden der Naturwissenschaft bloß.
Der Zeitschriftenbeitrag von M. Kuhlmann geht davon aus, dass die Zusammenarbeit zwischen Physikern und Philosophen vor allem in Zeiten, in denen die „Physiker gezwungen sind, Grundlagen ihres Forschungsgegenstands zu revidieren“, wichtig ist. Ich bin davon überzeugt, dass es für das Vorankommen im Bereich der Vereinigung von Elementarteilchentheorie und Kosmologie nicht darauf ankommt, noch kompliziertere Berechnungen durchführen zu können, sondern dass es noch an der geeigneten Idee für neue Grundgrößen fehlt. Jede Theorie führte neue Grundgrößen ein. Mit Messgrößen werden reale Verhaltensgleichheiten der interessierenden Objekte substantiviert (siehe oben das Beispiel mit der Masse: dass sich alle schweren Körper gleichermaßen so verhalten, dass sie „träg sind“ gegenüber Beschleunigungskräften, wird als Substantiv „Masse“ ausgedrückt). Das Motto, das ich als Philosophin den Physiker*innen mit auf den Weg gebe, lautet also:
Rechnet nicht so lange, sondern entwickelt neue Grundgrößen!
- Hier ein früherer Text von mir zur „Quantenmechanik und Probleme ihrer Interpretation“
Literatur:
Röseberg, Ulrich (1978): Quantenmechanik und Philosophie. Berlin: Akademie-Verlag.
Schlemm, Annette (2005): Wie wirklich sind Naturgesetze? Auf Grundlage einer an Hegel orientierten Wissenschaftstheorie. Münster: LIT-Verlag.
Wahsner, Renate (1988): Eigenschaft und Verhalten – Zur Beziehung von Mathematik und Physik. In: Gravitation und Kosmos. Hrsg.v. R. Wahsner, Berlin: Akademie-Verlag 1988. S. 132-140.
Wahsner, Renate (1990): Stichwort „Messen/Messung“. In Sandkühler, Hans Jörg (1990) (Hrsg.) Europäische Enzyklopädie zu Philosophie und Wissenschaften. Bd. 3 Hamburg: Meiner, S. 377-378.
Wahsner, Renate (1996): Zur Kritik der Hegelschen Naturphilosophie. Über ihren Sinn im Lichte der heutigen Naturerkenntnis. In: HEGELIANA. Studien und Quellen zu Hegel und zum Hegelianismus. Herausgegeben von Helmut Schneider. Band 7. Frankfurt am Main, Berlin, Bern, New York, Paris, Wien. Peter Lang.
Juni 29, 2014 at 7:38 am
Sehr schön, danke dafür! Aber ich habe noch nicht verstanden, warum die Frage „Was ist Realität?“ falsch gestellt ist. Ich lese deinen Text so, dass du die (u.a. im Artikel gegebenen Antworten für unzureichend hältst und eine bessere vorschlägst. Oder wie müsste die Frage deiner Meinung nach angemessener lauten?
Hast du den Text ans SdW geschickt? Würde ich dir vorschlagen!
Juni 29, 2014 at 9:28 am
Die Frage ist deshalb falsch gestellt, weil das gar nicht der Gegenstand der Physik ist. Die Physik untersucht gesetzmäßige Zusammenhänge zwischen Größen, die wir als Erkenntnismittel gebildet haben, um wirkliche Verhaltensmöglichkeiten der realen physischen Gegenstände zu untersuchen. Wir haben bei der Bildung der Größen u.a. Widersprüche zu Dualitäten umgeformt, so dass wir im Rahmen der Physik nicht die „wirkliche Wirklichkeit“ sehen, sondern eine „entdialektisierte“ (mehr dazu siehe hier: http://www.thur.de/philo/project/widerspruch.htm).
Die Frage müsste eher lauten: Was sieht die Physik von der Wirklichkeit? Oder : Wie sieht sie die Wirklichkeit?
Ans SdW könnte ich so was wie einen Leserbrief schicken. Mir fällt aber nicht ein, wie ich das Ganze noch mehr kürzen könnte, ohne absolut unverständlich zu werden…
Januar 19, 2015 at 6:13 pm
Die Frage » Was sieht die Physik von der Wirklichkeit? Oder: Wie sieht sie die Wirklichkeit? « wird in meinen Augen besonders treffend beantwortet von Hans-Peter Dürr über sein Gleichnis vom Fleischwolf. Siehe hier:
http://greiterweb.de/zfo/Hans-Peter-Duerr.htm#msgnr0-79
Juni 29, 2014 at 10:36 am
Annette: Dieser Eintrag wurde von WordPress unlesbar dargestellt, deshalb weiter unten (siehe 6.) nochmal. (Danke für Deine Geduld…)
Juni 29, 2014 at 10:51 am
Liebe Annette,
den Text „Quantenmechanik und Probleme ihrer Interpretation“ würde ich entfernen. Die einleitenden Abschnitte zur Beschreibung der Quantentheorie sind zu ungenau. (Ich erwarte deshalb nichts Brauchbares von den Abschnitten zur Interpretation.)
Beste Wünsche,
Peter
Juni 29, 2014 at 12:29 pm
„zu ungenau“ ist aber auch nicht gerade genau… Ja, ich verzichte eigentlich auf eine vorgängige Referierung der Theorie selbst, sondern steige eigentlich gleich mit Interpretationsfragen ein, etwa durch die Unterscheidung von Mathematik und Physik. Ich hatte mich damals auch in die Texte der Begründer der QT eingelesen, das war richtig spannend.
Juni 29, 2014 at 2:52 pm
1) Es wird nicht zwischen dem Laplaceschen Zustandsbegriff (Ort und Geschwindigkeit) und dem quantenmechanischen Zustandsbegriff (Wellenfunktionen nebst Quantenzahlen, ursprünglich „Zustandszahlen“), der dem Newtonschen Zustandsbegriff (Impuls) viel näher ist als dem Laplaceschen.
2) >>Physik als Theorie unterscheidet sich von der reinen Mathematik dadurch, dass sie neben dem mathematischen Formalismus („Syntax“) auch eine Bezugnahme auf die Realität enthält. <>Allerdings ist es nicht einfach zu bestimmen, über welchen „Teil der Wirklichkeit“ sie etwas aussagt, und was „aussagen“ hier bedeutet. Was „bedeuten“ die Größen, die in den Grundgleichungen vorkommen?<>Die darauf aufbauende axiomatisch-deduktive Darstellung der Quantentheorie ermöglicht eine angemessene Verbindung zwischen Messergebnissen und mathematischen Symbolen.<>Wir können nicht einfach aus anderen Theorien bekannte und gewohnte Größen voraussetzen…<>Der Formalismus der Quantentheorie ist analog zum Formalismus der klassischen Mechanik, aufgebaut…<>Die Größen der Quantenphysik werden nicht nur durch Zahlen oder Vektoren beschrieben.<<
Weiter oben hieß es, Psi sei ein Vektor im Hilbertraum…
8) Schrödinger selbst hat gesehen, dass die Eigenwertmethode zwar die gewünschten Ergebnisse für den harmonischen Oszillator und die gebundenen Zustände des Wasserstoffatoms liefert, doch dem Quantencharakter dieser Systeme nicht wirklich Rechnung trägt (2. Mitt. S. 513).
Ich mache mal eine Pause 😉
Juni 29, 2014 at 3:04 pm
0) Mein erster Kommentar ist kaum lesbar, deshalb hier noch einmal:
Annette: auch diese Versuch ging schief, deshalb unten (siehe 6.) noch mal besser… (Aller guten Dinge sind drei, manchmal auch die Kommentierversuche in einem Blog 😉 )
Juni 29, 2014 at 3:11 pm
Danke, Peter – leider komm ich grad nicht ganz hinterher (zeitlich). Deine Kommentare hätt ich damals gut gebraucht, als ich mich direkt damit beschäftigt habe. Jetzt werd ich das wieder aufgreifen, falls ich noch mal Zeit dafür finde.
Juni 29, 2014 at 5:40 pm
Okay, ich habs auf die Schnelle gleich noch gemacht… Uff… siehe unten…
Juni 30, 2014 at 6:46 pm
Ich möchte Dich nicht unbotmäßig von Deinen viel interessanteren Überlegungen zur Psychologie (Soziologie?!) abhalten 🙂
Juli 1, 2014 at 7:49 pm
Wenn ich mich „abhalten“ lasse, entscheide ich das ja selber. Ich fands ja eigentlich schade, dass ich die Beschäftigung mit der Wissenschaftstheorie eher abgebrochen habe, weils da noch am wenigsten Resonanz gibt (normalerweise wenigstens ;-).)
Jetzt bin ich etwas traurig, weil ich schon sehe, dass ich nicht mehr alles in meinem Leben weiterlernen kann, aber ich freue mich auch, an das erinnert zu werden, was alles schon mal gemacht hab, wo ich anknüpfen kann… und vielleicht andere auch, ob nun bei mir oder bei Deinen vielen Hinweisen ;-)).
Juni 29, 2014 at 3:22 pm
0) Der 2. Versuch misslang ebenfalls, weil WordPress die alten Anführungsstriche missversteht, deshalb hier noch einmal:
1) Annette:
In der aktuellen Zeitschrift „Spektrum der Wissenschaft“ (Heft 7/14) fragt der Titelbeitrag „Was ist Realität?“. Er wurde von Meinard Kuhlmann, einem Professor für Philosophie in Bielefeld geschrieben. Der Artikel schließt mit einem Aufruf zu einem besseren Zusammenwirken von Naturwissenschaftlern, speziell den Physikern, und Philosophen.
Peter:
Liebe Annette,
die deutsche Sprache ermöglicht eine genaue Beschreibung im Detail, daher ist es hilfreich, ihre Rechtschreibung und Grammatik zu beachten.
2) Annette:
„Die fundamentalsten Objekte lassen sich nicht wie Alltagsdinge beschreiben, sondern als Bündel von Eigenschaften wie Form und Farbe, Masse und Ladung.“
Peter:
Hier erwarte ich nichts weniger als die Gleichsetzung von „Form“, „Farbe“, „Masse“ und „Ladung“ und bitte daher um Erläuterung.
3) Annette:
Weil auch in Interpretationen der Quantentheorie von „Teilchen“ oder auch „Feldern“ gesprochen wird, die wir aus den klassischen Theorien zu kennen glauben, entstehen Vorstellungen über deren Eigenschaften und Verhaltensweisen, die in der Quantenwelt jedoch nicht mehr gelten.
Peter:
Hieran ist richtig, dass der sog. Welle-Teilchen-Dualismus daraus entstanden ist, dass die klassischen Welle- und Teilchen-Vorstellungen eher unsystematisch in die Quantenwelt übertragen wurden.
4) Annette:
Schrödingers Katze ist weder tot noch lebendig – das kann doch nicht sein!
Peter:
Ist es auch nicht 🙂
5) Annette:
Zwei verschränkte Teilchen wissen über astronomische Abstände hinweg voneinander, das kann doch erst recht nicht sein!
Peter:
Sie „wissen“ es nicht bzw. nicht mehr und nicht weniger, als klassische Teilchen die Erhaltungssätze „kennen“, gemäß derer sie sich bewegen.
6) Annette:
M. Kuhlmann erläutert ausführlich, warum es „wenig Sinn“ macht, „lokalisierte Teilchen als die Grundelemente der Wirklichkeit anzunehmen“.
Peter
So allgemein sollte man das nicht behaupten, denn es kann doch später einmal eine Physik geben, die gewisse Beschränkungen der Quantenphysik nicht besitzt.
7) Annette:
Auch unterscheidet sich die Quantenfeldtheorie deutlich von den klassischen Feldtheorien. Da die Quantentheorie zu Ergebnissen führt, die mit der Wirklichkeit übereinstimmen, schrieb Wolfang Pauli schon 1924, dass wir demzufolge „unsere Begriffe der Erfahrung anpassen“ müssen. An dieser Stelle zeigte sich auch häufig, dass besonders die kreativen Naturwissenschaftler häufig nicht zuletzt durch philosophische Ideen zu neuen konzeptionellen Vorstellungen kamen, die ihre Wissenschaft revolutionierten.
Peter:
Das bezieht sich hoffentlich nicht auf das Zitat von Wheeler. Die Naturvorstellung der Romantik soll die Suche nach Zusammenhängen befördert haben.
8) Annette:
Im Fall der Quantentheorie geht es nicht nur darum, die mutmaßlichen Objekte mit neuen Begriffen zu belegen (etwa „Quantenobjekt“ statt „Teilchen“ oder „Feld“), sondern dass „es in Wirklichkeit nicht auf Dinge ankommt, sondern auf die Beziehungen zwischen ihnen“.<<
Peter:
Und woher kommen diese Beziehungen? Nicht aus den Eigenschaften der Dinge?
9) Annette:
Wenn wir mit den Teilchen nicht zurecht kommen, dann gilt:
„Die einfachste Antwort lautet: Es gibt nur Relationen. Dieser Sprung führt zu einem radikalen Standpunkt, dem ontischen Strukturenrealismus.“
Peter:
so etwas liest man von (leider viel zu) Vielen, die glauben, schlauer als alle anderen zu sein
NB: "ontischer Strukturenrealismus" klingt nach Nebelbombe
10) Annette:
Das Wort „ontisch“ bezieht sich auf die Frage, was wirklich ist (von griechisch to on: das Seiende). In Wirklichkeit gibt es also nicht Dinge (wie Teilchen oder Felder), sondern Beziehungsstrukturen.
Peter:
Inwiefern ist das ein Gegensatz, weshalb nicht beides?
11) Annette:
Anders ausgedrückt: „Objekte besitzen keine Wesenseigenschaften, sondern gewinnen ihre Eigenart erst durch ihr Verhältnis zu anderen Objekten.“
Peter:
s.o.
12) Annette:
Daraus folgt aber auch: „Die Theorie sagt uns zwar, was wir messen können, aber sie spricht in Rätseln, wenn es um die Frage geht, was eigentlich hinter unseren Beobachtungen steckt.“
Peter:
Hinter unseren Beobachtungen steht das, was wir messen können; hinter dem Zeigerausschlag steht hier ein Gewicht, dort ein elektrischer Strom u.s.w.
13) Annette:
Genau so ist es, möchte ich ausrufen. Das steht aber alles schon in Texten zu philosophischen Fragen der Naturwissenschaften seit ca. 30 Jahren. Oder noch länger: Bereits Ernst Cassirer schrieb 1937: „Es geht nicht um die Existenz von Dingen, sondern die objektive Gültigkeit von Relationen“. Nur: erstens erschienen die neueren Studien dazu in der DDR, was heute keinen Menschen mehr interessiert und zweitens waren nicht alle guten Schriften dazu in der DDR im Lehrkanon. Mit diesem Hintergrund kann ich nun auch erklären, was ich damit meine, dass die Frage falsch gestellt sei.
Peter:
Newtons und Eulers Axiomatik der Klassischen Mechanik gehen selbstverständlich von den Eigenschaften der Körper aus und gelangen von dort zu ihren Beziehungen zueinander.
14) Annette:
Was macht denn die Physik? Sie untersucht die Veränderbarkeit der (physischen) Welt durch unser Handeln, jeweils entsprechend unserem materiell-technischen und geistig-kulturellem Entwicklungsstand.
Peter:
Physik ist glücklicherweise viel mehr, vor allem zielt sie auf ein Verstehen der unbelebten Natur. Für die Astronomie gilt obiges sowieso nicht.
15) Annette:
Natürlich hat sie mit der Welt „an sich“ zu tun, also der Welt, wie sie ohne Menschen wäre. Aber wir können sie nur als Menschen erkunden. All unser Wissen über die Welt beruht auf Wechselbeziehungen, auf der Erfahrung mit gegenseitigen Einwirkungen. Von dieser Erfahrung können wir auch nicht abstrahieren, wenn wir dann sagen: „Wir haben über die Welt dies und das dabei gelernt.“ Letztlich können wir niemals sagen: „So oder so IST die Welt“, sondern wir können nur sagen, was wir aus den Wechselbeziehungen mit ihr gelernt haben.
Wenn man den Erkenntnisprozess genauer untersucht (dargestellt z.B. in Schlemm 2005), so werden wir finden, dass wir in der Physik die Verbindung zwischen uns und der Welt vor allem durch Messungen herstellen (vgl. Wahsner 1990). Dazu bilden wir Messgrößen, die einerseits auf realen Verhaltensweisen natürlicher Objekte beruhen, aber andererseits ermöglichen, bestimmte eigentlich unlösbar zusammenhängende Momente so voneinander zu trennen, dass quantifizierbare Größen in Gleichungen gebildet werden können. Solch eine Messgröße ist beispielsweise die Masse. Im Universum ohne Menschen gibt es keine Wage mit einem Urkilogramm, aber es gibt die Verhaltensweise von schweren Körpern, gegenüber einer Beschleunigung Widerstand zu leisten. Diese Verhaltensweise ist objektiv-real – dass wir die Messgröße „Masse“ einführen, um mit Wagen wägen zu können und diese Messgröße dann z.B. in Bewegungsgleichungen zu verwenden, ist ein menschliches „Konstrukt“.
Peter:
Alle Waagen, die ich kenne, messen oder vergleichen Kräfte, nicht Massen.
16) Annette:
In der Form, wie die Masse von Galilei ursprünglich eingeführt wurde, blieb sie in der Relativitätstheorie dann auch nicht, sondern dort muss ein anderer (geschwindigkeitsabhängiger) Massebegriff eingeführt werden.
Peter:
Das war und ist durchaus nicht zwangsläufig und hat zu viel Verwirrung geführt.
17) Annette:
In beiden Fällen werden reale Verhaltensweisen realer Objekte (einmal für Geschwindigkeiten weit unter der Lichtgeschwindigkeit, das andere Mal für Geschwindigkeiten nahe der Lichtgeschwindigkeit) so bestimmt, dass wir durch eine Messung unsere Hypothesen über die Zusammenhänge in der Welt verifizieren können.
Das Ziel der Naturwissenschaft, speziell der Physik, besteht nicht darin, etwas über die Welt an sich herauszubekommen, sondern das Wissen in Form von Naturgesetzen so darzustellen, dass wir erfahren, wie wir gezielt auf reale Verhaltensweisen der natürlichen Gegenstände einwirken können.
Peter:
Diese extrem utilitaristische Sichtweise scheint die Bedeutung der Axiomatik zu unterschätzen, ansonsten s. o.
18) Annette:
Dass wir in der Wissenschaft nichts über die „Substanz“ der wirklichen Dinge, sondern über ihre Wechselwirkungsfähigkeit erfahren, wusste auch schon Newton. Er schrieb z.B. „die Neuern haben, nachdem sie die Lehre von den substantiellen Formen und den verborgenen Eigenschaften aufgegeben, angefangen die Erscheinungen der Natur auf mathematische Gesetze zurückzuführen.“
Peter:
In den "Prinzipia" macht er es anders – lesenswert!
19) Annette:
Deshalb stimmt die Aussage von M. Kuhlmann nicht nur für die Quantentheorie, sondern für die Physik insgesamt: „Die Theorie sagt uns zwar, was wir messen können, aber sie spricht in Rätseln, wenn es um die Frage geht, was eigentlich hinter unseren Beobachtungen steckt.“
Peter:
Das kommt darauf an, was er unter "eigentlich" versteht. So, wie sie dasteht, ist diese Aussage für mich in sich widersprüchlich.
20) Annette:
Ob dies ein Manko ist, hängt davon ab, welche Vorstellungen man sich über die Wirklichkeit macht. Gibt es ein „Hinter unseren Beobachtungen“ überhaupt? Eine Welt „an sich“, d.h. abstrahiert von allen Beziehungen?
Peter:
Diese Frage verstehe ich nicht: die Beziehungen gehören doch zur Welt dazu.
21) Annette:
Besteht die Wirklichkeit aus einer Menge isolierter Dinge, deren „inneres Wesen“ zu verstehen sei und denen Beziehungen nur äußerlich zukommen (die für ihre qualitative Bestimmung unwesentlich sind)? Oder besteht die Wirklichkeit aus dem wechselseitigen Verhalten von verschiedensten Entitäten, deren Verhaltensqualitäten durch eine Isolation beschädigt bis zerstört würde?
Peter:
Der Fehler besteht hier darin, dass zusammengehörige Sachen künstlich getrennt werden.
Aus der elektrischen Ladung entsteht die elektromagnetische Wechselwirkung, jedenfalls nach der Maxwellschen Theorie, nicht umgekehrt.
22) Annette:
Die letztere Ansicht kennzeichnet unter anderem dialektische Konzepte von der Wirklichkeit, deshalb ist es wohl kein Zufall, dass vor allem dialektisch basierte Wissenschaftstheorien wie die von Ulrich Röseberg (1978) und Renate Wahsner (1988, 1990) wie bei Hase und Igel als Igel schon längst an der Ziellinie stehen und sagen können: „Das wussten wir doch schon längst!“.
Peter:
Eine elektrisch geladene Kugel bleibt elektrisch geladen, auch wenn man sie weit von anderen elektrischen Ladungen entfernt – was hat das mit Dialektik zu tun?
23) Annette:
Und sie wissen sogar noch einiges mehr. Der erste Schritt war das Wegkommen von der verdinglichenden Vorstellung der isolierten Dinge. Er führte zur gegenteiligen Annahme, dass Relationen, Strukturen, Beziehungen die Wirklichkeit bilden. Aber dieses Gegenteil wäre auch einseitig. Letztlich geht es um Gegenstände, die sich im Zusammenhang mit anderen auf bestimmte Weise verhalten können. Der Fokus auf das Verhalten anstatt auf Eigenschaften betont die Bezogenheit auf Anderes. Eigenschaften „haben“ auch einzelne Dinge, unabhängig von Wechselbeziehungen. Im Verhalten jedoch realisieren sich Verhaltensmöglichkeiten und dieses ist auf jeweils gegenständliches Anderes gerichtet (Wahsner 1996: 42).
Peter:
Was ist daran Besonderes?
24) Annette:
Wir schalten uns mit unseren Messmitteln in diese Verhaltensmöglichkeiten ein, erhalten damit aber niemals ein Abbild des isolierten „Dings“,…
Peter:
Das Ding ist ja i.d.R. nicht isoliert
25) Annette:
…sondern immer einen Ausschnitt aus dem Verhaltensspektrum, der unseren Messmöglichkeiten und dem jeweiligen Erkenntnisziel entspricht. All dies gilt letztlich nicht nur für die Quantentheorie, aber bei dieser stellen sich zu vereinfachte Vorstellungen über die Aufgaben und Methoden der Naturwissenschaft bloß.
Peter:
Was ist damit gemeint?
Die Quantentheorie beschreibt die Ergebnisse der Untersuchungen von Quantensystemen mit Quantenmitteln und -methoden. In der Klassischen Physik werden dagegen Klassische Systeme nicht mit Klassischen Mitteln und Methoden untersucht, sondern ebenfalls mit Quantenmitteln und -Methoden (namentlich Licht). Diese Tatsache wird oft nicht berücksichtigt, woraufhin Äpfel mit Birnen verglichen werden.
26) Annette:
Der Zeitschriftenbeitrag von M. Kuhlmann geht davon aus, dass die Zusammenarbeit zwischen Physikern und Philosophen vor allem in Zeiten, in denen die „Physiker gezwungen sind, Grundlagen ihres Forschungsgegenstands zu revidieren“, wichtig ist. Ich bin davon überzeugt, dass es für das Vorankommen im Bereich der Vereinigung von Elementarteilchentheorie und Kosmologie nicht darauf ankommt, noch kompliziertere Berechnungen durchführen zu können, sondern dass es noch an der geeigneten Idee für neue Grundgrößen fehlt. Jede Theorie führte neue Grundgrößen ein. Mit Messgrößen werden reale Verhaltensgleichheiten der interessierenden Objekte substantiviert (siehe oben das Beispiel mit der Masse: dass sich alle schweren Körper gleichermaßen so verhalten, dass sie „träg sind“ gegenüber Beschleunigungskräften, wird als Substantiv „Masse“ ausgedrückt).
Peter:
NB: Es gibt auch Grundgrößen, die kein Maß besitzen, mithin nicht messbar sind, z. B. die Undurchdringlichkeit und die Beweglichkeit der Körper (Newton, Euler).
27) Annette:
Das Motto, das ich als Philosophin den Physiker*innen mit auf den Weg gebe, lautet also:
Rechnet nicht so lange, sondern sucht neue Grundgrößen!<<
Peter:
Zustimmung! 🙂
Mir kommt der ggw. Teilchenzoo auch so vor wie die Epizykeln…
Juni 29, 2014 at 4:49 pm
Hm, die vielen Kommentare machen mirs schwer, jetzt auf alles einzugehen. Bei vielen müsste ich weit ausholen, bei anderen nehme ich das gern als gute Kritik von Ungenauigkeiten.
Leider bin ich nicht ständig in der Thematik unterwegs, muss auch in ein paar Stunden wieder Geld-Verdienen gehen… ich werd mal schauen, ob ich auf die einzelnen Sachen noch mal eingehen kann.
Juni 29, 2014 at 4:56 pm
zu 8+9) Peter: „Und woher kommen diese Beziehungen? Nicht aus den Eigenschaften der Dinge?“
Annette: 1. Deshalb ist es nicht sinnvoll, statt der Dingontologie jetzt das reine Gegenteil zu vertreten: eine Beziehungsontologie. Sondern (siehe 9)): Es gibt Objekte, die sich verhalten (und dann ggf. so was wie Eigenschaften zeigen). Die Objekte sind aber u.U. etwas ganz anderes als „Klötzchen“, die man sich noch dazu isolierbar vorstellte (z.B. in vielen Vorstellungen zu Klassischen Mechanik).
2. Die Unterscheidung von Eigenschaften und Verhalten und das Sprechen über Verhalten statt über Eigenschaften kommt daher, dass ich die Bezogenheit von Jedem auf etwas anderes betonen will. Man kann zwar sagen, ein Ding habe Eigenschaften, diese Vorstellung unterstellt aber eher eine Äußerlichkeit von Ding und Eigenschaften (die Dinge können auch andere Eigenschaften haben, die Eigenschaften können auch anderen Dingen zukommen), während es hier darauf ankommt, dass es das Verhalten dieses Objekts ist, das ich untersuche (ohne ein solches Verhalten wäre das Objekt nicht das, was es ist, diese Beziehung ist also keine äußerliche).
Juni 29, 2014 at 8:08 pm
Liebe Annette,
mit dieser Antwort kann ich leider überhaupt nichts anfangen. Für mich hat ein Ding bestimmte Eigenschaften und wechselwirkt mit anderen Dingen auf dementsprechende Art und Weise. Die mir bekannten physikalischen Theorien arbeiten auf diese Weise.
Mithin liegt es an Dir, bessere physikalische Theorien vorzustellen, die auf Deinen Prinzipien beruhen. Ich würde mich freuen, wenn sie Schwierigkeiten der heutigen Physik überwinden würde.
Beste Wünsche,
Peter
Juni 30, 2014 at 5:54 pm
Statt „Eigenschaften“ würde ich sagen: „Verhaltensmöglichkeiten“. Ich will vom Eigenschaftsbegriff weg, weil der zu stark die Vorstellung erweckt, es könnte isolierte Objekte geben, die unabhängig vom gegenseitigen Verhalten so was wie „Eigenschaften“ haben. Alles, was wir als „Eigenschaften“ oder besser „Verhaltensmöglichkeiten“ kennen, kennen wir mindestens daraus, dass wir irgendwas darüber herauskriegen können und das geht nur durch Wechselwirkung, wobei auch „Beobachten“ darunter zu fassen wäre, d.h. wir nehmen irgendwas auf, was vom Objekt ausgeht, haben ein „Sensorium“ dafür. Und wenn es indirekt ist: wir wissen von Entitäten nur, wenn wir was über ihre Wechselwirkungen wissen (z.B. auch bei der sog. „dunklen“ Materie und Energie).
Dass die Verhaltensmöglichkeiten dann als physikalische Grundgröße „substantialisiert“ werden, gehört zu unsrer wissenschaftlichen Arbeit.
Das ist überhaupt so ein Unterschied: Betrachte ich „Wissenschaft“ nur in der geronnenen Resultatsform oder nehme ich sie als menschliche Praxis, die auch Ergebnisse bringt… Im ersten Fall verliere ich viele mögliche Erkenntnisse.
Juni 30, 2014 at 6:57 pm
Eigenschaften und Verhalten haben trivialerweise miteinander zu tun – ansonsten verstehe ich diesen Wortschwall nicht
Juni 29, 2014 at 5:13 pm
zu 13) Peter:
„Newtons und Eulers Axiomatik der Klassischen Mechanik gehen selbstverständlich von den Eigenschaften der Körper aus und gelangen von dort zu ihren Beziehungen zueinander.“
Zumindest bei Newton sind die Gegenstände von vornherein nur gegeneinander schwer („aktive Prinzipien“ im Unterschied zu den passiven). Wenn es nur einen einigen Körper im Universum gäbe, hätte der keine „Eigenschaft“, schwer zu sein.
Juni 29, 2014 at 7:59 pm
Das ist eine Behauptung, die zu beweisen wäre
Juni 30, 2014 at 6:19 pm
Jetzt hab ich doch einen Teil einer Abschrift gefunden:
Optics, Query 31:
„Es scheint mir ferner, dass diese Partikeln nicht nur Trägheit besitzen und damit den aus dieser Kraft ganz natürlich entspringenden passiven Bewegungsgesetzen unterliegen, sondern dass sie auch von acitiven Principien, wie die Schwerkraft oder die Ursache der Gährung oder der Cohäsion der Körper sind, bewegt werden. Diese Principien betrachte ich nicht als verborgene Qualitäten, die etwa aus de specifischen Gestalt der Dinge hervorgehen sollen, sondern als allgemeine Naturgesetze, nach denen die Dinge gebildet sind. Die Wahrheit dieser Principien wird uns aus den Erscheinungen deutlich, wenn auch ihre Ursachen bis jetzt noch nicht entdeckt sind…Solche verborgenen Eigenschaften bilden ein Hemmnis für den Fortschritt der Naturerkenntniss und sind deshalb in den letzten Jahren verworfen worden. Wenn man uns sagt, jede Species der Dinge sei mit einer specifischen verborgenen Eigenschaft begabt, durch welche sie wirkt und sichtbare Effecte hervorbringt, so ist damit gar nichts gesagt; wenn man aber aus den Erscheinungen zwei oder drei allgemeine Prinzipien herleitet und dann angiebt, wie aus diesen klaren Principien die Eigenschaften und Wirkungen aller körperlichen Dinge folgen, so würde dies ein grosser Fortschritt in der Naturforschung sein, wenn auch die Ursachen dieser Principien noch nicht entdeckt wären.“
Wenn, wie er schreibt, die Dinge nach allgemeinen Naturgesetzen gebildet sind, so meint er damit: da die Naturgesetze Wechselbeziehungen (zwischen den Größen der beteiligten Objekte) erfassen, ergeben sich die Verhaltensmöglichkeiten der Objekte erst aus diesen Beziehungen (und erscheinen dann, wenn man die Objekte als voneinander isolierte Dinge vorstellt, als Eigenschaften, die anscheinend „nur“ zu diesem Ding gehören).
Der Rest ist wohl deutlich: er lehnt die Ansicht ab, nach welcher die Dinge aus ihren Eigenschaften heraus wirken.
Juni 30, 2014 at 7:16 pm
Das Zitat oben bestätigt Deine Darstellung. In den „Principia“ macht er es allerdings andersherum.
Januar 18, 2015 at 7:37 pm
Ich widerrufe meine Zustimmung vom „Juni 30, 2014 at 7:16 nachmittags“. Denn die ursprüngliche Behauptung wird mit Hilfe der hinzugenommenen (!) Annahme, dass „die Naturgesetze Wechselbeziehungen (zwischen den Größen der beteiligten Objekte) erfassen“ begründet. Diese Annahme widerspricht der Auffassung Newtons (a) von den Eigenschaften der Körper in „de gravitatione“ (Undurchdringlichkeit, Härte, Ausdehnung u. a.) und (b) vom Gravitationsfeld, das jeder Körper unabhängig (!) von der Anwesenheit anderer Körper erzeugt („Principia“, Definitionen, für Einzelheiten s. Enders, Precursors of force fields in Newton’s ‚Principia‘, Apeiron 17 (2010) 22-27; http://redshift.vif.com/JournalFiles/V17NO1PDF/V17N1END.PDF).
Juni 30, 2014 at 7:02 pm
Bei Euler kommen die allgemeinen Eigenschaften jedem einzelnen Körper zu, unabhängig von der Existenz anderer Körper.
Als Anhänger des Machschen Prinzips sehe ich natürlich für die Trägheit eines einzelnen Körpers seine Wechselwirkung mit allen andren Körpern des Universums an.
Juni 29, 2014 at 5:17 pm
zu 14) Peter „Physik ist glücklicherweise viel mehr, vor allem zielt sie auf ein Verstehen der unbelebten Natur.“
Ich denke, das ist zu viel verlangt. 1. kann Naturwissenschaft höchstens „erklären“ statt „verstehen“ (diesen Unterschied gibts wohl mindestens seit Schopenhauer) und 2. wäre doch deutlicher zu sagen, was in der Physik „Erklären“ bedeutet. Es bedeutet auf jeden Fall, zumindest seit Newton nicht mehr, „okkulte Qualitäten“ als Erklärungsgrund zu suchen, sondern Zusammenhänge in Form von Naturgesetzen darstellen zu können (Netwon spricht dann immer von Mathematik, was in der von ihm gemeinten Form auch nicht mehr unserer Sprechweise entspricht).
Juni 29, 2014 at 7:57 pm
Du hast recht, ich habe „verstehen“ und „erklären“ gleichgesetzt: Worin besteht hier der Unterschied?
Newton und Euler mussten noch die Geister zurück weisen, doch spielt das für unsere Diskussion keine Rolle.
Juni 30, 2014 at 6:27 pm
Alltagssprachlich kann man das sicher gleichsetzen.
Bei Schopenhauer wird schon unterschieden: Eine Erklärung fragt nach Ursachen (erweitert gilt für naturwissenschaftliche Erklärungen, formal betrachtet, i.a. das Hempel-Oppenheim-Schema (http://de.wikipedia.org/wiki/Deduktiv-nomologisches_Modell)); das Verstehen fragt nach Bedeutung, also immer etwas, was nicht vom verstehenden Subjekt zu trennen ist.
Diese Begriffsverwendung ist natürlich auch nicht festgeschrieben, aber wenn es unterschieden wird, so erscheint es mir so recht sinnvoll.
Ob wir heute keine Geister mehr zurückweisen müssen, weiß ich nicht ganz… Es entstehen immer wieder mal neue.
Juni 30, 2014 at 7:30 pm
Ich glaubte mich nie in der Nähe des „ignorabimus“ zu wähnen, sondern beim „Wir müssen wissen und wir werden wissen“.
Den Schopenhauerschen Unterschied zwischen Erklären und Verstehen kenne ich leider nicht.
Die Naturgesetze beschreiben Zusammenhänge – doch wozwischen?!
Und was sind die Ursachen dieser Zusammenhänge?!
NB: Noch Euler sah sich gezwungen, gegen die Geister vorzugehen.
Juni 29, 2014 at 5:20 pm
zu 17) Peter „Diese extrem utilitaristische Sichtweise scheint die Bedeutung der Axiomatik zu unterschätzen, ansonsten s. o.“
Ich denke nicht, dass diese Sichtweise „uiliaristisch“ ist. Sie betrachtet allerdings Wissenschaft als menschliche Arbeit und deshalb immer in diesem Zusammenhang und nicht von einem Gottes-Standpunkt aus.
Warum sollte die Axiomatik da nicht damit zusammenhängen? Wurden nicht die Axiome genau so gestaltet, dass messbare Größen gebildet werden können? (bzw. waren nicht gerade die Theorien mit solchen Axioumen erfolgreich und andere eben nicht?)
Juni 29, 2014 at 7:52 pm
Die Physik untersucht auch Dinge/Erscheinungen, die wir nicht beeinflussen können (Astronomie). Du musst hier nicht gleich religiös werden 🙂
Deine Frage zur Gestaltung der Axiome verdient Bestätigung – die ich im Moment nicht sehe…
Juni 30, 2014 at 6:30 pm
Astronomie: auch hier gibt es irgendeine Wechselwirkung zwischen den Objekten uns uns. Wir wechselwirken mit den Objekten, sonst hätten wir keinen Gegenstand, den wir erkennen, sondern ein echtes „Ding an sich“ oder was nur Ausgedachtes (so müssen sich alle vielleicht sinnvollen Konstrukte wie Strings oder die dunkle Materie/Energie irgendwie durch ihre Wirkungen zu erkennen geben, oder sie bleiben ausgedachte Gedankengebilde und keine erkannten Weltgegebenheiten).
Juli 2, 2014 at 6:36 pm
Guck mal auf den Mond! Er wird schwer beeindruckt sein und Dir zulächeln und Dich – ganz Gentleman – fragen, „wie, bitte, möchtest Du auf mich einwirken?“
Juli 2, 2014 at 6:42 pm
Physikalischer: Wenn Annette auf den Mond schaut, wird etwas Licht anders zum Mond zurück reflektiert (außerdem ändert ihre Kopfbewegung ihre gravitative Wechselwirkung mit dem Mond ;-). Ohne diese Rückwirkung auf den Mond würde sie ihn gar nicht sehen, geschweige denn seine Bahn bestimmen können.
Juni 30, 2014 at 6:31 pm
zu den Axiomen: Es gab doch sicher jeweils mehrere Vorschläge für Axiomensysteme. Welche setzten sich warum durch? Waren es nicht die, die mit Größen arbeiteten, die Messvorschriften hatten, mit denen wirkliche Zusammenhänge in der Welt gut abgebildet werden können?
Juli 2, 2014 at 6:55 pm
Es setzen sich diejenigen Theorien (Begriffe, Axiomensysteme) durch, die zum Zeitgeist passen oder für die das erfolgreichste Marketing gemacht wurde.
Beispiel 1. Es ist unmöglich, von Newtons Axiomatik der Klassischen Mechanik auf axiomatischem Wege zur Speziellen Relativitätstheorie, Klassischen Elektrodynamik und Quantenmechanik zu gelangen. Dagegen erlaubt Eulers Axiomatik der Klassischen Mechanik diese Verallgemeinerungen. (Literaturhinweise auf Wunsch) Jedoch hat Euler keine Schule gebildet, und seine Axiomatik wurde erst 1862 veröffentlicht.
Beispiel 2. Eulers und Newtons Zustandsbegriffe wurden als scholastisch verworfen. Lagranges und Laplaces Zustandsbegriff (der Zustand wird durch die Orts- und Geschwindigkeitskoordinaten beschrieben) führen jedoch zum Gibbsschen Paradoxon und sind vom quantenmechanischen Zustandsbegriff weiter entfernt als jene.
Beispiel 3. Der VGA-Standard hat sich nicht deshalb durchgesetzt, weil er der beste war, sondern weil er das beste Marketing hatte.
Juni 30, 2014 at 7:35 pm
Axiomatik ist mehr als Axiome, sondern auch Grundbegriffe, s. Eulers „Anleitung“. Und sie zielt primär *nicht* auf praktische Anwendbarkeit. Letztere folgt automatisch aus einer physikalisch relevanten, mithin praktikablen (sic!) Axiomatik.
Juni 29, 2014 at 5:24 pm
zu 19)
Annette: (Newton) schrieb z.B. „die Neuern haben, nachdem sie die Lehre von den substantiellen Formen und den verborgenen Eigenschaften aufgegeben, angefangen die Erscheinungen der Natur auf mathematische Gesetze zurückzuführen.“
Peter: „In den „Prinzipia“ macht er es anders – lesenswert!“
Annette: Das steht genau in den „Prinzipia“! (Ausgabe: Newton, Isaac Mathematische Prinzipien der Naturlehre. In: Borzeszkowski, Horst-Heino von; Wahsner, Renate: Newton und Voltaire. Zur Begründung und Interpre-tation der klassischen Mechanik. Berlin: Akademie-Verlag. 1980. S. 81-133. S. 83). Ich hatte auch mal in einer anderen Ausgabe nachgelesen, habe aber mangels aktueller Bibliothek die Kopien nicht bei der Hand.
Juni 29, 2014 at 7:45 pm
Newton schreibt danach weiter,
„Es erschien daher zweckmäßig, im vorliegenden Werke die *Mathematik* so weit auszuführen, als sie sich auf die *Physik* bezieht.“
Ich bezog mich auf seine Argumentation, dass sein Gravitationsgesetz keinen physikalischen Mechanismus beschreibt.
Juni 30, 2014 at 6:36 pm
Soweit ich mir das, als ich das alles gelesen habe, notiert habe (leider kann ich auf die Schriften grad nicht zugreifen), hatte ich angenommen, dass Newton die Bezeichnungen „Mathematik“ und „Physik“ anders verwendet als wir heute. Für ihn ist auch die begriffliche Grundlegung der Physik „Mathematik“ und die empirische Messpraxis dann erst „Physik“ („Vergleich mit den Erscheinungen“).
Nur deshalb beschreibt sein Gravitationsgesetz keine Physik (und sein Werk heißt „Mathematische Prinzipien der Naturlehre“), weil das eben selbst nicht Messungen beschreibt.
Juni 30, 2014 at 7:40 pm
Auf S. 83 steht es nicht
Juli 2, 2014 at 7:15 pm
S. 83 stimmt nicht
Juli 2, 2014 at 7:22 pm
wie soll das aussehen?
nehmen wir den Betrag der Gravitationskraft,
F12 = G m1 m2 / r12^2
F13 = G m1 m3 / r13^2
Existiert m1 nur, wenn m2 existiert und abhängig von m2?
Ändert sich m1, wenn statt m2 m3 in Wechselwirkung mit Körper 1 tritt?
Juni 29, 2014 at 5:30 pm
zu 22) Peter: „Eine elektrisch geladene Kugel bleibt elektrisch geladen, auch wenn man sie weit von anderen elektrischen Ladungen entfernt – was hat das mit Dialektik zu tun?“ Woher weißt Du, dass sie geladen ist, wenn Du nicht mit ihr in irgendeine Wechselwirkung gehst? Und wie weit ist „weit“?
Mit der Bezeichnung für Nichtisolierbarkeit, wechselseitige Bestimmtheit etc. als „dialektisch“ gehe ich neuerdings auch etwas vorsichtiger um, aber ich denke schon, dass die Physik in ihrer Methode vieler dieser letztlich nicht trennbaren Bestimmungen auseinander reißt, um gleichungsförmige Gesetze erstellen zu können.
Ich will darauf hinaus, dass die „wirkliche Welt“ (des Gegenseitig-Bestimmtseins) nicht identisch ist mit der „Wirklickeit der Physik“. Eine physikalische Aussage ist eine Aussage über eine von uns unabängig bestehende Welt, aber sie ist nicht unabhängig von unserer Forschungsarbeit über in Wechselwirkung mit der Welt.
Juni 29, 2014 at 7:37 pm
Der letzte Absatz ist trivial für mich 🙂
Juni 30, 2014 at 6:41 pm
Und trotzdem ist es noch spannend: Abhängig von der jeweiligen Aussicht, die jemand über die „wirkliche Welt“ vertritt, ist die Vorstellung über die Forschugnsarbeit sehr unterschiedlich:
Nominalistische Vorstellungen gehen davon aus, dass es in der wirklichen Welt einzelne Dinge (u.a. mit Eigenschaften) gibt, die auch in Wechselbeziehungen treten können.
Dialektische Vorstelleungen dagegen meinen, dass sich die Gegenstände in den Wechselbeziehungen so konstituieren, dass relativ stabile Gebilde mit Verhaltens- d.h. Wirkmöglichkeiten bilden, von denen aber die Beziehungen zu jeweils anderen nicht „weggetan“ werden kann.
Juli 2, 2014 at 7:30 pm
selbstverständlich halte ich Wissenschaft für eine Unternehmung von Menschen und damit allen dadurch bedingten Eigenarten unterworfen, durchaus im Sinne von Marx und Herrhausen
unterschiedliche Kulturen haben unterschiedliche Verständnisse von Wissenschaft hervorgebracht, s. z. B. das der Dogans
Juni 29, 2014 at 5:32 pm
zu 23)
Annette: „Der Fokus auf das Verhalten anstatt auf Eigenschaften betont die Bezogenheit auf Anderes. Eigenschaften „haben“ auch einzelne Dinge, unabhängig von Wechselbeziehungen. Im Verhalten jedoch realisieren sich Verhaltensmöglichkeiten und dieses ist auf jeweils gegenständliches Anderes gerichtet (Wahsner 1996: 42).“
Peter: „Was ist daran Besonderes?“
Annette: Genau das, was ich beschrieben habe. Bei „Eigenschaften“ kann man sich das Eigenschaften habende Ding auch isoliert vorstellen. Beim Verhalten (wenn man es so denkt, wie eingeführt), nicht mehr.
(Dafür werden Begriffe gebildet, um Unterscheidungen denken zu können).
Juni 29, 2014 at 7:35 pm
Wie gesagt, in der Physik folgen die (möglichen) Wechselwirkungen der Dinge aus ihren Eigenschaften: kein Ding ohne elektrische Ladungen wird elektrisch geladen, weil in der Nähe elektrische Ladungen sind.
Juni 30, 2014 at 6:50 pm
Ein wenig ist das wie mit Henne und Ei, wenn ich innerhalb der Physik bleibe. Wenn ich aber die Beziehung zwischen Gegenständen in der Welt und den Objekten der Physik (deren Unterscheidung für Dich ja auch trivial, d.h. selbstverständlich ist), ernst nehme, so muss ich mich schon fragen, woher die Verhaltens-d.h. Wirkmöglichkeiten, die sich bei isolierender Vorstellung auch als Eigenschaften bezeichnen lassen, tatsächlich kommen (in einer Welt mit nur einem Teilchen würden wir weder von Masse noch von Ladung sprechen können… soweit ich mich erinnere, wird der Ladungsbegriff doch mit dem Verhalten eines Probekörpers im Ladungsfeld eingeführt… )
Bei der Masse hast Du mich richtig korrigiert: die zeigt sich an der Kraftwirkung. Hatte ich auch schon irgendwo erwähnt: träge Masse ist als Widerstand gegen eine Änderung des Bewegungszustandes (durch Beschleunigungskräfte) bestimmt, d.h. eben auch als Wirkfähigkeit, nicht für etwas Isoliertes.
Januar 18, 2015 at 7:51 pm
Zu Annettes Antwort vom „Juni 30, 2014 at 6:50 nachmittags“:
„woher die Verhaltens-d.h. Wirkmöglichkeiten, die sich bei isolierender Vorstellung auch als Eigenschaften bezeichnen lassen“ –
das klingt philosophisch evtl. ganz toll, für die physikalische Praxis gibt es jedoch nicht viel her. Ist Deine Kleidung auf Deinem Foto nur dann rot, wenn sie abgebildet wird?
Richtig finde ich Eulers Schlussweise: Aus der Undurchdringlichkeit der Körper folgt deren Beweglichkeit, weil ohne Beweglichkeit Undurchdringlichkeit keine Rolle spielt. Die Undurchdringlichkeit ist jedoch unabhängig von der Beweglichkeit.
Juni 29, 2014 at 5:38 pm
zu 25)
Annette: „…sondern immer einen Ausschnitt aus dem Verhaltensspektrum, der unseren Messmöglichkeiten und dem jeweiligen Erkenntnisziel entspricht. All dies gilt letztlich nicht nur für die Quantentheorie, aber bei dieser stellen sich zu vereinfachte Vorstellungen über die Aufgaben und Methoden der Naturwissenschaft bloß.“
Peter:
„Was ist damit gemeint?
Die Quantentheorie beschreibt die Ergebnisse der Untersuchungen von Quantensystemen mit Quantenmitteln und -methoden. In der Klassischen Physik werden dagegen Klassische Systeme nicht mit Klassischen Mitteln und Methoden untersucht, sondern ebenfalls mit Quantenmitteln und -Methoden (namentlich Licht). Diese Tatsache wird oft nicht berücksichtigt, woraufhin Äpfel mit Birnen verglichen werden.“
Annette: Ich will darauf hinaus, dass manches, was erst bei der Quantentheorie diskutiert wird, weil es da offensichtlich wird (z.B. dass die „Wirklichkeit der Physik“ nicht mit der „Realität“ (an sich, der Welt in ihrer Vollständigkeit…) identisch ist), eigentlich schon für die anderen physikalischen Theorien gilt.
Also z.B.: In aller (zumindest natur-)wissenschaftlichen Arbeit gibt es eine Wechselbeziehung zwischen forschenden Subjekten, den durch sie gebildeten Erkenntnismitteln und den Erkenntnisobjekten. Wie die Menschen zu den jeweiligen Erkenntnissen gekommen sind, steckt noch in den Erkenntnissen drin (z.B. eben auch in Form von solchen theoretischen Erkenntnismitteln wie den Grundgrößen).
Dass die Mittel sich theorienspezifisch unterscheiden, spezifiziert diese Aussage nur. Es werden also einerseits oft Äpfel mit Birnen verglichen (also die verschiedenen physikalischen Theorien vermischt), aber andererseits wird auch oft kurzschlüssig von Äpfeln (und Birnen) (also physikalischen Theorien) aufs Obst (die Welt) allgemein geschlossen.
Juni 29, 2014 at 7:31 pm
Deine Antwort hat mit meiner Einwendung wenig zu tun – ich stimme Dir natürlich zu, dass menschengemachte Wissenschaft menschliche Aspekte beinhaltet, insbesondere die historische Begrenztheit seiner Einsicht
Juni 29, 2014 at 5:39 pm
zu 26)
Peter: „NB: Es gibt auch Grundgrößen, die kein Maß besitzen, mithin nicht messbar sind, z. B. die Undurchdringlichkeit und die Beweglichkeit der Körper (Newton, Euler).“
Das ist eine interessante Bemerkung: Ja,die Autoren haben immer mal wieder verschiedene Größen eingeführt. Wie geht die Physik nun mit ihnen um? Wurden sie in irgend einer Weise operationalisiert? Gehen sie in gängige Naturgesetze ein?
Juni 29, 2014 at 7:27 pm
Die Undurchdringlichkeit spielt in einer Himmelsmechanik, die die Keplerschen Gesetze begründen möchte, keine Rolle, die Beweglichkeit muss in ihr vorausgesetzt werden -> vermutlich deshalb werden beide in den „Principia“ nicht erwähnt.
Bei Euler stellt die Undurchdringlichkeit das Wesen der Körper dar, aus ihr folgen Ausdehnung, Beweglichkeit, Trägheit (bei Euler „Standhaftigkeit“). Die Newtonsche Bewegungsgleichung F=ma und Newtons 3. Axiom werden hieraus abgeleitet (!).
Eulers Axiomatik („Anleitung zur Naturlehre“) wurde erst 1862 oder so publiziert und also ignoriert. Im Unterschied zur Newtonschen Axiomatik kann sie allerdings als Grundlage einer Verallgemeinerung der Klassischen Mechanik zur Speziell-Relativistischen und zur Quantenmechanik dienen (Hertz‘ Programm).
Juni 30, 2014 at 6:57 pm
Ich hatte mich schon erinnert, daß Du darauf schon verwiesen hast, hatte aber noch nie die Gelegenheit, mich da einzuarbeiten.
Wenn wir den Euler dazunehmen: Was ändert sich denn dann konkret an der Physik? (Das Programm von Hertz bringt doch nicht von sich aus die gesamte Rel.-theorie, oder doch?)
Und: Was ändert sich an der Beziehung zwischen Welt und Wirklichkeit der Physik?
In der Begriffsbestimmung von „Undurchdringlichkeit“ würde ich auch sehen, dass dies nur definiert sein kann, wenn ich von vornherein andere Körper/Kräfte dabei habe, die ggf. „durchdringen“ und auf Widerstand treffen. Das heißt, auch in dieser Vorstellung könnte es kein Universum mit nur einem einzigen Teilchen geben (dann würde ja die Bestimmung „undurchdringlich“ keinen Sinn ergeben).
Januar 18, 2015 at 8:00 pm
Zu Annettes Antwort vom „Juni 30, 2014 at 6:57 nachmittags“:
„Das Programm von Hertz bringt doch nicht von sich aus die gesamte Rel.-theorie, oder doch?“
Eulers Darstellung der Klassischen Mechanik erlaubt es, die Newtonsche Bewegungsgleichung axiomatisch, d. h. ohne spezifische Zusatzannahmen zu verallgemeinern, weil sie bei Euler eben nicht Teil der Axiomatik ist. Dieter Suisky und ich sind so zur speziell-relativistischen Bewegungsgleichung gelangt (DPG-Tagung 2005).
Juli 12, 2014 at 7:49 pm
Die Frage, was physikalische Realität denn eigentlich ist, scheint mir erstens sinnvoll, zweitens aber auch recht einfach beantwortbar:
Physikalische Realität ist des Physikers Modell der Wirklichkeit (und als solches keineswegs immer eindeutig).
Ein solches Modell wird vor allem dadurch bestimmt, wie der Mensch die Wirklichkeit wahrnimmt (welches Bild er sich von ihr macht), kann aber in wesentlichen Teilen auch durch Konventionen bestimmt sein.
Letzteres wird besonders deutlich, wenn man die Realität der Raumzeit der ART in unterschiedlicher Normierung (nach Einstein einerseits und Thirring bzw. Deser andererseits) betrachtet. Siehe dazu http://greiterweb.de/zfo/Relativ.htm#msgnr0-41
Januar 16, 2015 at 5:04 pm
Hier noch etwas zum Thema Naturgesetz. Hier eine Frage an die Fachfrau: Kann man das so sagen und wenn nein, was nicht und warum nicht?
Eine Erklärung versucht etwas noch Unbekanntes mit etwas bereits Bekanntem zu erklären.
Es gibt verschiedene Arten des Erklärens:
Die bekanntesten sind die Rückführung auf eine Ursache oder die Reduktion auf einzelne Bestandteile. Diese beiden Methoden sind die beliebtesten in der Naturwissenschaft.
Man kann aber auch etwas erklären, indem man eine Geschichte erzählt, das machen die Historiker von Haus aus, das ist auch eine beliebte Methode in den Religionen, findet aber auch in der Naturwissenschaft ihre Anwendung. Denn auch die Geschichte vom Urknall ist eine Geschichte eines Anfangs und einer Entwicklung analog zur bekannten Schöpfungsgeschichte.
Ein Naturgesetz ist weder das eine noch das andere. Es ist die mathematische Beschreibung! einer Erfahrung posteriori.
Wollte man in dem Gesetz der Gravitation die Ursache der Gravitation sehen, dann wäre das in etwa so als wollte man in der Höhe der Quecksilbersäule eines Thermometers die Ursache für die Temperaturveränderung erkennen wollen.
Die Ursache der Gravitation ist bis heute unbekannt, genauso wie die Ursache des Urknalls oder die Frage danach, wer denn dann Gott erschaffen hat. Eine letzte Antwort kann nur der erhalten, der keine! weiteren Fragen stellt. Es ist dabei völlig egal, wer die Fragen stellt und wer sie nicht beantwortet, die Theologie, die Naturwissenschaft, Fritzchen, Georg oder wer auch immer.
Januar 18, 2015 at 3:23 pm
Ich denke schon, dass man auf jeden Fall unterscheiden muss, wer auf bestimmte Fragen überhaupt antworten kann. Da sollte die Naturwissenschaft weder behaupten, zu viel zu können, noch sollte es ihr abverlangt werden. Die Möglichkeiten der Naturwissenschaft, sind, um das gut machen zu können, was sie kann, beschränkt.
Sie sagt nichts zu so was wie „inneren Ursachen“ („Ursache der Gravitation“), sie sagt auch sonst nur indirekt was über Ursache-Wirkungsverhältnisse. Sie sagt uns auch nicht nicht, wie die Welt „wirklich ist“. Nein, sie sagt uns nur, unter welchen Bedingungen welche Bewegungsmöglichkeiten in welchen quantitativen Mengen aufeinander einwirken. Die Bewegungsmöglichkeiten werden dabei in substantivierte Begriffe umgewandelt („Masse“ ist in der normalen Mechanik etwa sie Eigenschaft/Fähigkeit/Möglichkeit von trägen Körpern, gegenüber einer beschleunigenden Kraft Widerstand auszuüben). Es wird also analytisch etwas getrennt, was in Wirklichkeit nur zusammen wirkt (Unterscheidung von trägem Körper und Kraft). Nur durch diese Unterscheidung/Trennung/gedankliche Isolierung ist es möglich, die substantivierten Bewegungsmöglichkeiten in quantitativen Verhältnissen mathematisch abzubilden. Aber dadurch ist sie eben keine Abbildung der Wirklichkeit mehr, bei der das gar nicht getrennt ist.
Ob diese Substantivierung von Bewegungsmöglichketien mit dem Ergebnis von Größen, deren Menge quantitativ darstellbar ist, für immer und ewig die beste Form von Naturwissenschaft ist, sei dahingestellt, Aber wenn man das weiß, dass sie derzeit halt so funktioniert und die wissenschaftlichen Revolutionen i.a. damit verbunden sind, dass neue Weisen der Größenbildung gefunden werden, so kann man sich vieles erklären, was Wissenschaft derzeit kann und eben auch nicht.
Im Naturgesetzt, schon in den Größen, die dabei verwendet werden, vereinen sich deshalb die Ergebnisse von menschlichen Aktivitäten (Größenbildung) mit dem, was in der Natur da draußen tatsächlich abläuft (denn ob die Größenbildung der Wirklichkeit gegenüber angemessen ist oder nicht, sagen uns die Ergebnisse des Versuchs ihrer Verwendung).
Januar 18, 2015 at 4:14 pm
Vielen Danbk für Ihre Antwort. Könnte man sagen, die Naturwissenschaft beschränkt sich auf Aussagen, die quantifizierbar sind und verzichtet auf qualitative Aussagen, oder ginge das zu weit, wenn ja warum?
Januar 18, 2015 at 8:22 pm
Bevor ich meine Widersprüche zu Annettes Antworten ausbreite, möchte ich zu hansarandts Antwort rufen: Nein so ist es nicht! – und hoffen, er lese meine Widersprüche, um zu sehen, weshalb. –
Annette schreibt,
1) „Sie [die Naturwissenschaft] sagt nichts zu so was wie “inneren Ursachen” (“Ursache der Gravitation”), …“
Das stimmt nicht für Eulers Mechanik.
2) „… sie sagt auch sonst nur indirekt was über Ursache-Wirkungsverhältnisse.“
Was meint „indirekt“?
3) „sie sagt uns nur, unter welchen Bedingungen welche Bewegungsmöglichkeiten in welchen quantitativen Mengen aufeinander einwirken.“
Sehe ich nicht bei Newton und Euler – Annette hat in Jena vermutlich „zu viel“ vom Wirkungsprinzip eingesogen 😉
4) „Die Bewegungsmöglichkeiten werden dabei in substantivierte Begriffe umgewandelt“ (“Masse” ist in der normalen Mechanik etwa sie Eigenschaft/Fähigkeit/Möglichkeit von trägen Körpern, gegenüber einer beschleunigenden Kraft Widerstand auszuüben).“
Hier werden qualitative, maßlose Eigenschaften wie die Beweglichkeit im Sinne Newtons und Eulers mit quantitativen Eigenschaften wie der trägen Masse als Maß der Trägheit durcheinandergebracht.
5) „Es wird also analytisch etwas getrennt, was in Wirklichkeit nur zusammen wirkt (Unterscheidung von trägem Körper und Kraft).“
Machsches Prinzip?
6) „Nur durch diese Unterscheidung/Trennung/gedankliche Isolierung ist es möglich, die substantivierten Bewegungsmöglichkeiten in quantitativen Verhältnissen mathematisch abzubilden.“
Meint was?
7) „Aber dadurch ist sie eben keine Abbildung der Wirklichkeit mehr, bei der das gar nicht getrennt ist.“
Klingt zu absolut
Juni 6, 2015 at 9:44 am
Nach Anton Zeilinger ist physikalische Realität nichts anderes als eine Menge beantworteter JA-NEIN-Fragen.
Siehe http://greiterweb.de/zfo/Realismus#msgnr0-21 .
Juni 7, 2015 at 6:57 am
Was sagen Kollegen dazu, die etwas von Dialektik verstehen und von der Mühe des Begriffs?
Inwiefern unterscheiden sich Dampfmaschine und Quaternionen?