Es ist überfällig, bei den Treibhausemissionen, vor allem den CO2-Emissionen, „in den Knick“ zu kommen: von dauerndem Ansteigen der Emissionen zu radikalen Senkungen der Emissionen bis auf Null in wenigen Jahren. Man braucht eigentlich keine Wissenschaftler*innen von Scientist Rebellion, die auf die Offenbarung des Versagens bei der Rettung der Welt vor der Klimakatastrophe drängen. Man kann es an alltäglichen Meldungen selber sehen, dass wir in die fundamental falsche Richtung rennen – wir im Sinne auch aller „normalen“ Menschen, die jeden Tag in ihre Jobs gehen und das Spiel mitspielen, in den Jobs wie auch in den Shopping-Malls.

Auch in einem Artikel mit dem Titel „Es eilt“ in der Süddeutschen Zeitung wird kein Wort über radikalen Energieeinsparungen aus Klimaschutz/-gerechtigkeitsgründen verloren. Im IPCC-Bericht zum Einhalten des 1,5-Grad-Ziels von 2018 wurden vier Szenarien vorgestellt, mit denen (aus damaliger Sicht, also vor fast 5 Jahren!) dieses Ziel noch zu erreichen (gewesen) wäre: 1. massive Energieverbrauchssenkung, 2.-4. starke Nutzung von Kernenergie und/oder Versprechen auf Technologien einer künftige Entfernung von CO2 aus der Atmosphäre, deren Machbarkeit nicht gesichert ist, von denen viele extrem teuer sind, viele in Flächenkonkurrenz zu anderen wichtigen Landnutzungsformen (Nahrungsmittel!) geraten, in globaler Hinsicht den globalen Süden überproportional benachteiligen und außerdem alle extrem risikoreich sind („Climate-Engineering“). Dieser unsicheren und in letzter Hinsicht unverantwortliche „Plan B“ wird jetzt schon als nicht mehr umgehbar angesehen, WENN wir nicht an anderen Hebeln drehen, wie einer absoluten Senkung des Energieverbrauchs in einer grundlegend veränderten Wirtschafts- und Lebensweise. Aber die Aussichten sind schlecht:

Die weiter bestehende kapitalistische Wirtschafts- und Gesellschaftsverfassung heizt in fast aller Welt weiterhin geopolitische Konkurrenz an. Neben den verheerenden kriegerischen Aktionen frisst auch der normale Ablauf unserer energiehungrigen Verschwendungswirtschaft weiterhin Unmengen an fossilen Energien und diese sind durch weniger dichte, also nur mit höherem Aufwand „auffangbare“ sich erneuernde Energien nicht wirklich in diesem Maße zu ersetzen. Auch hier stecken wir in der kapitalistischen Konkurrenzfalle, denn wegen dieser Konkurrenz stärkt jedes Land „seine“ Wirtschaft nach besten Kräften und subventioniert den wichtigsten Treibstoff des dafür nötigen wirtschaftlichen Wachstums.

Dies erklärt, warum die G-20-Länder die Subventionen für fossile Brennstoffe im Jahr 2021 um 16 Prozent erhöht haben, statt sie resolut zu streichen. 20 Milliarden Dollar gingen allein in Subventionen für die Kohleförderung. Der Subventionsanstieg ist auch nicht nur gekoppelt an einem höheren Energieverbrauch (was schon fatal genug ist), sondern erfolgte überproportional, also willentlich und bewusst entgegen den klimapolitisch dringend notwendigen Erfordernissen.

Wie stark uns diese energiehungrige Orientierung in die Bredouille bringt, zeigen die erneuten hektischen Zugriffe auf die Reste fossiler Energien nach den Sanktionen gegenüber Russland seit Beginn des Ukraine-Kriegs. Fracking soll ernsthaft wieder in Angriff genommen werden, und davor schützen uns und die Natur auch selteneres Duschen oder ein Pullover mehr im Winter nicht.

Dabei wäre, unabhängig davon, ob man die Sanktionen richtig findet oder nicht, die Erinnerung an die Abhängigkeit von geopolitisch militärisch geschützten Zugriffen auf fossile und andere Ressourcen überall in der Welt ein guter Anlass, darüber nachzudenken, wie wir die Wirtschaft und unsere Lebensweise grundsätzlich umgestalten können.

Im aktuellen Bericht des Weltklimarats (IPCC) finden sich nicht nur in den vorher von besorgten Wissenschaftler*innen geleakten Dokumenten, sondern auch im fertigen Bericht Forderungen nach „schnellen und grundlegenden Veränderungen“ (AR6 WGIII, 3-10) und dies „in den Bereichen Energie, Städtebau, Bauwesen und Industrie“ sowie „im Verhalten und sozialen Praxen“ (ebd.: 4-77). Häufig werden „Veränderungen in der gesamten Wertschöpfungskette“ (ebd.: 10-8) als notwendig angesehen, insbesondere im Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft. Letztlich geht es um „transformatorische Änderungen der Produktionsprozesse“ (ebd.: SPM-38). Schon deshalb titelte die ZEIT ONLINE ihren Bericht über den IPCC-Bericht: „Ein Aufruf zur Revolution“.

Im neuen Bericht an den Club of Rome „Earth for All” wird noch deutlicher als im IPCC-Bericht betont, dass die wichtigsten drei „außerordentlichen Kehrtwenden“ (S.9) gesellschaftliche Maßnahmen betreffen, die angesichts der Realität wahrhaft revolutionär anmuten: Es geht 1. um das Beenden von Armut, 2. die Beseitigung der eklatanten Ungleichheit sowie 3, eine Ermächtigung von Frauen. Erst in den letzten beiden Kehrtwenden geht es um technologischen Wandel, hier zuerst (als 4.Punkt genannt) um den Aufbau eines für Menschen und Ökosysteme gesunden Nahrungsmittelsystems. Und erst ganz am Schluss kommt der Übergang zum Einsatz sauberer Energie, was sonst immer in den Vordergrund gestellt wird, weil es wegen den CO2-Emissionen direkt an einem Problem ansetzt. Das wohl vor allem auch deshalb, weil es ohne größere Veränderungen bei der globalen und innernationalen sozialen Ungerechtigkeit und grundlegenderen Veränderungen lösbar zu sein scheint. Stattdessen muss es ans Eingemachte gehen:

„Indem wir den materiellen Verbrauch der Reichsten in der Gesellschaft substantiell einschränken und intelligentere Wege beschreiben, um die Menschen mit dem zu versorgen, was sie wirklich brauchen, können wir mehr Raum dafür schaffen, dass die übrigen 99 Prozent ihren gerechten Anteil an den Ressourcen erhalten.“ (40)

Aber noch rasen wir mit Hochgeschwindigkeit in die falsche Richtung.

Es wird eingeschätzt, dass in den nächsten zwanzig Jahre 14 Billionen US-Dollar in neue Förderstätten, Minen und die Transportinfrastruktur für fossile Brennstoffe investiert werden. All diese Investitionen würden bei der Einhaltung des 2-Grad-Ziels zu „gestrandeten Vermögenswerten“ („stranded assets“). Und ironischerweise verhilft das Auftauen des Arktiseises durch den Klimawandel nun auch noch zu einem Run auf die darunter gefundenen Ölreserven.

Was soll man davon halten? Was können da die zaghaften, sich den ökonomischen Gegebenheiten und finanziellen Beschränkungen weitgehend unterwerfenden Bemühungen einer nichtkapitalismuskritischen Klimabewegung überhaupt erreichen? Vielleicht nicht „Nichts“, aber bei weitem nicht genug.

Walter Benjamin sah in Revolutionen einen „Griff … nach der Notbremse“. Aber das fordern nicht mal die Aktivist*innen der „Letzten Generation“. Da ist der Förderverein Solaranergie schon näher an der Wahrheit*:

„Es geht nicht mehr darum, ob wir unsere Wirtschaftsstruktur mögen oder nicht. Es geht um das Überleben der Menschheit.“

Im Moment sind wir dabei, uns kollektiv die Kehle durchzuschneiden. Dabei halten allerdings einige das Messer und andere sterben zuerst. Wir sitzen nicht alle im selben Boot, sondern es geht im wahrsten Sinne des Wortes um ein „Wer-Wen“!!!


* Ich weiß, die Aktivistis wählen bewusst niedrigschwellige Forderungen, denen wirklich alle vernünftigen Menschen zustimmen können. Vielleicht wäre es aber angebrachter, die wirklich anstehenden Veränderungen anzusprechen und sie auch mit geeigneteren Methoden anzustreben… Aber trotz dieser Überlegungen bin ich solidarisch mit allen, die im Spektrum gewaltfreier, wenn auch radikaler Klimagerechtigkeitspolitik agieren.