Wie so häufig wollte ich „nur mal schnell“ eine wichtige Debatte zusammenfassen, damit wir sie in den Studien und Vorträgen der „Zukunftswerkstatt Jena“ zu Energiefragen mit verwenden können. Dazu wird hier auch noch ein längerer inhaltlicher Bericht kommen. Allerdings wurde ich im Laufe der Arbeit immer unzufriedener mit dem Ausgangstext und das möchte ich hier einigermaßen zusammenhängend notieren.

Zur Argumentation

Stefan Mz. geht davon aus, dass das von ihm auch gut dargestellte Merit-Order-Prinzip der Preisbildungsmechanismus an der Strombörse ist und damit auch „die Wertlogik“ repräsentiert. Nun stellt er sich vor, was passieren würde, wenn 100% des Stroms aus erneuerbaren Energien käme. Da in Merit Order nur die variablen Kosten (im wesentlichen die Rohstoffkosten) eingehen, würde sich nun ein Preis nahe Null ergeben.

Wegen der „Sonne als großer Schenkerin“ gibt es demnach für erneuerbare Energien keine Knappheit, ja nicht einmal eine Begrenztheit (zu den Begriffen siehe hier).

Auf dem Böll-Workshop sollen alle von einer »theoretischen Leerstelle« gesprochen haben und Stefan meint, dieses Paradoxon aufklären zu können: Er meint, dass die Stromproduktion aus erneuerbaren Quellen sowieso „nicht marktfähig“ ist (wie jene von Information und Wissen, die nur durch Prozesse der technischen „Ausschließung“ in Warenform zu bringen sind), sich also der Wertlogik entzieht.

Damit liegt eine Analogie zur Information nahe und es ergibt sich für die Energie ebenfalls die naheliegende Schlussfolgerung, dass die Energie ebenfalls ein Gut ist, mit dem besser nach den Prinzipien des Commoning umgegangen werden sollte als nach marktwirtschaftlichen (wertlogischen) Prinzipien.

Ich denke, es ist nicht günstig, die Argumentation über den Merit-Order-Mechanismus zu führen. Er baut viel zu viele Diskussionshemmnisse ein, die nicht nötig sind und lenkt damit von den wesentlicheren Fragen ab, die noch gar nicht gestellt werden.

Ich stimme Stefan zu in einem wichtigen Satz:

„Nur wenn die Verwertungslogik als Operationsprinzip durchbrochen ist und das Commoning der beteiligten Menschen entscheidet, was getan wird, können wir anfangen über Commons zu reden. Erst dann haben wir es möglicherweise mit einem »jenseits vom Markt« zu tun.“

Ich lese ihn aber nicht in der Weise, dass bereits die freie Verfügbarkeit der Quellen der erneuerbaren Energie die „Verwertungslogik als Operationsprinzip durchbrochen“ hat, sondern dass dies erst durch eine gesellschaftliche Tat geschehen muss.

Zu Merit-Order

1.
Dass man mit Merit Order nicht „das“ Preisbildungsmodell für Energie analysiert, wird schon daran deutlich, dass damit nur ein Teil des Stromhandels abgebildet wird, nämlich der sog. Spotmarkt. Dieser enthält nur 1/5 der Gesamthandelsmenge, beeinflusst aber durchaus den gesamten Handel.

2.
Außerdem ist das Merit-Order-Modell gar nicht primär ein „Preisbildungs-„Modell, sondern es wurde eingeführt aufgrund des besonderen Erfordernisses für Energie, dass stets eine Übereinstimmung von eingespeister Energie und geforderter Energie gewährleistet werden muss. Es geht primär um die „Einsatzreihenfolge der Kraftwerke“ (Wikipedia) und diese wird über das Ausschalten der jeweils in Bezug auf die variablen Kosten teuersten Kraftwerke geregelt. Es geht um die Regelung der Einsatzreihenfolge der Kraftwerke und lediglich sekundär wird als „Merit-Order-Effekt“ diskutiert, dass eine Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energien (übrigens ebenso wie von Kernkraftwerken, deren variable Kosten auch sehr gering sind) den Preis für die auf dem Spotmarkt gehandelte Energiemenge durch das Nichtnutzen der relativ teuersten konventionellen Kraftwerke senkt.

Ansonsten gilt, wie auch der entsprechende Wikipedia-Artikel zur Strombörse sagt: „Langfristig müssen am Markt natürlich die Vollkosten gedeckt werden.“

Stefan überbetont die Rolle der variablen Kosten und unterschätzt die Investitionskosten. Zu den Infrastrukturen schreibt er:

„Wenn die mal stehen und 100% abdecken, dann ist der Preis nach Marktlogik bei Null und das Gut nach Nutzungslogik frei verfügbar.“

Die Primärenergie selbst steht tatsächlich kostenfrei zur Verfügung. Durch ihre geringe Dichte im Vergleich zu den fossilen und zur Kernenergie ist der Aufwand für ihre „Ernte“ aber keinesfalls so gering, dass man ihn so schnell vom Tisch wischen könnte.

3.
Für hypothetische Fragestellungen, z.B. was passiert, wenn 100% erneuerbare Energien vorhanden wäre, ist der Einsatzbereich von Merit-Order sowieso überzogen, denn er gilt nur für statische Kraftwerksbestände. Die dynamische Veränderung im Kraftwerkspark müsste mindestens mit einem Peak Load Pricing Modell, das die Investitionskosten der jeweiligen Energieform mit einbezieht, betrachtet werden. Dies ist vor allem deshalb auch der Besonderheit des Guts Energie geschuldet, weil es nicht speicherbar ist und trotzdem die Spitzenlasten abgesichert werden müssen.

Um einen Kraftwerksbau zu stimulieren, der die Spitzenlast absichert, arbeiten andere Länder inzwischen auch mit sog. „Kapazitätsmärkten“. Letztlich werden zur Absicherung einer stabilen Energieversorgung neben den Energieumwandlungsanlagen (von Licht, Wind, Wellen in Strom) auch weitere Reserve-Kraftwerkstypen wie GuD-Kraftwerke (z.B. auf Basis von Methan) usw. benötigt. (siehe Seite 68, 112, 129 in dieser Studie).

Im Prinzip ist das Weiterdenken des Merit-Order-Prinzips für 100% erneuerbare Energien genau so unangemessen wie das Verwenden eines Zollstocks für die Messung von Längenabständen bei einer Geschwindigkeit nahe der Lichtgeschwindigkeit.

4.
Bei Merit Order wird explizit nur auf die variablen Kosten Bezug genommen und die Investitionskosten ausgeblendet. Je höher der Anteil an fixen Kosten ist, desto weniger funktioniert die Merit-Order-Preisbildung und für erneuerbare Energien ist er vergleichsweise hoch. Sobald also der Anteil an erneuerbaren Energien steigt, setzen sich die Voraussetzungen für die Wirkungsweise von Merit Order außer Kraft. Das heißt noch lange nicht, dass damit „der Markt“ (oder „die Wertlogik“) außer Kraft gesetzt würde.

Aufwand für Strom aus erneuerbaren Energien

Die Quelle für erneuerbare Energien (Sonnenlicht, Wind, Wellen…) kann als freies Gut (d.h. auch bei einem Preis von Null wird es nicht so viel nachgefragt, dass es einmal aufgebraucht wäre, wie die Luft oder Sand in der Sahara) betrachtet werden. Das Nutzbarmachen der erneuerbaren Energie als Strom erfordert jedoch einen wesentlich größeren Aufwand an lebendiger Arbeit bzw. Naturverbrauch als die Information. Dies zeigt sich in den niemals Null werdenden Kosten für erneuerbare Energie:

Kosten für erneuerbare Energien (Quelle)

Und hier gilt letztlich: „Langfristig müssen am Markt natürlich die Vollkosten gedeckt werden.“ Insofern unterscheidet sich Energie auch von Information: Ihre Nutzbarmachung hängt viel enger an stofflichem Aufwand und auch lebendiger Arbeit als eine einfache Informationskopie. Deshalb kann die Energie in der Form, in der sie vom Nutzer genutzt wird, als Strom, nicht mehr als „freies Gut“ gelten.

Hier gilt dann der Einwand aus Kommentar 24:

„Dass der Anteil menschlicher Arbeit bei EE sehr gering ist, heißt aber nicht, dass der Strom fast keinen Wert hat. Der Wert setzt sich auch aus dem konstanten Kapital zusammen. Bei einer Lebensdauer einer Solaranlage von 25 Jahren ginge also, vereinfacht gerechnet, 1/25 ihres Wertes pro Jahr in den Stromwert ein.“

Energierente

Abgesehen von diesen realen Aufwänden, die in einer Marktwirtschaft eine Rolle spielen, stellt sich bei der erneuerbaren Energie erneut die Frage der „Grundrente“ für den Beitrag der Naturproduktivität. Monopolisiert wäre hier nicht der Zugang zu den Quellen der erneuerbaren Energie, aber z.B. die Zugangsvoraussetzungen in der stofflichen Welt: Flächen, Materialien für Energieumwandlungssysteme etc., etc. (siehe auch Kommentar 249). Eine solche Rente könnten sich allerdings jene Kräfte versprechen, die vor allem auf zentralistische Konzepte wie DESERTEC oder Offshore-Windkraftwerke setzen, denn diese monopolisieren dann besonders geeignete „Erntestellen“ für die erneuerbare Energie.

Dies alles sind Fragen, die meines Wissens nach noch nicht ausreichend diskutiert worden sind. Mit Merit Order und einem zu frühen Freuen jedenfalls gerät die Diskussion eher in eine unproduktive Sackgasse.

Erntefaktor

Eine interessante Abbildung, die den Unterschied der Energiesysteme für konventionelle und erneuerbare Energien verdeutlicht, findet sich z.B. hier:

Hier gäbe es den geeigneten Ansatz, die Besonderheit der erneuerbaren Energie hervorzuheben: Sie haben einen „Erntefaktor“ (produzierte Energiemenge im Verhältnis zu aufgewendeter Energiemenge, was Brennstoff und Bau der Anlagen einschließt) größer als 1. Für Photovoltaik ergibt sich (sogar mit veralteten Daten) ein Erntefaktor von mindestens 9! (Quelle)

Im Übrigen kann der Begriff „Erntefaktor“ auch für die Energiequellen, insoweit ihre Förderung gemeint ist, selbst verwendet werden. Dann ergibt sich für die Förderung von Rohöl aus US-amerikanischen Quellen ein Erntefaktor zwischen 11 und 18 und für nachwachsende Rohstoffe für deutschen Biodiesel ein Erntefaktor von ca. 3 (Quelle). Dies widerspiegelt die hohe Energiedichte des Öls.

Ich finde an all dem aber nichts, was die In-Wert-Setzung dieser Energie grundsätzlich in Frage stellen würde. Letztlich passiert genau dasselbe bei allen landwirtschaftlichen Produkten: Natürlich gibt die Natur ihren Anteil am Reichtum hinzu (wenn auch nicht am Wert), das hinderte den Kapitalismus niemals daran, sie „in Wert zu setzen“ (wenn auch vermittelt über die daran geleistete Arbeit der Menschen).