|
Serge Latouche, einer der maßgeblichen Autoren der De-Growth-Bewegung, grenzte sich wohl explizit von einer Verbindung von Wachstums- und der Kapitalismuskritik ab. Ein Abschaffen des Kapitalismus würde seiner Meinung nach die Gesellschaft ins Chaos stürzen und Terrorismus mit sich bringen – deshalb setzt er auf die Reformierung des Kapitalismus zu einem umweltverträglichen. (Quelle, S. 14)
Im Standpunktepapier 17/2011 der Rosa-Luxemburg-Stiftung vertritt Tom Strohschneider die Meinung, dass der kapitalismuskritische Gehalt der sich in Wellen wiederholenden Wachstumskritik abnähme. Ich weiß nicht, wie hoch dieser Gehalt früher war – aber auf dem Kongress „Jenseits des Wachstums“ war ich erstaunt über die Allgegenwart der Verbindung von Kapitalismus- und Wachstumskritik.
Einen großen Raum nahm in den Foren die Frage ein, woher die Orientierung auf das Wachstum rührt und wie stark dabei der durch die kapitalistischen Strukturen hervorgerufene Zwang zur Kapitalakkumulation hier wirkt.
Es wurde auf lange Zeiträume innerhalb der kapitalistischen Entwicklung verwiesen, in der der Kapitalismus ohne Wachstum ausgekommen sei. Elmar Altvater verwies auf die Zeiten vom 12.-18. Jahrhundert, in denen durchaus Expansion stattfand und auch enorme kulturelle und wissenschaftliche Entwicklungen. Für den Kapitalismus ist seiner Meinung nach vor allem Rationalisierung im Sinne der Steigerung der Arbeitsproduktivität wesentlich, dies kann mit unterschiedlichen Mitteln erfolgen. Erst mit der massiven Nutzung fossiler Energieträger begann die Zeit des enormen Wachstums. Diese Sichtweise bestätigte an andere Stelle auch Niko Peach. Er verwies darauf, dass es bisher als Erklärung für das Wachstum das Konzept von Adam Smith gibt, der die Quelle für Wachstum in der Arbeit sehe und von Peter Schumpeter, der sie in Innovationen sieht. Eine dritte Erklärung, die bisher meist übersehen werde, gibt Georgescu-Roegen. Dieser nimmt an, dass Wachstum von der Ausbeutung von Energievorräten stammt.
„Was wir für Effizienz halten, ist nur energetische Plünderung. Die Arbeitsteilung erhöht den Wohlstand, aber nicht wegen der Effizienz, sondern wegen dieser Plünderung.“ (Niko Peach)
(Zur Energiefrage siehe auch ein Vorhaben der „Zukunftswerkstatt Jena„)
Trotzdem stand für Elmar Altvater auch fest:
„Wer von Wachstum redet, darf über Akkumulation des Kapitals nicht schweigen. Wachstum unter kapitalistischen Bedingungen ist Akkumulation von Kapital. Das geht nicht ohne Krisen und da muss man sich fragen, wer dafür bezahlt.“ (Elmar Altvater)
Ralf Fücks nannte die Frage, ob dem Kapitalismus das Wachstum immanent sei, hypothetisch und fiktiv und verwies darauf, dass es einen historisch einmaligen Wachstumsschub gäbe, der in eine „grüne“ Richtung gelenkt werden müsse. Es gehe dabei um eine Abkopplung der Produktion vom Ressourcenverbrauch. Er verwies dabei auf Ernsts Blochs Vorstellung einer „Allianztechnik“, vergaß aber zu erwähnen, dass Ernst Bloch diese konkrete Utopie der Allianztechnik unbedingt verbunden sah mit einer neuen Art von Gesellschaftlichkeit eines „ gesellschaftlich mit sich selbst vermittelte[n] Subjekt[s]“.
Eckhard Stratman-Martens unterschied bei der Frage nach der Rolle des Kapitalismus mehrere Ebenen, auf denen sich die Wachstumsfrage stellt:
- Auf der strukturellen Ebene entsteht der Wachstumsdrang daraus, dass wegen der Vorherrschaft des Privateigentums an Produktionsmitteln das Profitinteresse der Einzelkapitale entsteht.
- Auf der kulturellen Ebene zeigt sich der Kapitalismus auch als Lebens- und Konsumtionsweise. Das Bedürfnis nach Expansion ist der eigenen Konsumansprüche ist dem Kapitalismus immanent, es hat aber auch hat tiefe kulturgeschichtliche Wurzeln.
- Auf der Mikroebene gibt es Triebkräfte nach einzelbetrieblichem Wachstum. Diese könnten unter geeigneten Kräfteverhältnissen über Rahmengesetze allerdings eingegrenzt werden.
Niko Peach geht davon aus, dass der Kapitalismus nicht allein für das Wachstum verantwortlich ist, weshalb es nicht ausreiche, ihn zu bekämpfen, um ökologische Zerstörungen zu verhindern. Andreas Exner meinte dazu, dass tatsächlich auch Beteiligte in einer Solidarökonomie sich entscheiden könnten, zu viel zu produzieren. Allerdings gibt es für sie im Unterschied zum Handeln im Kapitalismus keinen Zwang mehr dazu.
Zumindest von Seiten der Wachstumskritik gibt es einen recht deutlichen Schulterschluss mit der Kapitalismuskritik:
„Décroissance bedeutet Kampf gegen die Wirtschafts- und Finanzdiktatur. Deshalb ist die Bewegung gegen die so genannte freie Marktwirtschaft, also letztlich gegen den Kapitalismus.“ (Quelle)
Athanasios Karathanassis sah folgende Zusammenhänge von Wachstumszwang und Kapitalismus:
- Die zentrale Kapitallogik trägt eine Maßlosigkeit in der Praxis und auch in der grundsätzlichen Zielsetzung in sich.
- Das, was maßlos ist, ist der Wert. Um aus Werten mehr Wert machen zu wollen, werden konkrete stoffliche Träger zur Verwirklichung dieser Maßlosigkeit benötigt.
- Letztlich ist der Wert, welcher potentiell unendlich groß werden kann und auch danach strebt, mit der stofflichen Seite, die nur in einem endlichen Maße wachsen kann, verkoppelt. Deshalb ist mit dem Kapitalismus strukturell eine naturzerstörerische Tendenz verbunden.
Auch Andreas Exner erklärt den Drang und den Zwang zum Wachstum im Kapitalismus.
„Weil Geld abstrakten Wert verkörpert, man es „nicht essen kann“, gibt es keine objektivierbare Grenze der Gewinnproduktion, Geld macht niemals „satt“. Die Produktion von Geldgewinn und die Herstellung von Gebrauchswerten, die gesamtgesellschaftlich dafür notwendig ist, sind daher maßlos. […]
Ohne Geld sind wir nicht vollwertig anerkannt. Deshalb konkurrieren alle um Geld und versuchen, sich möglichst viel davon anzueignen. Geldgewinn muss maximiert werden.“
Auch Werner Rätz schilderte kurz den Zusammenhang von Kapitalismus und Wachstumszwang:
„Märkte sind niemals neutrale Orte, wo alles möglich ist, sondern sie folgen einer inneren Ordnung. Im Kapitalismus ist dies die Ordnung der Kapitalvermehrung. Es wird auf kapitalistischen Märkten dauerhaft nur das geben, was auch verkauft werden kann, denn schließlich investiert niemand in die Produktion von irgendetwas, weil sie die konkreten Dinge, Häuser oder Panzer oder Lebensmittel, so toll findet und riesige Mengen davon haben will, sondern um die Dinge zu verkaufen und das eingesetzte Kapital mit einem Zuschuss wieder herauszubekommen.“
Nicht alle, die sich gegen die gefährlichen Folgen des derzeitigen wirtschaftlichen Wachstums oder auch gegen Wachstum generell aussprechen, sehen den Zusammenhang zu den kapitalistischen gesellschaftlichen Grundstrukturen, in denen wir leben. Man kann darüber unglücklich sein, wie z.B. Angelika Klein. / Ich selbst bemerkte allerdings doch ein starkes Übergewicht der Akzeptanz des Zusammenhangs von Wachstums- und Kapitalismuskritik im Sinne:
„Wer von Wachstum redet, darf über Akkumulation des Kapitals nicht schweigen“ (Altvater, s.v.).
In einem Bündnis, worauf es wohl beim Kongress „Jenseits des Wachstums“ allen ankam, sollten beide Richtungen aufeinander zugehen. Es gibt keine grundsätzlich ausschließenden Positionen. Die Wachstumskritik sollte sich der Bedeutung der kapitalistischen Wirtschaftsstrukturen bewusster werden; sie selbst betont den Mentalitätswandel, der schon innerhalb des Kapitalismus beginnen muss.
Letztlich sind die Gründe, die zur Wachstumskritik führen, nur weitere Gründe, die gegen den real existierenden Kapitalismus sprechen.
Weiter zu „Reichen individuelle Verhaltensänderungen oder müssen wir strukturelle Verhältnisse brechen?“
Zur Anfangsseite meiner Blogberichte zum Wachstumskongress
Juni 6, 2011 at 7:45 pm
[…] Ist Wachstumskritik identisch mit Kapitalismuskritik? (Annette Schlemm) […]
August 16, 2011 at 10:37 am
[…] dass unser „erfolgreiches“ Wirtschaftssystem immer ambivalent war. Der real existierende Kapitalismus hat m. E. drei große Mängel: er akkumuliert Reichtum bei den Habenden statt Mittel dort […]
Mai 14, 2012 at 8:09 pm
Das Marx hier nur als Apfelbäumchen auftritt finde ich ein wenig Schade, zeigt er doch wie kein anderer den inneren Mechanismus des kapitalistischen Wachstumszwangs auf, und warum es den so lange geben wird, wie es kapitalistische Konkurrenz gibt und dessen Zyclen von Produktivitätssteigerung und Entwertung.
Produktivitätssteigerungen versetzen Konkurreten in die Lage, Waren zu ihrem gesellschaftlichen Wert oder sogar darunter zu veräußern und trotzdem mehr Gewinn als die Konkurrenz einzufahren. In dem Ausmaß, wie die Konkurenz dann gleich zieht, entwerten sich die Waren und alle müssen für den gleichen Profit mehr Waren als Gebrauchswerträger liefern.
Das ist der wesentliche Fortschrittsmotor des Kapitalismus sowohl in Sachen quantitativen als auch qualitativen Zuwachs an zur Verfügung stehenden Gütern und Diensten, und macht die Atrraktivität dieser Produktionsverhältnisse mit ihrer freien Konkurrenz aus.
Dies gehört jetzt – und zwar wesentlich in Weiterenticklung dessen, was als „nachhaltige Entwicklung“ auf den Plan trat, durch höhere Formen der Vergesellschaftung ersetzt, weil die so ständig voran gepeitschten Zuwächse an Produktivkraft unter diesen Bedingungen ungeheure Schäden anrichten und zur Bedrohung des Lebsn auf der Erde berhaupt werden. Den kapitalistisch interagierenden Menschen wachsen ihre eigenen Schaffenskräfte ber den Kopf – weil sich ihre Verhältnisse nach wie vor hinter (oder unter) ihren Rücken herstellen und sie sich deren Folgen oder Voraussetzungen immer noch zu wenig durch den Kopf gehen lassen müssen.
Marx hatte die Doppeltköpfigkeit des zunehmenden Reichtums schon in den Pariser Manuskripten beschrieben:
„Wann befindet sich eine Gesellschaft in fortschreitender Bereicherung? Mit dem Wachstum von Kapitalien und Revenuen eines Landes. Dies ist aber nur möglich a) dadurch, daß viele Arbeit zusammengehäuft wird, denn Kapital ist aufgehäufte Arbeit; also dadurch, daß dem Arbeiter immer mehr von seinen Produkten aus der Hand genommen wird, daß seine eigne Arbeit ihm immer mehr als fremdes Eigentum gegenübertritt und die Mittel seiner Existenz und seiner Tätigkeit immer mehr in der Hand des Kapitalisten
sich konzentrieren.b) Die Häufung des Kapitals vermehrt die Teilung der Arbeit, die Teilung der Arbeit vermehrt die Zahl der Arbeiter; umgekehrt vermehrt die Zahl der Arbeter die Teilung der Arbeit, wie die Teilung der Arbeit die Aufhäufung der Kapitalien vermehrt. Mit dieser Teilung der Arbeit einerseits und der Häufung der Kapitalien andrerseits wird der Arbeiter immer mehr rein von der Arbeit und einer bestimmten, sehr einseitigen,
maschinenartigen Arbeit abhängig.“
Marx: Ökonomisch-philosophische Manuskripte aus dem Jahre 1844, MEW Bd. 40, S. 473- 474
Was allerdings auch eine Voraussetzung für das Wachstum der Idee ist, die Produktion des (welt-)gesellschaftlichen Reichtums nach Maßgaben sozialer bzw. ökologischer Rationalität zu regeln, d.h. die Kompetenzen und die technologischen und strukturellen Möglichkeiten zu entwickeln, miteinander die verschiedenen Bedürfnisse und Kosten ihrer Befriedigung zu ermitteln und nach akzeptablen Wegen zu suchen, die miteinander ins Benehmen zu setzen- also rational darüber entscheiden zu können, was wachsen und was lieber schrupfen sollte.
Februar 5, 2019 at 11:53 pm
Ergänzend: Wachstum oder Post-Wachstum ist nicht die Frage
Es kommt darauf an, der Nötigung zur sozialökologischen Rücksichtslosigkeit zu entwachsen – 10 Thesen