So müsste Studieren immer sein (und wer möchte, sollte immer weiter studieren, lernen und lehren dürfen). Es war wieder einmal Ferienuniversität zur Kritischen Psychologie. 5 Tage lang „expansives Lernen“, wie der Begründer der Kritischen Psychologie – Klaus Holzkamp – jene Lernform nannte, die ganz kleine Kinder noch erleben dürfen und die durch die herrschenden beschulenden Institutionen im Laufe des Lebens meist stark behindert wird.
Resümierend kann ich nach diesen 5 Tagen feststellen, dass sich die Breite der Inhalte und Themen seit der letzten Ferienuni vor 2 Jahren stark vergrößert hat. Die Basis an guten Referierenden ist gewachsen, die Themenbreite nimmt zu und vor allem ist das Engagement von Studierenden zu bewundern, das sich nicht unbedingt in Credit Points auszahlt. Auch die Vorbereitung und Organisierung wurde maßgeblich von Studiengruppen aus verschiedenen Städten getragen.
Aktive aus dem Vorbereitungskreis der Ferienuni Kritische Psychologie 2012
Es fiel mir schwer, aus der Fülle von Vorträgen und Workshops, die meist parallel liefen, einige auszuwählen und genau so schwer fällt es mir, aus den Erinnerungen und Notizen einiges für diese Berichte hier auszuwählen. Das Programm orientierte sich inhaltlich an den drei Themenblöcken „Gesellschaftskritik“, „Kritische Wissenschaft“ und „Kritische Praxis“. Mich interessierten natürlich alle drei Bereiche, insbesondere fragte ich mich aber nach einer kritischen gesellschaftlichen Praxis (wobei die Praxis nicht nur auf das Theoretisieren beschränkt ist). Das kam aber erst mal nicht vor.
Morus Markard betonte in seinem Einführungsvortrag zur Frage „Was ist kritisch an der Kritischen Psychologie?“ die Fundierung der Kritischen Psychologie in einer gesellschaftlich kritischen Konzeption, die zu Beginn der Marxismus war, während er heute betont, dass eine „Pluralität gesellschaftstheoretischer Konzepte“ zu berücksichtigen sei. Ausdrücklich hielt er am „utopischen Potential“, das im Begriff der verallgemeinerten Handlungsfähigkeit enthalten ist, fest. Gleichzeitig warnte er aber auch vor einer „Instrumentalisierung der Psychologie für das eigene politische Programm“.
Hm, muss ich mich jetzt angesprochen fühlen? Ich habe viel gelernt aus den Konzepten und Begriffen der Kritischen Psychologie, weil bei ihr der Subjektstandpunkt im Zentrum steht und aus meiner Sicht eine emanzipative Politik ebenfalls von diesem Standpunkt ausgehen muss (siehe dazu auch meinen Beitrag „Ent-Unterwerfung denken und praktizieren“ ).Ich kann verstehen, dass es nicht akzeptabel wäre, irgend ein fertiges politisches Programm nur Kritisch-psychologisch aussschmücken zu wollen – aber ich wüsste nicht, wer das macht. Im Bemühen um die Nutzung dieses Konzepts für eine Selbstverständigung über die eigene (emanzipative) politische Praxis finde ich mich bisher aber weit und breit ziemlich alleine… – dies zeigte auch die Einführung in den Themenblock „Gesellschaftskritik“… (dazu übermorgen mehr).
September 18, 2012 at 10:21 pm
Warum habe ich nur so eine große Abneigung gegen eine solche Definieritis. Reicht es nicht, unter Handlungsfähig schlicht die Fähigkeit zu verstehen, handeln zu können?
Schon bekommt das Produkt der Definiritis Subjektcharakter.
Um zwischen (der Entwicklung von) Fähigkeiten zur Veränderung gesellschaftlicher Rahmenbedingungen, Behauptungsbedingungen bzw. Rechtfertigungsbeziehungen und der Fähigkeit sich im Rahmen der bestehenden Verhältnisse zu verhalten (sich zu behaupten bzw. zu rechtfertigen), unterscheiden zu können, braucht man m.E. keine festgelegten und übermaß mit Bedeutung aufgeladene „Handlungsbegriffe“. Ist im ersten Fall z.B. von emanzipatorischen Handlungsmöglichkeiten die Rede wird die Sache auch klar. Soll die (Welt-)Gesellschaft sich als solche ihrer sprachlichen Produktonsmittel bemächtigen können, sollten ihr das Verstehen nicht schwerer gemacht werden als es ohne hölzerne Begriffe wäre.
Über die Notwendigkeit und über Möglichkeiten der Erweiterung oder auch Einschränkung von Handlungsfreiheit (und welche Mittel und Zwecke angebracht wären) kann heute sinnvoll wohl auch nur in Bezug auf Prämissen einer (sozial bzw. ökologisch) NACHHALTIGEN Entwicklung von Handlungsfreiheit geredet werden.
Erweiterung der produktiven Kräfte schafft und zerstört individuelle, partzielle oder gemeinschaftliche (auch parziell gemeinschaftliche) Handlungsfreiheit in äußerst verschiedener und teilweise sehr widersprüchlicher Weise. Und Handlungsfreiheit der einen zerstört die der anderen und wie das jeweils zu beurteilen wäre, ist auch immer noch die Frage. Die Etablierung von Produktionsverhältnissen die allen ein gutes Leben erlauben ohne dass dies die Grundlagen eines guten Lebens aller (des eigenen, des Lebens anderer oder kommender Generationen) zerstört, verlangt nach einem am Ende weltgemeinschaftlichen Nachhaltigkeitsmanagement. Die Fragen sind : wie entwickeln in hinreichend kurzen Zeiträumen, hinreichend viele Menschen und Institutionen hinreichend effektive und konsistente Mittel zur Herstellung entsprechender (Produktions-)Verhältnisse?
Gruß hh
PS. Gemeinschaftliche Selbstbefreiung ist inatürlich super aber auch nicht die Erfindung der kritischen Psychologie, denn schhon für Marx war klar, dass die Befreiung der Arbeiterklasse nur das Werk der Arbeiter selbst sein kann. (Wobei das Kunststück in der Aneignung gesellschaftlicher Perspektiven besteht, die auf gänzlich neue Behauptungsbedingungen bzw. Rechtfertigungsbeziehungen zielen, was allein aus der sozialen Lage heraus allerdings – in der Regel – kein spontanes Bedürfniss ist.)
September 20, 2012 at 7:11 am
Natürlich werden auch in der Kritischen Psychologie nicht um der Definitionen willen Begriffe gebildet. Sie sollen es ermöglichen, Zusammenhänge und Verhältnisse, die sonst nicht ausreichend erfasst werden, genauer zu verstehen und damit auch veränderbar zu machen. Im Falle der Handlungsfähigkeit geht es eben nicht nur darum, irgendwie „handeln zu können“, sondern das ist ein Begriff, der das komplizierte Verhältnis von gesellschaftlichen Strukturen und individuellen Handlungsmöglichkeiten zu denken hilft (im Begriff selbst steckt ein umfassendes Konzept, das ich nicht in jedem Test neu mit aufschreiben kann, weil es dafür wie bei jeder Theorie auch entsprechende Fachliteratur und andere Hilfestellungen gibt. ).
Sogar in der DDR hatten viele verstanden, dass der klassische Marxismus eben nicht ausreicht, die Bedeutung von indviduellen Handlungsbegründungen verstehen. Gerade gegen die häufig deterministische Interpretation des Marxismus (Bedingungen -> Aktivität) richtet sich auch die Kritische Psychologie, aber nicht nur abwertend, sondern das Problem auf eine höhere Stufe des Verständnisses hebend (einfacher sind die Beziehungen halt nicht).
September 20, 2012 at 8:02 am
Natürlich werden auch in der Kritischen Psychologie nicht um der Definitionen willen Begriffe gebildet.
Das würde ich auch nicht behaupten. Ich sehe nur, dass in dem Fall die Produktion des bedeutungsschangeren Fetischbegriffs „allgemeine Handlungsfähigkeit“ (= …) das Verstehen kommunistischer Perspektiven nicht erleichtert sondern eher erschwert ist.
Zum anderen Einwand später.
September 20, 2012 at 7:22 pm
Es war allerdings keineswegs DER Marxismus deterministisch bzw. ökonomistisch. Natürlich ist es begrüßenswert, notwendig und alles, wenn zentrale Grundannahmen, über etwa die Bedeutung des gesellschaftlichen Seins für die eigene Vorstellungswelt und die Notwendigkeit von kollektiver Selbstbefreiung für den befreiten Blick aufs Neue wie sie schon in Marx/Engels Kritik der DEUTSCHEN IDEOLOGIE formuliert war, (und warum wir ja auch Demos organisieren usw) mitttels empirischer Forschung ausgeleuchtet wird.
Toll, wenn die kritische Psychologie die tausend Gründe für’s Verharren in kapitalistische Persektiven erforscht und auch ernst nimmt. (im Gegensatz etwa zu der Anti-Green-New-Deal-Lyrik in gewissen Kreisen, die allerdings auch nichts mit Marx am Hut haben). Das gute Verständnis für privateigentümlich bornierten Motive macht für mich gerade den humanistischen Gehalt des Marx/Engelsschen Kommunismus aus.
Ich zweifle aber daran,dass die Erfindung von „Begriffen“ oder eine gestrenge Unterscheidung von „Bedingungen“ und „Gründe“ weiter helfen. Seine Lebensperspektiven an einen bestimmten Arbeitsplatz zu ketten (z.B.in der Fischindustrie) kann viele gute Gründe für sehr falsches Denken und Handeln liefern. Die Überwindung von Lohnanhngigkeit ist die Überwindung von Lebensbedingung, die das falsches Denjken und Handeln bedingen, weil sie die Gründe dafür liefert.. Das ist gut zu wissen. Wenn ich weiß, dass kapitalistische (Re-)Produktionsverhältnisse bedeuten, dass Fischkäufer und -genießer einen höheren Preis aufgrund einer Umstellung auf nachhaltige Fischerei als Minderung des eigenen Verdienstes erleben würden (oder an Verlust an sozialer Gerechtigkeit) so ist es folgerichtig, über die Bedingungen der Herstellung bzw. Blockade kommunistischer Formen der Arbeitsteilung (= Formen des des Zusammenspiels von Zweckbestimmung, Arbeit, Genuss und sozialer Verantwortung) nachzudenken und politische Strategien auf die Schaffung von Lebensbedingungen auszurichten, die es immer mehr Menschen ermöglichen, sich die Verantwortung um die Meeresökologuie zur höchstpersönlich eigenen Sache zu machen.
Oder schlicht zu begreifen,dass man mit Opportunismus nicht weiterkommt und erklärt, warum sozialer gewinn mittels einer nachhaltigen Wohlstandsentwicklung auch einen Preis hat .
Siehe auch: http://oekohumanismus.wordpress.com/2008/11/23/sind-wir-des-warensinns/
Gruß hh
Dezember 31, 2012 at 12:10 am
[…] Wochenende meist doch aus den Augen verlieren. Der Höhepunkt zu diesem Thema war die diesjährige „Ferienuni Kritische Psychologie“, die mir wieder mehr Impulse gab, als ich verarbeiten konnte. In Bonn ging es im Herbst dann noch […]
Juni 27, 2014 at 5:36 pm
[…] im berufspraktischen Kontext, scheine ich ziemlich alleine dazustehen (siehe auch meine damaligen Blogberichte zum Einführungsvortrag und zu meinem Workshop sowie zum Thema der Sozialen […]