Jutta Ditfurth stellt ihre Kritik an XR in den Kontext von Sektenkritik. Das war vor einem halben Jahr noch anders. Da dachte sie, dass in „dieser Bewegung Extinction Rebellion der Ansatz kritischer und ein bisschen hartnäckiger“ sei als z.B. bei Fridays for Future (Pape 2019).

Irgendwann jedoch wurde sie an ihre „kritische Arbeit über Sekten in den neunziger Jahren erinnert“ (Ditfurth 2019a).Wie damals kommen die Vorwürfe fast automatisch aus ihr heraus, es bedarf nur weniger „Trigger“ und ihre Wahrnehmung fokussiert sich tunnelartig auf das, worauf sie seit damals festgelegt ist. In ihrer Wahrnehmung gibt sie sich auch eine echt übertriebene Bedeutung: Es soll ihr Warnaufruf gewesen sein, der dazu führte, dass sich in Berlin „so wenige“ an der Rebellion beteiligten. „Es bleiben jetzt hauptsächlich Anleiter, Trittbrettfahrer, Naive und Esoterische übrig.“ (ebd.) Da kann ich mir nun aussuchen, was ich bin….

Ansonsten gibt sie sich sehr fürsorglich. Sie will ja nur verhindern, dass junge Leute aus Enttäuschung „in die theatralische, hierarchische und nur vermeintlich radikale XR-Struktur hineingeraten“ (ebd.), so als könnten diese sich nicht selber eine Meinung bilden. Im Gegensatz dazu begleitet sie Fridays for Future „mit großer Sympathie“ (Ditfurth 2019a), weil diese „wirklich eine Basisorganisation“ sei und man mit deren Gruppen „wunderbar diskutieren kann“. Und obwohl da auch häufig eine „brave, behütete Mittelschichtssozialisation“ vorliege, könnten die dort Beteiligten lernen – was sie Menschen im XR-Kontext grundsätzlich abspricht.

Grundsätzlich beherrscht Jutta Ditfurth ihr Handwerk, Sätze einzelner AutorInnen aus dem Zusammenhang zu reißen und Äußerungen einiger Menschen als allgemeine Grundsätze für alle darzustellen. Dazu wird sie wohl verleitet, weil sie grundsätzlich voraussetzt, der Bewegung würde alles „zentral vorgegeben“ (Ditfurth 2019a ) von jenen, die sie da zitiert. Schon ein Blick in die XR-Handbücher (in Englisch: „This is not a drill“ und deutsch „Wann, wenn nicht wir*“, die auch nicht identisch sind) würde ein vielseitigeres Bild liefern; im Internet ist die Vielfalt noch einmal größer. Auch hier gibt es Sätze, die aus verschiedener Perspektive sicher zu kritisieren sind – aber es wird klar, dass diese nicht das einzige Fundament der Bewegung darstellen und dass ihnen in anderen Beiträgen auch widersprochen wird.

In der Kritik an der Bewegung XR in der Zeitschrift „konkret“ (2019b) fährt Jutta Ditfurth die Aggression schon etwas zurück. Auch die Bezeichnung „Endzeitsekte“ (aus 2019a) taucht nicht mehr auf. Nach einer exzessiven Zitatverwurstung folgen hier noch Vergleiche zu ihrer früheren politischen Praxis, in der alles angeblich so viel besser war und dann noch Verweise auf ungenannte Berichte vom Hörensagen, auf die man sich mangels Transparenz nicht gut beziehen kann.

Im Folgenden werde ich auf einige ihrer Vorwürfe, so schwammig sie auch sind, eingehen:

  • ““Extinction Rebellion” ist […] ahistorisch…“ (Ditfurth 2019a). Die Bewegung XR habe „kein Bewusstsein“ darüber, „auf wessen Schultern eine echte neue Bewegung wirklich stünde. Arbeiter*innebewegung, Frauenbewegung und Ökologiebewegung spielen keine Rolle“ (Ditfurth 2019b).

Hm, gilt dies für Fridays for Future weniger? Kann man einen Bezug auf die ganze Geschichte von Klassenkämpfen, feministischen Kämpfen, antirassistischen… Kämpfen bei jeder Bewegung von Anfang an verlangen? Letztlich kommt XR aus der Occupy-Bewegung und auch aus Theorien, die verschiedenste Kämpfe des gewaltfreien Widerstands auswerten. Nach Occupy wurden die Erfahrungen zusammengefasst und weitergeführt von einer Gruppe, deren Aktionen dann (im Oktober 2018) viel Zulauf erhielten (siehe Knights 2019).

Wenigstens symbolisch waren auch
sie mit auf der blockierten Brücke…

Wo bei XR historische Bezüge auftauchen, wie zu Gandhi, findet Jutta Ditfurth dann auch noch gleich was zu meckern (zum angesprochenen Sachverhalt siehe hier).

Die Tatsache, dass die Beziehung zu anderen Kämpfen und Akteuren noch nicht ausreichend ist, wird auch in internen Texten deutlich:

It needs to proactively defend migrant rights and to stand in solidarity with those on the frontlines of this crisis. It needs to call for reparations and for further conversations around climate debt, land rights, and ecocide. It needs to better articulate how we extend and reform our broken democracy. It needs to reimagine our global finance system and, in doing so, provide a nuanced critique of our current economic system. It needs to understand how the climate crisis intersects with issues of race, class, gender, and sexuality.” (Knights 2019)

“The problem is our messaging. Our messaging appeals to a certain type of person, whilst inadvertently excluding others. Thus, we are not mobilising people in the deprived areas of London, we are mobilising largely middle class people who live in the countryside. It cannot be this way round. We need to be listening to the working class and educating the middle class.” (ebd.)

Seit Februar 2019 gibt es übrigens ein International Solidarity Network von XR.

  • In einem weiteren Vorwurf meint Jutta Ditfurth, XR sei eine „Gründung wie aus der Retorte“ (Ditfurth 2019b)

Wahrscheinlich hat sie sich mit der Geschichte der Bewegung nicht beschäftigt. Soweit ich es kenne, war Occupy die Ausgangsbasis, und obwohl diese Bewegung dann eingeschlafen ist, haben Akteure weiter gemacht, indem sie die Erfahrungen ausgewertet haben, neue Konzepte entwickelt haben und dann versucht haben, an dem wichtigen Knackpunkt Klima weiter zu machen (Knights 2019). Und sie hatten Erfolg, viele sind ihnen gefolgt – es hätte auch anders kommen können angesichts der vielen, vielen derartigen Versuche und Ansatzpunkte. Freuen wir uns doch darüber. Wie anders, als ausgehend von einer Art Kristallisationskeim, sollte denn eine massenhafte vernetzte Bewegung ihren Ausgangspunkt nehmen? Natürlich wäre es schöner gewesen, wenn sich schon vorher an der Basis der Gesellschaft viele Knotenpunkte von alternativem und widerständigem Wissen und entsprechender Praxis entwickelt hätten und die dann sich „nur“ noch hätten vernetzen müssen. Aber das haben wir alle zusammen, auch Jutta Ditfurths Organisation ÖkoLinX nicht, die ganze Zeit hindurch nicht hinbekommen. Damit kann es jetzt weiter gehen:

„Wir gehen Menschen auf den Keks und holen damit die Klimakrise in die Kantinen und Kneipen.“ (Pape 2019)

Jutta Ditfurth meint: „Hätten wir nach den Glaubenssätzen von XR gehandelt, hätten wir in den Siebzigern und Achtzigern nicht Dutzende von geplanten Atomkraftwerken verhindert. Unser Widerstand besaß vielfältige Aktionsformen von gewaltfrei bis klug militant.“ (Ditfurth 2019b) Wer ist denn da „wir“? Natürlich gab es auch da Gruppen mit jeweils unterschiedlicher Strategie. Und soweit ich von den Castor-Blockaden weiß, bei denen ich war, wurde dort zwischen den Gruppen auch abgestimmt, wer wo was macht, damit man sich nicht gegenseitig ins Gehege kommt. Jutta Ditfurth schreibt von damals: „Wir stritten uns, aber wir distanzierten uns nicht voneinander.“ (Ditfurth 2019b) Das bezieht sich auf den Vorfall, wo XRler sich aus einer Menge, aus der heraus die Polizei beschimpft wurde, zurückgezogen hat und einer dann auf Twitter wirklich unsolidarischen Mist geschrieben hat. Nun ja, Twitter gabs damals noch nicht – aber auch damals wäre nicht begrüßt worden, wenn Beteiligte sich innerhalb eines Platzes nicht an den für dort ausgemachten Konsens gehalten hätten.

Was mir noch auffiel: Jutta Ditfurth schreibt über ihre früheren Erfahrungen auch, dass sie eine „vollkommene Gleichgültigkeit gegenüber der herrschenden Meinung“ (Ditfurth 1997: 22) lernte. Natürlich ist die „herrschende Meinung“, die auch viele Beherrschte teilen, sehr übermächtig und durchtränkt von rassistischen, patriarchalen, verworrenen und falschen Ansichten. Aber wieso sollte man ihr gegenüber ausgerechnet „gleichgültig“ sein???

  • ““Extinction Rebellion” ist nicht intellektuell… […]“spricht nicht den Verstand an, sondern setzt auf mystisch, esoterisches Drama…“ (Ditfurth 2019a)

Im Titel des FAZ-Interviews (ebd.) wird der Vorwurf des „Irrationalismus“ erhoben. Auf einen anti-esoterischen Kongreß wird der „Ursprung des Irrationalismus […] immer in der Ablehnung der sich durch die Vernunft ergebenden Antworten“ (Gegenuniversität 2001: 96) gesehen. Wo ist das bei Extinction Rebellion zu finden? Ist es nicht vernünftig, sich gegen die Bedrohungen der Umweltveränderungen bis hin zur weitläufigen Zerstörung der Lebensgrundlagen zu wehren? Ist es nicht vernünftig, dazu Erfolgs- und Misserfolgserfahrungen früherer Aufstände zu studieren und zu versuchen, von ihnen zu lernen? Nun findet das dabei gefundene Wissen auch künstlerische Ausdrücke, wie die „Roten Rebellen“, die als Illustration für die „Endzeitsekte“ genommen werden. Da diese Ausdrucksformen sich auf gleichermaßen vermittelte Ergebnisse wissenschaftlicher Studien beziehen, kann ich darin kein „mystisch, esoterisches Drama“ erkennen.

Esoterik wird üblicherweise folgendermaßen definiert:

„Esoterik ist, in der Definition ihrer ErfinderInnen, eine okkulte, elitäre Geheimwissenschaft, die nur „erleuchtete“ Eingeweihte begreifen können. Sie entzieht sich der rationalen Auseinandersetzung. Statt zu lernen, sich kritisch mit der sozialen Wirklichkeit auseinanderzusetzen, wird Esoterik in Zeremonien und Ritualen „erfahren“.“ (Bremer Anti-Esoterik-Aktion 1997: 14, vgl. fast wortgleich in Ditfurth 1996: 10f.)

Was daran soll bitte für Extinction Rebellion zutreffen?

Esoterik ist laut Ditfurth u.a. durch folgende Merkmale gekennzeichnet:

  • Ablehnung von sozialer Gleichheit und Freiheit aller Menschen (Ditfurth 1996: 8),
  • Ablehnung des besonderen sozialen Wesens der Menschen (ebd.),
  • Unterscheidung zwischen Elite und Fußvolk (ebd.: 11)
  • „Begeisterung ausschließlich für die eigene Befindlichkeit“ (ebd.)

Finden wir das bei XR???

Trotzdem hat sie natürlich Recht, wo sie Recht hat. Die Frage ist bloß, ob sie z.B. alte ideologische Kämpfe in die neue Bewegung hineinprojiziert.

„Esoterik und Faschismus überschneiden sich in der scheinbaren Entpolitisierung der Menschen, die sie tatsächlich für reaktionäre Politik öffnet, dem knallharten Egokult, der Unterwerfung vor dem Jenseits, dem Kosmos oder einem Führer und in einer vollständig antisozialen, antihumanistischen und aufklärerischen Orientierung.“ (ebd.: 24)

Früher hat Jutta Ditfurth mit einiger Berechtigung z.B. Rudolf Bahro kritisiert. Er versteht unsere Psyche als „Teil eines allumfassenden Bewußtseinsfeldes“ (Bahro 1990: 93) und sieht im Geist eine „innere Selbstbewegung in der ganzen Evolution“ und „kosmische Intelligenz“ (ebd.). Ich habe einiges von ihm zitiert (Schlemm 2019: 19), das arg zu denken gibt. Er gehört, obwohl er sie meines Wissens nach nicht benennt, durchaus in die Traditionslinie der „Tiefenökologie“ (siehe Schlemm 2019). Diese Konzeption hat Murray Bookchin kritisiert und diese Kritik wurde auch von ÖkoLinX geteilt. Allerdings findet auch Bookchin eine „Sensibilität für die Natur und ihre feinen Zusammenhänge“ (Bookchin 1991: 36) wichtig. Dies muss nicht in die kritischen Tendenzen führen – wegen diesen kritischen Tendenzen sollte man sich sein Fühlen aber auch nicht verbieten lassen.

  • „Die Organisation will vor allem junge Leute und politisch Unerfahrene rekrutieren und sie emotionalisieren. So macht man Menschen manipulierbar, und das ist das Gegenteil von kritischer Aufklärung.“ (Ditfurth 2019a) „Nirgendwo wurde von intellektuellen Anregungen berichtet oder von politischer Bildung.“ (2019b) „Es wird dazu aufgerufen, gemeinsam zu weinen, zu meditieren, spirituelle Gespenster aufzurufen. Wer kritische Fragen stellt, wird aus XR-Gruppen hinausgemobbt. Es wird nicht dazu aufgefordert, zu lesen, zu streiten, sich politisch zu bilden.“ (2019b) „Die Organisation versucht alles, um den intellektuellen Hohlraum mit Versatzstücken religiös-gewaltfreier Ideologie zu verdecken.“ (2019a)

Dieser Vorwurf empörte vor allem uns in der Arbeitsgruppe Bildung der Ortsgruppe Jena von XR. Seit Monaten stecken wir einen großen Teil unserer Freizeit in die Bildungsarbeit. Einige unserer Vortragspräsentationen stehen auch online. Auch sonst muss man sich wirklich sehr einseitig informiert haben, wenn man nichts mitbekommen hat von den vielen Workshops auf den Klima-Camps in Berlin, die fast alle nichts mit „Ommm“ und so zu tun hatten. Dass z.B. auf der Brücke, die wir blockiert haben, neben mir drei Menschen in weißer Kleidung leise ihre Chants sangen… fand ich voll in Ordnung und ich hätte die Brücke wohl verlassen, wenn eine „Anti-Esoterik“-Polizei sie weggescheucht hätte. Nebenan jedenfalls wurden auch Sachbücher gelesen und nicht zuletzt auch viele inhaltsreiche Gespräche geführt, von denen Jutta Ditfurth natürlich nichts wissen kann, wenn sie nicht dabei war.

  • „Zur Kultur von XR gehört gemeinsames Weinen und Trauern, der Gong und das Ommm. Der Mensch ist nicht mehr Verstand und Gefühl, sondern nur noch Emotion.“ (2019b)

„Nur noch Emotionen“ ist ganz einfach falsch, eine Lüge. Aber wie anders soll man denn reagieren, wenn man immer wieder daran erinnert wird, wie beschissen die Lage ist? Es haben sich, soweit ich erfahren habe, viele schon zurückgezogen von den Kämpfen, weil sie es nicht mehr aushalten. Und weil sie in ihren Politgruppen damit alleine gelassen wurden. Ich weiß noch nicht genau, wie es funktioniert, wenn sich innerhalb von XR Menschen speziell zu diesen Themen treffen. Ich selbst möchte da auch eher nicht mit „Gong und Ommm“ arbeiten – aber es gibt auch andere Zugangsweisen zu dem, was wir fühlen und worin wir unsere Gemeinsamkeiten spüren lernen und woraus wir neue Kraft schöpfen können – wenn wir es uns nicht verbieten lassen.

Wenn wir schon von historischen Erfahrungen sprechen: Den überrationalistischen Linken ist es nie gut bekommen, so „herzlos“ zu erscheinen. Ernst Bloch verwies auf einen leider wichtigen Unterschied im Auftreten von Linken und Rechten in den 30er Jahren: „Nazis sprechen betrügend, aber zu Menschen, die Kommunisten völlig wahr, aber nur von Sachen.“ Und: „Die Kommunisten deuten, aber sie bedeuten nicht“ (Bloch EdZ: 153)

Es ist ein Vorzug von XR, meiner Erfahrung nach als erste aktivistische Bewegung, auf unsere Befürchtungen, auf unsere Verzweiflung, auf unsere Trauer einzugehen. Und dies in einer Weise, wie diese Emotionen uns nicht nur niederdrücken, sondern aktivieren können. Dies geschieht für unterschiedliche Menschen in unterschiedlicher Weise. Manche nutzen dazu „Gong und Ommm“, andere reden einfach nur offen miteinander, umarmen sich auch mal und finden endlich Verbündete im Leid statt nur Ablehnung und Unterdrückung dieser Gefühle. Ich denke, wer heute nicht schon trauert um das Verlorene, verleugnet die Wirklichkeit oder seine Menschlichkeit.

  • ““Extinction Rebellion” […] setzt auf […] pathetische Kostümierung und hat ein zentral vorgefertigtes Bühnenbild“ (2019a)

„Zentral-vorgefertigt“? Woher will Jutta Ditfurth das wissen? Die Aktionen werden vorbereitet von dezentralen „Art and Action“-Gruppen, „We want to look unified; not uniform, but hand-made“ (Glyn, Farrell: 121). Natürlich werden Aktionen und Bilder, die gefallen, dann auch nachgemacht. Aber im Unterschied zu fast allen anderen Polit-Bewegungen sind die meisten Fahnen und Aufnäher etc. individuell handgemacht; es gibt (noch?) kein Merchandising, wie z.B. in Teilen der Anti-Atombewegung (von Campact organisiert), wo man u.U. auf einer Demo genötigt wird, sich uniform zu kleiden, damit die „richtigen“ Pressefotos gemacht werden können. Wenn sie die „XR-Ästhetik […] zwischen Hippiekitsch und blutrünstigem Melodram“ (Ditfurth 2019b) schwanken sieht, so ist das ihre private Ansicht, oder sie hat noch nicht viel davon gesehen.

Einladungsschild vor dem Art-Zelt beim Klima-Camp,
in dem u.a. viele Fahnen und Aufnäher etc. entstanden

  • „“Extinction Rebellion“ ist weder dezentral noch eine Graswurzelbewegung. Die Struktur hat mich an meine kritische Arbeit über Sekten in den neunziger Jahren erinnert. Anleiter von „Extinction Rebellion“ geben die Prinzipien und Strukturen aus England vor. […] Das Wesentliche ist aber zentral vorgegeben.“ (Ditfurth 2019a)

Sie fühlt sich erinnert… eher ist es anders herum: sie hat ihre Kritiken so verinnerlicht, dass sie überall in der Welt nur Gründe dafür entdeckt, auch wenn die Welt dem nicht entspricht. Wir organisieren uns in Ortsgruppen und Bezugsgruppen auf der Basis von ausgewerteten Erfahrungen früherer Bewegungen. Diese Auswertung mag unvollkommen sein (ist sie natürlich auch, weil nichts perfekt sein kann) – inwieweit sich angemessene Organisierungsformen und Strategien daraus ergeben, probieren wir gerade aus. Wir werden dazu aufgerufen, selbst unsere Werte und Ziele zu checken (Peters, S. 185) – in Deutschland haben wir z.B. in den „Prinzipien und Werten“ ein Prinzip ergänzt. Es heißt auch „Viele Gruppen, viele Taktiken“ (Peters, S. 185). In der Praxis zeigt sich die Dezentralität in allerlei Verwirrung und viel Arbeit daran, die Ergebnisse zusammen zu tragen, zu gemeinsamen Entscheidungen zu kommen.

„Extinction Rebellion is a decentralised mass movement made up of thousands of different people.”
„Extinction Rebellion changes with every new person that joins us. Our decentralised structure means that so long as you are abiding by our key values and principles, you can start organising an action or planning a protest or writing a speech without seeking permission or having to be mandated to do so.”
Mass movements do not operate like reformist pressure groups. We do not have our opinions handed down to us from on high. Disagreement is natural. In fact, disagreement is essential.“ (Knights 2019)

Da ist nichts fertig, das entsteht im Tun, daran arbeiten Tausende vor allem junge Menschen tagtäglich mit einem ungeheuren Engagement, wie ich es in meiner politisch aktiven Zeit seit fast 40 Jahren noch nie erlebt habe.


Beratung in Kleingruppen während einer
„BürgerInnenversammlung“ bei einer Blockade.

  • Ein weiterer Kritikpunkt bezieht sich auf die „undefinierte „Bürgerversammlung““ mit der Frage: „Wer sucht sie aus?“ (Ditfurth 2019b) und dass sie die Regierungen nicht stürzen, sondern „nur „beraten“ “soll. Deshalb sei das alles die „kürzeste Verbindung zwischen Apokalypse und Reformismus“ (ebd.)

Das mit dem Stürzen ist noch nicht ausgemacht. In Hallams Text „Common Sense…“ steht tatsächlich noch, dass die BürgerInnenversammlung der neue Verwaltungsrat (governing body) werden soll (Hallam 2019: 22). Er fordert:

“The current government hands power to an administration which will call a national climate and ecological emergency and immediately enact measures to deal with the climate and ecological crisis.” (ebd.: 21)

Die Frage “Wer sucht sie aus?” (Ditfurth 2019b) wird derzeit so diskutiert, dass die beteiligten Menschen einerseits zufällig „ausgewürfelt“ werden sollen, aber andererseits darauf geachtet wird, dass alle unterschiedlichen Interessengruppen angemessen vertreten sind. Wenn ich schreibe „wird derzeit so diskutiert“, so zeigt das den offenen Prozess, in dem gerade daran gearbeitet wird. Jutta Ditfurth kann nicht einerseits kritisieren, dass alles vorgegeben sei und andererseits dort, wo es das nicht ist, dann das „Undefinierte“ daran kritisieren. In den Vorschlag, die Aktivitäten auf Bürgerinnenversammlung hin zu richten, gingen ebenfalls historische Erfahrungen ein, wie sie z.B. im Beitrag von Carne Ross genannt werden: z.B. in Porto Allegre, in Nordostsyrien und in Barcelona durchgeführt wurden (von wegen, XR sei „a-historisch“). Bei aller Unausgegorenheit und offenen Fragen finde ich es sehr richtig, nicht eine Besserwisser-„Avantgarde-“Rolle einzunehmen, sondern der Tatsache ins Auge zu blicken, dass entweder die Menschen selbst unter geeigneten Bedingungen das Nötige erkennen und tun werden, oder die Bemühungen um eine vernünftige Zukunft der menschlichen Zivilisation werden scheitern.

Was den Vorwurf des „Reformismus“ betrifft: ich denke, Jutta Ditfurth forderte in ihrer langjährigen Angehörigkeit zur Frankfurter Stadtverordnetenversammlung auch nicht gerade eine Revolution.

Insgesamt denke ich, dass sich die Kritik von Jutta Ditfurth an XR aus oberflächlichen Bildern ohne viel Analyse und Kenntnis der Realität speisen. Ich hatte zu Beginn erwähnt, dass sich Jutta Ditfurth angesichts der Bewegung XR an ihre „kritische Arbeit über Sekten in den neunziger Jahren erinnert“ (Ditfurth 2019a) gefühlt habe. Ja, auch ich erinnere mich. Ich habe eine ganze Box der Zeitschrift „ÖkoLinX“ aus den 90er Jahren in meiner Bibliothek und habe sie nun wieder einmal durchgeblättert. Der Ton gegen Menschen, gar frühere Verbündete, die nicht die eigene Position teilen, war da schon immer hart. Oft gibt es irgendwo auch inhaltliche und politische Argumente und wichtige Hintergrundinfos, aber letztlich geht es häufig nicht um Lernprozesse, sondern um ein Aburteilen. (Nur weil ein Begriff z.B. auch von Rechten benutzt wurde (wie „Entropie“), darf er nicht mehr verwendet werden (Heft 7, S. 41)). Wahrscheinlich ist dies auch der Grund, warum die inhaltlichen Argumente sich weniger durchsetzen konnten, als es nötig gewesen wäre. Und warum diese „Bewegungs-Partei“ immer unbedeutender wurde. Dass man Radikalität jederzeit gegen Anschlussfähigkeit stärkte und sogar so etwas wie Runde Tische ablehnte, offensiv gegen eine EU kapitalistischer Länder argumentierte (z.B. in Heft 16), hinderte übrigens nicht daran, selbst Stadtratsposten einzunehmen und bei den EU-Wahlen mitspielen zu wollen. Peter Bierl schrieb 1996 noch in der ÖkoLinX (Nr. 1/22, S. 43), „daß jede Form von Beteiligung an einer bürgerlichen Regierung eine Integration in den Herrschaftsapparat ist“. In der taz vom 17.5.2019 wird die um Sitze im EU-Herrschaftsapparat kämpfende Jutta Ditfurth mit der Aussage „Alle Chancen nutzen“ zitiert. Ja, genau darum geht es. Wenn im Herrschaftsapparat, dann erst recht in allen Bewegungen, deren Prinzipien rechte Konzepte ausschließen – und dazu gehört auch XR.

Die EU-Wahlen zeigten jedoch deutlich, dass die ÖkoLinX aus der wahrnehmbaren Debatte verschwunden ist, was ich durchaus bedaure. Jutta Ditfurth als herausragende Akteurin kann sich immer mal wieder in der Öffentlichkeit bemerkbar machen, aber echte inhaltliche Argumentationen werden kaum noch mitgeliefert. Dabei wäre es notwendig, denn immerhin bewegen sich mittlerweile ca. zwei weitere Generationen in den immer noch widersprüchlichen Feldern von Widerstand, Kritik und Bewegungen. Die haben die anti-esoterische „Grundschulung“ der 90er Jahre nicht mehr mitbekommen. Folgen davon finden sich wohl in allen aktuellen Bewegungen, in XR, wie auch der von Jutta Ditfurth ausdrücklich von der Kritik ausgenommen Bewegung „Fridays for Future“. Typische Kritikpunkte an Bewegungen aus ÖkoLinX-Schriften waren z.B. fehlende Militanz (gegen die sog. „Verhandlungsdemokratie“ und die „Lüge von der zivilen Gesellschaft“, siehe Hefte 6 und 7), fehlende Systemkritik (dazu sah ich bei XR ein gutes Plakat: „Es gibt kein richtiges Klimapaket im falschen System“), Hierarchie in Bewegungen und auch Kritik an unpolitischem Veganismus… Inhaltlich ging es im Kern tatsächlich vor allem um Tendenzen, rechtes Gedankengut in den kritischen und ökologischen Bewegungen zu verbreiten (siehe dazu allgemein auch hier).

Jutta Ditfurth und ÖkoLinX sahen das rechte Gedankengut vor allem durch esoterisch-spirituellen Konzepte einsickern. Die Kritik war auch damals schon manchmal unterirdisch plump und pauschal, oft aber sehr lehrreich. Leider ist die Kritik von Jutta Ditfurth an XR letzteres nicht.

Literatur

Arbeitsgruppe Bildung der Ortsgruppe Jena von XR (2019): Zur Kritik von Jutta Ditfurth an „Extinction Rebellion“. 

Bahro, Rudolf (1990): Logik der Rettung. Berlin: Union Verlag.

Bloch, Ernst (EdZ): Erbschaft dieser Zeit. Erweiterte Ausgabe. Werkausgabe Band 4.Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag. 1985.

Bookchin, Murray (1991): Defending the Earth. A Dialogue Between Murray Bookchin & Dave Foreman. Boston: South End Press 1991.

Brave Noise Cat, Julian (2019): The Environmental Movement Needs to Reckon with Its Racist History. Online: https://www.vice.com/en_us/article/bjwvn8/the-environmental-movement-needs-to-reckon-with-its-racist-history (abgerufen 2019-11-07)

Ditfurth, Jutta (1996): Entspannt in die Barbarei. Esoterik, (Öko-)Faschismus und Biozentrismus. Hamburg: Konkret Literatur Verlag.

Bremer Anti-Esoterik-Aktion (1997): Ökogische Linke: Boykottiert den Esoterik-Kongreß  und die Eso-Messe in Bremen! In: ÖkoLinX. Nr 27, Winter 1997/ Frühling 1998, S. 14-17.

Ditfurth, Jutta (1997): „Wir sind das Lachen“ sagte der Gewaltlose. „Hahaha“ antwortet der Polizeistaat. In: ÖkoLinX. Nr 27, Winter 1997/ Frühling 1998, S. 22-25.

Ditfurth, Jutta (2019a) : Extinction Rebellion: “Irrationalismus einer Endzeitsekte”. Interview mit Jutta Ditfurth von Jannik Waidner. In: FAZ, 11.10.2019

Ditfurth, Jutta (2019b): Extinction of Rebellion. In: konkret 11/19, S. 15-16.

Glyn, Miles; Farrell Clare: Arts Factory. In: This is not a Drill. p. 120-124.

Hallam, Roger (2019): Common Sense For The 21st Century. Version 0.3. (ed. by Arthur Ford)

Knights, Sam J. (2019): Extinction Rebellion: We Need To Talk About The Future.

Pape, Judith (2019): Jutta Ditfurth hat ihre Meinung geändert.

Peters, Jean: Pessimistisch im Geiste, optimistisch im Herzen. In: Was wenn nicht wir*. S. 182-187.

Ross, Carne: Jetzt ist der richtige Zeitpunkt. In: Was wenn nicht wir*. S. 215-219.

Schlemm, Annette (2019): Radikale Öko-Bewegungskonzepte.