In Debatten über Theorien zu den Praxen des Commoning im Commons-Institut wird versucht, unterschiedliche theoretische Konzepte zueinander in Bezug zu bringen. Über was reden wir, wenn wir über  „Commons“ und „Commoning“ sprechen? Was sind Commons/Commoning in Bezug auf die kapitalistischen Verhältnisse in der Welt? Inwieweit kann aus ihnen eine neue Utopie des „Commonismus“ abgeleitet werden, nachdem der „Kommunismus“ anscheinend abgewirtschaftet hat?

In der deutschen Debatte spielt der Autor Massimo de Angelis eine vergleichsweise geringe Rolle. Ich las erst jetzt sein grundlegendes Buch „Omnia Sunt Communia“ von 2017 und möchte es hier vorstellen.

Übersicht über alle Beiträge dazu.

Mit dem Titel seines Buches „Omnia sunt communia“ schließt sich Massimo de Angelis an den Artikel von Nick Dyer-Witheford aus dem Jahr 2006 an, der mit diesen Worten endet. Diese greifen eine uralte Forderung auf, die durch Thomas Müntzer aus der Bibel über die Gütergemeinschaft im Urchristentum (Apostelgeschichte 4:32) in die Kämpfe seiner Zeit eingebracht wurde: Alles soll allen gemeinsam zukommen. Heute wird diese Forderung insbesondere in den Commons/Commoning-Bewegungen vertreten. Dies macht einen Gegensatz gegen das kapitalistische Privateigentum auf und dieser Gegensatz weist in eine andere Richtung als der real gewesene Sozialismus, bei dem der (sozialistische) Staat sich als Repräsentant des Gesellschaftlichen des „gesellschaftlichen Eigentums“ bemächtigte. Dieser Gegensatz gegen Kapital wie auch (kapitalistischen wie sozialistischen) Staat prägt die Bestimmung dessen, was heute als Commons/Commoning verstanden wird.

Was sind Commons?

Um zu bestimmen, was Commons sind, entwickelt de Angelis mehrere voneinander zu unterscheidende Begriffe. Die Güter, die auch als Gemeingüter bezeichnet werden können, sind die „Common Goods“ (Commonsgüter). Das „common“ in den Commonsgütern verweist darauf, dass sie zu einer Vielzahl von Menschen gehören, die sich gemeinschaftlich um die Commonsgüter kümmern, d.h. sie erzeugen und reproduzieren. Commonsgüter haben für die beteiligten Menschen einen Nutzen, entweder als Ver- oder Gebrauchsgut oder auch als natürliche Grundlage des Lebens auf der Erde.

Die Gemeinschaft (community) und das Kümmern (commoning) gehören zur Begriffsbestimmung der Commonsgüter. Viele Commonsgüter machen gemeinsam den Commons-Reichtum, bzw. das „Commonwealth“ aus. Die Bezeichnung „Commons“ wählt de Angelis als Begriff für das, was die Commonsgüter als Teile des Commonwealth und das Tun derer, die an ihrer Erzeugung und Reproduktion beteiligt sind, vereinigt.

Commons sind demnach „soziale Systeme, in denen Ressourcen von einer Gemeinschaft von Subjekten gepoolt werden, die diese Ressourcen auch verwalten, um die Nachhaltigkeit der Ressourcen (wenn es sich um natürliche Ressourcen handelt) und die Reproduktion der Gemeinschaft zu gewährleisten; und die sich in Commons engagieren, d.h. in Handlungen, die einen direkten Bezug zu den Bedürfnissen, Wünschen und Bestrebungen der Commoners haben.“ (de Angelis 2017: 90)

Als Einheit gilt das, was sich reproduziert. Das sind weder die Commonsgüter ohne Gemeinschaft, die Commoning praktiziert, aber auch das Commoning ohne Commonsgüter oder Gemeinschaft kann sich nicht selbst reproduzieren. Es geht um die soziale Einheit, in der sich die drei Bestandteile Commonsgüter, Commoninggemeinschaft und Commoning gemeinsam reproduzieren. Dabei werden auch die Elemente dieser Einheit durch die Dynamik der Einheit selbst erzeugt und reproduziert: der Ressourcen-Pool (meint die Commonsgüter), die Communities und das Commoning (vgl. auch de Angelis 2014: 6):





Abb. 1: Commons als Einheit von Commonsgütern („Ressourcenpool“), Communities und Commoning (eigene Darstellung nach de Angelis)

Die Art dieser Begriffsbestimmung leitet sich aus den Konzepten der autopoietischen Systemtheorie (vgl. Schlemm 1997/98) ab, welche auch den Gedanken der „organischen Einheit“ beinhaltet. Im Hegelschen Sinne (dies ergänze ich, es ist nicht bei de Angelis enthalten) ist sie eine „Totalität“, weil sie als „ein Ganzes in sich selbst getragen und vollendet ist, keinen Grund außer sich hat“ (Hegel Diff: 46). Eine solche Einheit wechselwirkt zwar mit ihrer „Außenwelt“, die für sie eine Umwelt bildet, aber die Wechselwirkung vollzieht sich nach Maßgabe der inneren Funktionsfähigkeit; die Einheit „wählt“ aus, wie diese Wechselwirkung vonstatten geht. Für menschliche Individuen als solche Einheiten gilt dabei: „Meine Umwelt ist die Welt, wie sie ist und in Bezug auf mich eine Bedeutung erhält“ (de Angelis 2017: 244). Die bekannteste autopoietische Systemtheorie für die menschliche Gesellschaft ist die von Niklas Luhmann (z.B. Luhmann 1984, referierend wie auch kritisch dazu siehe z.B. Schlemm 2020). Mit dieser das Wesentliche zusammenfassenden Begriffsbestimmung braucht auch das Tun des Commoning innerhalb der Gemeinschaften nicht mehr gegen die Resultate in Form der Commonsgüter ausgespielt werden, sondern Tun und Resultate, Prozess und Dinge, Beziehungen und das Bezogene werden in ihrer Einheit begreifbar. Gleichzeitig verhindert das Denken dieser Einheit jede Vereinzelung und Verabsolutierung eines einzelnen Bestandteils.

Wenn wir ein Commons in dieser Weise als sich reproduzierende Einheit von Commonsgütern, Gemeinschaften und Commoning verstehen, so wird klar, dass es viele verschiedene Commons gibt, die gegenüber ihrer Umwelt, wozu auch andere Commons gehören, autonom sind.[1] Jede Commons-Gemeinschaft vollzieht das Commoning mit ihren Commons-Gütern auf je selbstbestimmte Weise. In der autopoietischen Systemtheorie wird diese Eigenart „operative Geschlossenheit“[2] genannt (vgl. de Angelis 2017: 82). Dabei setzt sich das soziale System Grenzen gegenüber den Bereichen der Welt, die es nicht selbst reproduziert, mit der es aber durch selbstbestimmte Wechselwirkungen in selektiver Verbindung steht. In der Sprache der autopoietischen Systemtheorie ist es mit dem Äußeren „strukturell gekoppelt“. Auf diese Weise erweist sich die Tatsache, dass vieles mit vielem durchaus verbunden ist, relativiert durch die jeweils autonomen Selbstbegrenzungen. Es ist nicht einfach „alles mit allem“ unterschiedslos verbunden, sondern die jeweiligen Wechselbeziehungen sind inhaltlich bestimmt durch die je konkrete Eigenart der in Beziehung stehenden Einheiten.

Durch den Aspekt der Selbst-Reproduktion stellt nicht jedes gemeinsame Tun schon ein Commons dar (wie es die einfache Bestimmung von „commoning is doing in common“ ausdrücken würde). Sondern ein Commons wird es erst, wenn in diesem Tun alle Bestandteile und auch die eigene Grenze re-produziert wird, wenn es Feedback-Schleifen gibt, die die Eigenständigkeit immer wieder neu herstellt. Bei Hegel heißt es: „Etwas ist nur in seiner Grenze und durch seine Grenze das, was es ist“ (Hegel Enz I: 197). Deshalb sind Commons soziale Systeme, „in denen nicht nur Ressourcen gemeinsam genutzt werden und Gemeinschaften Regeln für diese gemeinsame Nutzung festlegen, sondern das Ziel der Autopoiesis ist die Reproduktion dieser gemeinsamen Ressourcen und Gemeinschaften“ (de Angelis 2017: 242). Auch der Kapitalismus ist eine sich selbst reproduzierende Einheit, bei der die Zielfunktion bzw. der Zweck in der Akkumulation, d.h. der Vermehrung von Kapital, besteht. Der äußere Kreislauf in der folgenden Abbildung zeigt die im Marxschen „Kapital“ analysierte Kapitalreproduktion, der innere den von de Angelis (2017: 189) ergänzten Kreislauf der Reproduktion der Arbeitskräfte:




Abb. 2: Kreislauf der Kapital- und der Arbeitskraftreproduktion, mit Abhängigkeit des Kapitalkreislaufs von der  Arbeitskraft und der Reproduktion der Arbeitskraft vom Kapital. (eigene Darstellung)

In Anlehnung an diesen Kreislauf des Kapitals wurde von Nick Dyer-Witheford 2006 der „Kreislauf der Commons“ vorgeschlagen, bei dem Zyklen aufeinander folgen, in denen di Erzeugung von Commonsgütern (dort „Commons“ genannt) durch Gemeinschaften (Assoziationen) erfolgt, wodurch sich wiederum die Gemeinschaften weiter entwickeln usw. usf.,…




Abb. 3: Kreislauf der Commonsreproduktion nach Dyer-Witheford 2006 (aus Stafford, Folie 5)

De Angelis vervollständigt diesen Zirkulationsgedanken und präzisiert die dabei vorkommenden Elemente (de Angelis 2017: 192ff., eigene Darstellung):


Abb. 4: Kreislauf der Commonsreproduktion nach de Angelis (eigene Darstellung)

Es fällt auf, dass hierbei noch Waren auftauchen, dazu später mehr.

Diese Bestimmung der Commons als sich selbst reproduzierende Einheiten (Systeme), die ihre eigenen Bestandteile (Commonsgüter, Gemeinschaften und deren Commoning) sowie die Grenzen nach außen selbst erzeugen, unterscheidet sich von anderen Definitionen. So sind Commons demnach nicht nur geteilte Güter. Es ist nicht möglich, beliebigen Dingen oder Tätigkeiten einfach das Eigenschaftswort „gemeinsam/common“ zuzuordnen, um Commons oder Commoning zu erhalten. Auch eine Liste von Eigenschaften oder Prinzipien erfüllt den Begriff nicht vollständig. Die Bestimmung „Commons“ zu sein, ist weder bestimmten Dingen noch bestimmten Tätigkeiten „inhärent“ (also wesenseigen), sondern der Commonscharakter eines systematischen Zusammenhangs von Commonsgütern, Gemeinschaften und deren Commoning „ist eine politische und strategische Frage und eine Frage von situierten Werten“ (de Angelis 2017: 61).

„Im Prinzip ist alles ein Gemeingut und das, was hier und jetzt als Gemeingut beansprucht wird, hängt von strategischen Prioritäten ab…“ (ebd.)

Die Selbstreproduktion der Commons bedeutet, dass sie sich einerseits auf sich selbst, ihre eigene Reproduktion beziehen, dass sie sich andererseits als sich von Anderem unterscheidend auf ihre Außenwelt beziehen. Eine weiterer bei de Angelis vorkommender Begriff ist die „Commons-Ökologie“, welche die relativ dauerhaften Wechselbeziehungen zwischen verschiedenen Commons und ihren (sozialen und natürlichen) Umwelten bezeichnen. Commons-Ökologien „bestehen aus Netzen miteinander verbundener Commons, die in unterschiedlichem Umfang und Intensität zusammenarbeiten“ (ebd.: 287), Da de Angelis die Commons als „verborgene, latent materielle Bedingungen, in welcher die klassenlose Gesellschaft Form gewinnen kann“ (ebd.: 271) versteht, sieht er am Horizont der weiteren Entwicklung „the Common“ (ebd.: 19), also die Verwirklichung der titelgebenden Forderung: Omnia sunt Communia.

„The Common“ als Utopie?

Dieser Horizont erhält bei Massimo de Angelis nur wenig eigene Konkretheit. Er orientiert geradezu darauf, dass alle Commons aus je eigenen für sich bestimmten Praxen der je eigenen Reproduktion unter jeweils gegebenen Bedingungen bestehen. Deshalb kann es nach de Angelis auch keine modellhafte Utopie – außerhalb einer konkreten Situiertheit und Bedingtheit – geben. Aufgrund dieser Autonomie aller Commons, die auf dem Weg zum Horizont die soziale Welt ausfüllen sollen, kann es keine fertige Systemvorstellung geben, die nur noch implementiert zu werden braucht, denn gesellschaftliche „Systeme werden nicht implementiert, sie entstehen (emergieren)“ (de Angelis 2014: 5, vgl. de Angelis 2017: 269). Es wäre demnach sogar „unehrlich und gefährlich, die Commons über einen „theoretischen Radar“ aus den verschiedenen sozialen Praktiken herauszufiltern entlang von Kriterien für das, was wir uns für Commons wünschen“ (de Angelis 2014: 7). Das Entstehen von Commons und Commons-Ökologien erfolgt immer im konkreten Kontext. Der Kontext, das jeweilige Außen bestimmt auch die konkrete Art der Grenze, die jedes Commons als autopoietisches System ausbildet. Ein Commons im kapitalistischen Feindesland wird ein anderes Commons sein als eins am Horizont einer Welt als Commons, als „the commons“. Gleichzeitig wird ein Commons in einer kapitalistischen und durch andere Spaltungen und Trennungen zwischen Menschen und Gruppen dominierten Welt auch schon latent etwas typisch Commons-Artiges in sich tragen, das es vom dominierenden „Rest“ wesentlich unterscheidet.


[1] Autonomie ist eine „Eigenschaft, die durch die rekursive Interaktion von Komponenten in einem sozialen Netzwerk entsteht, so dass das Netzwerk, das diese Interaktionen hervorgebracht hat, neu entsteht und eine Grenze definiert wird“ (de Angelis 2017: 227)

[2] Zu unterscheiden ist der Begriff der „Autarkie“, die kausale Unabhängigkeit bedeutet, von jener der operativen Geschlossenheit, wobei ein System „nur im Kontext der eigenen Operationen operieren kann und dabei auf Strukturen angewiesen ist, die mit den eigenen Operationen erzeugt werden“ (Aderhold, Jutzi 2003: 122-123).


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