In den letzten Wochen untersuchte ich Utopien, die sich mit dem „Verhältnis […] der Individuen zueinander in Beziehung auf das Material, Instrument und Produkt der Arbeit“ (MEW 3: 22) beschäftigten, also mit dem Eigentum. Dazu gibt es in vielen utopischen Texten Aussagen und viele dieser utopischen Vorstellungen wurden bereits in die Praxis umgesetzt – wenigstens für eine gewisse Zeit. Für mich war eine der interessantesten Entdeckungen dabei die Bewegung um Gerrard Winstanley (1609 – 1676).


„Wenig weiß der um die Gegenwart, der ihre Vergangenheit nicht kennt.
Und wenig Lernenswertes lernt der aus der Geschichte,
der nicht von den Gescheiterten zu lernen  vermag.“ (Klenner 1986: 337)

In England herrschte Bürgerkrieg. Traditionell hatte in England das Parlament schon lange eine größere Bedeutung als in anderen europäischen Ländern. Karl I. (1600 – 1649) wollte diese Macht des Parlaments zurückdrängen, nachdem dieses seine Forderungen oft nicht erfüllt hatte. Er regierte dann sogar 11 Jahre ohne das Parlament, weil dieses ihm die Zustimmung für die Finanzmittel für seine Vorhaben verweigerte. Das führte zu einem langen, erbitterten Ringen um die Eindämmung der Befugnisse des Königs durch das Parlament. Seit 1642 fand in ganz England der sog. „Englische Bürgerkrieg“ statt. Gerrard Winstanley, der 1609 in der Grafschaft Lancashire geboren worden war, hatte ein Schneidergeschäft gehabt – aber es ging im Krieg bankrott. Er lebte dann als Viehhirte und hatte wohl genügend Muße und auch Vorbildung für eine intensive Beschäftigung mit religiösen Fragen, die ihn zu einer „Vision des inneren Lichts“ führten. Der Krieg endete damit, dass König Karl I. am 20. Januar 1949 hingerichtet wurde. In England entstand eine Republik und Oliver Cromwell (1599 – 1658) wurde ab 1653 Lordprotektor[1]. Der zeitgenössische Autor James Harrington (1611 – 1677) wertete den Krieg und seine Ergebnisse als Folge und Ausdruck der Verschiebung von Eigentumsverhältnisse zwischen den grundbesitzenden und den bürgerlichen Schichten (Hayduk 2005), aber es spielten sicher noch viel mehr Faktoren eine Rolle.

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Hier folgt eine Teilstudie zum Thema „Eigentum in Utopien“. Religiöse Vorstellungen hatten in der Vergangenheit und haben auch noch in der Gegenwart eine starke orientierende Funktion.


Die Ursprünge der Bibel im Land „freier Beduinen“ betonte Ernst Bloch (PH: 576): „Gemeinschaften ohne Arbeitsteilung und Privateigentum erscheinen lange noch als gottgewollt, auch als in Kanaan Privateigentum entstanden war und die Propheten es, in bescheidenem Maß, anerkannten.“ (ebd.) Diese Linie gründet nach Bloch in den Stämmen der Nasiräer[1] und der Rehabiten[2], die „der Üppigkeit und Geldwirtschaft Kanaans ferngeblieben“ (ebd.: 576) waren. „Vom halben Urkommunismus der nasiräischen Erinnerung bis zur Prophetenpredigt gegen Reichtum und Tyrannei, bis zum frühchristlichen Liebeskommunismus geht so eine einzige, an Biegungen reiche, doch erkennbar einheitliche Linie.“ (Bloch PH: 577)

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Für einen Vortrag in Wien (April) und eine Veröffentlichung beschäftige ich mich seit einigen Wochen mit der Realität verschiedener Eigentumsformen seit früher Vergangenheit und damit zusammenhängenden Debatten, wie bessere Welten vielleicht ohne (Privat-)Eigentum gedacht und verwirklicht werden könnten. Das ist ein sehr spannendes Thema, zu dem ich ausufernde Literatur finde. Einiges habe ich schon in Blogbeiträgen vorgestellt und ich möchte das für einzelne „Kapitel“ der dabei entstehenden Studie weiter machen. (Diese Seite kann aufgerufen werden unter: https://t1p.de/Eigentum-in-Utopien)

Hier ist die Übersicht über diese Beiträge:


 

Am 2. April 2024 halte ich in Wien den Vortrag:

Das „Mein“ und „Dein“ in Utopien.

2. April 2024, 17:00
GSIS Lab: 4lthangrund – Wolke, “Alte WU”, Augasse 2-6, 1090 Wien
(Kern C, Lift, 4. Stock links)

Wir bitten um Anmeldung: Mail an office@gsis.at

Es geht weiter mit Texten zum Eigentum. Ich lagere Teile einer Studie, die ich gerade betreibe, hier aus, um sie erstens frei zur Verfügung zu stellen und zweitens für eine Veröffentlichung kürzen zu können.


Die bekannten philosophischen und politischen Schriften des Konfuzius und Lauzi (früher auch „Laudse“, „Laotse“) entstanden innerhalb einer Umbruchzeit in China. Es gab noch „kein massenhaftes Privateigentum an Grund und Boden“ (Moritz 1982: 10). „Der gesamte Boden war nominell Eigentum des Königs […]. Es bestand also faktisches Gesamteigentum an Boden, das kein Gemeineigentum mehr war. Historisch gesehen handelt es sich um eine Zwischenstufe zwischen der Existenz des Gemeineigentums und der Herausbildung massenhaften privaten Grundbesitzes. Der König verteilte das Land – mit Ausnahme der sogenannten Königsdomäne – an seine Söhne und Brüder, an seine nächsten Verwandten. […] Diese verfuhren analog: Einen Teil des ihnen zugedachten Landes behielten sie als ihre Domäne und ließen ihn selbst von Bauern bestellen, der größere Teil fiel wieder unmittelbaren Verwandten zu, die sich ebenfalls nach diesem Schema verhielten“ (ebd.: 10-11). „Gemeinschaft“ war damals nur eine verschleierte Form von Ausbeutung, denn die Aristokratie repräsentierte das Gemeinwesen, was durch Zeremonien und Riten kulturell eingeprägt wurde (ebd.: 11). Warenbeziehungen und ein innerer Markt waren noch nicht vorhanden (ebd.: 12). U. a. durch die Verwendung eiserner Geräte ab ca. dem 4. Jhd. v. u. Z. wurde dann die Landwirtschaft intensiviert, Kanäle wurden gebaut, es entstanden neue Produktionszweige, und der materielle Reichtum wuchs (ebd.: 12-13). Genau in die Übergangszeit bis dahin fallen die genannten Schriften und die Tendenz dahin war bereits sichtbar. „Vom 6. Jahrhundert v. u. Z. an ist immer mehr die Tendenz zur Einzelbewirtschaftung der Felder – an Stelle der überkommenden kollektiven Bewirtschaftung – erkennbar. Die Folge war, daß die privat bestellten Felder nunmehr besteuert wurden.“ (Moritz 1982: 13) Eine erste Besteuerung von Land war im Jahr 594 v. u. Z. im Heimatstaat von Konfuzius vorgenommen worden.

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Aus meinen Studien zu den „Utopien ohne Privateigentum“ stelle ich hier eine weitere Neben-Lese vor: Théodore Dézamy, den ich schon in den Studien zu Utopien ohne Geld kennenlernte:

Die Zukunftsvorstellungen von Théodore Dézamy (1808 – 1850) wurden weniger bekannt als die der Frühsozialisten Claude-Henri de Saint-Simon, Charles Fourier und Robert Owen.[1] Dézamy arbeitete eine Zeitlang als Sekretär von Étienne Cabet, der die „Reise nach Ikarien“ (1840) geschrieben hatte, was Hunderttausende Menschen begeisterte und mehrere (letzlich schnell gescheiterte) Siedlungsprojekte in den USA nach sich zog. Dézamy beteiligte sich am blanquistischen Aufstand von 1839 und wurde kurzzeitig verhaftet. Er brach mit Cabet und entwickelte eigenständige alternative Zukunftsvorstellungen und Konzepte für einen Weg dahin. 1848 gründet er zusammen mit Louis-Auguste Blanqui (1805 – 1881) die radikale „Zentrale Republikanische Gesellschaft“. Im Jahr 1842 kam sein Buch „Code de la Communauté“ heraus, das von Moses Hess (1812 – 1875) „ziemlich frei“ ins Deutsche übertragen wurde. Unter dem Titel „Leidenschaft und Arbeit“ wurde diese Übersetzung 1980 herausgegeben.[2]

Historisch fällt die Lebenszeit von Dézamy in große Umbrüche in Frankreich. 1830 kam es aufgrund der reaktionären Politik von Karl X. zur sog. „Julirevolution“. Die Lyoner Seidenweber erhoben sich 1831 und auch in Paris kam es 1832 zu Aufständen. 1839/40 folgten massive Streikbewegungen. Da politische Assoziationen nach 1834 verboten waren, trafen sich ab 1840 radikale Vertreter des Kommunismus in „kommunistischen Banketten“. Die Arbeit Dézamys ist getragen von dieser Dynamik:

„Ich gehöre nicht zu jenen Unglückspropheten, die nur Sturm und Umsturz verkünden. Im Gegenteil: weil ich den Sturm herannahmen und schon das alte Gebäude in seinen Grundfesten krachen höre, komme ich, vom Eifer für die gesellschaftliche Ordnung beseelt, meinen Teil zum großen sozialen Bauwerk beitragen und den Bauplan selbst der Beurteilung meiner Mitbürger unterwerfen.“

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Am 10.1. 2022 hielt ich einen Vortrag, der eigentlich für eine Veranstaltung im Kulturschlachthof in Jena gedacht war, aber nun online die Möglichkeit bot, dass auch andere teilnehmen konnten.

Die Präsentation kann hier angeschaut oder runtergeladen werden: https://de.slideshare.net/zukunftswerkstatt/utopie-in-dystopischen-zeiten

Einen Videomitschnitt gibt es hier: https://peertube.tv/w/oisywiM4MDVw7BzTaPmjKN

In Debatten über Theorien zu den Praxen des Commoning im Commons-Institut wird versucht, unterschiedliche theoretische Konzepte zueinander in Bezug zu bringen. Über was reden wir, wenn wir über  „Commons“ und „Commoning“ sprechen? Was sind Commons/Commoning in Bezug auf die kapitalistischen Verhältnisse in der Welt? Inwieweit kann aus ihnen eine neue Utopie des „Commonismus“ abgeleitet werden, nachdem der „Kommunismus“ anscheinend abgewirtschaftet hat?

In der deutschen Debatte spielt der Autor Massimo de Angelis eine vergleichsweise geringe Rolle. Ich las erst jetzt sein grundlegendes Buch „Omnia Sunt Communia“ von 2017 und möchte es hier vorstellen.

Übersicht über alle Beiträge dazu.

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Version 1.1, 29.05.2021

Was sind die Ausgangspunkte unseres Handelns? Sicher die Befriedigung von Bedürfnissen. Bedürfnisse sollen auch im Mittelpunkt einer befreiten Gesellschaft stehen – diese soll sich nur noch um die Befriedigung der Bedürfnisse der Menschen drehen, wozu auch eine intakte Um- und Mitwelt besteht und ein Klima, in dem das Leben nicht unerträglich wird. Zu „Bedürfnissen“ habe ich schon einmal einiges hier im Blog (Schlemm 2017a) geschrieben. Aber wie verhält es sich nun mit dem „Interesse“?

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„Nichts ist gefährlicher, als das jeweilige Ideal in ein abstraktes Normativ zu verwandeln,
in eine wie auch immer gefärbte Brille, durch welche die Wirklichkeit nur noch als
mehr oder minder gelungene Verkörperung des Ideals zu sehen ist.“ (Brie 1990: 8)

In manchen Debatten wird angenommen, dass wir in einer nachkapitalistischen, besseren Gesellschaft nicht mehr „arbeiten“ müssen. Klar müssen noch genug Sachen hergestellt werden, damit wir leben zu können, aber dieses Tun soll nicht mehr „Arbeit“ genannt werden, sondern zum Beispiel „Tätigkeit“. Das Wort „Arbeit“ wird dann nur auf seine Bedeutung aus dem Mittelhochdeutschen als „arabeit“ in der Bedeutung von Mühsal und Not reduziert. Es gibt in diesem Sinn auch eine Verwandtschaft mit dem Wort „rabota“, was von- „rabu“ (= Knecht, Leibeigener) hergeleitet ist. Inhalte von Worten und Begriffen haben sich historisch häufig gewandelt. Im Englischen gibt es wenigstens noch die Unterscheidung von work und labour.

Vor allem die bisherigen Unterdrückungsgesellschaften füllten die Worte mit Inhalten, die deren Praxen entsprachen. Müssen wir deshalb die ganze Sprache neu erfinden? Oder sollten wir ausweichen auf anscheinend „unverbrauchte“, „unverschmutzte“ Worte, wie von „Arbeit“ zu „Tätigkeit“ oder von „Eigentum“ zu „Verfügung“? Ich bin in solchen Fällen immer dafür, den Begriffsumfang in aller Geschichte genau zu erkunden und dann zu versuchen, auf den allgemeinsten hier vorkommenden Begriff zurück zu kommen, um dann Unterschiede als Besonderungen zu bestimmen. Der Begriff von „Arbeit“ hat eine besondere Bedeutung, gilt er doch im marxschen Kontext als wichtige Unterscheidung für das Menschliche gegenüber allem, was Tiere tun können.

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Manchmal muss man einen Schritt zurück treten, um eine Orientierung für den Schritt nach vorn zu gewinnen. Den Kapitalismus und mit ihm jegliche Klassengesellschaft zu überwinden und eine Gesellschaft aufzubauen, in der Ausbeutung, Unterdrückung, Diskriminierung und andere Entwürdigungen nicht mehr vorkommen, ist nach den vielen Jahrtausenden voller Kriegen, Plünderungen und Demütigungen eine ungeheure Herausforderung. In der bleiernen Zeit der frühen 70er Jahre durchforstete der Schriftsteller Wladimir Tendrjakow die Leninschen Schriften auf der Suche nach der Quelle der verfahrenen Situation im Sozialismus der UdSSR.

„Zwei sind im Zimmer:
ich
und Lenin – “ (Majakowski in Tendrjakow 1969ff./1991: 11)

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