„Nichts ist gefährlicher, als das jeweilige Ideal in ein abstraktes Normativ zu verwandeln,
in eine wie auch immer gefärbte Brille, durch welche die Wirklichkeit nur noch als
mehr oder minder gelungene Verkörperung des Ideals zu sehen ist.“ (Brie 1990: 8)
In manchen Debatten wird angenommen, dass wir in einer nachkapitalistischen, besseren Gesellschaft nicht mehr „arbeiten“ müssen. Klar müssen noch genug Sachen hergestellt werden, damit wir leben zu können, aber dieses Tun soll nicht mehr „Arbeit“ genannt werden, sondern zum Beispiel „Tätigkeit“. Das Wort „Arbeit“ wird dann nur auf seine Bedeutung aus dem Mittelhochdeutschen als „arabeit“ in der Bedeutung von Mühsal und Not reduziert. Es gibt in diesem Sinn auch eine Verwandtschaft mit dem Wort „rabota“, was von- „rabu“ (= Knecht, Leibeigener) hergeleitet ist. Inhalte von Worten und Begriffen haben sich historisch häufig gewandelt. Im Englischen gibt es wenigstens noch die Unterscheidung von work und labour.
Vor allem die bisherigen Unterdrückungsgesellschaften füllten die Worte mit Inhalten, die deren Praxen entsprachen. Müssen wir deshalb die ganze Sprache neu erfinden? Oder sollten wir ausweichen auf anscheinend „unverbrauchte“, „unverschmutzte“ Worte, wie von „Arbeit“ zu „Tätigkeit“ oder von „Eigentum“ zu „Verfügung“? Ich bin in solchen Fällen immer dafür, den Begriffsumfang in aller Geschichte genau zu erkunden und dann zu versuchen, auf den allgemeinsten hier vorkommenden Begriff zurück zu kommen, um dann Unterschiede als Besonderungen zu bestimmen. Der Begriff von „Arbeit“ hat eine besondere Bedeutung, gilt er doch im marxschen Kontext als wichtige Unterscheidung für das Menschliche gegenüber allem, was Tiere tun können.
Im derzeitigen Alltagsverständnis wird „Arbeit“ häufig gleichgesetzt mit „Lohnarbeit“. Wenn es um die Abschaffung der „Lohnarbeit“ in einer nachkapitalistischen Gesellschaft geht, überträgt sich diese alltägliche Bedeutung in die Forderung die „Arbeit abzuschaffen“. Auch im Operaismus wurde die „Weigerung […] gegen die Anwendung ihrer Arbeitskraft“ (Tronti 1965) als „Verweigerung der Arbeit“ (Arbeiterkomitee Porto Marghera 1970) formuliert.
Damit wird der der Inhalt des Arbeitsbegriffs auf die ausgebeutete, unterdrückte Arbeit im Kapitalismus eingeschränkt. Dies vernachlässigt aber erstens den möglichen und durchaus auch vorhandenen weiteren Inhaltsreichtum des Begriffs „Arbeit“. Der Begriff „Arbeit“ enthält schon traditionell mehr Differenzierungsmöglichkeiten, die alle abgeschnitten würden, wenn nur von vornherein eine auf harte und unterdrückte Arbeit eingegrenzte Begriffsbedeutung zugelassen würde.
Zweitens wird bei einem Wechsel der Bezeichnung von „Arbeit“ zu „Tätigkeit“ nur den Bruch zwischen beiden, also die Diskontinuität betont. Dabei wird die Kontinuität des gemeinten Inhalts in der Geschichte verleugnet. Es ist dann nicht mehr möglich, besondere Formen von Arbeit in unterschiedlichen Gesellschaftsformationen als besondere Formen von Arbeit darzustellen, sondern das Neue erscheint jeweils unvermittelt. Ein Streben nach Erkenntnissen sollte sich den Mühen der Widersprüchlichkeit stellen. Um die kommt man nicht herum, wenn man etwas gerade an qualitativen Übergängen betrachtet, in denen ETWAS übergeht, aber ANDERS wird. Hier haben wir immer das, WAS übergeht (und den kontinuierlichen Aspekt bildet) und dabei qualitativ ganz ANDERS wird (was den diskontinuierlichen Aspekt darstellt). Oberflächlich gesehen sieht man erst nur das EINE, dann das ANDERE/NEUE. Die Welt entsteht in diesem Moment ja aber nicht ganz neu, sondern das Neue ist eine NEUE FORM dessen, was gleichermaßen im Alten wie im Neuen steckt. Nur mit beiden Perspektiven kann ein Übergang richtig verstanden, prognostiziert oder durchgeführt werden.
Aus diesem Grund ist es m.E. besser, sich auch die Begriffe so anzueignen, dass diese Übergänge denkbar sind. Auf diese Weise entsteht das Neue nach dem Bruch nicht als eine Art „Wunder“, also z.B. bei einem Verschwinden von „Arbeit“ und dem wundersamen Entstehen von „Tätigkeiten“, sondern man kann den qualitativen Umbruch als Wandel der Arbeitsformen begreifen. Es wird dann auch offensichtlicher, dass schon in den alten Arbeitsformen Vorformen späterer Formen vorhanden sind. Es ist die Arbeit selbst, die in sich widersprüchlich ist, was dann zu neuen Formen führt.
Es gibt viele Begriffe, die für das alltagssprachliche „Tun und Machen“ stehen; so „aktiv sein“, „tätig sein“, „handeln“ oder auch „arbeiten“, substantiviert ausgedrückt: „Aktivität“, „Tätigkeit“, „Handlung“, „Arbeit“. Diese Begriffe sind in unterschiedlichen psychologischen oder Sozialtheorien häufig unterschiedlich definiert worden. Ich möchte hier nur auf die beiden derzeit strittigen Begriffe „Tätigkeit“ vs. „Arbeit“ eingehen.
Ich habe verschiedene psychologische Texte (so von Rubinstein, Leontjew, Holzkamp) und Begriffswörterbücher durchgeschaut. Der Begriff „Tätigkeit“ bezieht sich hier üblicherweise auf die „Erzeugung eines bestimmten Produkts“, auf eine „Gesamtheit von Handlungen, die Teilzielen untergeordnet sind“, auf das „Verhalten je eines Subjekts“, wobei „Zustände oder Entitäten zweckmäßig verändert“ werden. Das sind alles Begriffe, die sich letztlich auf das Tun eines Menschen in einer konkret-unmittelbaren Beziehung zur Wirklichkeit beziehen. Schau auf das Individuum, und Du siehst seine Tätigkeiten. Aus marxscher Sicht gibt es jedoch zusätzlich eine gesellschaftliche Ebene, die zwar durch das gesamte Tun aller Menschen entsteht, die jedoch „mehr ist als die Summe aller Tätigkeiten“[1] und nicht mehr empirisch-unmittelbar „zu sehen“ ist. Die gesellschaftlichen Verhältnisse überdauern zwischenmenschliche Beziehungen, sie bilden strukturelle Verhältnisse, in deren Rahmenbedingungen Menschen tätig sind und die selbst nicht direkt von einzelnen Menschen oder kleineren Kollektiven verändert werden können. Meiner Meinung nach ist es für das Sprechen mindestens auf der gesellschaftlicher Ebene sinnvoll, den Begriff „Arbeit“ dem Begriff der „Tätigkeit“ vorzuziehen, um bei der Analyse der gesellschaftlichen Dimension nicht zu schnell wieder zurückzufallen in Vorstellungen, die die gesellschaftliche Dimension nicht in dieser Weise enthalten. „Arbeit“ ist ein analytischer Begriff, der die gesellschaftliche Dimension dessen, was Menschen für ihre eigene und die Re-Produktion ihrer Lebensbedingungen tun (wie sie dafür tätig sind etc…), erfasst.
Menschliche „Tätigkeiten“ müssen demnach gesellschaftstheoretisch als Moment gesellschaftlicher „Arbeit“ begriffen werden. Auf diese Weise ist der Begriff „Arbeit“ genauso menschenspezifisch überhistorisch wie jener der „Gesellschaftlichkeit“. Tiere haben ein „Sozial“-Verhalten, aber keine „Gesellschaft“.[2] Aber alle Menschen sind „gesellschaftliche Individuen“. Auf diese Weise sind alle Menschen in re-produktive „Arbeit“ eingebunden, ohne dass alle konkret „tätig“ sein müssen.[3] So wie man sagen kann „Menschen sind gesellschaftliche Wesen“ kann man auch sagen: „Menschen arbeiten“ – ohne dass jeder Mensch „tätig sein“ muss.
„Arbeit“ ist demnach ein recht abstrakter analytischer Begriff. Er spricht noch nicht über bestimmte Formen in unterschiedlichen Gesellschaftstypen. Es ist der „gegen seine Form gleichgültige“ (Hegel HW 10: 286) abstrakte Begriff.[4] Gleichwohl ist er gegenüber allen möglichen Aktivitäten und Tätigkeiten wiederum konkret, denn er bezieht sich auf etwas Besonderes: die Gesellschaftlichkeit der Menschen. „Tätigkeit“ ist der allgemeinere Begriff und umfasst alles, was Menschen tun, um etwas so zu verändern, dass ihre Zwecke erfüllt werden. „Arbeit“ ist demgegenüber der konkretere Begriff.[5] Aber er kann und muss weiter konkretisiert werden, wenn man über Arbeit unter unterschiedlichen gesellschaftlichen Bedingungen in unterschiedlichen gesellschaftlichen Verhältnissen spricht. Wenn ich mir die Haare wasche, bin ich natürlich tätig. Wenn ich es als Teil dessen betrachte, wodurch sich die Menschheit insgesamt re-produziert, kann ich das auch als Moment von Arbeit sehen. Ebenso z.B. das Stillen des Kindes. Natürlich bin ich dabei tätig, und gesellschaftlich gesehen (als „Arbeit“) dient es unserer Re-Produktion im wirklich direkten „Stoffwechsel mit der Natur“. Es kommt immer auf die Perspektive an: schaue ich etwas empirisch-konkretistisch an – oder in seiner gesellschaftlich-allgemeinen Bedeutung.[6]
Eine Kritik der Lohnarbeit ist inzwischen ziemlich einfach zu haben, deshalb spare ich sie mir hier. Und dass Menschen auch nach dem Kapitalismus tätig sein müssen, um sich und ihre Lebensbedingungen zu re-produzieren, ist wohl unstrittig. Harry Cleaver zeigte, dass das Ziel der von ihm beschriebenen autonomen Arbeiter(*)innenbewegung[7] darin bestand, „unsere Tätigkeiten – einschließlich jener, die wir jetzt ,Arbeit¢ nennen – dahingehend [… zu] reorganisieren, dass sie mit unseren eigenen Bedürfnissen frei vom kapitalistischen Kommando zusammentreffen“ (Cleaver 2012: 38).
Ich denke, dass diese Art von „Tätigkeiten“, die wir alle aufzählen können, aus gesellschaftstheoretischer Sicht doch wieder unter den Begriff „Arbeit“ fallen. Heutzutage wird häufig verboten, Menschen als besondere Tiere zu betrachten, um keiner „Hybris“ zu verfallen. Gleichzeitig ist es wohl unstrittig, dass nur Menschen reflektiert Verantwortung für ihr in die Natur eingreifendes Tun übernehmen können. Und in die Natur eingreifen müssen sie, sonst sind sie als leibliche Wesen nicht überlebensfähig. Deshalb ist die Marxsche Bestimmung der Arbeit als einer „von allen Gesellschaftsformen unabhängige Existenzbedingung des Menschen […] um den Stoffwechsel zwischen Mensch und Natur, also das menschliche Leben zu vermitteln“ (MEW 23: 57) meines Erachtens ein geeigneter Ausgangspunkt. Diese noch nicht gesellschaftsformbestimmte (also davon abstrahierende, aber das spezifisch Menschliche festhaltende) Bedeutungsbestimmung unterliegt dann Unterscheidungen verschiedener Formen. Arbeit im Kapitalismus ist eine davon (die in sich wiederum vielfältig differenziert ist).
Im Begriff der „Arbeit“ liegen aber noch weitere mögliche Bedeutungsmomente, die in der kapitalistischen Gesellschaft (und für die meisten Menschen zum größten Teil auch vorher nicht) noch nicht vollständig verwirklicht wurden. Im Wörterbucheintrag zur „Arbeit“ des Historisch-kritischen Wörterbuchs des Marxismus von Frigga Haug finde ich unter dem Punkt “Fern-Perspektive der A.“ viele davon:
- Arbeit wird „Erzeugung des materiellen Lebens als kollektive Selbsttätigkeit“ (Haug 1994: 41),
- Arbeit wird „menschliches Entwicklungsmedium“ (ebd.: 411)
- Die Erzeugung des materiellen Lebens ist für die Menschen „produktiver Genuß und Entfaltung ihrer Fähigkeiten“ (ebd.)
- „freie gemeinschaftliche Tätigkeit als Verwirklichung des Menschseins“ (ebd.: 416)
Das greift auch frühere utopische Vorstellungen der Arbeit auf:
- „daß die Arbeit schon allein durch die Vereinigung der Menschen zu gemeinsamen Schaffen angenehm und abwechslungsreich wird“ (Théodore Dézamy (1808-1850))
- Bei William Morris wird die künstlerische Selbstverwirklichung zu einem „notwendige[n] Teil der Arbeit jedes Einzelnen“ (Morris 1890/2004: 158f.)
- In H.G. Wells´ Utopie „Menschen, Götter gleich“ erlebte Mr. Barnstaple eine utopische Arbeitswelt: „Es schien Mr. Barnstaple, daß Arbeit im Sinn einer aufgezwungenen Bürde aus Utopia fast verschwunden war. Dennoch arbeitete ganz Utopia. Jeder leistete eine Arbeit, die seiner natürlichen Anlage angemessen war und die die Phantasie des Arbeitenden anregte. Jeder arbeitete mit Freude und Eifer – so wie jene, die wir auf unserer Erde Genies nennen.“ (Wells 1923/2004: 86)
Am Ende des Realsozialismus schien zumindest in gesellschaftstheoretische Schriften auch absehbar:
- „die Aufhebung aller Formen von Arbeit zum Ziel […] in denen die Werktätigen in ihrer Fähigkeitsentwicklung gehemmt werden“ (Brie 1990: 164) mit der Vision:
- jeder entwickelt sich „in allen seinen gegensätzlichen Eigenschaften, das heißt als Individuum, als Angehöriger verschiedenster Kollektive und Institutionen sowie als Mitglied der Gesamtgesellschaft, zum produzierenden Eigentümer, zum nutzenden, verfügenden und besitzenden Produzenten“ (ebd.: 137)
- in einer „positive[n] Durchdringung von Individualität und Gesellschaftlichkeit“ (H. Schmidt, zit. in ebd.: 163)
Dies unterliegt verschiedenen Bedingungen:
- „Der Produktionsprozeß selbst in seiner Komplexität muß direkt zum Prozeß der Erzeugung des individuellen Lebens werden.“ (Brie 1990: 108)
- Dies geschieht, „wenn die Arbeit nicht mehr selbst ein wesentlich begrenzender Faktor individueller Entwicklung ist“ (ebd.: 145),
- d.h. es muss darum gehen, „die Produktion in stets höherem Maße in ein Mittel der Entwicklung der Produzenten selbst zu verwandeln“ (ebd.: 121).
- Bei einer Minimierung der fürs einzelne Produkt notwendigen Arbeit durch Produktivitätssteigerung ist es möglich, erstens viel weniger notwendige Arbeit zu leisten und zweitens kann auch die materielle Arbeit dann Formen annehmen, die nicht mehr durch „Wirtschaftlichkeit“ bestimmt ist. Es können Automaten und unterschiedliche Agenzien für uns (dann nur noch im übertragenen Sinne) „arbeiten“ (vgl. MEW 42: 244).[8]
- Die Hoffnung muss nun darauf basieren, „die Individuen mit den gemeinschaftlich gewordenen Produktionsbedingungen progressiv zu verbinden und auf der Grundlage dieser Verbindung eine neue gesellschaftliche Produktivität freizusetzen“ (Brie 1990: 44)
- Gesellschaftlicher Nutzen und individuelle Arbeitsmotivation müssen übereinstimmen.
- …
Bedingungen sind das Vermittelnde zwischen Altem und Neuem. Indem sich/wir Bedingungen verändern, kommt Neues in die Welt. Das erfordert aber einen Anschluss an die jeweils vorhandene Form und damit eine Betrachtung der Kontinuität in der Diskontinuität einander ablösender Formen.
Es ist m.E. nicht zielführend, sich ein Ideal auszumalen und dann zu fragen: Wie kommen wir dahin, sondern es braucht ebenso das Anknüpfen an den Bedingungen, die wir wirklich verändern bzw. schaffen können und das Wissen um die Grenzen der Veränderbarkeit unter unseren Bedingungen in bestimmten Zeithorizonten.
Literatur
Arbeiterkomitee Porto Marghera (1970): Verweigerung der Arbeit. In: Booklet zum Film „Porto Marghera: die letzten Feuer“. Beilage zur Wildcat 78. S. 63-67.
Brie, Michael (1990): Wer ist Eigentümer im Sozialismus? Philosophische Überlegungen. Berlin: Dietz Verlag.
Cleaver, Harry (2012): „Das Kapital politisch lesen“. Eine alternative Interpretation des Marxschen Hauptwerks. Wien: mandelbaum kritik & utopie.
Haug, Frigga (1994): Arbeit. In: Historisch-Kritisches Wörterbuch des Marxismus. Band 1, Sp. 401 -422.
Hegel, Georg Wilhelm Friedrich (HW 10): Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse. Dritter Teil. Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 1986.
Holzkamp, Klaus (1983): Grundlegung der Psychologie. Frankfurt, New York: Campus.
Marx, Karl (MEW 23): Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie. Erster Band, Buch I: Der Produktionsprozeß des Kapitals. In: Karl Marx, Friedrich Engels, Werke Band 23. Berlin: Dietz Verlag 1962.
Marx, Karl (MEW 42): Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie. In: Karl Marx, Friedrich Engels, Werke Band42. Berlin: Dietz Verlag 1983. S. 47-768.
Morris, William (1890/2004): Kunde von Nirgendwo. Ein utopischer Roman. Osnabrück: Packpapier Verlag.
Tronti, Mario (1965): Vorwort zur Neuherausgabe einer überarbeiteten Übersetzung von Mario Tronti: Marx, Arbeitskraft, Arbeiterklasse. Erste Thesen (1965), als TheKla 9. (abgerufen 2015-12-12)
Wells, Herbert George (1923/2004): Menschen, Göttern gleich. München: Deutscher Taschenbuch Verlag.
[1] Solch eine Charakteristik für übergreifende Entitäten wird auch „Emergenz“ genannt.
[2] Auch Tiere leben in Sozialverbänden, haben aber keine gesellschaftlich-historische Entwicklung (vgl. Holzkamp 1983: 167ff.)
[3] Der emergierende Charakter der Gesellschaftlichkeit zeigt sich daran, dass es zwar gesamtgesellschaftlich notwendig ist, dass die Gesellschaft sich reproduziert, dass diese Notwendigkeit sich aber nicht in der unmittelbaren Notwendigkeit für jedes Individuum, daran beizutragen, zeigt. Der einzelne Mensch kann „prinzipiell auch dann seine Existenz erhalten […], wenn er sich nicht an der Erhaltung dieses ›Systems‹ beteiligt.“ (Holzkamp 1983: 235)
[4] Zum dialektischen Verhältnis von Materie – Form – Inhalt siehe hier: https://philosophenstuebchen.wordpress.com/2009/12/29/dialektik-des-neuen-vii-7-inhalt-form-dialektik/, https://philosophenstuebchen.wordpress.com/2014/01/12/materie-form-inhalt/, https://philosophenstuebchen.wordpress.com/2012/11/19/produktions-und-eigentumsverhaeltnisse/
[5] Genauer gesagt, es sind unterschiedliche Typen von Begriffen. Der Begriff „Tätigkeit“ erfasst seinen Begriffsumfang (auch „Extension“ genannt). Bei der „Arbeit“ geht es um die inhaltliche Bedeutung, also einen Begriffsinhalt (die „Intension“). Man könnte die „Venus“ z.B. extensional unterteilen in ihre Erscheinungen als Morgenstern und als Abendstern. Intensional ist bei der extensionalen Unterteilung derselbe Inhalt gemeint.
[6] Es geht deshalb nicht um eine klassifizierende Trennung: Dies gehört hierzu, jenes gehört woanders hin, sondern ein und dasselbe kann unter dieser oder jener Perspektive gesehen werden.
[7] Das Sternchen steht in Klammern, weil die Diversität in den damaligen Schriften noch nicht so klar ausgedrückt wurde und ich das nachträglich ergänzt habe.
[8] Angesichts der aktuellen Lage muss jedoch beachtet werden, dass bisher schätzungsweise ca. ein Drittel der Produktivitätsentwicklung der letzten 150 Jahre durch das Ersetzen von lebendiger Arbeit durch fossile Energien ermöglicht wurden. Dies fällt nun (hoffentlich bald) weg und gleichzeitig erfordert die Reproduktion der natürlichen Zusammenhänge und der Ausgleich von klimawandel- und ökokatastrophenbedingten Zerstörungen mehr und mehr zusätzliche notwendige Arbeit.
Mai 13, 2021 at 1:19 pm
Erstmal danke für diesen schriftlichen Beitrag zu unserer Debatte, jetzt komme ich endlich mal dazu, zu kommentieren.
Viele deiner Argumente verstehe ich, aber hier würde ich dir widersprechen:
„Zweitens wird bei einem Wechsel der Bezeichnung von „Arbeit“ zu „Tätigkeit“ nur den Bruch zwischen beiden, also die Diskontinuität betont.“
So wie Simon, Stefan, ich u.a. die Begriffe benutzen, würde ich Arbeit selbstverständlich auch als Tätigkeit verstehen, eben eine bestimmte Form der Tätigkeit. Genauso wie du Lohnarbeit als Form der Arbeit verstehst. Damit lassen sich meines Erachtens genauso gut die Kontinuitäten und Diskontinuitäten in den Formwechseln zwischen den verschiedenen historischen Epochen diskutieren, aber auch die Frage wie und warum bestimmte Tätigkeiten im Kapitalismus die Form von (Lohn-)Arbeit annehmen und andere nicht. Unter Umständen ermöglicht das sogar noch mehr Differenzierung, da unter Arbeit weitergefasst auch andere entfremdete und von Herrschaft geprägte Formen der Tätigkeit wie die Reprodukitonsarbeit gefasst werden können, ohne den Begriff gleichzeitig mit jeder gesellschaftlichen Tätigkeit gleichzusetzen.
Den Punkt, dass Tätigkeit ein Begriff ist, der sehr auf der konkreten, individuellen Ebene ansätzt und Arbeit mehr die gesellschaftlichen Dimensionen in den Mittelpunkt rückt, finde ich bisher das beste Argument für eine überhistorische Verwendung des Arbeitsbegriffs. Wenn er aber nicht klassifizierend (für die Untescheidung verschiedener Tätigkeiten) gemeint ist, frage ich mich trotzdem warum wir diesen Begriff brauchen und diese gesellschaftliche Dimension nicht einfach umschreiben können, im Sinne von: Menschen sind tätig, aber nicht isoliert, sondern im gesellschaftlichen Zusammenhang; sie stellen ihre Lebensbedingungen gesellschaftlich her; etc.
Eine Klassifizierung in gesellschaftliche und ungesellschaftliche Tätigkeiten hingegen hätte wieder eigene Probleme, aber auf die willst du ja nicht mehr hinaus, wenn ich dich richtig verstehe.
Mai 18, 2021 at 10:10 am
„…diese gesellschaftliche Dimension nicht einfach umschreiben können, …“
Weil das nicht geht, wenn Du wirklich Gesellschaftstheorie machst und nicht nur irgendwas irgendwem mal schnell erzählen willst. In einer Gesellschaftstheorie wird dann zum Beispiel von Arbeitsmitteln, Arbeitsgegenständen, Arbeitsteilung, Arbeitsinhalten… gesprochen, statt jedes Mal sagen zu müssen: „Mittel für das, was wir die gesellschaftliche Dimension der Tätigkeit meinen“. Oder „Teilung von dem, was Menschen tun, wenn sie nicht isoliert, sondern gesellschaftlich tätig sind“.
Mai 16, 2021 at 1:31 pm
Hallo Jojo,
du schreibst: „würde ich Arbeit selbstverständlich auch als Tätigkeit verstehen, eben eine bestimmte Form der Tätigkeit.“ Ja, als „bestimmte Form“ musst Du die besondere Bestimmung dieser Form aber auch benennen.
Mir ist noch aufgefallen, dass die Unterscheidung von Tätigkeit und Arbeit auch noch folgende Bedeutung enthält: Tätig ist ja in irgendeiner Form jede*. Aber unter ausbeutenden gesellschaftlichen Bedingungen arbeitet nicht jede*r. Früher wurde dann für die Abschaffung der Ausbeutung gefordert: „Alle müssen arbeiten“ (das richtete sich ja nie gegen die, die sowieso schon arbeiten, sondern sollte auch für jene gelten, die sich herausnahmen, es nicht zu tun). Heute fordert ihr: „Niemand soll mehr arbeiten, alle sind sowieso irgendwie tätig.“
Aber in diesem „irgendwie tätig“ wird ein Schleier darüber gelegt, dass doch eventuell nur wieder einige in der von dir auch „bestimmten Form“ genannten Weise „tätig sind“ und andere eben nicht… Das verschleiert die Fragestellung nur. Ich denke, unter möglichst „freien“ Bedingungen wird es immer ein gesellschaflticher Aushandlungsprozess sein, was als „Arbeit“ zählt und wie die verteilt wird. Um dies überhaupt als Thema verhandeln zu können, braucht man den Begriff dafür, statt alles im Wischiwaschi verschwinden zu lassen.
Mai 18, 2021 at 10:06 am
Ja, ich denke, wir können nicht genau im Vorhinein festlegen, was Arbeit ist und was „nur“ Tätigkeit. Als ein Kriterium dafür ist mir in einem Gespräch eingefallen: Arbeit ist das, worauf die Menschen nicht verzichten können, um sich zu reproduzieren. Also das, was „statistisch gesehen“ zwar nicht auf einzelne Menschen „runtergebrochen“ werden kann, was aber „gesellschaftlich-durchschnittlich“ gesehen notwendig ist.
Mai 19, 2021 at 11:19 am
Mir ist noch was eingefallen: „Arbeit“ ist etwas Umfassenderes, das die Arbeits“tätigkeit“ nur als Moment enthält: Siehe Abschnitt zur „Arbeit“ in: https://philosophenstuebchen.wordpress.com/2020/03/30/dialektik-als-logik-welcher-entwicklung-2/.
„Die Momente der Arbeit: zweckmäßige Tätigkeit, Arbeitsgegenstand und Arbeitsmittel sind inhaltlich bestimmt nur durch ihren Bezug aufeinander, dabei hat das Arbeitsmittel eine vermittelnde Funktion zwischen Arbeitssubjekt und -objekt. Die Tätigkeit muss sich nach der sachlichen Bestimmtheit der beiden anderen Momente richten, das Objekt muss eine Umformung entsprechend der Zwecke ermöglichen und das Arbeitsmittel muss geeignet sein, das Gegebene entsprechend den Zwecken tatsächlich umzuformen.“