Bisher habe ich in meinen Berichten zur Ferienuni Kritische Psychologie mein Interesse an politischem Handeln vom Subjektstandpunkt aus betont. Aus der Sicht des Fachs Psychologie wird als Praxisthema eher das psychische Leiden und der Umgang damit thematisiert. Auch hier sollte eine aus der Perspektive des Subjektstandpunkts analysierende und agierende Kritische Psychologie ihre Vorzüge zeigen.

Leider konnte ich dazu auch nur wenige Veranstaltungen besuchen. Eine davon wurde von Ariane Brenssell gestaltet (siehe auch eine Veröffentlichung von ihr). Sie zeigte anhand mehrerer Beispiele auf, dass in der öffentlichen Wahrnehmung die Auswirkungen von problematischen Lebensverhältnissen vor allem als psychische „Krankheiten“ thematisiert werden und damit die gesellschaftlichen Verhältnisse systematisch „entnannt“ werden. Dabei ist ziemlich gut untersucht, dass beispielsweise psychische Leiden in Kulturen stärker verbreitet sind, in denen es eine starke Einkommensungleichheit gibt (vgl. das Interview mit Kate Pickett in der taz). Alain Ehrenberg etwa sieht die Zunahme der Diagnose „Depression“ darin begründet, dass in der derzeitigen gesellschaftlichen Entwicklung zwar die Verantwortlichkeit aller Akteure stark gewachsen ist, gleichzeitig aber nur ein sehr eingeschränkter Zugang zu den Bedingungen dafür möglich ist.

Als Spezifikum der derzeitigen Krisensituation (vgl. „Krise des Kapitalismus – Krise des Subjekts“) betonte Ariane den Zugriff auf die Würde der Menschen, was sich vor allem auch beim Streik bei Gate-Gourmet zeigte (vgl. etwa den Bericht im Buch “Auf den Geschmack gekommen“). Der renditeorientierte Umgang mit menschlichen „Ressourcen“ beschneidet vor allem die Möglichkeiten, überhaupt Alternativen zu denken und zu leben. Alternative Konzepte werden nicht argumentativ bekämpft, sondern ökonomisch „ausgetrocknet“. Unter diesen Bedingungen sind psychische Probleme immer schwerer als Moment gesellschaftlicher Verhältnisse zu thematisieren. Artikulationsräume für Probleme verschwinden.

Welche Perspektiven bleiben uns noch? Obgleich es schwer ist, sollten an allen möglichen Stellen die Bedingtheitsdiskurse in Begründungsdiskurse umgewandelt werden. Ariane Brenssell stellte ein eigenes Projekt vor: Sie möchte gern für die Probleme, die im allgemeinen in einer medikalisierten Sprache als „psychische Erkrankung“ angesprochen werden, neue Denk- und Sprachmöglichkeiten finden (und später als Buch veröffentlichen). Dabei würde das Leiden nicht ausradiert, aber als Teil der gesellschaftlichen Verhältnisse gedacht und formuliert. Obwohl Begründungsmuster jeweils nur individuell gelten und nicht einfach verallgemeinernd auf andere übertragen werden können, können exemplarische Begründungsmuster anderen helfen, ihre Probleme denken und handhaben zu können.

Ich finde diesen Ansatz sehr wichtig. An vielen Stellen erweckt die Kritische Psychologie den Eindruck, durch die Thematisierung der gesellschaftlichen Verhältnisse das individuelle Leiden oder auch die individuelle innerpsychische Eigenart zu negieren. Auch bei Themen, die nicht unbedingt Leiden betreffen, sondern z.B. Hochbegabung (wozu es auch eine Veranstaltung gab), wird nur argumentiert, dass das „Konzept Hochbegabung“ natürlich in dieser Gesellschaft als Argument für Elitenbildung genutzt wird… Menschen mit besonderen Fähigkeiten, die ja doch ziemlich besondere Erfahrungen machen, fühlen sich dadurch aber auch wieder ausgeschlossen und in ihrer Besonderheit negiert.

Auch in bezug auf psychisches Leiden findet man in der Kritischen Psychologie auch eher ideologie- und diagnosekritische Studien als ein Ernstnehmen der individuellen Befindlichkeit. Leider konnte ich an mehreren Veranstaltungen, die sich beispielhaft mit der „Depression“ beschäftigten, nicht teilnehmen, deshalb weiß ich nicht, wie das dort gehandhabt wurde. Vielleicht mag jemand anders dies irgendwo berichten, bzw. Literaturhinweise dazu ergänzen?