Christina Kaindl ging in ihrem (ersten) Beitrag auf der Ferienuni Kritische Psychologie zuerst auf Diskussionsbeiträge zu ihrem Vorredner ein. Dadurch wurde mir dann nicht ganz klar, wo der Inhalt ihres eigenen Vortrags begann. Sie betonte – wieder mit Gramsci – die Bedeutung der jeweiligen kulturellen Voraussetzungen für bestimmte historische Ausprägungsformen des Kapitalismus.


Während der Auftaktveranstaltung

Schon das Zeitalter des sog. Fordismus war verbunden mit weitreichenden kulturellen Veränderungen. Es gab Kampagnen zur Einführung einer entsprechenden Lebensweise, Monogamie und Abstinenz wurden regelrecht propagiert. Bei Ford kamen die „Lebensweisekommissionen“ sogar nach Hause. Es entstand eine Konstellation, bei der das Emotionale auf die Freizeit zu Hause verlagert wurde: „Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein“. Die Härte der Arbeit wurde ertragen wegen dem Gewinn an relativer sozialer Sicherheit und Teilhabe am sozialen Leben auf einem Niveau, das für akzeptabel gehalten wird. Emotionalität entfaltet sich vorwiegend nur in den restriktiven Formen, das Arbeitsleben wird von der emotionalen Innerlichkeit getrennt, denn „wenn ich ernst nehmen würde, wie es mir geht, wenn ich auf Arbeit gehe, würde ich vielleicht was ändern müssen“.

Mit dem Voranschreiten neoliberaler Verhältnisse gehen diese Kompromisse verloren. Leider gelangten wir erst eine Viertelstunde vor Ende der Veranstaltung zu diesen aktuellen Themen. Ich hätte erwartet, dass ich mehr erfahre über die aktuellen Wandlungen und die Ergebnisse von Untersuchungen, die möglichst auch noch in Begründungsdiskursen gewonnen wurden.

Aber erst einmal zurück zum Wandel vom sog. Fordismus zum sog. Postfordismus oder Toyotismus, was letztlich den Einzug des Neoliberalismus bedeutete. Hier wurden bestimmte Kritiken am Fordismus aufgegriffen. Anstatt sehr hierarchischen Herrschaftsverhältnissen und zumeist monotonen Arbeitsabläufen entstanden flachere Hierarchien und Kreativität wurde für immer mehr Arbeitsvorgänge zur Voraussetzung. Gleichzeitig nahmen jedoch die Auflösung der früheren Sicherheiten zu, Niedriglöhne und prekäre Arbeitsverhältnisse nahmen überhand. Im Bild des prekären Künstlers wird beides beschreibbar. Der „Arbeitskraft-Unternehmer“, der aus dem Hobby, Senf zu kochen, eine kleine Selbständigkeit aufbaut, wurde zum Ideal. Während Marx noch schreib, dass die Menschen sich nur außerhalb der Arbeit bei sich fühlten, „ist das jetzt anders herum: Sie fühlen sich bei sich, wenn sie sich halb tot arbeiten“.

Alain Ehrenberg stellte außerdem fest, dass beim fordistischen Kompromiss noch erkennbar war, dass es ein Kompromiss ist, dass dahinter Verhandlungen und Kämpfe stecken, die man immer wieder neu führen kann. Jetzt dagegen wird die Prozesshaftigkeit verborgen hinter der scheinbaren Selbstverständlichkeit dieser Selbstausbeutung.

Christina Kaindl stellte dann die Frage in den Raum, wie sich die Selbsterklärungen in den Bedeutungen dabei verändern, kam jedoch nicht zu Antworten.

Noch spannender wird das Ganze, wenn man die Verschärfung der allgemeinen Krise seit 2008 betrachtet. Die großen Versprechungen müssten eigentlich zusammen gebrochen sein, doch immer noch gibt es „viele Möglichkeiten, die Widersprüche zu denken, ohne sie gegen die zu richten, die sie verursacht haben“ (z.B. die Verlagerung auf die „Faulen Griechen“…). Gleichzeitig öffneten sich die Debatten insoweit wieder, als zum Teil der fordistische Vertrag (harte Arbeit gegen Sicherheit und Wohlstand) wieder eingefordert wird und eine Debatte um Demokratie und Reichtum neu entfacht wurde. Mit der Erkenntnis „Ihr vertretet uns nicht“ wird die Handlungsmacht zumindest teilweise wieder einmal eingefordert.

In der Diskussion entstand eine kleine Debatte, in der die Art und Weise von Christinas Herangehen so interpretiert wurde, als würde sie nur –„über die Leute“ reden („Wenn ich Christina noch eine Weile zuhören könnte, würde ich wissen, wie die Leute denken…“). Das wäre ja der von der Kritischen Psychologie überdeutlich kritisierte „Außenstandpunkt“. Dagegen verwahrte sich Christina mit der Bemerkung, die Beispiele einer Bedeutungsanalyse würden für sie nur bedeuten, „dass das im Prinzip möglicherweise folgendes nahe legt“, dass sie damit aber niemandem etwas überstülpen wolle. Letztlich liegt das Primat bei den Betroffenen und sie versucht nur, „das zu rekonstruieren“, wobei eine der Kritischen Psychologie (Kap. 9 der „Grundlegung“) entsprechende Forschungsweise leider wegen mangelnden Kapazitäten noch nicht ausgearbeitet werden konnte.

Auch Sahra Büsse sprach in ihrem Beitrag zum Thema „Subjekt und Handlungsfähigkeit“ lediglich von einer „Rekonstruktion des Subjektstandpunkts“, der mich mit meiner Vorstellung von richtigen Gesprächen zwischen Menschen im Begründungsdiskurs-Modus irgendwie falsch verankert zeigte. Sollte es tatsächlich so sein, dass die VertreterInnen der Kritischen Psychologie ihre Praxis völlig anders verstehen, als ich es aus dem Konzept entnehme? (Mehr dazu noch mal hier)