Mal schnell nebenbei… gehe ich heute auf einen Kommentar zu dem gestern genannten Beitrag ein, weil er mich interessiert. Es geht um den Kommentar 16 (leider kann ich nicht direkt auf den Kommentar mit dieser Nummer verlinken), der die Beziehung zwischen Produktionsverhältnissen und Eigentumsverhältnissen als Beziehung zwischen Inhalt und Form betrachtet.

Dazu nun ein (für Philosoph_innen) kürzerer Kommentar, der für Philosoph_innen eine „Anwendung“ für Hegelianische Kategorienlehre bietet, für politisch Interessierte die Ergebnisse aus einem kurzen Eintauchen in die dialektische Werkzeugkiste vorstellt:

@16 „Weil weder ETV ein Moment der PV sein kann noch umgekehrt, sondern sich wie Inhalt und Form verhalten,…“

Das hats mich denn doch gejuckt, mal wieder (WAKis werden sich vielleicht erinnern ;-)) ein wenig in die Inhalt-Form-Philosophie einzusteigen. Ich gehe mal davon aus, dass hier angenommen wird, die Produktionsverhältnisse seien der Inhalt und die Eigentumsverhältnisse die Form (das lese ich auch aus einer späteren Zeile des Kommentars heraus, auf den ich mich beziehe).

Was denke ich mir dabei, wenn ich irgendetwas in den Kategorien „Inhalt“ und „Form“ denke? Letztlich gibt es keinen bestimmen Inhalt ohne eine bestimmte Form. Bestimmte Formen ohne bestimmte Inhalte gibt es. Aus diesem Grund sind „Inhalt“ und „Form“ nicht ganz symmetrisch aufeinander bezogen. Welche Kategorien sind es nun, die eigentlich zusammen gehören? Hier gibt uns der so tödlich langweilige und umständliche, dafür aber präzise Denker Hegel genau die richtige Antwort: Wir müssen noch eine weitere Kategorie hinzunehmen, um das Verhältnis von Inhalt und Form zu begreifen: die „Materie“. „Materie“ führt Hegel als Begriff für etwas ein, das etwas formloses Unbestimmtes ist (WdL II: 88). (Das sieht Engels übrigens auch so: „Materie an sich“ ist nichts wirklich Existierendes, sondern wegen seiner Unkonkretheit nur etwas, was abstrahierend gedacht wird, siehe auch bei Hegel Enz.I: 261)). Hegel braucht diesen Begriff eigentlich nur als Ausgangsbegriff, um später zum Begriff „Inhalt“ zu kommen. Wie geschieht das nun im Einzelnen (und was heißt das in jedem Schritt für unsere Beziehung zwischen PV und ETV?):

Nochmal: Die Materie „ist das gegen die Form gleichgültige“ (WdL II: 89). Genau so sind auch die von uns gedachten Produktionsverhältnisse, wenn wir von allen konkreten historischen Formen abstrahieren, so etwas. (Klar, wir haben von der Form abstrahiert, also sind sie gegen die Form gleichgültig…). Aber wir wissen ja schon, dass das nicht so bleibt, unser Denken muss vom Abstrakten zum Konkreten voranschreiten (ja, Marx und Dialektik…). Wie kommen nun Materie und Form (PV als solche und bestimmte ETV) zueinander und was entsteht daraus?

Es gibt nun, und Hegel spielt sie auch durch, eine Denkweise, in der die ETV als die „Bestimmer“ auftauchen: Die Materie wird von der Form (als von einem ihr Äußeren) bestimmt (ebd.: 92) – d.h. die ETV bestimmen die PV. Okay. Prima. Es scheint also nicht ganz verkehrt zu sein, dass die ETV tatsächlich das Bestimmende für die PV sind.

Aaaber: bei Hegel geht es (leider/glücklicherweise) meist noch weiter, negierend, das Vorherige aufhebend (d.h. kritisierend und darauf aufbauend). Denn es geht noch weiter („Es genügt nicht die einfache Wahrheit“ schrieb Volker Braun mal in der DDR):

„Das, was als Tätigkeit der Form erscheint, ist […] ebensosehr die eigene Bewegung der Materie selbst“ (ebd.). Was als Bestimmung der PV durch die ETV erscheint, ist ebensosehr die Bewegung der PV selbst. „Die Materie bestimmt ebensowohl sich selbst, als dies Bestimmen ein für sie äußerliches Tun der Form ist…“ (ebd.)

Wir haben mindestens zwei Hinweise, welche der Betrachtungsweisen die weiter entwickelte ist (die Betrachtungweise, dass die ETV die PV bestimmen, oder jene, nach der es die Bewegung der PV selbst ist, die zu dieser Bestimmung führt). Einmal steht im Zitat das Wort „erscheint“ und alles was im Fortschreiten der Erkenntnis nur erscheint soll im Wesen eine Begründung finden. Zum Anderen wird das Bestimmen der Materie (der PV) durch die Form (die ETV) als „äußerliches Tun“ betrachtet, und alles nur Äußerliche soll in das Begreifen von inneren Zusammenhängen hineingelangen.

Das haben wir eigentlich schon erreicht in dem Satz: „Was als Bestimmung der PV durch die ETV erscheint, ist ebensosehr die Bewegung der PV selbst.“ Die durch das „ist ebensosehr“ ausgedrückte Einheit von (unbestimmter, abstrakter) Materie/PV und Bestimmung durch die Form/ETV ist… der langersehnte Begriff „Inhalt“. Der Inhalt ist geformte Materie, denn Inhalt ist immer bestimmt durch die Form.

Wenn man sich nun die Beziehung der Begriffe „Materie“, “Form“ und „Inhalt“ zueinander vorstellt, so stehen „Materie“ und „Form“ quasi nebeneinander, als einander ergänzend (das Eine ist unbestimmt/wird durch das Andere bestimmt, das Andere bestimmend das Eine) – ihre „höhere“ Einheit ist der „Inhalt“. Wenn also irgendwo etwas von „Form-Inhalt-Dialektik“ oder so gesagt wird oder man sagt, dass etwas sich wie „Form und Inhalt“ verhält, so muss etwas präziser überlegt werden ob man an der jeweiligen Stelle tatsächlich den „Inhalt“ als Gegenpart zur „Form“ meint, oder doch eher die „Materie“ (ich gebe zu, dass kaum jemand diese ganzen Spitzfindigkeiten kennt; ich meine aber, dass sie das Denken viel präziser machen können, und manchmal kommts eben darauf an, wenn man nicht ewig aneinander vorbei reden will).

Wir verwenden die Begriffe PV und ETV häufig dafür, um jeweils Gründe zu kennen für die gegenwärtigen Phänomene in der Welt. Dies und das ist ist eben „durch die PV/ETV begründet“. Die Kategorie „Grund“ hat Hegel natürlich in dieses Begriffsnetzwerk auch eingewoben. Da sieht es dann so aus:

Die „Form“ ist das Tätige, die „Materie“ die Grundlage, aber der Grund ist der „Inhalt“. Der Inhalt ist das übergreifende Verhältnis und ein Verhältnis ist eine „Einheit der Beziehung auf sich und die Beziehung auf Anderes“ (Enz.I: 267). Die konkreten PV sind durch die ETV bestimmt, aber nicht, indem die ETV einfach äußerlich „hinzukommen“, sondern aufgrund der eigenen Bewegung der PV.

Geht das auch umgekehrt? Entwickeln sich die ETV einfach durch ihre eigene Bewegung weiter und bestimmen dann die PV? Meiner Meinung nach und der realsozialistischen Erfahrung nach nicht. Das Übergreifende (der Inhalt) sind die PV, die ETV gehören zu den (durch sie ausgebildeten und sie bestimmenden) Formen. Man kann, und das macht Hegel auch an „Inhalt“ und „Form“ deutlich, nicht sagen, das eine sei wesentlich und das andere unwesentlich. Nein, beide sind wesentlich. Aber: „Die Bestimmtheit des Inhalts ist… die Grundlage für die Form“ (WdL II: 96).

Die Bestimmtheit der PV, wie sie in ihrer Bewegung entstanden ist, ist also die Grundlage für die ETV. Und wie wir die PV weiter entwickeln, können sich die ETV weiter mit verändern.

Diese Unsymmetrie der Beziehung zwischen „Inhalt“ und „Form“ entwickelt sich dann auch in den Begriffsbildungen bei Hegel (in der Enz.I) weiter zum Verhältnis des Ganzen und der Teile: „Der Inhalt ist das Ganze und besteht aus den Teilen (der Form)…“ (Enz.I: 267) Damit wären wir dann bei meiner den Kommentar auslösenden Bemerkung, „ETV sind Moment der PV und nicht umgekehrt.“