Ein Dauerbrennerthema bei uns in der Zukunftswerkstatt ist die Frage nach der Rolle der Art und Weise der Energieversorgung für die menschliche Entwicklung.
Die menschliche Geschichte ist – wenn wir den Entwicklungsstrang betrachten, der zur kapitalistischen Wirtschafts- und Lebensweise führte – ein Prozess, in dem „schrittweise ökonomisch effektivere Formen der Surplus-Produktion verwirklicht“ wurden (Tjaden 1992: 16). Nach Tjaden besteht der grundlegende geschichtsbildende Widerspruch „zwischen menschlichen Lebensbedürfnissen und natürlichen Lebensbedingungen“ und Geschichte bildet sich aus der „schrittweise erfolgreicher werdende[n] Handhabung dieses Widerspruchs“ (ebd.: 112). Dabei werden menschliche und natürliche Energien immer mehr konzentriert, bzw. kombinierend zusammengefasst für die jeweiligen Arbeitszwecke, wobei die Arbeitsfähigkeit wächst (ebd.: 55).
Neben Stoffumwandlungen spielen dabei vor allem auch Umlenkungen und Umwandlungen von Energieströmen und -ressourcen eine große Rolle. Angesichts der erreichten Grenzen der Nutzung fossiler Energiequellen und auch der absehbaren Grenze Aufnahmefähigkeit der erzeugten „Abwärme“ liegt die Frage nahe, wie derartige ökologische Beschränkungen die menschliche Entwicklung in Zukunft beeinflussen.
Ich habe dazu nun im Zukunftswerkstatt-Wiki eine Seite „Energie und menschliche Geschichte“ eingerichtet.
Hier werden Leseergebnisse, Literaturhinweise und Links gesammelt. Weitere Tipps und Hinweise hier in den Kommentaren werden gerne aufgenommen und dort ergänzt.
(Quelle des Bildes oben: rp-online)
Februar 6, 2012 at 7:55 pm
„Nach Tjaden besteht der grundlegende geschichtsbildende Widerspruch „zwischen menschlichen Lebensbedürfnissen und natürlichen Lebensbedingungen“ und Geschichte bildet sich aus der „schrittweise erfolgreicher werdende[n] Handhabung dieses Widerspruchs“ (ebd.: 112). Dabei werden menschliche und natürliche Energien immer mehr konzentriert, bzw. kombinierend zusammengefasst für die jeweiligen Arbeitszwecke, wobei die Arbeitsfähigkeit wächst (ebd.: 55).“
Ohweh, da komme ich ja in Versuchung, Althussers Warnung vor einen „sozialistischen Humanismus“, (der die Kategorien Produktivkräfte, Produktionsverhältnisse, Klassenkämfe usw. durch „Menschen“ und „menschliche Bedürfnisse“ ersetzt) zu folgen.
Zu Hermann Tjaden hatte ich 2008 mal was verfasst.
http://oekohumanismus.wordpress.com/2008/09/30/wie-produktivkraftentwicklung-produktionsverhaltnisse-in-frage-stellt/
http://oekohumanismus.wordpress.com/2009/05/05/kh-tjadens-fetischfetisch-um-den-begriff-produktivkrafte/
Gruß hh
Februar 6, 2012 at 8:42 pm
Zum ersten Deiner Texte über Tjaden: Der von Dir zitierte Text ist nur eine grobe Zusammenfassung, in dem vieles ausgelassen ist, worum es Tjaden geht. In seinem Buch von 1992 (Mensch-Gesellschaftsformation-Biosphäre) lässt sich nachlesen, was Tjaden statt der zurückgewiesenen Formeln selbst entwickelt hat.
Tjaden weist bestimmte zu vereinfachte Redewendungen zurück. Da setzt Du an, verteidigst sie und versuchst ihre Anwendung zu rechtfertigen. Ich weiß nicht, ob Dein Kommentar hier so zu verstehen ist, dass mit Deinen Kommentaren von 2008 alles zu Tjaden gesagt sei…
Ich würde Dir da schon empfehlen, mehr Substantielles von ihm zu lesen, damit klar wird, was er mit den kurzen Bemerkungen in dem Artikel meint. In dem eben genannten Buch von 1992 jedenfalls macht er nach der Ablehnung der Vereinfachungen sehr ernst zu nehmende und weiter führende Vorschläge. Dazu muss man sich dann aber auf Neues einlassen, während ich bei Dir erst mal nur Abwehr spüre.
Februar 6, 2012 at 10:42 pm
„Tjaden weist bestimmte zu vereinfachte Redewendungen zurück.“
Nunja, in dem Artikel auf den ich mich beziehe ( http://www.linksnet.de/de/artikel/23986 ) bezweifelt er die Möglichkeit eines „zukunftsfähigen Marxismus“ indem er den selbstgebauten Buhmann „marxistische Weltanschauung“ angreift (mit Argumenten gegen eine über allem stehende Welterklärung/Philosophie, die vielleicht eher auf Hegel zielen) und nennt daraufhin drei Dinge, die er für Marx theoretische Blackouts bzw. dessen Erkenntnislücken hält.
1) Marx Begriff von Bewusstsein bleibt unbestimmt, unterliegt einem Dualismus von Körper und Geist. (Seltsamerweise hebt er im gleichen Atemzug den Verdienst von Marx Fetischanalyse hervor, die seine erste Behauptung gerade nicht untersttzt).
2) Marx hat keinen ausgefeilten Begriff von Gesellschaft. Die müsse als Vermittlungsinstanz zwischen Menschen und zwischen Mensch und Natur definiert werden, was Marx in Bezug auf Arbeit oder Produktionsverhältnisse macht. Ich halte das Bedürfnis nach einem fixen „Begriff von“ (Bewusstsein, Gesellschaft und was immer) im brigen
für ein Entfremdungshänomen.
3) Marx unterliegt einer „ökonomistisch-mechanistischen Denkweise“ bezüglich des konkreten Stoffaustausch mit der Natur (wofür es m.E. keine Anzeichen gibt) und hätte deshalb den Zusammenhang zwischen Üerbevölkerung und Naturübernutzung runtergespielt. (Was allerdings auch ein allzu platte Sichtweise darstellt)
Dann zählt er „drei ‚marxistische‘ Begriffe, von denen man besser die Finger lassen sollte“ auf, nämlich „Produktivkräfte“, „Dialektik von Produktivkräften und Produkionsverhältnissen“ und .“Basis und Überbau“, also exakt die zentralen Kategorien des Marxschen Denkens.
Ersteres sei ein „schillerndes Allerweltswort, das zu verdinglichendem Gebrauch zu reizen scheint“, was die Sache ja nun klassisch auf den Kopf stellt. Das heißt, er unterschiebt der eigenen Verdinglichung des Begriff, dass der (!) (also der Begriff) zu „einem verdinglichenden Gebrauch reizen“ würde! Die Verdinglichung entspringt für Tjaden also nicht den entfremdenden Verhältnissen sondern … nunja, der (in dem Fall sogar durch ihm selbst vorgenommenen) Verdinglichung. In seinem Klagen über die Unbestimmtheit (wieder so ein „Ding“) des Begriffs scheint mir auch wieder die philosophische Marotte wirksam, für alles unbedingt einen einfürallemal fixierten „Begriffe von“ haben zu müssen.
Wenn Tjaden zur Wechselwirkung von Produktivkraftentwicklung und Produktionsverhältnissen“ meint, der „gedankenlose Gebrauch dieser Begriffe haben bislang meist nur vom Erfordernis abgelenkt, die Realitäten der gesellschaftlichen Produktion und Reproduktion in einer Produktionsweise zu untersuchen“, so bin ich ja bi ihm. Aber wieder macht er den Begriff und zwar dessen „gedankenlosen Gebrauch“ für die Wirklichkeit (des gedankenlosen Gebrauchs) verantwortlich.
„Ich weiß nicht, ob Dein Kommentar hier so zu verstehen ist, dass mit Deinen Kommentaren von 2008 alles zu Tjaden gesagt sei“
Nein, so etwas würde mir nicht in den Sinn kommen. Es ist eine kritische Anmerkung zu seiner hier dargstellten Position, dass „der grundlegende geschichtsbildende Widerspruch „zwischen menschlichen Lebensbedürfnissen und natürlichen Lebensbedingungen“ (und deren immer besseren Handhabung) sei. Das hat mich an Althussers Warnung gegen den „teoretischen Humanismus“ erinnert,in seiner Schrift „Für Marx“, wo er sich beklagt, dass die „wissenschaftlichen Begriffe Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse durch die unwissenschaftlichen Bgriffe „Menschheit“ oder „Menschlichkeit“ ersetzt seien (was ich im Übrigen auch für ein Verdinglichungsproblem halte und diese Position deshalb ablehne)
„Ich würde Dir da schon empfehlen, mehr Substantielles von ihm zu lesen, damit klar wird, was er mit den kurzen Bemerkungen in dem Artikel meint.“
Wie gesagt ist es nicht mein Anspruch, hier Tjaden umfassend zu würdigen. Werde mich aber in Zukunft (im Rahmen eines eigenen Projektes) näher mit ihm auseinandersetzen. Aber davor kommen noch die Texte des Richta-Reports, die mich täglich von der Seite anschielen, ohne dass ich ihnen die ihnen gebührenden Zeitressourcen einräume.
Gruß hh
Februar 14, 2012 at 10:27 am
Entschuldige das späte Erscheinen des Kommentars, er war von der Automatik als Spam einsortiert worden und das habe ich heute erst gesehen und rückgängig gemacht.
Februar 7, 2012 at 11:31 pm
Ich hätte die Einleitung in diese Fragestellung tatsächlich nicht grad mit Zitaten eröffnen sollen. Deshalb hab ich Dich auf diese Fährte gelenkt und gleich auch mich selbst mit abgelenkt.
Die Frage ist eigentlich: Wie gelingt es uns, die Problematik der notwendigen Reduzierung des Energieverbrauchs zusammen zu denken mit der bisher im Marxismus vorausgesetzten Steigerung der Produktivkraft der Arbeit? Reichen die anderen Quellen der Produktivkraft der Arbeit (Kooperation,…) aus, um auf die bisherige Kompensation von lebendiger Arbeit durch Energie zu verzichten bzw. sie sogar zurück zu fahren?
Februar 14, 2012 at 12:20 pm
[…] Ereignisse in der DDR fertig wurde. Mit einem Verweis auf dieses Buch bzw. diesen Autoren in einem Blogbeitrag handelte ich mir auch prompt einen Kommentar ein, bei dem auf Kritiken von Tjaden verwiesen […]
Februar 14, 2012 at 10:12 pm
„Die Frage ist eigentlich: Wie gelingt es uns, die Problematik der notwendigen Reduzierung des Energieverbrauchs zusammen zu denken mit der bisher im Marxismus vorausgesetzten Steigerung der Produktivkraft der Arbeit?“
Genau, und mein Einwand ist, dass man das nicht dadurch erreicht, dass man vom BEGRIFF der Produktivkraft und der Dialektik zwischen Produktivkraftentwicklung und Produktionsverhältnissen „die Finger lässt“, wie Tjaden es empfahl. (Ich behaupte, dass es dadurch noch sehr viel schweriger würde)
„Reichen die anderen Quellen der Produktivkraft der Arbeit (Kooperation,…) aus, um auf die bisherige Kompensation von lebendiger Arbeit durch Energie zu verzichten bzw. sie sogar zurück zu fahren?“
Die Antwort ist ja auch klar. Sie reichen nicht. Die Produktionsverhältnisse lassen das nicht zu, und deshalb gehören sie überwunden. Was natürlich auch nicht so einfach zu machen ist und meines Erachtens so gut wie unmöglich, wenn man dann auch noch vom Begriff der „nachhaltigen Entwicklung“ die Finger lässt.
Februar 14, 2012 at 10:58 pm
Im Übrigen meine ich, dass man die von Marx inspirierte Einsicht, dass die vom Kapitalismus rücksichtslos voran gepeitschte Produktivkraftentwicklung Voraussetzung der Überwindung dieser blinden Voranpeitscherei ist, nicht leichtfertig aufgeben sollte.
Es ist halt so. Wir könnten unsere Produktivkräfte (Reflexionsvermögen, Transpormationspotenzial usw.) hier auch nicht auf diese elegante Weise entwickeln, wenn es diese ganzen Zwänge zur besinnungslosen Einsparung von Arbeitszeit nicht gäbe.
Die derzeit zu beobachtende Produktivkraftentwicklung macht andere Formen der Arbeitsteilung (bzw. der Teilung von Arbeitsmühen, Lebensgenuss, Verantwortung usw.) möglich aber auch notwendig oder andersrum ausgedrückt: sie wird zunehmend notwendig, rückt aber auch zunehmend in den bereich der Möglichkeit.
Wichtig scheint es mir, es sich zu vergegenwärtigen, dass ALLE Produktivkräfte (ob der lebendigen bzw. „toten“ Arbeit oder der Natur, ob im Know How gespeichert oder im Geld usw. immer auch Destruktivkräfte sind und dass es nun darauf ankommt, zu einem – am Ende weltgemeinschaftlichen – Nachhaltigkeitsmanagement zu kommen, mit dem sich die Globalisierten dieser Erde in die Lage versetzen, die Entwicklung und den Einsatz ihrer Produktiv-/Destruktivkräfte im vernünftigen Miteinander aufeinander abzusteimmen.
Februar 14, 2012 at 11:02 pm
Transpormationspotenzial? Sorry, meinte natürlich „Transformationsvermögen“
Februar 15, 2012 at 1:50 pm
Ja, „es ist halt so“. Ich glaube, wir können es hier offen lassen, ob der Durchgang durch die Zwänge historisch notwendig war oder nicht. (insbesondere für die realsozialistischen Regionen und Zeiten ist es heute schwer zu bestimmen, ob man sich die Mühe hätte sparen können und die damit verbundenen Zwänge. Moralisch gesehen Ja, aber historisch gesehen…- niemand kennt ja die alternativen Entwicklungswege und was die gekostet hätten).
Vor uns steht aber die Frage, ob nicht die Gefahr besteht, dass weitere Zwänge dadurch ausgeübt werden, dass irgendwer festlegt, dass sich die Produktivkräfte noch weiter entwickeln müssen, bevor wir frei leben können. Sahra Wagenknecht (deren Hegel/Marx-Buch von 1997 ich ja immer positiv zitiere) soll man geäußert haben, dass wir ab jetzt noch ca. 300 Jahre (Produktivkraft-)Entwicklung brauchen, bevor wir einen Kommunismus verwirklichen können. Was soll sich denn da noch entwickeln? Und wer bestimmt das?
Grundsätzlich bin ich eigentlich immer davon ausgegangen, dass wir jetzt in einer glücklichen historischen Situation leben, wo die Pk eben tatsächlich so weit entwickelt sind, dass wir uns ab jetzt eigentlich keine Sorgen darum mehr zu machen brauchen…
Durch die zusätzliche Berücksichtigung der bisherigen Kompensation von Arbeitskraft durch Energie („Energiesklaven“) – die ja nicht so weitergeführt, sondern sogar zurückgefahren werden muss – stellt sich für mich diese Frage aber neu und nur deshalb hechle ich diese Thematik so oft durch.
Juni 19, 2014 at 4:22 pm
Produktivkraftsteigerung im Sinne von „weniger Arbeit für die gleichen oder mehr Gebrauchswerte“ wird unter anderen dafür notwendig bleiben, um die Fähigkeit herauszubilden, weltgemeinschaftlich darüber entscheiden zu können, was das menschliche Für-und Voneinander an „Naturverbrauch“ kosten darf, damit der Gebrauch ökologisch nachhaltig sein kann.
Die Etablierung einer Gesellschaft ins Auge zu fassen, die auf Grundlage eines – am Ende weltgemeinschaftlichen – Nachhaltgkeitsmanagements funktioniert, zielt ja gerade auf die Fähigkeit, die absoluten Produkionsmengen (also auch die notwendige Arbeitszeit und die anderen Formen von Naturverbrauch) wie auch die Produktionsmethoden ökologischen Zielen anzupassen. Das geht nur weltweit koordiniert.
Deshalb ist die Wahrnehmung und das Aufgreifen von Prozessen so wichtg, die in diese Richtung weisen wie etwa die Formulierung von UN Nachhaltgeitszielen, Kate Raworth Doughnut Economics usw.
Nebenbei gesagt: Sich wie 2012 geschehen, von „linken“ Erdölförderländern Sozialforen bezahlen zu lassen, auf denen solche Entwicklungsmomente der realen Gesellschaft „anti-kapitalistisch“ bekämpft werden, halte ich deshalb für keine gute Idee,