Otfried Höffe (2012) hat die Herausforderung, das Alter zum Thema der Philosophie, d.h. ihres Teilgebiets Ethik zu machen, angenommen. Er entwickelte „12 Bausteine einer gerontologischen Ethik“. Dabei unterscheidet er zwischen der personalen und der Sozialethik – ich würde mit Honecker (2006: 9) noch stärker differenzieren: Die Individualethik betrifft die individuelle persönliche Lebensführung; die Personalethik die zwischenmenschlichen Beziehungen und die Sozialethik die Institutionen und Strukturen der Gesellschaft.

Der Tradition ethischer Debatten entspricht es auch, zwischen der Behandlung von Pflichten (in der „kategorischen Ethik“) und von Ratschlägen (der eudämistischen Ethik, d.h. hier der Theorie der Lebenskunst (Höffe 2012: 216)) zu unterscheiden. Ich möchte im Folgenden nicht die gesamte Argumentation des Beitrags von Otfried Höffe referieren, sondern nur einige Ergebnisse nennen.

Zu den 12 Bausteinen gehört als eine der gerontologischen Pflichten die sog. „antiautoritäre Gerontologie“. Das heißt: „Mit derselben Überzeugung, daß sich unsere Erziehung an den Bedürfnissen des Kindes auszurichten hat, muß sich unsere Beziehung zu den Älteren an deren Bedürfnissen orientieren.“ (Höffe 2012: 229)

„Was du als Kind nicht willst, daß man dir tu, das füg´ auch keinem Älteren zu.“ (ebd.: 230)

Ich denke schon, dass deutlich zu beobachten ist, dass sich Angehörige gegenüber entwürdigenden Verhaltensweisen im Heim nicht so vehement zur Wehr setzen, wie sie das für ihre Kinder in Kindereinrichtungen tun.

Individualethisch ist u.a. folgender Ratschlag zu geben: „Man lerne – vor allem rechtzeitig – Einstellungen der Sinnfähigkeit, eudämistische [d.h. auf gelingendes Leben/Glück orientierte, A.S.] Tugenden wie Besonnenheit, Gelassenheit und Selbstvergessenheit.“ (ebd.: 218)

Einer der sozialethischen Ratschläge schlägt vor: „Wer heute Pflegeleistungen erbringt, erwirbt einen Anspruch auf entsprechende Leistungen in der Zukunft; und wer sie nicht erbringt, zahlt einen finanziellen Ausgleich.“ (ebd.: 228)

Natürlich werden solche Aspekte nicht einfach nur ausgedacht, sondern es gibt gründliche Versuche, sie argumentativ zu begründen, zu rechtfertigen (zu Grundtypen ethischer Argumentationen).

Zusammenfassend kommt Höffe zur Erkenntnis: „Die Legitimation des gerontologischen Grundgebots, das Alter zu ehren, erfolgt sachlich zuerst aus einem aufgeklärten Selbstinteresse heraus, verbunden mit dem Gedanken der Tauschgerechtigkeit.“ (Höffe 2012: 231)

Interessant sind die bei diesen Argumentationen gemachten Voraussetzungen, wobei sich zeigt, dass diese zu Widersprüchen führen. Letztlich wird vorausgesetzt, dass jedes Individuum als Einzelnes für sich existiert und nur durch Vorteile oder (begründbare) Pflichten zum Handeln entsprechend den moralischen Grundsätze gebracht werden kann. Die ganze Debatte handelt von Menschen, die wie auf einem Markt um Vor- und Nachteile verhandeln, wobei eigentlich klar ist, dass nicht zum Geschäft erniedrigt werden darf, wie Hilfe geschieht (ebd.: 228). Die oben genannten Argumente „aufgeklärtes Selbstinteresse… verbunden mit dem Gedanken der Tauschgerechtigkeit“ zeigen für mich, dass hier ein ganz bestimmtes Menschenbild vorausgesetzt wird, nämlich das der kapitalistischen Gesellschaftsform entsprechende.

Die Alternative dazu habe ich im Unterkapitel „Die Teilhabe der Alten als Maßstab für die Kultur“ des Beitrags „Für eine Utopie des Alter(n)s“ auch nur angedeutet – aber wenigstens dies.


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