Ich bin ziemlich gespannt auf das neue Buch von Naomi Klein. Der Titel gibt das Thema an:

Die Entscheidung – Kapitalismus vs. Klima.

Reißerisch rät der Werbetext: „Vergessen Sie alles, was Sie über den Klimawandel zu wissen meinten: Es geht nicht nur um CO2-Emissionen, es geht um den Kapitalismus!“ Das konnte man natürlich auch schon länger wissen. Naomi Klein beschäftigte sich seit 2009 verstärkt mit diesem Thema. Seither hat sie eine Fülle von Informationen zusammen getragen, die unendlich wertvoll sein wird in den weiteren Auseinandersetzungen um die Alternative katastrophaler Klimawandel oder Kapitalismus.

Reicht das Klima, bis ich groß bin?

Ich habe bis jetzt nur die Einleitung gelesen und fühle mich sehr vertraut mit den Überlegungen von Naomi Klein. Die zentrale Botschaft ist für mich, wie auch für viele KlimaaktivistInnen nicht neu. Wir, d.h. Menschen aus der die Zukunftswerkstatt Jena, verwendeten in Vorträgen schon länger die Losung:

„Wer vom Klimawandel redet, darf vom Kapitalismus nicht schweigen.“

Genau genommen, war der begründete Zweifel, dass der Kapitalismus – obgleich er beschränkte soziale Reformen in seiner Geschichte in regional beschränkten Bereichen durchaus realisieren konnte – bei der ökologischen Wende bei weitem weniger erfolgreich sein würde, für uns einer der Hauptgründe, uns über den Sieg der angeblich so demokratischen kapitalistischen Gesellschaftsform über die Sozialismusversuche 1990 nicht so sehr zu freuen, sondern diesen Sieg als Pyrrhussieg zu betrachten.

Seit spätestens 1992 kennen wir die Hoffnungen, dass der kapitalistischen Kapitalakkumulationslogik Reformen abgerungen werden können, mit denen schließlich eine Art „Grüner Kapitalismus“ möglich sein würde. Aus ziemlich grundsätzlichen Gründen konnten wir daran nie so recht glauben – inzwischen ist der Streit darum, wer Recht hatte, hinfällig. Hier und heute ist es zu spät mit „sanften Reformen“ einen Wandel hin zu einer lebensfähigen Lebensform zu erreichen. Einer der Vorreiter ökologisch-kapitalistischer Innovationen, Rüdiger Lutz, verzweifelte schon um die Jahrtausendwende am Verlust dieser Illusion. Naomi Klein schildert, dass die Klimaverhandlungen letztlich ein „quasi ununterbrochener Prozess von Rückschritten“ (21) darstellt. Der weltweite CO2-Ausstoß war 2013 um 61 Prozent höher als 1990. (ebd.) In den 90er Jahren stiegen die jährlichen Emissionen um ca. 1 Prozent jährlich. In den 2000er Jahren stieg dieser Wert auf 3,4 Prozent (32). Für das schon zweifelhafte Ziel, den Anstieg der Temperatur auf 2 Grad Kelvin zu beschränken, bleibt auch nach optimistischen Schätzungen nur noch Zeit bis 2017, um umzusteuern.

„Die Emissionen steigen so rasch an, dass 2 Grad aus heutiger Sicht wie ein utopischer Traum erscheinen…“ (23)

Denn das würde erfordern, dass die reichen Länder ihre Emissionen um ca. 8-10 Prozent jährlich reduzieren. Schon geringere Emissionssenkungen geschahen bisher nur „bei wirtschaftlichen Zusammenbrüchen oder schweren Konjunkturrückgängen“ (33), die unter den jetzigen Wirtschaftsverhältnissen anscheinend niemand wünschen kann.

Warum gelang ein Umsteuern nicht, als es noch nicht so brutal hart war, obwohl die Fakten doch ziemlich klar sind? Dass sie für viele nicht klar zu sein scheinen, sondern von Klimawandelleugner lautstark in Zweifel gezogen werden, ist Teil des Problems.

Für Naomi Klein vollzieht sich die Geschichte innerhalb von machtpolitischen Interessen. Demnach entscheiden nicht die harten Fakten, sondern machtpolitische Prioritäten (15). Und diese wiederum sind verbunden mit Weltanschauung, Ideologie, kulturellen Prägungen, also Faktoren, die im marxschen Kontext als „ideell“ charakterisiert werden. Naomi Klein zeigt trotzdem anhand der unübersehbaren Erscheinungen auf, in welchem Maße die Handlungen vor allem der konservativen Wirtschaftsakteure durch die ökonomische Logik bestimmt werden. Für die Politik der Regierungen sieht sie einen wesentlich größeren Handlungsspielraum und als progressive Akteure erkennt sie all jene, die unter dem Entwicklungstrend aus einer Mixtur von kapitalistischer Globalisierung und weitergeführter Umweltzerstörung, wie er sich jetzt abzeichnet, nur verlieren können, deren Überleben und deren Lebensqualität an die Zurückdrängung dieser Trends gebunden sind.

Dabei gibt es ja die genannten ideellen Faktoren und sie sind wirkmächtig. Deshalb ist die Konzentration auf diese Sphäre der Auseinandersetzung nicht nur ein Nebenschauplatz, sondern die Erkenntnisse von Naomi Klein hierzu sind wichtig.

Sie sieht als solche ideellen Faktoren, die dazu führen, dass der durch die kapitalistische Wirtschafts- und Lebensweise verursachte Klimawandel nicht ausreichend gesehen oder gar geleugnet wird, vor allem im „Marktfundamentalismus“ , also Gedankengebäuden, die vor allem mit der Phase der sog. „Globalisierung“ des Kapitalismus seit den 70er- …80er Jahren desvorigen Jahrhunderts verbunden sind.

Positive Wendung

Naomi Klein sieht den Klimawandel aber nicht nur als Problem, sondern sie diskutiert eine positive Wendung: Der Klimawandel könnte „eine treiben Kraft für die Menschheit werden […] um uns nicht nur besser vor Wetterextremen zu schützen, sondern unsere Gesellschaften in vielerlei Hinsicht sicherer und gerechter zu machen“ (16) . Klimawandel wäre dann ein „Katalysator für positiven Wandel“ (ebd.),bzw. ein „Weckruf für die Zivilisation“ (38).

„Eine machtvolle Botschaft – überbracht in der Sprache von Feuern, Überschwemmungen, Dürren und Artensterben -, die uns dass wir ein von Grund auf neues Wirtschaftsmodell brauchen, und eine neue Art, die Erde miteinander zu teilen. Die uns sagt, dass wir uns weiterentwickeln müssen.“ (38)

Naomi Klein macht deutlich, dass es nicht bloß um eher geringfügige Veränderungen im Konsumverhalten gehen kann. Der oben schon genannte Satz wird weiter geführt:

„Die Emissionen steigen so rasch an, dass 2 Grad aus heutiger Sicht wie ein utopischer Traum erscheinen, wenn wir unser Wirtschaftssystem nicht von Grund auf ändern.“ (23)

Ein bisschen weniger Konsum, ein wenig weniger Wachstum reicht nicht aus. Es ist nicht nur eine Frage der Menge des Verbrauchs oder der Emissionen, es ist eine Frage der Art und Weise der Wirtschaftsentwicklung.

„Was unser Klima braucht, um nicht zu kollabieren, ist ein Rückgang des Ressourcenverbrauchs durch den Menschen; was unser Wirtschaftsmodell fordert, um nicht zu kollabieren, ist ungehinderte Expansion. Nur eines dieser Regelsysteme lässt sich verändern, und da sind nicht die Naturgesetze.“

Zwar wird uns stets und ständig, fast per Gehirnwäsche, eingetrimmt, der real-existierende Kapitalismus sei die einzige Wirtschafts- und Lebensform, mit der wir überleben könnten, aber das ist nicht wahr: Eine andere Wirtschaft, eine andere Lebensweise, eine andere Welt ist möglich!

„Entscheidung“

Leider gibt es nicht nur die Möglichkeit dieser positiven Wendung. Viel wahrscheinlicher scheint es erst einmal zu sein, dass die mit dem Klimawandel verbundenen schockartigen Erschütterungen im Sinne der von Naomi Klein schon früher untersuchten „Schock-Strategie“ dazu genutzt werden, viele Menschen ihrem traurigen Schicksal zu überlassen und selbst anscheinend rettende Festungen zu errichten. Krisen bieten immer auch „Geschäftsmöglichkeiten“, ob für Versicherungen oder private Milizen.

Schon vor 3 Jahren veröffentlichte Naomi Klein zentrale Gedanken aus dem neuen Buch. Ich berichtete davon in meinem Blog. Hier schilderte sie bereits, dass die „Rechten“, d.h. die Konservativen, die den menschengemachten Klimawandel beinah hysterisch leugnen, in ihrer Angst vor der umstürzenden Bedeutung des Klimawandels durchaus Recht haben!
Wenn gefragt wird:

„Handelt es sich bei dieser ganzen Bewegung nicht bloß um ein grünes Trojanisches Pferd, in dessen Bauch rote, marxistische Sozialökonomie steckt?“ (zit. S. 46),

so steckt darin Wahrheit: Wenn der menschengemachte Klimawandel tatsächlich droht, drohen auch all jene Notwendigkeiten der wirtschaftlichen Umgestaltung, die eine gewisse Elite von Wirtschaftsführern und -vordenkern fürchtet wie nichts anderes, weil sie ihrem Grundkonzept der Privatisierung von Gewinnen und Externalisierung der gesellschaftlichen Kosten, der Entsolidarisierung, der Unterwerfung aller Lebensregungen unter die Profitakkumulation, die sie als „Globalisierung“ seit mehr als 30 Jahren ziemlich erfolgreich vorantreiben, fundamental widersprechen.

„Ich glaube, diese beinharten Ideologen verstehen die eigentliche Bedeutung des Klimawandels besser als die meisten „Klimahysteriker“ in der politischen Mitte, die immer noch so tun, als könne es eine schrittweise und schmerzlose Lösung für das Problem geben und als müssten wir uns mit niemandem anlegen, nicht einmal mit den Fossilkonzernen.“ (60)

Wir stehen als menschliche Zivilisation an einem Scheidepunkt: Der Kapitalismus als für viele Menschen einigermaßen funktionierende Produktions- und Konsumtionsmaschinerie wird sowieso verschwinden. Die Alternative besteht zwischen einer neuen Art Barbarei, bei der jede/r sich auf Kosten anderer zu retten versucht – oder der gemeinsamen Suche nach neuen lebenswerten Wirtschafts- und Lebensformen. Es kommt nach Naomi Kleindarauf an, „inwieweit des der Masse jener Menschen gelingt, die im derzeitigen System schlecht abschneiden, eine gesellschaftliche Macht zu bilden, die entschlossen und vielgestaltig genug ist, die Machtverhältnisse zu ändern.“ (38)

Im Moment scheinen in unseren Regionen jene einen starken Zulauf zu haben, die sich zuerst einmal gegen alle Flüchtlinge abschotten wollen, die aufgrund der vielfältigen Krisen in aller Welt bei uns Schutz suchen. Ich will wirklich nicht glauben, dass dies unsere Zukunft bestimmt.

Vieles, was in den 90er Jahren und nach 2000 eher „fakultativ“ war bei der Entstehung neuer sozialer und ökologischer Bewegungen, von denen viele auch ihre Blütezeit bereits überschritten haben, wird nun immer stärker überlebensnotwendig:

„…wenn es einen Existenzgrund für soziale Bewegungen gibt, besteht er nicht darin, herrschende Werte als feststehend und unveränderbar zu akzeptieren, sondern alternative Lebensentwürfe anzubieten – einen Krieg der kulturellen Weltanschauungen zu führen und zu gewinnen.“ (81)

Naomi Klein fragt sich auch, warum auch Linke und Linksliberale den Klimawandel zu stiefmütterlich behandeln. Sie hat keine überzeugende Antwort darauf. Sie erwähnt, „dass wir inzwischen nicht nur glauben, wir wären zur Selbsterhaltung nicht in der Lage, sondern wir wären es gar nicht wert, gerettet zu werden.“ (83) Das wäre letztlich selbstgefälliger Zynismus, denn letztlich denkt doch eigentlich jede Person, die so redet ja doch, sie selbst und vielleicht wenige Auserwählte seien davon ausgenommen, aber „der Mensch an sich“ sei ja nicht wirklich anders als ausgebeutet, entmündigt, fremdorganisiert überlebensfähig. Das Thema „Kapitalismus und Klima“ hat also noch weitere weltanschauliche Fundierungen, die im Geschichtsverständnis und dem „Menschenbild“ liegen.

Ein weites Feld für Debatten, bitte lasst sie uns führen und verbreiten.