(Version 1.1, mit kleinen Korrekturen seit 02.09.2021, 10 Uhr)


Triggerwarnung: Es ist nicht mehr Minuten oder Sekunden „vor Zwölf“. Wir müssen die Wahrheit sagen können, aber wir dürfen uns dadurch nicht fertig machen lassen. Helfen wir uns gegenseitig, tun wir uns zusammen – alle, denen das weh tut!

Wir sind so was von am Arsch. Die Botschaften des neuen IPCC-Berichts haben viele Wissenschaftler*innen so verstört, dass sie sich darum kümmerten, dass ihre Erkenntnisse vor ihrer politischen Behandlung an die Öffentlichkeit kommen. Erfahrungsgemäß werden vor allem die „Zusammenfassungen für Entscheidungsträgerinnen“ vor der Veröffentlichung in ihren Aussagen aus politischen Gründen abgeschwächt. So wird aus einem Treffen der Vorbereitung des 6. Sachstandsberichts (AR6-SCOP/Doc.2 2017) aus der Arbeitsgruppe III über die Erarbeitung des 5. Sachstandsberichts berichtet:

„Schließlich äußerte eine Reihe von Ländern, dass sie mit der Verwendung der einkommensbasierten Ländergruppierungen, die in Teilen des Berichts der WG III AR5 verwendet wurden und die für den SPM während der Verabschiedung gestrichen wurden, nicht einverstanden sind und sich auch nicht daran gebunden fühlen. Ein erheblicher Teil des Textes über Minderungsmaßnahmen und Institutionen wurde ebenfalls aus dem SPM entfernt.“ (AR6-SCOP/Doc.2 2017: 32) (SPM ist die Abkürzung für „Summary for Policymakers“, d.h. „Zusammenfassung für die Entscheidungsträger“)

Dies soll nicht wieder passieren, deshalb wurden die Entwürfe des SPM und des ersten Kapitels für den Bericht der Arbeitsgruppe III (Working Group, WG III) des 6. Sachstandsberichts (AR6) diesmal geleaked. Einige der Wissenschaftler*innen aus der Scientist Rebellion bekennen sich sogar namentlich per Videobotschaft dazu, was ihnen auch in der Wissenschaftswelt nicht nur Sympathie einbringen wird. Aber sie wissen es am besten:

„Wir müssen jetzt handeln, es ist keine Zeit mehr!“

Beim Lesen der geleakten Dokumente finde ich gar nicht so viel Neues. Wir wissen es doch alles längst schon. Es müsste sofort rapide umgesteuert werden im Naturverbrauch und bei der Senkung der Treibhausgasemissionen. Wir wissen das seit den 90er Jahren. Über „Nachhaltigkeit“ hat man damals schon ausreichend geschwätzt. Auch die Bekenntnisse, dass diese Veränderungen sozial verträglich sein müssen, wurden bereits en masse abgegeben. Aber natürlich schließt sich das das Fenster der Möglichkeiten, mit denen wir als Menschheit noch relativ glimpflich weggekommen wären, irgendwann. Seit spätestens 2018 ist es zugeklappt. Das hat kaum jemand mitgekriegt, weil immer noch lautstark behauptet wurde, wir hätten noch so und so viele Jahre Zeit, auch wenn es nun nicht mehr Jahrzehnte, sondern so um die 8 Jahre sein sollten. Das begrenzende Ziel der Erderwärmung wurde zwar in Paris 2015 von 2 Grad auf „deutlich unter 2 Grad… möglichst unter 1,5 Grad“ reduziert, aber im „Sonderbericht über 1,5°C globale Erwärmung“ (SR1.5) von 2018 wird dieser Wert zu einem Gummi-Wert gemacht. Denn es wird neuerdings von „Netto-Null“ gesprochen, was beinhaltet, dass erst einmal das CO2-Emissions-Budget überzogen werden kann, weil von vornherein die Möglichkeit einbezogen ist, ab ca. 2050 maßgebliche Mengen an CO2 der Atmosphäre wieder zu entziehen. Diese Negativ-Emissionen, die sich ziemlich versteckt schon im IPCC-Bericht vom 2007 finden lassen, sind eigentlich ein Skandal (Schlemm 2020), aber kaum jemand hats gemerkt oder thematisiert. Zwar unterstelle ich nicht, dass diese ungedeckten Versprechungen auf eine spätere CO2-Entfernung gemacht wurden, um weiter unbeeindruckt Treibhausgase, speziell CO2, emittieren zu können. Aber sie dienten dazu, noch sagen zu können, dass wir es noch schaffen könnten unter 1,5 oder 2 Grad zu bleiben. Das ist Zweckoptimismus, der seither immer wieder die wirkliche Dramatik unter den Teppich kehrt. Das einzige Szenario aus dem SR1.5-Bericht von 2018, das unter 1.5 Grad bleibt und das neben der Aufforstung keine CCS-Technologie (CCS: Carbon (dioxide) Capture and Storage) braucht, rechnet mit einem Anstieg der Energiegewinnung aus Kernenergie auf 150% bis 2050! Das ist doch die Bankrotterklärung! Schon damals hätte man das öffentlich thematisieren müssen.

(Ich sehe durchaus ein, dass es schwere psychische und soziale Folgen haben kann, solche harten Aussagen zu machen. Mindestens wegen den Erfahrungen aus der sozialistischen Zeit, in der auch aus ebensolchen Gründen immer nur Erfolgsberichterstattungen erlaubt waren, weiß ich aber, wie verhängnisvoll solche Praktiken den notwendigen echten Wandel blockieren. Aufgeben können wir trotzdem nicht: In Bezug auf die Klimapolitik bleibt schnelles und tief eingreifendes, veränderndes Handeln ja auch weiterhin notwendig, denn jedes Zehntelgrad Temperaturerhöhung, das wir auch über 1,5 oder 2 Grad verhindern können, ist extrem wichtig für das Überleben der Ökosphäre und der Menschheit). Eva Horn meint dazu: „Aber 1,5 Grad sind auch nicht der Punkt. So wenig wie möglich ist der Punkt!“ (Horn 2021).

In der Klimawissenschaft sind schon länger viele enttäuscht über die geringen Erfolge ihrer Warnungen. Inzwischen geht es ihnen über die Hutschnur:

„Veröffentlichungen reichen nicht mehr aus.
Es ist Zeit, an öffentlichen Aktionen teilzunehmen.“

Was steht denn nun in den jetzt geleakten Dokumenten? Wie schon erwähnt, ich bin gar nicht so sehr beeindruckt: Vieles, was jetzt in Kommentaren herausgestellt wird, stand ähnlich schon in früheren Berichten, wurde bloß überlesen. Oder man weiß es sowieso, wie die Tatsache, dass die Emissionen von Treibhausgasen fast ungebremst weiter gehen, obwohl seit einem Vierteljahrhundert gebetsmühlenhaft um eine Reduzierung gerungen wird. Und hier sind die Zahlen dazu:

Emittiert wurden

  • seit 1990: 980 ± 98 GT CO2,
  • seit 2010: 330 ± 31 GT CO2. (AR6_WGIll-leaked: SPM:4, B1.3)

Die Treibhausgas(THG)-Emissionen waren 2018

  • 51% höher als 1990,
  • 11% höher als 2010. (ebd.: B1.1)

Die THG-Emissionen stiegen jährlich

  • zwischen 2000 und 2010 um 2,5%,
  • zwischen 2010 und 2018 um 1,4%.(AR6_WGIll-leaked: 1-14)

Lediglich der Anstieg der Emissionen pro Jahr konnte also etwas reduziert werden (und es gibt regionale Unterschiede, aber in der Atmosphäre und den Ozeanen kommt letztlich „der Durchschnitt“ an). Trotzdem wird pro Jahr mehr emittiert als vorher. Pro Jahr steigt der CO2-Gehalt in der Atmosphäre um ca. 2 ppm (AR6_WGIll-leaked: 1-6; inzwischen von 280 ppm aus vorindustrieller Zeit bis über 400 ppm). Nach dem Erreichen eines Plateaus für energiebezogene CO2-Emissionen zwischen 2017 und 2018 stiegen die Emissionen wieder (ebd.: 1-14). Nur Covid-19 konnte eine Delle in dieser Anstiegskurve erzeugen (siehe dazu ebd.: 1-16ff.), die aber längst wieder nach oben zeigt. Die treibhausgasintensiven ökonomischen Aktivitäten stiegen zwischen 2010 und 2020 im Bereich des Flugverkehrs um ganze 28,6% an, im Bereich der SUVs um 17% und des Fleischkonsums um 12%! (AR6_WGIll-leaked SPM: 6, B2.2).

Der neue IPCC-Bericht dokumentiert auch das überzeugende Wissen darüber, dass diese Treibhausgasemissionen bereits jetzt unübersehbare und schlimme Schäden anrichten. (AR6_WGIll-leaked: 1-12f) (siehe auch meinen Bericht über den kürzlich veröffentlichten Teil des AR6_WGI). Der Ton der Aussagen ist tatsächlich etwas dringlicher als sonst. Es geht um einen „erneuten und erhöhten Bedarf an dringenden Klimaschutzmaßnahmen“ (ebd.: 1-7). Und es wird festgestellt, dass „die Politiken und Investitionen immer noch eindeutig unzureichend sind, um die Welt mit den Zielen des Pariser Abkommens in Einklang zu bringen“ (ebd.). Wenn wir die Anstrengungen nicht deutlich erhöhen, landen wir im Jahr 2100 bei 3,3 bis 4,5 Grad über dem vorindustriellen Niveau (AR6_WGIll-leaked SPM: C1.). Dann dürften wichtige Kipp-Elemente des Klimasystems zum Kippen gebracht worden sein. Bei einer global-durchschnittlichen Temperaturerhöhung um ca. 3 Grad sind ca. 3 Milliarden Menschen, die in Küstengebieten wohnen, vom Meeresspiegelanstieg bedroht (Xu et al. 2017: 10319). Bei 4 Grad können auf 47% der Landfläche wegen der Hitze keine Menschen mehr leben, das betrifft 74% der Menschen auf dieser Erde (Mora et al. 2017: 501). Und bereits jetzt lebten 91% aller Todesopfer durch die klimawandelverursachten Katastrophen in sog. Entwicklungsländern (WMO 2021). Die Bezeichnung „Katastrophe“ wird ab einem Wert von 3 Grad auch global nicht mehr als übertrieben gesehen (Xu et al. 2017: 10319).

Um dies zu verhindern, sind eine „rasche Verringerung der Treibhausgasemissionen und ein grundlegender Strukturwandel auf globaler Ebene“ unabdingbar. (AR6_WGIll-leaked SPM: C1.).

Im Bericht wird auch durchgehend versucht – wie schon in früheren Berichten begonnen – , die tiefgehende Dekarbonisierung („deep decarbonising“) mit den Zielen der nachhaltigen Entwicklung, auch ihrer sozialen Teile, zu verbinden (neuerdings auch anhand der „Ziele für nachhaltige Entwicklung“ (SDG), die im September von der UN beschlossen wurden) (vor allem in AR6_WGIll-leaked: 1-28ff., 1-59). Auch der Gedanke der Klimagerechtigkeit findet in Form des Konzepts „Just Transition“ („Gerechter Übergang“) Eingang in das Dokument (ebd.: 1-12, 1-49f.), wobei dieser Begriff seit längerem von seiner früheren gesellschaftskritische Komponente (aus anderen Kontexten) herausgelöst wurde. Für die assymetrische Verteilung der Verantwortlichkeit wird u.a. eine Darstellung gezeigt, bei der die pro Person erzeugten Tonnen CO2-Äquivalent (auf der Y-Achse) über die Bevölkerung aufgetragen wird, wo sich zeigt, dass z.B. (hier für 2018) Menschen in Nordamerika und Europa pro Person für ein Mehrfaches an Emissionen verantwortlich sind als jene in Afrika (aus ebd.: 1-15, wegen der schlechten Qualität aus dem geleakten Dokument zeige ich hier eine besser lesbare ähnliche Abbildung aus einem Vortrag von John Acude):

In entwickelten Ländern stehen 13,1 CO2-Äqu./Person zu Buche, in Afrika und dem mittleren Osten nur 4,2 CO2-Äqu./Person (AR6_WGIll-leaked: SPM: 7, B3.1.).

Auch kumulativ gesehen gibt es eine klare Unterscheidung der Regionen. Die „entwickeltsten“ Länder sind für 35% aller Emissionen verantwortlich, die am wenigsten „entwickelten“ für nur 3% (ebd.: 8). Und für sich entwickelnde Länder wie China, auf die heute gern mit dem Finger gezeigt wird, gilt: 46% (2010) bzw. 41% (2015) Emissionen der Entwicklungsländer stammen aus der Exportproduktion für die entwickelten Länder! (ebd., B3.2) Diese von den reichen industriellen kapitalistischen Staaten verantworteten Emissionen werden bei deren Reduktionsplänen i.a. noch nicht einmal eingerechnet. Dass es keine Daten über die konsumtionsbasierten Emissionen gibt, wird bedauert (AR6_WGIll-leaked: 1-33f.).

Eine ähnliche Darstellung könnte auch die Unterschiede Menschen aus unterschiedlichen sozialen Schichten innerhalb der Länder zeigen, die im Bericht erwähnt werden (AR6_WGIll-leaked: 1-16). Die reichsten 10% der Menschen tragen mit 36-45% an den THG-Emissionen bei, die ärmsten nur mit 3-5%. (AR6_WGIll-leaked SPM: B3.3). Dass nicht nur individuelle Verhaltensänderungen wichtig sind, sondern die Emissionsreduktion weitgehend von physischen Infrastrukturen abhängig sind (wie Kraftwerken, Gebäuden, Transportinfrastruktur), wird schon aus den früheren Berichten als bekannt vorausgesetzt (AR6_WGIll-leaked: 1-9). Diese Abbildung hatte ich schon einmal verwendet:

Immerhin nimmt die Diskussion von gesellschaftlichen Faktoren, die einen Wandel zu nachhaltigen Praxen befördern oder verhindern, einen immer größer werdenden Raum ein. Politik kann etwa eine zentrale Rolle spielen bei der Beschleunigung der Entwicklung und Nutzung von Erneuerbaren Energien, der Festlegung der Form der Landnutzung, der städtischen Entwicklung, der verbesserten Energieeffizienz von Gebäuden und Transport und, wie behauptet wird, auch bei der Dekarbonisierung der Industrie (ebd.: 1-42). Als besonders wichtig wird herausgestellt, dass bestimmte Infrastrukturen, wenn sie einmal errichtet worden sind, für lange Zeit einen „Lock-in“ und Pfadabhängigkeit hervorrufen, weswegen ein sehr früher Eingriff hier besonders bedeutsam ist (ebd.). Die politische Einflussnahme in dieser Richtung muss auf allen Ebenen stattfinden.

Politökonomisch und machtpolitisch ist der Bericht wie immer ziemlich naiv. Die Atmosphäre wird als „globale Ressource“ und als „globales Commons“ deklariert (ebd.: 1-9, 1-43), weswegen so getan wird, als würden Akteure wie Unternehmen, Regierungen und Menschen gleichberechtigt kooperieren können (und es bräuchte nur Aufklärung und die Überwindung gewisser Blockierungen, um Klimaschutz zu erreichen). Die kompetitiven kapitalistischen Rahmenbedingungen werden lediglich als „Tendenz der Regierungen zu glauben, dass Emissionsminderungen zu steigenden Energiekosten und verringerter Wettbewerbsfähigkeit führen können“ dargestellt (ebd.: 1-43). Als wäre das eine Glaubensfrage! Wie sich die dagegen geforderte internationale Kooperation gegenüber der kapitalistisch-wirtschaftlichen Konkurrenz durchsetzen sollte, wird als Problem gar nicht gesehen. Als wären die nationalen Regierungen nicht im Wesentlichen die Interessenvertreter des nationalen Kapitals, wird so getan, als müsse man ihnen nur sagen, dass sie sich doch bitte kooperativ verhalten sollten. Alles was da steht über die Notwendigkeit einer internationalen Kooperation ist unbedingt richtig, aber das wirkliche Problem, das ihre Verwirklichung verhindert, wird nicht gesehen. Der Vergleich mit dem Erfolg des Schutzes der Ozonschicht hinkt, weil dafür keine derartigen tiefen Eingriffe in die Lebens- und Wirtschaftsweise notwendig war, wie bei der Abschwächung des Klima-Umbruches. Dass etwas nicht funktioniert, wird jedoch auch konstatiert und die herrschende Praxis sogar mit der Bezeichnung „organisierte Heuchelei“ gebrandmarkt (ebd.). Und: „Die Politik des Eigeninteresses kann zu einer Logik des kleinsten gemeinsamen Nenners führen, bei der die Ambitionen herabgesetzt werden, um die Teilnahme der am wenigsten ambitionierten Staaten zuzulassen.“ (ebd.) Einen marxschen Begriff von der politökonomischen Notwendigkeit für jeden in Konkurrenz stehenden Wirtschaftsakteur, im Kapitalismus die durchschnittliche Profitrate zu erreichen und zu überschreiten (vgl. Schlemm 2021a), haben die Autor*nnen des Berichts natürlich nicht. Dass sie mit der CO2-Bepreisung ökonomisch gerade auf eine kapitalistische In-Wertsetzung der Atmosphäre setzen (vgl. AR6_WGIII leaked: 1-47), habe ich schon lange kritisiert (Schlemm 2019).

Über die sozialen Veränderungen können auch nur Vermutungen angestellt werden. Es könnte (und müsste, wie eben diskutiert) eine Art „Klima-Kooperation“ entstehen (vgl. auch ebd.: 1-43), wogegen aber aufkommende Populismen, Nationalismen, Autoritäre Trends und wachsender Protektionismus stehen (ebd.: 1-20). Der Druck der Zivilgesellschaft und der globale Klimaaktivismus werden hoffnungsvoll erwähnt (ebd.: 1-55), aber auch die Widerstände durch Bewegungen wie die „Gelbwesten“ (ebd.). Insgesamt wird eine Unwilligkeit, für den Klimaschutz „zu zahlen“ konstatiert. Obwohl 71% der Amerikaner glauben, dass der Klimawandel stattfindet, würden nur 10% monatlich 10 US-Dollar für den Klimaschutz ausgeben (ebd.: 1-20).

Das derzeitige globale (kapitalistische) Finanzsystem wird im neuen IPCC-Bericht nicht etwa in Frage gestellt (ebd.: 1-36ff.), sondern ihre Gefährdung durch das In-den-Sand-Setzen von Investitionen in die fossile Energiewirtschaft wird eher befürchtet (ebd.: 1-12).

Auch die Orientierung am Wirtschaftswachstum wird nicht aufgegeben. Es wird sogar versprochen, dass eine Umstellung der Besteuerung von Arbeit und Konsumtion auf die Besteuerung von CO2 und andere Ressourcenverbräuche das Bruttoinlandsprodukt um ca. 1,7% wachsen lassen könnte und eine „Grüne Erholungspolitik“ keynesianischer Art (nach Covid-19) um 3,5% (ebd.: 1-18). Aber immer noch werden staatliche Fördermittel zu 53% an fossile Industrien ausgegeben und nur 35% an „low carb Energy“-Unternehmen (ebd.). Hier wird von einem Kampf zwischen „Grüner“ und „Brauner Erholung“ (braun steht hier für fossil/ nicht nachhaltig) gesprochen.

Für die wünschbaren Szenarien werden auch Machbarkeitsanalysen vorgestellt. Diese benennen auch ermöglichende Faktoren (ebd.: 1-24). Eigentums-, Macht- und Systemfragen werden dabei nicht bzw. nur sehr zöglich (ebd.: 1-38) aufgeworfen. Das wird ein IPCC sicher auch in Zukunft nicht tun. Aber immerhin stellen die Autor*innen sich und uns die Aufgabe, auf systemischer Ebene Transformationen zu erreichen, die nicht nur die Technologie betreffen, sondern auch die Gesellschaft (ebd.: 1-45). Seit einiger Zeit sind auch Überlegungen zu den Prinzipien von grundlegenden Systemwechseln Bestandteil der IPCC-Sachstandsberichte. Ganz tiefgreifend sollen die Veränderungen sein, neue Qualitäten des Gesamtsystems sollen aus Nischen heraus entstehen (dazu siehe ebd.: 1-51). Vorsichtig, aber immerhin wird auch geäußert: „Die Wechselwirkung zwischen Macht, Politik und Wirtschaft ist ein zentraler Faktor, der erklärt, warum ein breites Engagement nicht immer zu dringenden Maßnahmen führt.“ (ebd.: 1-5). Jedoch die Eigentumsverhältnisse, d.h. die Verhältnisse durch die sich Menschen darin unterscheiden, wer grundlegende Entscheidungen über den Zweck z.B. der Produktion nach welchen Maßgaben treffen kann, sind hier nicht einbezogen. Durch diese Eigentums-Bestimmung können die genannten „grundlegenden Regeln und regulatorische Strukturen… als Basis für Entscheidungen“ (ebd.: 1-52) präzisiert werden, denn gerade sie sind wesentlich für die „Regimestabilität und den Widerstand gegen Veränderung“ (ebd.).

Das werden wir selber in die Diskussion bringen müssen. Aber auch hier gilt:

„Was ist das Risiko, ein paar Kollegen heute zu ärgern,
verglichen mit der Frage auf unseren Sterbebetten,
ob wir nicht mutig genug waren,
ob wir die nächste Generation im Stich gelassen haben,
ob wir einfach zu beschäftigt mit Dingen waren,
die im großen Plan nicht wirklich wichtig waren?“
(Jem Bendell)

Dies gilt meiner Meinung nach nicht nur für Klimawissenschaftler*innen, sondern für uns alle, egal wo und wie wir arbeiten und leben. Ein allgemeiner Klima-Generalstreik ist längst fällig!!!


Zum ersten Teil über den bereits veröffentlichten Teil des IPCC-Berichts AR6.

Quellen

AR6-SCOP/Doc.2: IPCC (2017): Chair´s Vision Paper. AR6 Scoping Meeting Addis Abeba, Ethiopia, 1-5 May 2017. Online: https://www.ipcc.ch/site/assets/uploads/2018/09/220520170356-Doc.-2-Chair-Vision-Paper-.pdf (abgerufen 2021-08-31)

Horn, Eva (2021): „Die  1,5 Grad sind auch nicht der Punkt. So wenig wie möglich ist der Punkt!“. Online: Horn, Eva (2021): „Die  1,5 Grad sind auch nicht der Punkt. So wenig wie möglich ist der Punkt!“. Online: https://www.klimafakten.de/meldung/die-15-grad-celsius-sind-nicht-der-punkt-so-wenig-wie-moeglich-ist-der-punkt (abgerufen 2021-09-02)punkt (abgerufen 2021-09-02)

IPCC-Sachstandsbericht AR6_WGIII leaked_SPM: Summary for Policymakers. Online: https://scientistrebellion.com/we-leaked-the-upcoming-ipcc-report/ (abgerufen 2021-08-30) (aufgrund mangelnder Paginierung des Dokuments können die Seitenzahlen nicht sicher angegeben werden)

IPCC-Sachstandsbericht AR6_WGIII leaked: Summary  Draft. (Second Order Draft). Online: https://scientistrebellion.com/we-leaked-the-upcoming-ipcc-report/ (abgerufen 2021-08-30) (aufgrund mangelnder Paginierung des Dokuments können die Seitenzahlen nicht sicher angegeben werden)

Mora, Camilo; Dousset, Bénédicte; Caldwell, Iain R., at al. (2017): Global risk of deadly heat. Nature Climate Change, 7 (7). pp. 501­506. ISSN 1758­678X.

Scientist  Rebellion (2021): We leaked the upcoming IPCC  report. Online:  https://scientistrebellion.com/we-leaked-the-upcoming-ipcc-report/  (abgerufen 2021-08-30)

Schlemm, Annette (2019): CO2-Steuer – Zwischenlösung oder Alibi? Online: https://philosophenstuebchen.wordpress.com/2019/05/20/co2-steuer-zwischenloesung-oder-alibi/  (abgerufen 2021-08-30)

Schlemm, Annette (2020): Negativ-Emissionen. Online: https://philosophenstuebchen.wordpress.com/2020/07/12/netto-emissionen/  (abgerufen 2021-08-31)

Schlemm, Annette (2021a): Kapitalismus oder Kapitalist*innen kritisieren? Online: https://philosophenstuebchen.wordpress.com/2021/04/20/kapitalismus-oder-kapitalistinnen-kritisieren/  und https://de.slideshare.net/philosophenstuebchen/kapitalismus-oder-kapitalistinnen-kritisieren2  (abgerufen 2021-08-30)

Schlemm, Annette (2021b): Wenn Utopie und Überlebensnotwendigkeit zusammenfallen. Die Philosophie von Ernst Bloch und Hans Jonas im Licht aktueller Probleme. In: VorSchein 37. Jahrbuch 2019 der Ernst-Bloch-Assoziation. Nürnberg: ANTOGO Verlag 2021. S. 145-158.

WMO (World Meteorological Organization) (2021): Weather-related disasters increase over past 50 years, causin more damage but fewer deaths. Online: https://public.wmo.int/en/media/press-release/weather-related-disasters-increase-over-past-50-years-causing-more-damage-fewer (veröffentlicht 2021-08-31, abgerufen 2021-09-02)

Xu, Yangyang; Ramanathan, Veerabhadran (2017): Well below 2 °C: Mitigation strategies for avoiding dangerous to catastrophic climate changes. Proceedings of  the National Academy of  Sciences, vol. 114, pp. 10315-10323.