In Vorbereitung eines Wochenendseminars der Gruppe „Wege aus dem Kapitalismus“ diskutieren wir einen Text von Dieter Wolf (2009) und da ich bei den Vorbereitungsgesprächen in Berlin nicht dabei sein kann, der Text aber sehr anregend war und einige Fragen aufgreift, die schon länger diskutiert werden, stelle ich meine Überlegungen hier in den Blog:
Dieter Wolf ist – wie auch die Hauptakteure der SDS-Kapital-Lesekampagne – der Meinung, man könne das Marxsche „Kapital“ völlig ohne Rekurs auf Hegels „Logik“ verstehen (Wolf 2009: 1 f.). Damit hat er insofern sicher Recht, dass auch Hegels Logik kein Methodenwissen außerhalb der sachbezogenen Argumentation begründet, sondern diese Methode ihren Fortgang von ihren jeweiligen sachlichen Inhalten (auch wenn die Inhalte so abstrakte Kategorien wie das „reine Sein“ oder das „reine Nichts“ sind) her begründet. Das sollte dann auch beim „Kapital“ so funktionieren. Es gibt keine Methode neben der Argumentation, die nur auf die Gegenstände, mit denen sich die Kritik der Politischen Ökonomie beschäftigt „angewendet“ werden würde, die man separat davon kennen lernen oder lehren könnte – auch wenn Marx eigentlich „das Rationelle an der Methode […] dem gemeinen Menschenverstand zugänglich“ (MEW 29: 260) machen wollte. Soweit so gut.
Analoge Bewegungsstruktur in Hegels „Logik“ und in Marxens „Kapital“
Trotzdem gilt es als erwiesen, dass die Bewegungsstruktur, die Hegel in seiner „Logik“ darstellt, derjenigen des „Kapitals“ quasi analog ist. Dieter Wolf fragt nun, warum dies so ist. Wieso konnte Hegel diese Struktur erkennen, wenn er es doch nicht an den noch nicht ausreichend entwickelten tatsächlichen Strukturen des real existierenden Kapitalismus finden konnte?
Die dialektische Bewegungsstruktur selbst wird „durch das Setzen und Lösen eines Widerspruchs bestimmt“ (Wolf 2009: 4). Bei Marx ist der grundlegende Widerspruch der Widerspruch zwischen Gebrauchswert und Wert, der über aufeinander folgende Bewegungsformen bis hin zur Darstellung der gegliederten Gesamtheit des real existierenden Kapitalismus gelangt wäre, wenn Marx seine Konzeption hätte fertig stellen können. Wolf fragt sich nun, was in der Hegelschen Logik diesem Widerspruch zwischen Gebrauchswert und Wert entspricht. Da das Kapital lediglich eine „historisch spezifische Form des untrennbare miteinander verbundenen Verhaltens der Menschen zueinander und zur Natur“ (ebd.: 5) ist, sieht Wolf dieses widersprüchliche Verhältnis bei Hegel im Gegensatz von Natur und Geist (ebd.: 7). Darin zeige sich die historisch noch unentwickelte gesellschaftliche Arbeit und Hegels Vorstellung von Arbeit ist deshalb noch nicht eine von „Vermittlung von Natur und Geist“, sondern „eine Arbeit, mittels derer sich der Geist mit der Natur vermittelt, um eine durch den Verstand bestimmte Entwicklungsstufe zu erreichen“ (ebd.: 9)
Zwischenspiel: Selbständige Momente und äußerliche Vermittlung?
Den Widerspruch von Natur und Geist bei Hegel referiert Wolf nun so, als hielte Hegel an der Selbständigkeit beider Seiten fest und er zitiert dabei Hegel teilweise. Diese Verstümmelung des Zitats hat es in sich. Wolf schreibt über Hegel (S. 10):
„Ohne zu wissen, dass ihm sein unzulängliches Verständnis der gesellschaftlichen Arbeit das aufzwingt, hält er aber gleichzeitig an der Selbständigkeit beider Seiten fest, so dass er mit dem Problem konfrontiert ist, wie denn „absolut Selbständige doch in Einheit miteinander sein können“.“
Wer lesen kann, reibt sich dann erstaunt die Augen, wenn er bei Hegel an der angegebenen Stelle dann liest:
„Nun anerkannte aber die alte Metaphysik diese Gemeinschaft [von Körper und Seele, AS] als eine unleugbare Tatsache, es fragte sich daher, wie der Widerspruch, daß absolut Selbständige, Fürsichseiende doch in Einheit miteinander seien, gelöst werden könne. Bei solcher Stellung der Frage war die Beantwortung derselben unmöglich. Aber eben diese Stellung muß als eine unstatthafte erkannt werden, denn in Wahrheit verhält sich das Immaterielle zum Materiellen nicht wie Besonderes zu Besonderem, sondern wie das über die Besonderheit übergreifende wahrhaft Allgemeine sich zu dem Besonderen verhält, das Materielle in seiner Besonderung hat keine Wahrheit, keine Selbständigkeit gegen das Immaterielle. Jener Standpunkt der Trennung ist folglich nicht als ein letzter, absolut wahrer zu betrachten. Vielmehr kann die Trennung des Materiellen und Immateriellen nur aus der Grundlage der ursprünglichen Einheit beider erklärt werden.“ (HW 10: 48)
Hegel sagt also gerade das Gegenteil: Es war die alte Metaphysik, die sich erfolglos fragte, wie Seele und Körper als Selbständige doch in Einheit seien. Hegels Philosophie nimmt für sich in Anspruch, diese Selbständigkeit der Momente von Widersprüchen gerade aufzuheben.
Weiter zur: Bewegungsstruktur in Hegels „Logik“ und in Marxens „Kapital“
Natürlich weiß Wolf, dass Hegel bei dieser Trennung von Natur und Geist nicht stehen bleibt. Seine Darstellung des Fortgangs kulminiert nun in der Aussage, Hegel hätte die „Grundstruktur der gesamten Wirklichkeit als innerer Zusammenhang von Natur und Menschengeschichte […] durch die einfache Vermittlung im Sinne einer die Gegensätze zusammenfassenden Mitte und zum anderen durch die Selbstvermittlung, d.h. durch das von beiden Extremen verschiedene, über sie mit sich selbst vermittelnde Dritte bestimmt“ (Wolf 2009: 13). Ich denke, hier verwendet Wolf einen vereinfachten Vermittlungsbegriff, der lediglich die verstandesmäßigen Anteile von Hegels Kategorie „Vermittlung“ aufgenommen hat.
Worauf es im weiteren ankommt, ist das Ergebnis dieser schiefen Argumentation:
Der Widerspruch zwischen Natur und Geist lässt sich bei Hegel nur durch ihre Vermittlung im absoluten Geist aufheben und dieser absolute Geist ist der Bewegungsstruktur des Kapitals analog (ebd.: 13). Das Kapital wie auch der absolute Geist schaffen ihre Voraussetzungen selbst und vermitteln sich im Wege des Setzens und Lösens des jeweiligen Widerspruchs mit sich selbst (ebd.: 15). Das zeigt sich auch im sich verselbständigenden Systemcharakter, wobei der Kapitalismus als soziales komplexes System verstanden wird, „das sich durch das unbewusst- bewusste Handeln der Menschen hindurch selbst organisiert“ (ebd.: 2 f.).
Das Gemeinsame an den Logiken von Hegel und des „Kapital“ besteht also darin, dass die Bewegungsstruktur des Lebensprozesses des absoluten Geistes und der Bewegungsstruktur des Kapitals analog ist.
Gebrauchswert und Wert – wirklicher Widerspruch oder wirklicher Gegensatz?
Wolf fügt dann in seinem Text einen kleinen Exkurs ein, den er schon in seinem Buch über den dialektischen Widerspruch im Kapital (Wolf 2002) ausführlich behandelte. Es geht darum, ob der Gegensatz zwischen Gebrauchswert und Wert, also die fundamentale Bewegungsstruktur des Kapitalismus, ein dialektischer Widerspruch, der sich vermitteln lässt, oder ein „wirklicher Gegensatz“ ist, der sich nicht vermitteln lässt. Es gilt als Marxens treffendste Hegelkritik, dass er dessen vermittelnden Widersprüchen „wirkliche Gegensätze“ entgegen hält, die sich nicht mehr vermitteln lassen (MEW 1: 292). Vermitteln lassen sich nur zwei gegensätzliche Existenzweisen ein und desselben Wesens.
Was ist nun der Gegensatz zwischen Gebrauchswert und Wert? Ein wirklicher Widerspruch oder ein „wirklicher Gegensatz“? Wolf meint, es sei kein „wirklicher Gegensatz“, sondern ein Widerspruch im Hegelschen Sinne (vgl. auch Wolf 2002: 282). Er führt eine Auseinandersetzung mit Lucio Colletti, der zuerst annimmt, Ware und Geld seien wirkliche Extreme, da sie „eine wirkliche Existenz haben und deren eine selbständig neben der anderen existiert“ (ebd.: 285). Wir ahnen schon, dass diese Existenz so selbständig nicht ist – und auch Colletti erkennt anhand der Marxschen Bemerkung über die Krise, dass Ware und Geld zwar „äußerlich verselbständigt“ sind, aber sie sind doch „innerlich unselbständig, weil einander ergänzend.“ (vgl. Marx MEW 23:127-128 , Colletti 1977: 34, Wolf: 286)
Welche Rolle dieser Einschub in Wolfs Text spielt, erschließt sich mir nicht, denn Wolf fährt dann mit einer anderen Fragestellung fort, als sie bei Colletti folgt und für die diese Widerspruch/Extreme-Debatte eigentlich nicht gebraucht wird. Sie führt aber bei Colletti zu wichtigen Konsequenzen:
Dialektische Widersprüche nur im Kapitalismus?
Lucio Colletti vertritt die Ansicht, dass der dialektische Widerspruch nur in der kapitalistischen Gesellschaft die Grundstruktur darstellt und nicht in der gesamten Wirklichkeit. (Colletti 1977: 35 f.). Kapitalismus ist widersprüchlich, „weil er eine verkehrte Realität ist“ (ebd.: 38), der Widerspruch ist „das spezifische Merkmal des Kapitalismus“ (ebd.) und die Theorie des Widerspruchs ist identisch mit der Theorie der Entfremdung (ebdl: 37). In der allgemeineren Realität dagegen gibt es keine Widersprüche, „sondern nur „Realoppositionen, Widerstreit von Kräften, Gegenverhältnisse“ (ebd.: 39). Nach dem Kapitalismus könne wir die Dialektik also vergessen…
Übrigens entsteht ja Wolfs Fragestellung, wie schon Hegel auf die Dialektik kommen konnte, obwohl der Kapitalismus noch nicht voll entwickelt war, daraus, dass er diesen Standpunkt offensichtlich teilt.
Ich teile diese Position nicht, leite aber daraus die Aufgabenstellung ab, genauer zu unterscheiden zwischen dem Typ der dialektischen Widersprüche in so einer Gesellschaftsform wie dem Kapitalismus (mit „Verkehrung“, „Entfremdung“) und allgemeineren dialektischen Widersprüchen (mit Negation, Negation der Negation…im allgemeineren, nicht „verkehrenden“, nicht „verselbständigendem“ Charakter).
Hegelianisierende vermischende Interpretation von Gebrauchswert und Wert?
Wolf verfolgt einen anderen Argumentationsstrang: Er widersetzt sich vehement einer „hegelianisierende[n], Gebrauchswert und Wert miteinander vermischende[n] Interpretation der Wertform“ (Wolf 2009, ebd.: 19). Er vertritt eine Vorstellung, bei der die Momente „gleichgültige selbständige“ Existenz haben, und sich ihre Einheit als „innere, die Einheit repräsentiertende Zusammengehörigkeit“ zeigt (ebd.: 11), bzw. wo es eine „von beiden Extremen verschiedene, über sie mit sich selbst vermittelnde Dritte“ (ebd.: 13) gibt. Gebrauchswert ist demnach die Nützlichkeit eines Dinges (MEW 23: 50) und bildet den stofflichen Inhalt des Reichtums (MEW 23: 50).
Natürlich, genau dies passiert, wenn man den Text des „Kapitals“ einfach so liest. Aber die meisten überlesen dann ein kleines Wörtchen. Im einführenden Kapitel „Die Ware“ steht an einer Stelle eine Einschränkung: „Die Ware ist zunächst ein äußerer Gegenstand, ein Ding, das durch seine Eigenschaft menschliche Bedürfnisse irgendeiner Art befriedigt.“ (MEW 23: 49). Meines Erachtens gilt dieses Vorsicht gebietende „zunächst“ für alle beschreibenden Begriffsbestimmungen, die hier eingeführt werden. Das „zunächst“ deutet darauf hin, dass es dabei nicht bleiben wird, sondern dass sich gerade aus der Widersprüchlichkeit dieser Bestimmungen ihre Mangelhaftigkeit zeigen wird, die mit weiteren Begriffsentwicklungen nach und nach aufgehoben wird, woraus sich die „zunächst-Bestimmung“ selbst kritisiert. Wenn auf diese Weise die im Werk später folgenden Begriffsbestimmungen die wahreren sind, so sei hier vorgezogen, dass Marx in den „Theorien über den Mehrwert“ den Gebrauchswert im Kapitalismus als „Kapital“ bestimmt (MEW 26.1: 368, vgl. S. 375). Wir erfahren erst im Verlauf des „Kapital“, dass es die Kapitalbewegung ist, die den Produktionsprozess in Gang setzt und keine davon unabhängige, selbständige Gebrauchswertproduktion. Alle Gebrauchswerte von Waren (und nur von denen reden wir hier) sind bestimmt von ihrer Stellung innerhalb des Kapitalreproduktionsprozesses, sie bestehen nicht selbständig daneben. Das erfahren wir aber erst aus der Entwicklung der Widersprüche, die sich aus den verselbständigenden Annahmen ergeben.
Dass Gebrauchswert und Wert im Kapitalismus notwendig „vermischt“ und nicht selbständig sind, macht ja gerade die Problematik der des Zusammenhangs von Sinnlichem (Gebrauchswerteigenschaften) und „Übersinnlichem“ (Wertbestimmung) aus (vgl. MEW 23: 85), die das ganze Fetischkapitel über diskutiert wird. Der „Vermischung“ kann man nicht entkommen, wenn man nicht zu stark vereinfachen und im Schematismus landen will.
Die Logik der Dialektik und des „Kapital“
Überhaupt ist gerade die Aufeinanderfolge der ersten Kapitel des „Kapital“ ein Beispiel für diese dialektisch-logische Struktur, bei der man den Anfang nicht schon für die ganze Wahrheit nehmen kann. Im ganzen ersten Kapitel des ersten Abschnitts tut Marx selber so, als würden die Waren ihre Merkmale tragen und sich verhalten, als gäbe es keine Menschen. Diese Verselbständigung erweist sich dann erst nach der Wertformanalyse im Fetischkapitel als fetischisierende Sichtweise, die vom zweiten Kapitel, wo es erstmalig um handelnde Akteure geht, abgelöst wird. Später ergibt sich deren Ablösung durch das „automatische Subjekt“ Kapital (MEW 23: 169) und dieses wird abgelöst durch deren innere, widersprüchliche Momente Geld- und Warenbesitzer versus Nur-Arbeitskraftbesitzer bzw. Arbeits- und Verwertungsprozess, bzw. konstantes und variables Kapital. Die jeweils folgenden Kapitel führen immer zur Aufhebungen bzw. Einschränkungen der vorherigen Bestimmungen, die in dogmatisierenden Lesarten für sich genommen als ewige Wahrheiten ausgegeben werden.
Genau deshalb lässt sich das „Kapital“ nicht einfach wie ein Lehrbuch, das von der ersten Seite an fertige und richtige Ergebnisse präsentiert, lesen – sondern die Wahrheit entsteht erst ziemlich am Ende und alles, was weit vorn steht, wird im Folgenden, weil es sich selbst widerspricht, aufgehoben. Diese Argumentationsweise ist typisch dialektisch und natürlich muss niemand Hegel lesen, um auf diese Weise auch Marx verstehen zu können. Aber dann muss man es auch richtig machen und die Zirkularität des Verstehensprozesses mit berücksichtigen. Was vorn wie gemeint ist, ergibt sich erst aus dem Verständnis des Ganzen.
Auf diesem Weg wird man dann auch erkennen, dass die von Wolf zurückgewiesene „Vermischung“ von Gebrauchswert und Wert nichts anderes ist als die dialektische Figur des „übergreifenden Allgemeinen“ des Werts.
Hier beginnt nun eine grundsätzliche Frage: Gehört die Kenntnis solcher Figuren zur von Wolf abgelehnten „Hegelianisierung“, oder ist sie nicht eher fundamental, um Marxens Art des Begreifens der widersprüchlichen Wirklichkeit erstens zu verstehen und zweitens die Chance zu bekommen, selbst schöpferisch in diesem Bereich zu arbeiten und nicht nur Marxens Ergebnisse nachzubeten?
Literatur
Coletti, Lucio (1977): Marxismus und Dialektik. Frankfurt am Main, Berlin, Wien: Ullstein.
Marx, Karl (MEW 1): Das Kapital, Band 1, in: Marx, Karl; Engels, Friedrich: Werke Band 1.
Marx, Karl (MEW 23): Kritik des Hegelschen Staatsrechts, in: Marx, Karl; Engels, Friedrich: Werke Band 23.
Marx, Karl (MEW 26.1): Theorien über den Mehrwert, Band 1, in: Marx, Karl; Engels, Friedrich: Werke Band 26.1.
Marx, Karl (MEW 29): Marx an Engels in Manchester (1858). Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Band 29. Berlin: Dietz-Verlag. 1970. S. 259-261.
Wolf, Dieter (2002): Der dialektische Widerspruch im Kapital. Ein Beitrag zur Marxschen Werttheorie. Hamburg: VSA-Verlag.
Wolf, Dieter (2009): Warum konnte Hegels „Logik“ Marx „große Dienste leisten“? in: Internet http://www.dieterwolf.net/pdf/Vortrag_Hegel_Logik_Marx_Kapital_Kurzfassung.pdf (abgerufen 17.03.2010)
März 18, 2010 at 11:49 am
[…] [Update] Vgl. dazu auch: Annette Schlemm, Die Dialektik des „Kapitals“ […]
März 18, 2010 at 12:51 pm
Eine kleine Ergänzung hab ich selber noch: Wenn wir nach der Marxschen Bestimmung der grundlegenden Gegensätzlichkeit suchen, so brauchen wir da auch nicht bei den Anfangsbestimmungen Gebrauchswert und Wert zu verharren, sondern die Weiterentwicklungen der Argumentation mitnehmen: Als „wirkliches Triebwerk des Kapitals“ bezeichnet Marx im dritten Kapital-Band die „wahre Natur des Mehrwerts“ (MEW 25: 837).
(weiter vgl. mein Beitrag Mehr-als-Wert)
März 18, 2010 at 2:40 pm
Wo ist da aber die Gegensätzlichkeit? Das Zitat steht übrigens auf Seite 836 und lautet: »Alles dies verhüllt mehr und mehr die wahre Natur des Mehrwerts und daher das wirkliche Triebwerk des Kapitals«. Das richtet sich vor allem gegen die fetischistischen Personifikationen sachlicher Zusammenhänge.
Oktober 24, 2020 at 6:38 pm
Ich denke der Fetisch ist nicht die Personifikation, sondern die Annahme, es würden tatsächlich sachliche Zusammenhänge alles bestimmen.
Oktober 24, 2020 at 6:41 pm
Noch zum obigen, was der Fetisch ist: Es ist „das bestimmte gesellschaftliche Verhältnis der Menschen selbst […] hier für sie die phantasmagorische Form eines Verhältnisses von Dingen annimmt“ (MEW 23: 86). Der objektive Schein, es wären wirklich die Verhältnisse der Dinge in ihrer Versachlichung, wird fetischisiert.
März 18, 2010 at 3:13 pm
Dazu hab ich noch was auf Lager, hab aber noch keine Zeit, es aufzuschreiben. …
Inzwischen aber noch ein Contra zum Hauptpunkt bei Dieter Wolf von Frieder Otto Wolf („…Grenzen der dial. Darstellung“ in „Das Kapital neu lesen“): Er spricht davon, dass die Entstehung von doppelt freien Lohnarbeitern „sich nicht als Akt der Selbsterschaffung des Kapitals begreifen lässt“ (S. 171). Dazu steht dann weiter in den Anmerkungen: „Indem er dies betont, hat Marx sich klar von allen Versuchungen distanziert, das „Kaptial als automatisches Subjekt“ nach der Analogie von Hegels „absolutem Geist“ zu denken.“ (Anmerkung 22 auf S. 184).
April 1, 2010 at 12:40 pm
Dieter Wolf, Wer im Glashaus sitzt …
Bemerkungen zu dem Weblog – Kommentar von Annette Schlemm zu Dieter Wolfs Vortrag: Warum konnte Hegels „Logik“ Marx „große Dienste leisten“?
(als PDF, 136 kb) unter
Klicke, um auf Vortrag_Logik_Kapital_Replik_3.pdf zuzugreifen
April 5, 2010 at 2:31 pm
@Dieter Wolf: Ich verstehe nicht, was mit »mystisch irrationalem Charakter« gemeint ist. Was ich von Hegel gelesen habe, fand ich weder mystisch, noch irrational. Gerade dass sich Hegels Logik nicht in einer formalen (rationalen?) Logik erschöpft, finde ich zentral. Oder ist die Dialektik selbst irrational oder gar mystisch? Wenn die nicht, was dann?
Den angeschlagenen überheblichen und herabwürdigenden Ton in der Replik finde ich übrigens völlig unangebracht und unnötig.
August 9, 2011 at 8:42 pm
[…] Aber Unwissen über die grundlegende Argumentationsstruktur provoziert Missverständnisse. Ich habe an anderer Stelle dazu geschrieben: Das „„Kapital“ [lässt sich] nicht einfach wie ein Lehrbuch, das von der […]
August 9, 2011 at 11:33 pm
„….so sei hier vorgezogen, dass Marx in den „Theorien über den Mehrwert“ den Gebrauchswert im Kapitalismus als „Kapital“ bestimmt (MEW 26.1: 368, vgl. S. 375)“
Hab den Band nicht leider griffbereit. Könnten die beiden Zitate vielleicht nach hier gepostet werden? Kann mir nicht recht vorstellen, wie das gemeint ist.
August 10, 2011 at 10:12 am
Ich denke, man muss immer sorgfältig unterscheiden in so etwas wie den „Gebrauchswert (1)“, der gleichgültig gegen die gesellschaftliche Formbestimmung ist, den Marx oft auch verwendet (im Sinne von „worth“)- und den „Gebrauchswert (2)“, als Kategorie der Kritik der Politischen Ökonomie (als „value“). In der Wissenschaft geht es eigentlich nur um den „Gebrauchswert (2)“:
In der kapitalistischen Warenwelt müssen die Produkte zwar auch irgendwie nützlich sein (oder durch Marketing als nützlich versprochen sein) müssen, um überhaupt verkauft werden zu können – aber die Produktion erfolgt aus der Sicht des Produzenten nicht für die Nutzung, sondern für den Verkauf.
An den genannten Stellen in MEW 26.1 geht es nicht explizit um die Gebrauchswertfrage, aber sie zeigen die Verwendung der Kategorie „Gebrauchswert“ bei Marx, wenn von vornherein „vom Standpunkt des Kapitals“ aus argumentiert wird (letztlich ist „das Kapital“ ja Gegenstand seiner Wissenschaft). Und hier verwendet er die „Gebrauchswert“ als Kapitalaspekt, nicht als bloße Nützlichkeit der Dinge. Nun aber zu den Zitaten:
Im zweiten Zitat werden letztlich beide Bestimmungen ((1) und (2)) verwendet, und dann gezeigt, dass letztlich nicht einmal die Ware, sondern der Mehrwert das Resultat des kapitalistischen Produktionsprozesses ist:
So, aber Marx bleibt ja nicht dabei. Die Sichtweise, dass auch der Gebrauchswert letztlich nichts außerhalb der Wertform sei, entspricht auch einer der Eigentümlichkeiten der Äquivalentform aus der Wertformanalyse:
Nun ist es genau die Frage, ob man diesen objektiven Schein, der entsteht, wenn man etwas aus der Sicht des Kapitals (als sich selbst verwertender Wert) betrachtet, als „ganze Wahrheit“ annimmt, oder nur als Durchgangsstufe des Begreifens, das diesen Schein als Fetisch entlarvt. Diese letzte Drehung hatte ich beim Schreiben des Textes noch nicht direkt mit im Blick.
Nicht umsonst heißt ja die Zwischenüberschrift in MEW 26.1 (S. 365) auch: „Alle Produktivkräfte der gesellschaftlichen Arbeit erscheinen als Produktivkräfte des Kapitals“. Dieser Schein ist zwar objektiv, aber eben ein Schein, nicht nur eine Erscheinung.
So, einfacher wirds dadurch nicht…, ich bin ständig selber noch am Überlegen und Um-Denken…
August 23, 2011 at 11:34 pm
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„Alle Produktivkräfte der gesellschaftlichen Arbeit erscheinen als Produktivkräfte des Kapitals“. Dieser Schein ist zwar objektiv, aber eben ein Schein, nicht nur eine Erscheinung.
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Emanzipationssoziologisch finde ich Zusammenhänge zwischen (im Geld aufgehobenen) ökonomischen Warenwerten als Ausdruck der für die Reproduktion einer Ware (gesellschaftlich) notwendigen Arbeitszeit und den (im subjektiven Nutzen aufgehobenen) Gebrauchswerten als Ausdruck gesellschaftlichen Reichtums in mehrerer Hinsicht interessant.
1) Die Wertproduktivität (im Hinblick auf bestimmte Profitraten) vermittelt (ermöglicht und begrenzt) die Herstellung von Gebrauchswerten. (ohne Moos nichts los bzw. ohne Aussicht auf ein bestimmtes Quantum Moosmachen legt das Kapital gar nicht erst los)
2) Eine durch die kapitalistische Konkurrenz zwangsläufig bedingte Ökonomisierung (Einsparung gesellschaftlich notwendiger Arbeitszeit) vermehrt ebenso zwangsläufig die Gebrauchswerte und den darin zum Ausdruck kommenden gesellschaftlichen Reichtum.
3) Auch qualitatives Wachstum von Gebrauchswerten ist systemimanentes Merkmal kapitalistischer Konkurrenz. (ein Unternehmen, das neue Gebrauchswerte anbietet, kann das "innovative" Produkt so lange mit überdurchschnittlichem Profit verkaufen, bis die Konkurrenz den Vorsprung aufgeholt hat. (Es steht deshalb in der Tendenz stets mehr und bessere Gebrauchswerte zur Verfügung)
4) Die gleiche kapitalistische Konkurrenz begrenzt das soziale Vermögen a) zum Genuss all der vielen schönen neuen Dinge und b) zur sozial bzw. ökologisch verantwortlichen Verwendung bzw. Projektierung (Forcierung oder Begrenzung) all des Schönen und Guten (z.B. auch im HInblick auf arbeitsfreie Zeit).
5) Die mich emanzipationssoziologisch am meisten interessierenden Produktivkräfte sind sozial bzw. ökologisch dimensioniertes Refektionsvermögen und das Bedürfnis nach ökologisch tragbarer (globaler) Mitmenschlichkeit- Und es ist stets die Frage, wie, wo, durch was deren Entwicklung und Verallgemeinerung forcieren kann.
6) Die Menschen stellen sich sets nur Fragen die sie lösen können und entwickelt stets nur Bedürfnisse, die erfüllbar scheinen, weshalb die Entwicklung öko-humanistischer Bedürfnisse und Kompetenzen entsprechende Handlungsfreiheit also die Schaffung eines globalen (förderativen) Nachhaltigkeitsregimes erfordert, das die verschiedenen Parameter der weltweiten Gebrauchswertproduktion im Blick hat – von denen die Ersparnis der aufzuwendenden Zeit nur noch ein Aspekt unter vielen ist und nicht mehr die alles beherrschende Kraft.