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„Aber wir schaffen doch nur notwendige Arbeitsplätze!“ |
Es scheint seit langem so, als würden soziale und ökologische Bewegungen nicht gut zueinander passen. Soziale Fortschritte wurden in den entwickelten kapitalistischen Staaten meist dadurch erreicht, dass vom wachsenden „Kuchen“ an Wohlstand, den es zu verteilen gab, auch die unteren Schichten etwas abbekommen konnten. Wenn aus ökologischen Gründen Abstriche an den wirtschaftlichen Möglichkeiten gemacht werden, wirkt sich das für zuerst als Wohlstandsminderung aus, die kaum freiwillig zugelassen wird. Auch die südamerikanischen Länder, die derzeit von sog. „progressiven Regierungen“ geführt werden, erreichen ihre sozialen Erfolge zu einem sehr großen Teil durch Öl- uns Gasexporte, Bergbau und landwirtschaftliche Monokulturen für den Export.
Ich weiß noch, wie sehr mich in den frühen 90er Jahren eine kleine Broschüre von Harald Werner beeindruckte, in dem er den Unsinn der Forderung nach immer mehr Arbeit aus ökologischen Gründen darlegte (meine Notizen dazu gibt’s hier). Deshalb war es für mich seit damals klar, dass wir Soziales und Ökologisches nicht gegeneinander ausspielen dürfen (siehe hier).
Während des Kongresses „Jenseits des Wachstums“ war das Verhältnis zwischen sozialen Forderungen und ökologischen Erfordernissen ein großes Thema. Aus der ökologisch motivierten Wachstumskritik folgt auch eine Kritik des Ausmaßes und auch der Art und Weise der Bedürfnisbefriedigung in den hochindustrialisierten Ländern; dies vernachlässigt soziale Klüfte und stellt häufig die Bedürfnisse der Menschen selbst in Frage. Aus sozialpolitischer Sicht erscheinen die ökologischen Anforderungen als zusätzliches Herunterdrücken des sozialen Standards.
Insgesamt greifen mindestens ökonomische, ökologische, soziale und demokratische Fragestellungen ineinander. Insbesondere die Wechselbeziehung zwischen Ökologischem und Sozialem wurde bei diesem Kongress intensiv diskutiert. ‚Es war ein Erfolg des Kongresses dass als Konsens festgehalten werden konnte, , dass eine ökologische Umgestaltung mit Verzicht/oder Reduzierung des wirtschaftlichen Wachstums nicht auf Kosten von sozialen Grundbedürfnissen von Menschen und demokratischer Mit(Selbst-)bestimmung geschehen darf.
„Man darf unter keinen Umständen Wachstumskritik nutzen, um Sozialabbau zu rechtfertigen.“
Von der französischen Décroissance-Bewegung wurde berichtet, dass sie zur Unterscheidung der kapitalistischen Krisenschrumpfung von dem gewünschten Wandel in Richtung einer lebenswerten Postwachstumsgesellschaft sagt:
„Ihre Rezession ist nicht unsere Decroissance“
Oder genauer:
„Die [kapitalistische] Krise ist eine Katastrophe, deren Ursprung im Wachstumsdenken liegt, nicht in der Wachstumsverweigerung.“ (Quelle)
In diesem Bemühen, die soziale und die ökologische Frage als Einheit zu betrachten, sind sich die Beteiligten näher gekommen und dazu soll es in den 90er Jahren noch eine größere Kluft zwischen „Ökos“ und sozial Engagierten gegeben haben. Darüber besteht also kein Dissens, aber von den verschiedenen Seiten werden unterschiedliche Aspekte stärker betont und der Horizont der Veränderungen ist auch unterschiedlich weit gesteckt.
Wie im Heft 1/2011 des Heftes LUXEMBURG 1 der Rosa-Luxemburg-Stiftung angedeutet wird, gibt es eine Spannung zwischen der „Klientelpolitik der Gewerkschaften für ihre (schwindende) Basis von Kernbelegschaften und [der] Politik der abgesicherten Mittelklassen für eine „gute Natur“ für sich und ihre Kinder“ (S. 5).
Gewerkschaftsvertreter_innen streben Wachstum als Mittel an, weiterhin Wohlstand zu ermöglichen. Dabei kritisieren sie das Bruttoinlandsprodukt (BIP) als den einzigsten Maßstab und wollen hin zu mehr qualitativen Formen des Wachstums. Ein Wachstum an sozialen Dienstleistungen wird hier durchaus positiv gesehen. Auch die Arbeiten an einem ökologischen Wandel schlagen demnach als Wachstum zu Buche, sogar als Wachstum des Bruttoinlandprodukts. Dies wird beispielsweise auch im Thesenpapier des ver.di-Bundesvorstandes mit dem Titel „Sozial-ökologischer Umbau statt pauschaler Wachstumskritik“ dargestellt.
In einem Standpunkt-Papier der Rosa-Luxemburg-Stiftung will Hans Thie dieses Problem durch eine zweistufige Strategie lösen: Zuerst in eine nachhaltige Produktionsweise investieren und je mehr diese sich durchsetzt, kann auf Wachstum verzichtet werden.
Wachstumskritiker_innen stellen die Wirtschafts- und Lebensweise sehr tiefgreifend in Frage. Um trotz schrumpfender Wirtschaft das Problem der Arbeitslosigkeit in den Griff zu bekommen, setzen sie zumeist auf eine drastische Arbeitszeitverkürzung, was einer Steigerung des „Zeitwohlstands“ entspräche. Viele von ihnen erkennen durchaus auch:
„Ökologische Fragen sind immer auch Klassenfragen.“ (Matthias Schmelzer)
Dabei geht es auch um globale Gerechtigkeit. Es war auffallend, dass mehrere Podiumsredner_innen darauf verweisen, dass wir mit Bestrebungen nach einem Ende des Wachstums nicht das Recht haben, den Menschen weltweit zu verbieten, nach unserem Lebensniveau zu streben. Aber die Vertreter dieser Menschen, so Vandana Shiva und Alberto Acosta, sahen das ganz anders. Besonders Indien ist ein gutes Beispiel für „Vernichtendes Wachstum“:
- Während die Wachstumsrate der Produktion in Indien in den letzten Jahren um 7 bis 8 Prozent stieg, stieg Indiens Anteil an den weltweit Ärmsten zwischen 1980 und 2010 von etwas 25 Prozent auf 39 Prozent. (Amit Bhaduri, Quelle)
Hier herrscht eine „positive Rückkopplung zwischen Ungleichheit und steigender Wachstumsrate“ vor, ein „Entwicklungsterror gegen die Armen“ (ebd.).
In China wird durch politische Regulierungen versucht, erstens die sozialen Spaltungen abzumildern und zweitens werden auch energische Schritte in Richtung der Steigerung der Energieeffizienz unternommen. Es ist auch das erste Land, in dem versucht wurde, so etwas wie das „Grüne Brutto-Inlands-Produkt“ zu ermitteln (Quelle). Demnach belief sich der Verlust durch Umweltverschmutzung im Jahr 2004 auf gut 3% des volkswirtschaftlichen Produkts (Quelle).
Andere Quellen gehen davon aus, dass die Verluste durch Vernutzung der Kohlerressourcen, Landverluste sowie Wasser- und Umweltverschmutzung das jährliche Wachstum bis auf einen Rest von weniger als einem Prozent auffressen (Bachmann)
Aber auch bei gerechter Verteilung ist die Notwendigkeit, das Wachstum in Frage zu stellen, keine Frage des Wünschens oder Verwehrens:
„Keine Frage: Nach den derzeit gängigen ökologischen Maßstäben ist der Lebensstil der US-Mittelschicht nicht nachhaltig. Ihrem ökologischen Fußabdruck zufolge könnten nicht 6,8 Milliarden Menschen dauerhaft auf der Erde leben, sondern maximal 1,4.“ (Andreas Poltermann)
Daraus ergibt sich, wie Tom Strohschneider schreibt, ein Dilemma:
„So strategisch wichtig das Bündnis mit den Gewerkschaften, Beschäftigten und Konsumentinnen und Konsumenten ist, so wenig wird man ihnen verschweigen können, dass die notwendigen Veränderungen gravierende Auswirkungen auf die Lebensnormative haben werden.“
Es gibt also durchaus nicht nur eine Herrschaftshierarchie zwischen dem klassenmäßigen „unten“ und „oben“, sondern eine Privilegierung des Globalen Nordens gegenüber dem Globalen Süden. Daraus ergibt sich natürlich die Frage, inwieweit die Privilegierten auch ohne Zwang selbstbestimmt dazu bereit sind, ihre eigene Lebensweise so weit in Frage zu stellen und umzugestalten, dass sie den Menschen im globalen Süden gleichberechtigte Chancen einräumen, ihr Leben zu leben und sich dabei zu entwickeln.
Häufig hörte ich am Rande von Beteiligten, dass sie all diese Debatten schon seit mehreren Jahrzehnten führen. Die ganze Zeit über gab es eine kleine Anzahl von Menschen, die davon überzeugt sind, dass es mit diesem Wachstum nicht mehr lange weitergehen wird und auch nicht weitergehen sollte. Aber niemand will andere Menschen zwingen, auf Bedürfnisse, die sich noch vom wirtschaftlichen Wachstum oder wenigstens der Hoffnung darauf speisen, zu verzichten.
Trotzdem entstand eine starke Spannung. Auf der einen Seite stehen jene, die es als Tatsache ansehen, dass der Peak Oil und auch der Peak Everything bereits erreicht sind und auch die ökologischen Zerstörungen es nicht mehr zulassen, noch mal ein paar Jahrzehnte zu warten. Auf der anderen Seite stehen vor allem jene, deren Lebensqualität nach wie vor am realen wirtschaftlichen Wachstum hängt und denen es auch noch nicht möglich ist, in alternative Versorgungsnetzwerke einzusteigen, um ihre Bedürfnisse zu erfüllen. Da heißt es dann schnell: „Mit abstrakten Postwachstumsdiskussionen gewinnt man die Menschen nicht, damit knüpft man nicht an ihren Bedürfnissen an.“
Andreas Exner schildert in einem Text zum Thema, wieso die Vermittlung der Gesellschaftlichkeit über Geld „eine sozial verträgliche Schrumpfung der Wirtschaftsleistung unmöglich“ macht:
„Da Geld die allgemein gültige form von Reichtum darstellt, ist eine Schrumpfung, die keine schwere Rezession ist, undenkbar. Weniger Warenoutput = weniger Geld = Verlust, Krise, Elend.“
Letztlich müssen wir damit rechnen, dass es nicht so weiter geht wie bisher und strukturelle radikale Veränderungen aufgeschoben werden können, weil naturschädigendes Wirtschaftswachstum noch ausreichend Verteilungsmasse zur Verfügung stellen köonnte. Wenn wir uns nicht darum kümmern, gerechte und selbstbestimmte Lösungen zu finden, werden ungerechte und diktatorische Zustände eintreten.
Es wäre also geradezu verantwortungslos, die Augen davor zu verschließen, meinte Barbara Muraca. Elmar Altvater warnte in diesem Zusammenhang auch vor der „Angst vor der Angst“. Es hat keinen Sinn, alles schönzumalen um niemanden zu erschrecken. „Manchmal muss man Angst haben, um überhaupt handlungsfähig zu bleiben.“ Es geht darum, die Angst zum Innehalten und zum Wechseln der Spur zu nutzen, nicht in Schockstarre zu verfallen.
Zur Frage, ob wir die vorhandenen nicht nachhaltigen Bedürfnisstrukturen aufgrund der Ablehnung einer Bedürfnisdiktatur gar nicht in Frage stellen dürfen, meinte Eckhard Stratman-Mertens:
“Die Aufgabe des Kongresses ist es nicht zu fragen, was morgen mehrheitsfähig ist, sondern Lösungsvorschläge zu erarbeiten.“
Siehe auch
- Streitgespräch zwischen Attac- und ver.di-Vertretern
- Debatten zur Rolle von Gewerkschaften zur sozial-ökologischen Frage (in LUXEMBURG 1, Urban, Candeias u.a.)
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Juni 4, 2011 at 3:03 pm
[…] möchte auf den sehr interessanten Blog-Beitrag Spielt das Wachstumsthema Ökologisches gegen Soziales aus? von Annette Schlemm […]
Juni 6, 2011 at 8:42 pm
Danke für die vielen ausführlichen Zusammenfassungen, Zusammentragungen und Gedanken. In ein paar Tagen habe ich mehr Zeit um die Texte in Ruhe zu lesen, dann werde ich meinen Senf dazu geben 🙂
Oktober 31, 2015 at 8:40 am
[…] Ein früherer Text von mir: Spielt das Wachstumsthema Ökologisches gegen Soziales aus? […]