Kommen wir nun noch einmal auf folgende These zurück, die Stefan in einem Beitrag formulierte:

„Die EE — als kapitalistische Investition — machen sich ihren eigenen Markt kaputt. Je mehr EE, desto niediger der Preis, desto weniger Gewinn. In der Marktlogik bremst sich der Prozess, den alle (na ja: fast alle) wollen, selbst aus.“

Er bezog sich dabei auf den Merit-Order-Preisbildungsmechanismus. Wenn bei Erneuerbaren Energien im wesentlichen nur die Brennstoffkosten als Grenzkosten eingehen, so macht es sich bemerkbar, wenn immer mehr Strom zu diesen Konditionen in den Börsenhandel eingeht. Wir sahen die Effekte oben beim Intraday-Handel bereits.

(Ergänzung Anfang 2012: Der preissenkende Effekt wird insbesondere nach den hohen PV-Zubauten in den letzten beidne Jahren immer deutlicher:


(Quelle: Solar-Verbraucherportal))

Stefan denkt diesen Trend weiter:

„Wenn sich die »EE-Treppenstufe« so weit nach rechts verbreitert, dass sie die Nachfrage schneidet (das wäre die 100%-Versorgung), dann läge auch der Preis ganz weit unten, nahe Null. Kann das sein? Ja, das kann nicht nur sein, sondern das ist so. So funktioniert Marktwirtschaft. Oder eben nicht. Denn Marktwirtschaft geht immer von knappen Gütern aus. Mit unknappen, reichlich vorhandenen Gütern kann sie nicht umgehen.“

Denselben Effekt beobachten wir bei Software: diese kann beliebig oft kopiert werden und dadurch ist sie, wenn sie einmal erstellt worden ist, nicht mehr in begrenzter Menge vorhanden. Die sog. „proprietäre Software“ darf nicht verändert oder weiter verbreitet werden –dies geschieht durch rechtliche Regelungen (Softwarepatente oder das Urheberrecht) oder Digital-Right-Techniken. Da die Weiterverbreitung und auch die Veränderung kaum stoffliche oder energetische Ressourcen benötigt, ist die „Verknappung“ nicht durch den eingeschränkten Zugang zu diesen Ressourcen möglich, sondern nur durch die rechtlichen und technischen Zugangsbeschränkungen. Daneben jedoch kann sich „Freie Software“ entwickeln, mit der im besten Fall die propietäre Software „auskooperiert“ werden kann. Wenn dies nun auch noch für Energie möglich wäre, erfüllt sich eine visionäre Vorstellung von Robert Kurz:

„Die Verbindung von Mikroelektronik und solarer Energie eröffnet die Möglichkeit, daß Menschen sich dem Kapitalismus (teilweise, schrittweise) entziehen können und seinen totalitären Anspruch durchbrechen, wie es in der Vergangenheit nur durch Abwanderung in die kapitalistisch unerschlossenen Weltregionen möglich war […].“ (Robert Kurz)

Ist diese Hoffnung für erneuerbare Energien berechtigt? In den Kommentaren zum Beitrag von Stefan wird bereits ausgiebig die Frage diskutiert, ob in diesem Fall tatsächlich die geringen Grenzkosten (Brennstoffkosten = Null) als Basis verwendet werden können, oder doch weitere Kosten für die Energieumwandlungstechnik eingerechnet werden müssen. Stefan schreibt dann selbst:

Die Stromkonzerne werden sich schon was ausdenken, um (a) einen politischen Preis durchzusetzen und (b) ihr Quasi-Monopol gegen die Alternative eines dezentralisierten Energie-Commons zu sichern.

Welche anderen Marktmechanismen außer der Strombörse mit dem Merit-Order-Prinzip am Startblock stehen, wurde oben gezeigt. Ich denke, dass Stefan falsch mit seiner Annahme liegt, der Merit-Order-Mechanismus sei der einzige der „der Marktlogik entspricht“ und alle anderen wären dann „politisch“. Auch Merit-Order verkörpert nur eine Politik, die durch andere ersetzbar ist. Sie wurde eingerichtet unter Annahme des Sonderfalls, dass die Fixkosten bei den konventionellen Kraftwerken durch die Überschüsse bei der Abnahme des Spitzenlaststroms gedeckt werden können. Und unter der Voraussetzung, dass die erneuerbaren Energieumwandlungstechniken durch die EEG-Umlage „vorfinanziert“ und deshalb als kostenlos anzusetzen waren. Diese Voraussetzungen verlieren ihre Berechtigung und deshalb wir nach anderen Marktmechanismen gesucht.

Dass die sog. Stromgestehungskosten, die eine große Rolle bei der sog. „Grid Parity“ spielen, niemals wirklich Null werden, zeigen auch die entsprechenden Abschätzungen (Bildquelle):

Matti schreibt:

Energie ist kein Produkt, nicht durch menschliche Arbeitskraft hergestellt, damit auch keine Ware und daher wertlos. Der Preis kreist also nicht um einen Tauschwert, sondern stellt sich allein durch Angebot und Nachfrage her. Nur solange das Angebot knapp gehalten werden kann, durch knappe Rohstoffe, kann ich für den Zugriff darauf etwas verlangen. Bei freier Verfügbarkeit von Energie, ist sie frei verfügbar.

Und etwas später:

Aber wie auch immer, das Kraftwerk erfordert natürlich Arbeitskraft in der Herstellung und Betrieb. Der kumulierte Wert des Kraftwerks geht jedoch nicht auf das Produkt über, da es keines gibt. Ein Kraftwerk produziert keine Energie! Es wandelt sie nur um und stellt sie zur Verfügung. Die Energie als solche ist wertlos. Der Preis der Energie ist dann nur ein dieser Äußerliches, Zufälliges.

Hier geht einiges durcheinander. Energieumwandlung ist ein Produktionsprozess wie jeder andere. Jeder Arbeitsprozess „verändert Umweltgegebenheiten“ (Holzkamp-Osterkamp), und in ihm wird der „Stoffwechsel mit der Natur“ vermittelt (Marx). Im Kapitalismus werden mit Geldkapital Ressourcen, Vorprodukte, Produktionsmittel und Arbeitskräfte (als Waren mit spezifischem Gebrauchswert) gekauft, diese werden im Produktionsprozess genutzt, um neue Waren (Verkaufsprodukte) herzustellen. Die Sonnenstrahlen sind hier z.B. die Ressourcen, das Verkaufsprodukt ist der Strom, der in der Steckdose ankommt. Alles dazwischen ist Arbeit, ist Produktion. Zwar wird auch hier rationalisiert auf Teufel komm raus (und Arbeitskräfte gespart – nicht umsonst wurde ich vor kurzem erwerbslos.).

Aber ausgerechnet die Erneuerbaren Energien werden uns noch lehren, wie viel höher der Aufwand zur Umwandlung einer kWh von Erneuerbarer Energie im Vergleich zur Umwandlung aus fossilen Brennstoffen sein wird. Für den Ersatz von 1 Kubikmeile Öl brauchen wir 32 850 Windräder oder 91 250 000 Solarmodule, die jeweils mehrere Jahrzehnte arbeiten (die Zahlen sind sicher veraltet, grundsätzlich besteht jedoch das Problem des großen „Auffangaufwandes“. Oder anders herum: Für die Energie, die 1 Liter Öl enthält, muss ein 170 kWh-Modul je nach Witterungslage 11 bis 150 Tage lang Strom erzeugen (vgl. meine Studie). Wenn also das Argument von Matti gelten sollte, müsste alle Energie seit Beginn der sprudelnden Ölquellen „wertlos“ gewesen sein (Das Öl an sich steht ja genau so „kostenlos“ zur Verfügung). Die Verfügung über leicht erreichbare („dichte“) Energiequellen wurde zum Treibstoff für die Industrialisierung. Diese „Energiesklaven“ ersetzen menschliche Arbeit – der enorme Aufschwung des Wachstums der Arbeitsproduktivität beruhte zu einem großen Teil auf dieser Ersetzung von Arbeit durch Energie. Was die Umstellung auf „diffuse“, wesentlich mehr Aufwand zum Einfangen erfordernde erneuerbare Energie bezüglich dieser Wechselbeziehung von Arbeitsproduktivität und Energieverbrauch bedeutet, wurde noch nicht einmal ansatzweise untersucht. (Bitte alle erreichbaren Infos mir mitteilen! – Und ggf. in unserer Wikiseite nachlesen bzw. ergänzen)

Wenn wir uns im Bereich der erneuerbaren Energien dasselbe wünschen wie für die Freie Software, so ist noch auf lange Sicht hin eine weitere Voraussetzung der Freien Software nicht gegeben: die breite Verfügbarkeit der Hauptproduktionsmittel. Im Moment stehen viele gerade erst installierte Solarzellenfertigungslinien still, weil es eine Überproduktion von Solarzellen gibt (bzw. zu viele, die mit nicht mehr konkurrenzfähigen Kosten produziert wurden). Sogar wenn ein Unternehmer zulassen würde bzw. frühere Fördermittelgeber verlangen würden, dass diese Produktionsmittel z.B. von Genossenschaften einfach übernommen würden, um darauf weiter zu produzieren (etwa für Solarmodule für Projekte der Solidarischen Ökonomie oder nicht kaufkräftige Menschen in aller Welt), so würden die laufenden Produktionskosten weiter enorme Aufwendungen erfordern. Vielleicht glauben mir genügend Menschen nicht und versuchen es einfach – mich würde ihr Erfolg freuen.

Wie viele im Diskussionskontext von Keimform.de wünsche ich mir eine Commons-Perspektive für eine neue Produktionsweise. Blauäugigkeit und Wunschdenken helfen uns da aber nicht weiter. Eine nutzensbezogene Analyse und Kritik kann jedoch z.B. darauf verweisen, dass es ausgerechnet auch in dem Wirtschaftsbereich, auf den es im Zusammenhang mit der rechtzeitigen Verlangsamung des Klimawandels ankäme, die Entwicklung dadurch gebremst wird, weil es durch den „Flaschenhals“ der profitablen Kapitalverwertung muss. „Überkapazitäten“ dürfte es in diesem Zusammenhang ja überhaupt gar nicht geben. Wie auch bei Nahrungsmitteln setzt sich die Kapitallogik entgegen allem normalen Menschenverstand, moralischen Erwägungen und Hilfsbereitschaft durch. Die Solarmodule verrotten in den Lagern anstatt in Afrika und sonstwo einfach aufgebaut zu werden. Die Fertigungslinien stehen still. Ein Skandal, der erst einmal lauter brüllt als alle Commons-Theorien …

Quellen: Holzkamp-Osterkamp, Ute (1976): Motivationsforschung 2. Die Besonderheit menschlicher Bedürfnisse – Problematik und Erkenntnisgehalt der Psychoanalyse. Texte zur Kritischen Psychologie, Band 4/2. Frankfurt, New York: Campus Verlag. 4. Auflage 1990; MEW 23: 192

P.S. Wie zu bemerken war, beziehe ich mich beim Terminus „Freie Energie“ keinesfalls auf gleichnamige obskure esoterische Erfindungen.