![]() (Abb aus: Rockström 2015) |
Seit Beginn des neuen Jahrtausends wird öfter ein neuer Begriff genannt, um die Brisanz der Gefahren, die heute auf die menschliche Zivilisation lauern, zu kennzeichnen. Gleichzeitig schimmert in diesem Begriff noch etwas von der Selbstermächtigung, die uns zu Herren (und Herrscherinnen) über die Natur zu machen versprach. Gemeint ist das Wort „Anthropozän“. |
Das „Anthropozän“ bezeichnet (nach Crutzen und Stoermer 2000: 17f.) das aktuelle Zeitalter, in dem die Menschheit zu einer maßgeblichen gestaltenden Kraft auf der Erde geworden ist. Ob das eine gute Botschaft ist oder eine schlechte, können wir vielleicht gerade jetzt noch entscheiden…
Das „Anthropozän“
Bisher lebten wir im sogenannten Holozän, einer geologischen Epoche, die innerhalb der Periode des Quartärs das Pleistozän vor ca. 12 000 Jahren ablöste. Das Holozän begann am Ende der letzten Eiszeit und seitdem herrschte eine erstaunlich lange und erstaunlich stabile Klimalage. Das sieht man z.B. an dieser Klimakurve (Wikipedia):
Hier noch einmal die letzten 100 000 Jahre im Ausschnitt (wobei hier die Veränderungen des 18O-Isotops in Eisbohrkernen – als Indikator der Temperatur – dargestellt werden):
(Quelle: nach Rockström et al. 2009, nach Young, Steffen 2009)
Diese Abbildung zeigt deutlich, wie außergewöhnlich stabil die letzten Jahrtausende klimatisch waren, in denen die Menschen sich von den ersten Anfängen der Kultur bis zu uns hin entwickeln konnten. Nur in diesem Zeitraum konnten sich so komplexe Ökosysteme entwickeln, wie sie zur Grundlage des menschlichen Lebens wurden. Eigentlich ist das Holozän das einzige Erdzeitalter, in dem die Biosphäre so reichhaltig ist, dass sie eine gute Lebensgrundlage für die Menschheit gewährleistet.
Wenn man davon ausgeht, dass eine solch stabiler Zeitraum relativ selten in der Geschichte von Planeten ist, so wird der Faktor fi, der in der sog. Drakeschen Gleichung den Anteil an Planeten mit intelligentem Leben kennzeichnet, als umso geringer einzuschätzen sein, als dieser Zustand nur gering wahrscheinlich ist.
Dass die Menschen umfassend in die sie umgebende Natur eingreifen, war im 20. Jahrhundert eher erhofft und gewünscht worden als gefürchtet. Es sollte eine „Noosphäre“ entstehen, in der die Menschen die Natur aktiv und vernünftig gestalten (vgl. Kamschilow 1977: 235). Quantitativ hat die Einflussnahme des Menschen inzwischen enorme Zuwächse erfahren. Die Anzahl der Menschen verzehnfachte sich in den letzten drei Jahrzehnten, in kurzer Zeit werden Erdölmengen verbraucht, die sich in hunderten von Millionen von Jahren gebildet haben, menschlich verursachte SO2-Emissionen sind doppelt so hoch wie die natürlichen, 30-50% der Landmassen der Kontinente wurden durch Menschen umgestaltet, mehr als die Hälfte des erreichbaren Wassers wird genutzt, und die anthropogen emittierten Treibhausgase erhöhen bei CO2 die natürlichen Emissionen um 30% und bei CH4 um mehr als 100%. (Crutzen und Stoermer 2000: 17f.)
Die folgende Tabelle zeigt Veränderungen in den Öko-Systemen durch menschliche Aktivitäten im 20.Jahrhundert (aus Müller 2013):
Die jetzt eingeleiteten CO2-Emissionen haben das Potential, das Klima auf der Erde für die nächsten 50 000 Jahre zu bestimmen (Steffen, Crutzen, McNeill 2007).
Damit wurden auf allen Gebieten die „Großen Beschleunigungen“ bezahlt, bei denen die Faktoren Anzahl der Menschen, Bruttosozialprodukt, Dammbau, Wassernutzung, Papierverbrauch, Verkehr usw. in den letzten Jahrzehnten steil nach oben schießen.
Dabei werden zwei Phasen der Beschleunigung unterschieden, die erste begann mit der Industrialisierung ungefähr im Jahr 1800 und der Beginn der zweiten wird auf das Jahr 1945 datiert (Abbildung leicht verändert aus: Steffen, Crutzen, McNeill 2007, eine vergrößerte und aktualisierte Abbildung gibts bei Rockström 2015):
Damit ist die Menschheit endgültig zu einer wesentlichen Kraft geworden, die sogar das bisherige Weltzeitalter, das Holozän, aus seinen Angeln heben kann und dadurch das „Anthropozän“ einleitet.
(Quelle)
Für das dritte Stadium der Beschleunigung, dessen Beginn auf das Jahr 2015 datiert wurde, war die Hoffnung verbunden, dass sich die so mächtigen Menschen darauf besinnen, ihre Einflussnahme als ordnende Kraft zu gestalten. Um diese Zeit herum werden die Weichen gestellt für eine lange Zukunft. Wird weiter „Business as usual“ betrieben, so geht die Menschheit große Risiken ein, dass die Folgen ihres Tuns ihre Existenzgrundlagen gefährden. Als Alternativen werden Schadensminderung durch verbesserte Technologien und veränderte Verhaltensweisen in Richtung einer Decarbonisierung und Entmaterialisierung der Produktion diskutiert. Auch Geoingeneering, ein Vorgehen, bei dem das problemverursachende Verhalten wiederholt und bestärkt wird, wird in Betracht gezogen.
Die Große Beschleunigung, die zum Eintritt in das „Anthropozän“ führte, hat leider nicht zu der von Kamschilow erhofften vernünftigen Gestaltung der menschlichen Einflussnahme auf die Natur geführt. 60% der der ökologischen „Dienste“ sind so stark beeinträchtigt, dass sie sich nicht mehr auf natürliche Weise regenerieren können. Eine interessante (hier leicht veränderte) Abbildung (Quelle) zeigt einige dieser beeinträchtigten Faktoren und das Ausmaß ihrer Gefährdung:
Dieser Text wird weitergeführt werden mit der Thematisierung von „Planetaren Grenzen“. Deshalb ist hier das Thema, das mit „Anthropozän“ eingeleitet wurde, noch längst nicht abgeschlossen. Beide relativ neuen Konzepte, das „Anthropozän“ und auch die Thematisierung „Planetarer Grenzen“ sind letztlich eine Neuauflage der Studien zu den „Grenzen des Wachstums“ nach fast einem halben Jahrhundert. Sie erlangen – zumindest in der aktuellen Situation – weniger Aufmerksamkeit als die damaligen Veröffentlichungen, obwohl seitdem beschleunigte Prozesse von Zerstörung und Raubbau gewütet haben und sich die Situation so gut wie unabwendbar ins Gefährliche gewendet hat.
Das verweist darauf, dass es nicht nur darauf ankommt, die Zerstörungen möglichst genau wissenschaftlich zu erfassen und dann mit allgemein-menschlichen Veränderungsbotschaften zu garnieren, sondern dass endlich begriffen werden muss, inwieweit sie mit der herrschenden Produktions- und Lebensweise, der kapitalistischen, verbunden ist.
Wer vom Kapitalismus nicht sprechen will, kann von Anthropozän und Planetaren Grenzen schweigen und wird die Folgen erleiden. Wer aber den Kapitalismus überwinden will, erkennt in ihm die Ursache für den drohenden Verlust der Überlebensfähigkeit der menschlichen Zivilisation und dass jede folgende Gesellschaftsform anders mit der eigenen und der mit ihr interagierenden Natur umgehen muss.
- Video zum Anthropozän:
Hier gehts weiter mit „Planetaren Grenzen“
P.S. Dieser Text gehört zu den Arbeiten am INFO 2015 der Zukunftswerkstatt Jena
Mai 29, 2015 at 5:51 pm
[…] Ein erster Text, der in diesem Rahmen erarbeitet wurde, steht inzwischen im “Philosophenstuebchen” online. […]
Mai 30, 2015 at 9:55 pm
Mehr Dialektik wagen! Vielleicht wird der Begriff nicht benutzt um „die Brisanz der Gefahren die heute auf die menschliche Zivilisation lauern“ zu kennzeichnen sondern weil die menschliche Zivilisation immer mehr das Gesicht der Erde bestimmt aber die diese Zivilisation bildenden Subjekte unter den gegebenen Verhältnissen nicht in der Lage sind, ihre Interaktionsbedingungen der Zerstörungskraft ihrer Zivilisation anzupassen. Weil sie ihren (wir unseren) Stoffaustausch (bzw. Stoffbedeutungswechsel) untereinander und mit der Naturumwelt, d.h. ihre (Re-) Produktionsverhältnisse nicht beherrschen sondern im Gegenteil von den eigenen Produktionsbedingungen beherrscht sind wie von einer Naturgewalt.
Vielleicht zeigt ja das Reden vom Anthropozän den Bedarf an der Formulierung (öko-) kommunistischer Perspektiven und es läge in der Verantwortung kritischer Geister, dies positiv aufzugreifen.. ,
August 8, 2019 at 3:01 pm
Das braucht nicht „positiv aufgegriffen“ zu werden, sondern war immer im Horizont einer bewussten Wirtschaftsweise, zu der Sozialismus und Kommunismus werden sollten, mitgedacht. Damals unter dem Stichwort „Noosphäre“. Heute, ein Vierteljahrhundert nach den Mächten, die sich vielleicht in diese Richtung hätten entwickeln können, muss ich die Frage neu stellen. Und da begegnet sie uns zuallererst als Herausforderung, für deren Lösung die große Masse vielleicht gutwilliger Menschen mangels Eigentum an Produktionsbedingungen überhaupt nichts (mehr) in der Hand hat… Deshalb kann ich nicht so tun, als wäre das „Anthropozän“ heute das, was die Idee der „Noosphäre“ einfach fortsetzen würde…
August 28, 2015 at 8:23 am
[…] mit so etwas wie der „Kunst der Planetenführung“ (McGonigal 2012: 388), die angesichts der Gefahren für das Menschenzeitalter auf der Erde notwendig […]