Es war ein passendes Schlusswort von einer älteren Dame nach der Filmvorführung „Die 4. Revolution“
gestern im Schillerhof-Kino in Jena. Sie sagte: „Das war endlich mal wieder ein Film, nach dem ich ermutigt und guter Laute nach Hause gehe, nicht so deprimiert wie sonst nach Dokumentarfilmen.“

Wir hatten das Glück, eine Vorstellung mit dem Regisseur, Carl-A. Fechner zu erleben und dadurch zu erfahren, dass bei diesem Film die Finanzierung ausschließlich von interessierten Personen, Familien Verbänden und Firmen finanziert wurde und er keine Auftragsarbeit war. Der Film selbst erzeugt Diskussions-Wellen und wird von einigen Kinos zum zweiten Mal gebucht. Was ist daran so besonders?

Es geht um nichts weniger als eine Revolution im Energiebereich. Die menschliche Entwicklung war besonders in ihren letzten Jahrzehnten angetrieben von der Nutzung enormer Energiemengen; Hans-Peter Dürr spricht davon, dass wir derzeit 130 Milliarden „Energiesklaven“ nutzen ( wobei vier Energiesklaven die physische Arbeit eines Pferdes (PS) zwölf Stunden am Tag ohne Pausen leisten). Die bisherigen Revolutionen werden seit dem Industriezeitalter, also parallel zum Beginn des Kapitalismus, gezählt und beinhalten die 1. Revolution, die das Maschinenzeitalter einleitete, die2. Revolution mit Elektrifizierung, Chemisierung und Nuklearnutzung im 20. Jahrhundert und die 3. Revolution des Informationszeitalters. All diese Perioden beruhten auf der Erschließung von sehr „dichtgepackten“ Energiequellen in fossilen und kernenergetischen Rohstoffen. Aufgrund der Dichtheit und Hochkonzentriertheit dieser Quellen und aufgrund der gleichzeitig sich entwickelnden Kapitalkonzentration (Monopolisierung…) entstand ein sehr zentralistisches Energieversorgungssystem.

Nun geht es also um die „4. Revolution“. In ihr soll es um „Freie Energie für Alle“ unter dem Stichwort Energy Autonomy gehen. Das bedeutet, dass einerseits sachlich mit den eher „feinverteilten“ Erneuerbaren Energien (Wind, Wasser, Solarenergie, Geothermische Energiequellen) eine eher dezentralere Struktur der Energieversorgung gefordert ist und andererseits diese dezentrale Struktur auch in allen Bereichen der Welt eine Demokratisierung der Energieversorgung ermöglichen kann.

Dies ist auch das große Plus des Films. Es geht nicht technikverliebt um die Feinheiten von Solarstrom oder -Wärme (in diesem Bereich gibt’s auch zwei kleinere technische Versprecher) – sondern darum, dass für ein Fünftel der Menschen auf der ganzen Welt gar nicht die Luxusfrage: „Weiter fossile und Kernenergie ODER Erneuerbare Energie?“ steht, sondern dass ihnen überhaupt nur der Zugriff auf Erneuerbare Energien den Weg in die oben genannte „2. Revolutionsphase“, also die Elektrifizierung, ermöglicht. Der Film zeigt uns die Inbetriebnahme einer Solarzelle auf dem Dach einer Entbindungsstation in Mali und besonders nett: In Bangladesh liegen das die Installation, das Betreiben und auch die entsprechenden Schulungen vor allem in den Händen der Frauen! Überhaupt zeigt uns der Film vor allem Menschen, ausgewählte engagierte Personen in allen Bereichen der Energierevolution. Als Kontrast gibt es auch einen „Experten“ von der Internationalen Energie-Agentur (IEA). Es ist bekannt, dass mittlerweile auch die IEA für einen Ausbau erneuerbarer Energien plädiert.

Wieviel dies wert ist, zeigt das Bild unten. Im Filminterview betont der Chefökonom der IEA auch deutlich seine Skepsis gegenüber dem schnellen Ausbau der Erneuerbaren und plädiert für CO2-Kohle-Abscheidetechniken und Kernkraft. Dieser scheinbare Widerspruch erklärt sich aus dem folgenden Bild, das die Rahmenbedingungen der Prognosen der IEA deutlich zeigt: Mehr, mehr, mehr Energie, auf Teufel komm raus. Erneuerbare passen da auch rein, aber die fossilen und Kernenergieträger tragen weiterhin eine sogar wachsende Hauptlast.

Im IEA-Klimaschutzszenarium soll ausgerechnet die Kernkraft „einen wesentlich größeren Beitrag leisten“.

Auf solche eher abstrakten Abbildungen verzichtet der Film; er geht davon aus, dass in relativ kurzer Zeit eine 100%-Energieversorgung mit Erneuerbarer Energie möglich ist. Dass die Beispiele aus Mali und Bangladesh und auch das eher ländliche Selbstversorgungsbeispiel aus Dänemark nicht überall zu verallgemeinern sind, zeigt gleich die Eingangssequenz des Films: die lichtsprühende Stadt Los Angeles. Aber auch dafür gibt es Lösungen: Hektargroße Parabolrinnen-Solarfarmen, die ebenfalls, begleitet von berauschender Musik, in Szene gesetzt sind. Nur: wo sind verdammt noch mal in Europa die Wüsten, die für Los Angeles als Standort für diese Farmen dienen können? Schon heute wird diskutiert, ob das eine Tausendstel Ackerfläche, das für Photovoltaik genutzt werden soll, nicht zu viel ist. Dass Erneuerbare Energien extrem viel weniger dicht und kompakt sind als die traditionellen wird immer viel Flächenverbrauch bedeuten. Unsere weiträumig in sich verknäuelten Ballungszentren, noch dazu wenn man auch die industrielle Großproduktion und den Verkehr einbezieht, die derzeit in den „autonomen“ Regionen wohl eher nicht mit berücksichtigt sind, lassen Fragen offen.

In der Diskussion wehrte sich der Regisseur gegen das Ansinnen, die aus klimapolitischen Gründen und Gründen der Ressourcenschwindens notwendige Energiewende unter dem Stichwort „Verzicht“ abzuhandeln. Am Beispiel einer auch kostenreduzierenden wärmedämmenden Altbausanierung war er aber auf der richtigen Spur: Auch eine Reduktion des Energieverbrauchs muss nicht „Verzicht an Lebensqualität“ bedeuten. Deshalb muss dem IEA-Wachstumswahn primär eine Verbrauchsreduktion entgegen gestellt werden, wie sie in einem Konzept z.B. von Greenpeace arbeitet worden ist.

Auch offizielle Planungen gehen mittlerweile von einer Senkung des Energieverbrauchs aus. So geht die Leitstudie 2008 des BMU für das Jahr 2050 von einer Senkung des Primärenergieverbrauchs auf 55 % des Wertes von 2005 aus. Von der verbleibenden Energie soll ein immer größerer Anteil aus erneuerbaren Quellen kommen:

  • Vom Europäischen Rat ist 2007 beschlossen worden, dass im Jahr 2020 20 % der Energie durch EE erzeugt werden soll.
  • Für die Bundesrepublik sieht das Erneuerbaren Energien-Gesetz bis 2020 vor, dass mindestens 30 % des Bruttostromverbrauchs aus EE und bis 2030 über 50 % kommen.
  • Dem entspricht auch die Leitstudie 2008 des BMU, die ebenfalls für 2030 einen Anteil von rund 50 % des Bruttostromverbrauchs aus EE vorsieht.

Schon 2007 wies der Vizepräsident von EUROSOLAR, dessen Präsident Hermann Scheer ist, in einer Podiumsdiskussion darauf hin, dass der von der Bundesregierung angestrebte Anteil von bis zu 30 % Stromanteil aus Erneuerbaren Energien im Jahr 2020 bedeuten würde, die jetzige Wachstumsrate zu halbieren, d.h. nicht etwa zu beschleunigen, sondern zu bremsen!!!

Daher begründet sich nun auch das Konzept von Hermann Scheer in seinem neuen Buch „Energieautonomie. Eine neue Politik für erneuerbare Energien“.

Er verweist dabei darauf, dass es bereits Szenarien gibt, die für spätestens 2050 eine 100%-ige Versorgung mit Erneuerbaren Energien prognostizieren. Letztlich bestätigt sich damit ein Trend: Bisher haben meist sogar die industriellen Vertreter der Solarindustrie geringere Wachstumsprognosen abgegeben, als tatsächlich erreicht worden. Es kann also viel, viel schneller gehen als die offiziellen EE-Förderrichtlinien der Politik es – nachdem sie lange genug „zum Jagen getragen werden“ musste – nun planen.

Auf dem Weg dahin haben wir im Jahr 2009 bereits einiges erreicht: 10,1 % Anteil Erneuerbare Energien am Endenergieverbrauch, 16,1 % Anteil des EE-Stroms am gesamten Bruttostromverbrauch, wobei die Photovoltaik zum ersten Mal die 1%-Schranke ihres Anteils am Endenergieverbrauch überstieg.

Diese aus EE erzeugte Strommenge entspricht mehr als zwei Dritteln des im gleichen Zeitraum in deutschen Kernkraftwerken erzeugten Stroms!

Damit ist aber noch längst nicht die Entscheidung über die weitere Energieversorgung der Menschheit im 21. Jahrhundert gefallen. Wie ich schon einmal berichtet habe, blockiert die „Brückenfunktion“, die der Kerntechnik zugeschrieben wird, den rechtzeitigen und angemessenen strukturellen Wandel. Es geht ja nicht bloß um die Ersetzung einer Technik durch eine andere, an der viele ebensogut verdienen können, die deshalb verträglich wäre mit den herrschenden Wirtschaftsstrukturen. Nein, die erst nur technisch scheinende Frage verweist aus ihren eigenen technischen Gründen heraus auf übergreifende strukturelle Fragen: Auf den notwendigen Übergang von einer zentralisierten Energiewirtschaft zur Dezentralisierung mit entsprechenden Machtverschiebungen. Und das wird natürlich nicht ohne Gegenwehr hingenommen.

Was nun fehlt, ist eine große gesellschaftliche Bewegung, die mit aller Gegenmacht gegen die herrschenden zentralistischen Wirtschaftsmächte hält, sich ihnen entgegenstemmt, sie überschwemmt mit den eigenen dezentralen Lösungen. Nicht zuletzt will und kann dieser Film vielleicht ein wenig dazu beitragen.

In Jena treffen sich Interessierte an diesem Thema z.B. im Klimanetz Region Jena und der Zukunftswerkstatt Jena.