Holloway hat Recht mit seiner Beschreibung der Widersprüchlichkeit zwischen den Anforderungen, die die Wirtschaftswelt an uns stellt und den darüber hinaus schießenden menschlichen Bedürfnissen und Fähigkeiten. Aber diese Widersprüchlichkeit begrifflich an den „Doppelcharakter der Arbeit“ nach Marx zu binden, verkürzt die Marxsche Theorie unzulässig.
Arbeit zwischen Selbstverwertung und Selbstentfaltung
Kapitalismuskritische Bewegungen der letzten Jahrzehnte beziehen sich nicht nur auf die Ausbeutung im Sinne der Aneignung des Mehrwerts durch die Eigentümer der Produktionsmittel und auch nicht nur auf die Ausbeutung der Natur und die Landnahme immer neuer Territorien für die Kapitalakkumulation, sondern sie beziehen sich auch darauf, dass menschliche Bedürfnisse im kapitalistischen Produktionsprozess über die dort geforderten Motivationen und Fähigkeiten hinausschießen. Menschen haben Bedürfnisse, sich produktiv zu äußern, sich zu vergegenständlichen, aktiv zu sein und mit Menschen zu kooperieren, die sie während ihrer Lohnarbeit einschränken und verleugnen müssen. In Texten mit Stefan Meretz nannten wir dieses Phänomen auch den „Widerspruch zwischen Selbstverwertung und Selbstentfaltung“ (Meretz, Schlemm 2001). Holloway nennt einfache Erfahrungsbeispiele:
„Ich bin ein Lehrer und stelle Arbeitskräfte her, die dann auf dem Markt verkauft werden, zugleich aber ermutige ich meine Studierenden, kritisch über die Gesellschaft nachzudenken. Ich bin Krankenpfleger in einem privaten Krankenhaus und erzeuge Profit für meine Arbeitgeber, zugleich aber versuche ich, meinen Patienten durcheine Zeitspanne hindurchzuhelfen, die zu den schwierigsten in ihrem Leben zählen dürfte. Ich arbeite am Fließband in einer Automobilfabrik, aber in jeder freien Sekunde üben meine Finger die Akkorde ein, die ich heute Nacht auf der Gitarre mit meiner Band spielen werde.“ (103)
John Holloway will nicht die Wand „in ihrer Festigkeit, sondern in ihrer Brüchigkeit verstehen“ (15). Das Marxsche „Kapital“, insbesondere der erste Band analysiert die herrschende ökonomisch-gesellschaftliche Struktur primär als ein sich selbst reproduzierendes Verhältnis. In dieser Reproduktion werden auch die Bestandteile reproduziert (z.B. die Klassen), die das Verhältnis in ihren wechselseitigen Beziehungen immer wieder reproduzieren. Eine streng systemtheoretische Lesart kann dazu verleiten, sich lediglich der enormen Wandstärke dieses Systems zu vergewissern und es entsteht die Frage nach einem Ausweg. Holloway sucht nun Ansatzstellen für Ausbrüche. Im vom klassischen Marxismus favorisieren Klassenkampf im Sinne des Kampfs gegen die Ausbeutung der Arbeit sieht er keinen Ausweg mehr. Deshalb muss er an anderen Stellen suchen. Holloway meint, diese Stelle beim „Doppelcharakter der in den Waren dargestellten Arbeit“ (MEW 23: 56ff.) gefunden zu haben. Es geht dabei um den Doppelcharakter der sog. konkreten und der sog. abstrakten Arbeit.
Holloways Interpretation des Doppelcharakters von konkreter und abstrakter Arbeit
Schauen wir uns einmal an, wie Holloway diese Kategorien interpretiert. Er bezieht sich auf eine Unterscheidung des frühen Marx, nämlich jene zwischen „bewusster Lebenstätigkeit“ und der entfremdeten Arbeit im Kapitalismus. Die „bewusste Lebenstätigkeit“ ist dabei für Marx „der Gattungscharakter des Menschen“ (MEW 40: 516). Diese Unterscheidung sieht Holloway auch im „Kapital“ mit anderen Kategorien beschrieben: der konkreten und der abstrakten Arbeit:
„Nützliche oder konkrete Arbeit gibt es also in jeder Gesellschaft. In der kapitalistischen (oder, allgemeiner, der warenproduzierenden) Gesellschaft, nimmt sie eine bestimmte gesellschaftliche Form an, die der abstrakten Arbeit.“ (95)
Es entsteht so die Vorstellung der konkreten Arbeit als formlosem Material (unbestimmtes Tätigsein), das durch aktives Tun (Formierung) in eine bestimmte, nämlich eine abstrakte Form gebracht wird: „die abstrakte Arbeit ist ein aktiver Vorgang der Formierung unseres Tätigseins, der Abstrahierung konkreten Handelns.“ (172)
Durch diese Konstruktion wird die „Wand“, das Vorherrschen der abstrakten Arbeit, dadurch brüchig gedacht, dass man zeigt, dass wir selbst diese Wand herstellen. Wir machen die Wand, indem wir unser Tätigsein in eine abstrakte Form bringen und weil wir dies tun, können wir auch damit aufhören. Der Doppelcharakter von konkreter und abstrakter Arbeit ist für Holloway die Stelle, an der er die Wand als brüchig nachweist:
„Die abstrakte Arbeit herrscht, aber das ist nicht das letzte Wort. Die abstrakte Arbeit hat von Anfang an ihre eigene Gegenthese angekündigt. Die abstrakte Arbeit ist nur das eine Gesicht des „Doppelcharakters der Arbeit“. Über das andere Gesicht haben wir noch nicht viel gesagt, das dunkle Gesicht, für das wir noch nicht einmal einen richtigen Namen haben; für den Augenblick nennen wir es einfach „das konkret-schaffende Tätigsein“.“ (151)
Verkürzung der Marxschen Kapitalismuskritik
Holloway bezieht sich auf die Kennzeichnung des Doppelcharakters der Arbeit als „Springpunkt […], um den sich das Verständnis der politischen Ökonomie dreht“ (MEW 23: 56). Warum jedoch schlussfolgert Marx selbst nicht in der von Holloway vorgeschlagenen Weise? Warum quält sich Marx weiter mit einer diffizilen und ausufernden Analyse der „Wand“, wenn doch der Ausweg scheinbar schon lange thematisiert worden war? Warum spricht Marx ausdrücklich nur von „Doppelcharakter“ und weder von Gegensatz, geschweige denn von Widerspruch oder Antagonismus zwischen der konkreten und der abstrakten Arbeit? Marx war sehr vertraut mit den diffizilen kategorialen Unterscheidungen von „Unterschied“, „Gegensatz“ und „Widerspruch“ – es hat einen Grund, warum er sich hier NICHT für die Verwendung von „Widerspruch“ oder gar „Antagonismus“ entschieden hat. Warum folgt das Nachzeichnen des Unterschieds zwischen gebrauchswertproduzierender und tauschwertproduzierender Arbeit als „konkrete“ und „abstrakte“ Arbeit (MEW 23: 56ff., im 1. Kapitel) später noch einmal in Form der Unterscheidung des „Arbeitsprozesses“ und des „Verwertungsprozesses“ (MEW 23: 192, Kapitel 5)? Warum macht sich Marx diese Arbeit? Was passiert dazwischen?
Dabei muss berücksichtigt werden, dass Marx vom einfachsten, sprich unentfaltetsten Sachverhalt der kapitalistischen Wirtschaftswelt ausgeht, der Existenz von Waren. Es zeigt sich nun, dass bereits in den Waren ein Zwiespalt steckt: Waren erscheinen einerseits als „Gebrauchsding, alias Gebrauchswert“ und andererseits als „Träger von Tauschwert“ (MEW 19: 369). Gebrauchswert und (Tausch-)Wert sind zwei Erscheinungsformen, nicht zwei getrennte Entitäten (obgleich beim später thematisierten Vergleich von Waren jeweils eine nur bezüglich ihrer Gebrauchswertseite, die andere bezüglich ihrer Wertseite betrachtet wird). Beim Übergang von der Betrachtung der beiden Erscheinungsformen der Ware zum Doppelcharakter der Arbeit vollzieht Marx den Übergang, bei dem etwas Verdinglichtes (die „Ware“) verstanden wird als Produkt eines Prozesses, also eine „Verflüssigung“: Waren werden durch Arbeit hergestellt. Und nun taucht die Unterscheidung zwischen „konkreter, nützlicher Arbeit“ und „abstrakter Arbeit“ auf.
In den Kommentaren zum letzten Beitrag, in dem ich die Ansichten von John Holloway referiert habe, wurde schon auf die Fragwürdigkeit von dessen Argumentationsweise verwiesen. Auch Holloway ist sich durchaus bewusst, dass andere Autoren andere Interpretationsweisen des Verhältnisses von konkreter und abstrakter Arbeit bevorzugen. Er zitiert einen Satz von Moishe Postone, wonach sich die Unterscheidung zwischen konkreter und abstrakter Arbeit „nicht auf zwei verschiedene Arten der Arbeit“ bezieht, „sondern auf zwei Aspekte ein- und derselben Arbeit in der warenförmigen Gesellschaft“ (kursiv A.S.). Danach zitiert er sogar noch Marx: „Und noch eindeutiger formuliert Marx […]… „Wenn wir den Produktionsprozess unter zwei verschiedenen Gesichtspunkten betrachten 1) als Arbeitsprozess, 2) als Verwertungsprozess, so liegt schon darin, dass er nur ein einziger, unteilbarer Verwertungsprozess ist.“ […] (zit. S. 172, Fußnote 12). Und wie geht Holloway mit diesem Widerspruch um? Er postuliert einfach:
„Und doch besteht die Revolution gerade in der Zerstörung dieser unteilbaren Einheit, der Emanzipation des Arbeitsprozesses vom Verwertungsprozess, des Tätigseins von der abstrakten Arbeit.“ (172)
Was soll man davon sagen? Wir beziehen uns auf die Kategorien einer Theorie, die sich letztlich in einem Kontext auch argumentativ aufeinander beziehen und wenn uns etwas nicht passt, brechen wir einfach aus mit einem einfachen: „Und doch…“ ?
Zwischen der Unterscheidung zwischen konkreter und abstrakter Arbeit und dem Arbeits- und dem Verwertungsprozess liegt der Übergang von der Betrachtung der Warenwelt und der warenproduzierenden Arbeit zu Geld und dann schließlich zu Kapital. Während im ersten Fall (Ware, Doppelcharakter der Arbeit) noch davon abstrahiert wurde, dass die warenproduzierende Arbeit letztlich Arbeit innerhalb eines Kapitalverhältnisses ist, so wird dies in der späteren Betrachtung konkretisierend einbezogen (Arbeit als Arbeits- und Kapitalverwertungsprozess). Das später Dargestellte erweist sich also als konkreter und tiefer begriffener Zusammenhang, wobei die früheren Darstellungen durch die späteren kritisiert und letztlich auch im dialektischen Sinne aufgehoben werden. Es muss deshalb schon methodisch immer stutzig machen, wenn man sich zu schnell auf frühe Stellen im Kapital als anscheinend „letzte Wahrheit“ bezieht. Die Aufeinanderfolge der Argumente zumindest im Marxschen „Kapital“ ist keine logische Implikationsfolge (wo aus einem zentralen Zusammenhang das Weitere als „Folgerungen“ abgeleitet würde), sondern ein immer tiefer zum Wesen des Sachverhalts vordringender Erkenntnisweg. Man kann nicht die Inhalte der ersten Seiten als zentrale Wahrheit verstehen und das Weitere als Folgerungen interpretieren, sondern die ganze Wahrheit wird erst aus dem Ganzen begreifbar, sie wird erst im fortlaufenden Argumentationsgang immer tiefer enthüllt.
Marx himself
Marx selbst macht es uns bei diesem Thema der konkreten und der abstrakten Arbeit tatsächlich nicht leicht, obwohl – oder vielleicht gerade – weil er sich im „Kapital“ um große Verständlichkeit bemüht. Letztlich sind drei Sichtweisen zu unterscheiden, wobei die „Abstraktheit“ zweimal auftaucht, was zu Verwechslungen führen kann.
1. Aspekt der Nützlichkeit der Arbeit
„Nützliche Arbeit“ ist Arbeit, „betrachtet mit Bezug auf ihren Nutzeffekt“ (MEW 23: 56), auch genannt: „konkrete, nützliche Arbeit“ (ebd.: 61). An anderer Stelle (auf die Marx selbst verweist), spricht er von „Arbeit, soweit sie Gebrauchswerte hervorbringt“ und diese ist „Tätigkeit […], das Stoffliche für diesen oder jenen Zweck anzueignen“ (MEW 13: 23).
2. Überhistorisches Gedanken-Abstraktum von Arbeit
Solche nützliche Arbeit findet in allen Gesellschaftsformen statt. In Wirklichkeit findet sie immer in einer bestimmten Form statt, aber wir können gedanklich einen überhistorischen, also konkret-historisch unbestimmten Begriff bilden, der die „zweckmäßige Tätigkeit zur Aneignung des Natürlichen“ (MEW 13: 23) ausdrückt. Die so bestimmte Arbeit ist „Naturbedingung der menschlichen Existenz, eine von allen sozialen Formen unabhängige Bedingung des Stoffwechsels zwischen Mensch und Natur“ (ebd.: 23-24).
„Als Bildnerin von Gebrauchswerten, als nützliche Arbeit, ist die Arbeit daher eine von allen Gesellschaftsformen unabhängige Existenzbedingung des Menschen, ewige Naturnotwendigkeit, um den Stoffwechsel zwischen Mensch und Natur, also das menschliche Leben zu vermitteln.“ (MEW 23: 57)
Ein solcher Begriff abstrahiert von der konkreten gesellschaftlichen Formbestimmtheit, er ist also ein Gedanken-Abstraktum.
3. Real-abstrakter Aspekt der Arbeit im Kapitalismus
Die konkrete Form der Arbeit im Kapitalismus besteht darin, dass sie „Tauschwert setzt“ (MEW 13: 24). Diese bezeichnet Marx als „abstrakt allgemeine Arbeit“ (ebd.: 24). Sie ist nicht abstrakt im Sinne der Abstraktion von der Gesellschaftsform (wie in 2.) – sondern gerade historisch-konkret bestimmt als Form der Arbeit im Kapitalismus.
Welche Abstraktion ist jetzt gemeint? Als Arbeit im Kapitalismus ist vorausgesetzt, dass „nur Produkte selbständiger und voneinander unabhängiger Privatarbeiten“ einander als Waren gegenüber treten (MEW 23: 57). In den gesellschaftlichen Zusammenhang werden sie erst im Austausch gebracht, wo Wertäquivalente getauscht werden. Hier geht es nun nur noch um den Wert und „Der Wert der Ware aber stellt menschliche Arbeit schlechthin dar, Verausgabung menschlicher Arbeit überhaupt“ (ebd.: 59).
„Wie also in den Werten Rock und Leinwand von dem Unterschied ihrer Gebrauchswerte abstrahiert ist, so in den Arbeiten, die sich in diesen Werten darstellen, von dem Unterschied ihrer nützlichen Formen, der Schneiderei und der Weberei.“ (MEW 23:59)
Diese Abstraktion von den Gebrauchswerten bei der Betrachtung der die Waren produzierenden Arbeit ist nicht mehr nur eine gedankliche Abstraktion, sondern sie findet gesellschaftlich praktisch tatsächlich statt. Die Arbeitsteilung nimmt im Kapitalismus die Form an, dass voneinander unabhängige Produzenten in „Privatarbeit“ produzieren, sie also voneinander und vom Gesamtzusammenhang isoliert sind. Daher ist diese Abstraktion als nicht nur gedankliche, sondern als „Real-Abstraktion“ zu verstehen. (Dabei ist festzuhalten, dass die Abstraktion also nicht erst im Tausch entsteht, sondern bereits der Produktion zugrunde liegt).
Es gibt nun eine Beziehung zwischen der überhistorischen Gedanken-Abstraktheit von Arbeit (2.) und der historisch-spezifischen Real-Abstraktheit der Arbeit im Kapitalismus 3.). Im Kapitalismus verwirklicht sich real, was für die Gesamtgeschichte nur gedanklich verallgemeinert werden kann:
„Sieht man ab von der Bestimmtheit der produktiven Tätigkeit und daher vom nützlichen Charakter der Arbeit, so bleibt das an ihr, daß sie eine Verausgabung menschlicher Arbeit ist.“ (MEW 23: 58)
Marxens Sprechweise kann manchmal den Eindruck erwecken, als wären einerseits die nützliche Arbeit und andererseits die Tauschwert setzende Arbeit zwei verschiedene Sorten von Arbeit. So formuliert er:
„Die Arbeit, deren Nützlichkeit sich so im Gebrauchswert ihres Produkts oder darin darstellt, daß ihr Produkt ein Gebrauchswert ist, nennen wir kurzweg nützliche Arbeit.“ (MEW 23: 56)
Meistens gibt es daneben aber auch die Formulierungen, die deutlich machen, dass es jeweils um eine bestimmte Erscheinungsform oder auch Darstellungsweise geht. Auf den eben zitierten Satz folgt:
„Unter diesem Gesichtspunkt wird sie stets betrachtet mit Bezug auf ihren Nutzeffekt.“ (ebd.)
Auch an anderer Stelle spricht Marx eindeutig nicht von zwei Arbeits-Arten, sondern von „zwei verschiedenen Aspekten der Arbeit“ (MEW 23: 62, Fußnote 16). In der ersten Auflage des „Kapitals“ spricht Marx von „Arbeit, die sich in Werth“ und „derselben Arbeit, soweit sie sich im Gebrauchswerth ihres Produkts darstellt“ (MEGA II.5, 48). Es geht also immer um „dieselbe Arbeit“, bei der einmal ihre Erscheinungsweise im Gebrauchswert dargestellt wird, das andere Mal ihre Erscheinungsweise im Wert. Die Vorstellung zweier aparter Sorten von Arbeit, einerseits die konkrete, andererseits die abstrakte, wäre ein verdinglichendes Denken. Eigenschaften werden zu Dingen, Erscheinungsformen zu Wesensbestimmungen.
Die wirkliche Arbeit (oder auch produzierende Tätigkeit, wenn man das Wort „Arbeit“ vermeiden will wie Holloway oder die Wertkritiker) ist immer konkret-historisch bestimmte Tätigkeit/Arbeit. Auch beim Formbegriff gibt es Verwechslungsgefahren: Wenn wir davon sprechen, dass die Arbeit im Kapitalismus eine bestimmte Form annimmt, kann Verschiedenes gemeint sein:
(a)
Das Denk-Abstraktum „Arbeit“, das von der Gesellschaftsform abstrahiert, verliert unter bestimmten konkret-historischen Verhältnissen seine Abstraktheit und nimmt eine bestimmte besondere Form an. Die Formierung ist dann keine wirkliche Bewegung, sondern kennzeichnet die spezifische historische Konkretisierung der Kategorie Arbeit für die bestimmte Gesellschaftsformation, die in Gedankenabgebildet wird.
(b)
Die wirkliche Arbeit verändert ihre Formen im Verlaufe der geschichtlichen Entwicklung. Ausgehend von einer früheren Form erhält sie eine neue Form. Dieser Formierung entsprechen reale Strukturveränderungen in der Gesellschaft.
(c)
Die wirkliche Arbeit im Kapitalismus zeigt zwei Erscheinungsformen: Als Produktionsprozess für die Gebrauchswertseite der Ware zeigt sie sich als sog. „konkrete nützliche Arbeit“, Bildnerin des Werts dagegen als „abstrakte Arbeit“.
Kritik von Holloways Interpretation
Wir sehen also bei Marx selbst immer wieder, dass die von Holloway so lax beiseite gewischte Interpretationsweise von Moishe Postone die angemessene ist. Schauen wir uns noch einmal genauer an, was Holloway aus den eben skizzierten Kategorien von Marx macht.
„Nützliche oder konkrete Arbeit gibt es also in jeder Gesellschaft. In der kapitalistischen (oder, allgemeiner, der warenproduzierenden) Gesellschaft, nimmt sie eine bestimmte gesellschaftliche Form an, die der abstrakten Arbeit.“ (95)
Hier ist eine Formierung im Sinne des ersten eben genannten Punktes gemeint (a). Es geht um den Übergang von der gedanklichen Abstraktion der überhistorischen Arbeit (2.oben genannte Sichtweise) zur kapitalistisch formbestimmten Arbeit (3. Sichtweise), es wird aber suggeriert, die konkret-nützliche Arbeit im Sinne der 1. Sichtweise würde im Kapitalismus umgewandelt werden in kapitalistisch formbestimmte Arbeit (3.). Man kann nicht sagen, aus der konkreten Arbeit würde im Kapitalismus die abstrakte. Sondern: Es gibt immer nur wirkliche Arbeit. Die Arbeit im Kapitalismus lässt sich in zwei Erscheinungsformen/ Aspekten darstellen (c).
Holloway schreibt weiterhin, „die abstrakte Arbeit ist ein aktiver Vorgang der Formierung unseres Tätigseins, der Abstrahierung konkreten Handelns“ (172). Hier gilt das eben Ausgeführte. Hier wird vorgestellt, es gäbe erst ein irgendwie konkretes Handeln, das dann „abstrahiert wird“. Die „Abstrahierung“ als Grundübel des Kapitalismus taucht auch in den immer wieder wiederholten Zwischenüberschriften: „Die Abstrahierung des Tätigseins zu Arbeit schafft …“ (114ff.) auf.
Wie wird es dann genau gemacht, diese „Abstrahierung des Tätigseins zu Arbeit“? Was passiert, wenn wir die Werkstore durchschreiten bzw. den Computer anmachen, um damit Geld zu verdienen? Vor dem Werkstor waren wir noch konkret tätig und danach arbeiten wir nur noch? Oder fertigen wir am Fließband unsere Bauteile auch noch konkret und sie unterliegen der Abstraktion erst im Austausch? Irgendwie scheinen wir zu wissen, was gemeint ist – aber letztlich bleibt es unklar, in der Schwebe, unbestimmt. Ein weiterer Satz von Holloway scheint deutlicher zu sein, aber die eingefügte Klammer macht alles wieder verworren:
„Die Tatsache, dass unser Tätigsein in einer bestimmten Art und Weise organisiert ist (die Tatsache, dass wir abstrakte Arbeit ausführen), …“ (165)
Wir führen also abstrakte Arbeit aus? Wie geht das? Gemeint ist, dass unsere Arbeit zumindest, wenn sie als Lohnarbeit im Auftrag des Kapitals zum Zwecke der Kapitalvermehrung ausgeführt wird, der Gebrauchswert nur noch sekundär interessiert (damit sich überhaupt ein Käufer findet), aber der Zweck durch den Tauschwert gegeben ist. Das ist aber immer noch wirkliche Arbeit an tatsächlichen Produkten und kein Agieren im Formlosen, Unbestimmten, Abstrakten. Was wir tun, hat eine bestimmte Form und auch einen bestimmten Inhalt, es ist nicht wirklich „abstrakte Arbeit“. Als „abstrakte Arbeit“ können wir etwas nur betrachten oder darstellen, aber wir können sie nicht „ausführen“. Auch im Kapitalismus wird wirklich gearbeitet, nicht nur abstrakt. Außerdem Auch kommt es auch im Kapitalismus nicht nur auf den abstrakten Wertvergleich an, sondern die Waren werden überhaupt nur wegen ihres (wenigstens erwarteten) Gebrauchswertes nachgefragt.
Worin die kapitalistische Form- und Inhaltsbestimmung besteht, geht bei Holloway vollständig verloren. Es steht aber sogar in dem von Holloway angeführten Abschnitt vom Doppelcharakter der Arbeit im „Kapital“. Marx schreibt da:
„Nur Produkte selbständiger und voneinander unabhängiger Privatarbeiten treten einander als Waren gegenüber.“ (MEW 23: 57)
Es geht hier um die Privatarbeit als spezifisch kapitalistische Form der Arbeitsteilung. Während Holloway versucht, die Kategorie der „konkreten Arbeit“ quasi reinzuhalten von der kapitalistischen Formbestimmung, ist für Marx ganz klar, dass der gesamte wirkliche Arbeitsprozess bestimmt ist von dieser Grundstruktur der Gesellschaft und auch die konkrete Arbeit wird als „selbständige und voneinander unabhängige Privatarbeiten“ ausgeführt. Marx schreibt ausdrücklich von „nützlichen Arbeiten, welche unabhängig voneinander als Privatgeschäfte selbständiger Produzenten betrieben werden“ (ebd.) Den Zusammenhang der Arbeit als „Arbeit des vereinzelten Einzelnen“ und der „abstrakte[n] Form der Allgemeinheit“ beschrieb er schon vorher (MEW 13: 21).
An einer anderen Stelle zeigt sich noch einmal deutlich, dass Holloway die Kritik in der Kategorie „Privatarbeit“ überhaupt nicht versteht. Er zitiert ausdrücklich zustimmend einen Text von D. Elson, die davon ausgeht, dass Marx „die subjektiven, bewussten, bestimmten Aspekte der Arbeit mit den Begriffen der privaten und konkreten Arbeit in sich aufnimmt“ (zitiert S. 155, Fußnote 62).
Auf diese Weise kann sich der Versuch Holloways, aus dem „Doppelcharakter“ der Arbeit den kapitalismussprengenden „lebendigen Antagonismus“(101) herauszulesen, zumindest nicht wirklich auf Marxsche Kategorien beziehen. Holloway hofft:
„Die abstrakte Arbeit herrscht, aber das ist nicht das letzte Wort. Die abstrakte Arbeit hat von Anfang an ihre eigene Gegenthese angekündigt. Die abstrakte Arbeit ist nur das eine Gesicht des „Doppelcharakters der Arbeit“. Über das andere Gesicht haben wir noch nicht viel gesagt, das dunkle Gesicht, für das wir noch nicht einmal einen richtigen Namen haben; für den Augenblick nennen wir es einfach „das konkret-schaffende Tätigsein“.“ (151)
So sehr ich ja das Anliegen von Holloway, die Brüchigkeit und nicht die Festigkeit der Wand zu analysieren, teile – so sehr muss ich aber auch davor warnen, den Bruch an der falschen Stelle zu behaupten. Bei Marx ist auch die konkrete Arbeit ein Moment der kapitalistischen Produktion, nichts außerhalb ihrer. Sie ist Produktion auf Basis vereinzelter Warenproduzenten, die privat produzieren und die erst über den Austausch als gesellschaftliche Arbeit anerkannt wird. Noch deutlicher wird das auch bei der späteren Unterscheidung von Arbeitsprozess und Verwertungsprozess. Zwar beschreibt Marx auch hier die von der konkreten Gesellschaftsform abstrahierten allgemeinen Merkmale aller menschlichen Arbeitsprozesse, aber für die Arbeit im Kapitalismus ist es eindeutig „derselbe Arbeitsprozess“, der einmal von seiner qualitativen Seite (als Erzeugung nützlicher Produkte) und einmal von seiner quantitativen Seite her (als Wertbildungsprozess) betrachtet wird. Die „kapitalistische Form der Warenproduktion“ wird als „Einheit von Arbeitsprozess und Wertbildungsprozeß“ beschrieben (MEW 23: 211), nicht etwa als Umformung des Arbeitsprozesses zum Wertbildungsprozess.
Im Fortgang der Argumentation im „Kapital“ werden auch nicht von einem zentralen Ausgangspunkt her weitere Schlussfolgerungen gezogen, deren Bedeutung eventuell auch noch beliebig schwer gewichtet werden könnte. Die Aufeinanderfolge der Argumentation beginnt stattdessen bei Phänomenen, bei deren erster Betrachtung von vielem abstrahiert wird (so wird z.B. bei der Betrachtung von Waren und Geld vom Kapital noch abstrahiert). Da diese abstrahierende Betrachtungsweise jeweils nicht ausreicht, um die gesellschaftlichen Prozesse und ihre Dynamik zu erklären, d.h. ihre Gründe zu finden, muss jeweils fortgeschritten werden zu komplexeren Zusammenhängen und tieferen Wesenszügen. Es zeigt sich z.B. später, dass die ganze Dynamik auf der Ebene von Waren und Geld begründet ist in dem Selbstreproduktionsprozess des Kapitals. Das Kapital erweist sich als „übergreifend“, es stellt selbst eine Mannigfaltigkeit von Momenten und Bewegungen dar, aber alle seine Momente erhalten ihre Erklärung erst aus der Gesamtbewegung. Dies wird übrigens auch im zweiten Band des „Kapitals“ noch einmal schön gezeigt, leider wird dies wohl kaum gelesen.
Diese dialektische Struktur bestätigt natürlich Holloways Vorbehalt, der Marxismus, zumindest des „Kapitals“, sei eher eine Analyse der Wand als das Auffinden ihrer möglichen Bruchstellen. Die Lösung kann nun aber nicht darin bestehen, die Komplexität durch Weglassen wesentlicher Teile zu reduzieren. Es bringt nichts, an einer Stelle, die von anderen als undurchdringlich gekennzeichnet wurde, einfach ein Zeichen des Trotzes („und doch…“) anzubringen und loszustürmen, um einen Durchbruch zu erzwingen. Dann verschwenden wir eventuell unsere Kraft, statt uns auf den weiteren Weg zu begeben.
Weiter denken und handeln…
Der weitere Weg besteht darin, sich das Fundament der Wand und ihre Bauweise noch einmal genauer anzuschauen. Es geht nicht darum, die konkrete Arbeit gegen die abstrakte auszuspielen, sondern sich anzuschauen, wie die wirkliche Arbeit geschieht: sie geschieht in der Form der Privatarbeit. Es muss also darum gehen, trotz erweiterter Arbeitsteilung deren kapitalistische Form aufzuheben: die Vereinzelung der Produzenten. Robert Kurz bezeichnete die besondere Form der Gesellschaftlichkeit der Produktion im Kapitalismus als eine Produktion „füreinander“ anstatt einer Produktion „miteinander“. (Kurz 1987: 100)
Ich denke, wir finden uns damit auch ungefähr dort wieder, wo Holloway hin will. Sein schon früher zitierter Satz (vor der Klammer) war ja nicht ganz falsch:
„Die Tatsache, dass unser Tätigsein in einer bestimmten Art und Weise organisiert ist (die Tatsache, dass wir abstrakte Arbeit ausführen), …“ (165)
Es geht tatsächlich um die Art und Weise der Organisation unseres Tätigseins. Wenn Holloway das Problem aber als „Abstrahierung“ bestimmt, so bleibt auch die Kritik abstrakt. Die Orientierung auf die private Form der Produktion gibt der Kritik dagegen eine Richtung: Es geht um die Aufhebung der privaten Form des nur marktvermittelten „Füreinander“ und die Schaffung einer vermittelten Form des „Miteinander“. Auch diese wird konkret-historisch bestimmt und geformt sein. Wirkliches Leben ist nie formlos und bestimmungslos.
Warum ist die Argumentation von Holloway so anziehend? Sie geht davon aus, dass das zu Befreiende schon da ist, dass es bloß noch freigelegt zu werden braucht. Nach dem Aufbrechen der kapitalistischen Wände ist die „bewusste Lebenstätigkeit“ als konkret-nützliche Arbeit immer schon da. Tatsächlich?
Dem Entfremdungsgedanken würde nahe liegen (und so argumentierte der frühe Marx auch), dass das Gattungswesen des Menschen (das er in der „bewussten Lebenstätigkeit“ sah) letztlich von der entfremdenden Form befreit zu sich selbst kommen wird. Damit ist aber dieses Gattungswesen quasi als Geschichtssubjekt bestimmt. Holloway bedient sich zwar der frühmarxschen Argumentation, erkennt aber auch deutlich:
„Wir müssen unbedingt vermeiden, dem Begriff des nützlichen Tätigseins eine falsche Positivität oder einen wesenhaften, außerhalb der Geschichte stehenden Charakter zuzuschreiben.“ (176)
Er bezieht sich auf das empirische Vorhandensein von Beispielen, wie die gitarre-übenden Finger am Fließband usw., die sich nur blitzlichthaft zeigen. Dabei bleibt Holloway auch hier sehr unbestimmt. Die Beispiele reichen vom Pfleger, der für seine Patienten mehr tut als für seine Klinik Geld zu verdienen bis hin zum Mädchen, das statt zur Arbeit zu gehen, sich mit einem Buch in den Park setzt. Politische Handlungsorientierungen versanden in allgemeinen Hinweisen, etwa zur Vernetzung von alternativökonomischen Projekten.
Weiterführend wäre hier eine genaue Bedingungsanalyse. Bedingungen sind jene Umstände, die einerseits das Gegebene ermöglichen, aber andererseits dazu bestimmt sind, sich zu verändern (vgl. HW 8: 289). Wenn wir eine neue Qualität der Vergesellschaftung erreichen wollen (Vermittlung eines Miteinander statt des Füreinander der vereinzelten Einzelnen), müssen wir schauen, welche Bedingungen und Voraussetzungen für die nächsten Schritte, für die nächsten qualitativen Sprünge in diese Richtung vorhanden und welche wie veränderbar sind. Es geht hier um Produktivkräfte und auch um den Charakter der Produktionsmittel:
„Nicht was gemacht wird, sondern wie, mit welchen Arbeitsmitteln gemacht wird, unterscheidet die historischen Epochen. Die Arbeitsmittel sind nicht nur Gradmesser der Entwicklung der menschlichen Arbeitskraft, sondern auch Anzeiger der gesellschaftlichen Verhältnisse, worin gearbeitet wird.“ (MEW 23: 194-195)
Dieses Konzept muss ja nicht als deterministische Bestimmung der gesellschaftlichen Verhältnisse durch Produktivkräfte bzw. Produktionsmittel interpretiert werden – aber es kommt immer darauf an, die jeweils vorliegenden Bedingungen zu nutzen, sie zu verändern und dazu muss man sie thematisieren. Heute wäre ganz konkret zu fragen:
Welche Bedingungen ermöglichen das Darüber-Hinausschießen unserer Bedürfnisse und Fähigkeiten über die kapitalistischen Formen? Welche brauchen wir, um eine Verallgemeinerung der jetzt nur blitzlichtartig aufscheinenden neuen Potenzen zu erreichen? Auf welche Bedingungen können und müssen wir wie konkret einwirken? Diese Fragen erfordern mehr Arbeit als nur zu postulieren, dass wir mit dem Schaffen des Kapitalismus aufhören sollen, uns verweigern und etwas anderes schaffen sollen. Holloway verwendete in seinem früheren Buch die Vorstellung, wir sollten wieder einen „gesellschaftlichen Fluss des Tuns“ (Holloway 2002: 242) herstellen. Diese Orientierung geht in die richtige Richtung, ist aber viel zu abstrakt, d.h. zu unbestimmt. Metaphern bieten eine gute Basis für geteilte, gemeinsame Gefühle. Aber sie sind viel zu unkonkret für wirkliches Handeln.
Wir wollen Durchbrüche schaffen, aber dazu müssen wir die Wandstruktur kennen…
Tatsächlich bildet der Kapitalismus keine starren Gefängnismauern, sondern als gesellschaftliches Verhältnis wird er im Handeln der Menschen immer wieder neu erzeugt. Dieses Verhältnis ist aber nicht so fragil, dass es tatsächlich in unserer Entscheidungsmacht stünde, jederzeit aufzuhören, den Kapitalismus zu erzeugen, wie es Holloway häufig suggeriert. Holloway verflüssigt Erstarrtes gedanklich. „Der Kapitalismus“ wird zum Prozess seiner Reproduktion. Gesellschaftliche Verhältnisse sind prozesshafte Formen und „(a)lle Gesellschaftsverhältnisse sind aktive Schlachtfelder, lebendige Antagonismen“ (168). Bei dieser Betrachtung liegt die Macht nicht mehr „da oben“ oder „im System“, sondern in uns selbst. Wenn wir es sind, die die gesellschaftlichen Verhältnisse mit unserem Handeln und Verhalten herstellen, können wir auch damit aufhören. Als Beispiel für die individuelle Verweigerung beschreibt Holloway, dass wir die gesellschaftliche Praxis, die wir vergegenständlicht als Geld mit uns herumtragen, beenden können und statt etwas mit dem Geld zu kaufen, könnten wir uns damit eine Zigarette anzünden und ein Auto könnten wir, statt damit zu fahren, als Blumenkasten oder Rübenbeet nutzen (233).
„Wenn wir es sind, die den Kapitalismus produzieren, dann können wir auch aufhören, ihn zu produzieren, und etwas anderes tun.“ (91)
In dieser begeisternden Suggestion liegt aber auch eine Mißachtung des Leidens und der Kämpfe derjenigen, die seit langer, langer Zeit schon längst versuchen, solche Ratschläge umzusetzen und brutal scheitern. Holloway weiß durchaus um die Härte der Wand:
„Wenn wir unsere Leben nicht der Arbeit widmen, die das Kapital schafft, blühen uns Verelendung, selbst Hungertod, oftmals gewaltsame Unterdrückung.“ (13)
Woran liegt das? Irgend etwas muss da als Wand dasein, das nicht täglich von uns neu erzeugt wird. Mit Marx wissen wir, dass das an Voraussetzungen liegt, die einerseits historisch vor dem Kapitalismus geschaffen wurden, andererseits innerhalb der kapitalistischen Verhältnisse ständig neu erzeugt werden: die Klassenverhältnisse, insofern der Mehrheit der Menschen die Verfügung über die sachlichen Voraussetzungen der Produktion entzogen wind ( durch die „sog. ursprüngliche Akkumulation“ (MEW 23: 741ff.)). Wenn Menschen lediglich über ihre Arbeitskraft verfügen, aber nicht über Lebens- und Produktionsmittel, sind alle Aufrufe zur Verweigerung eine Aufforderung zum Selbstmord und Aufrufe zum „anders Schaffen“ (außer für Geistesarbeiter) illusionär. Deshalb geht Marx für entwickelte kapitalistische Verhältnisse auch davon aus:
„Außerökonomische, unmittelbare Gewalt wird zwar immer noch angewandt, aber nur ausnahmsweise. Für den gewöhnlichen Gang der Dinge kann der Arbeiter den „Naturgesetzen der Produktion“ überlassen bleiben, d.h. seiner aus den Produktionsbedingungen selbst entspringenden, durch sie garantierten und verewigten Abhängigkeit vom Kapital.“ (MEW 23: 765)
Die Globalisierungsprozesse des neoliberalen Kapitalismus zeigen, dass die Prozesse der „sog. ursprünglichen Akkumulation“ durchaus noch weiter geführt werden. Als Theoretiker der Antiglobalisierungsbewegungen betont Holloway diese Problematik. Die Fokussierung auf die Weiterführung der „sog. ursprünglichen Akkumulation“ veranlasst jedoch Holloway die Selbstreproduktionskräfte des Kapitalismus zu vernachlässigen. Das Gegenteil einer Vereinseitigung ist wieder eine Vereinseitigung.
Über viele Jahrzehnte wurde in den Kernländern des Kapitalismus die Trennung von sachlichen und lebendigen Produktionsfaktoren immer wieder erweitert reproduziert. Der Anteil des akkumulierten Reichtums der Menschheit in den Händen der Produktionsmittelbesitzer im Vergleich zum täglich, wöchentlich oder monatlich neu hergestellten Anteil daran ist extrem hoch. Diese akkumulierte Macht ist verkörpert in wesentlichen Produktionsstrukturen, die erst einmal nicht verzichtbar sind, um alle Menschen mit den notwendigen Gütern zu versorgen.
Letztlich müssen wir ja unterscheiden zwischen jenen Gebieten der Welt, in denen die Menschen noch bis vor kurzem durchaus ohne eine Durchkapitalisierung ihrer Wirtschaft (über-)leben konnten und wo die direkte Verweigerung noch Sinn macht und den Kerngebieten des Kapitalismus, in denen es durchaus abenteuerlich wäre, die vorhandene Wirtschaft einfach aufzugeben ohne zu wissen, woher im nächsten Monat die Lebensmittel kommen sollen. Simone Weil hat schon in den 1920er Jahren ein tiefes Verständnis gegenüber der Neigung der Arbeiter gehabt, gegenüber abenteuerlichen Revolutionsplänen skeptisch zu sein:
„Die deutsche Bevölkerung, weder entmutigt noch betäubt, wendet sich nicht von der Aktion ab, aber sie handelt nicht und wartet. Die zu lösende Aufgabe macht das Zögern verständlich. Denn das sich den deutschen Arbeitern stellende Problem gehört einem anderen Bereich an als jenem, mit dem die russischen Arbeiter 1917 konfrontiert waren: Friedensschluss und Landverteilung. Nein, hier geht es darum, die gesamte Wirtschaft auf neuen Fundamenten wieder zu errichten.“ (Weil 1975: 35)
Meiner Meinung nach macht es durchaus Sinn, als Revolutionsstrategie nicht nur die Enteignung an diesen akkumulierten Produktionsfaktoren ins Auge zu fassen, sondern zu versuchen, quasi „am Kapitalismus vorbei“ aus zusätzlichen, noch nicht vom Kapital erfassten Ressourcen und Kräften heraus in eigenständiger Miteinander-Produktion eigene neue Produktions- und Konsumgüter zu schaffen, deren Verfügung etwa über commonsbasierte Strukturen vermittelt wird. Die Debatte, die diese Strategie favorisiert, beruht aber gerade auf einer Analyse der historisch vorliegenden Bedingungen für eine neue Vergesellschaftungsweise der Produktion. Es ist typisch, dass sie weitere, von Holloway gar nicht berücksichtigte Praxen und Erfahrungen mit einbezieht: Freie Software, commonsbasierte Peer-Produktion usw.
Diese Praxen haben ihre Quelle auch in Potenzialen, die im kapitalistischen Produktionsprozess nicht verwirklicht werden können: dem Potenzial, bedürfnisgerecht und selbstbestimmt kooperativ nützliche Güter herstellen zu können, die nicht auf einem Markt gehandelt werden. Die von Holloway immer wieder genannte Zwieschlächtigkeit des eigenen Tuns, gespalten in Arbeit zur Kapitalvermehrung des Produktionsmittelbesitzers und Tätigkeit zur Entfaltung des eigenen Potenzials und zur Herstellung nützlicher Dinge. Am Tag wird mit Lohnarbeit die Miete verdient, in der Freizeit wird Freie Software hergestellt.
Was über Holloways Gedanken hinausgeht, ist die Orientierung an neuen Formen des gesellschaftlichen Tuns. Holloway lässt es unbestimmt, das Lesen eines Buches im Park gilt ihm gleichviel wie das Gitarre-Üben am Fließband und das Umnutzen eines Autos zum Blumenkübel. Natürlich soll das Neue keine einengende Kommandowirtschaft werden, sondern die Wirtschaft soll ausgehend von individuellen (konsumtiven und produktiven) Bedürfnissen selbstbestimmt organisiert werden. Diese Bedürfnisse sind nicht vorher festlegbar. Deshalb lässt Holloway das, was neu zu schaffen ist, inhaltlich auch sehr offen. Er beschreibt eine „andere Form der Vergesellschaftung“ als „ ein gesellschaftliches Fließen von sich miteinander verwebenden und losen Fäden“ (220), als „heterogenes Tätigsein, dessen gesellschaftlicher Nutzen alles andere als offensichtlich ist, oder deren einziger direkt gesellschaftlicher Nutzen die Freiheit ist, nach eigenem Gutdünken zu leben“ (ebd.).
Eher nebenbei formuliert Holloway auch eine Voraussetzung für solch eine lockere und offene Form der Organisation der Produktion:
„Angesichts unserer gesellschaftlichen Fähigkeit, unsere Grundbedürfnisse abzudecken (beim gegenwärtigen Stand der Entwicklung der Produktivkräfte, wie das früher hieß), sollte es wirklich möglich sein, dass wir recht glücklich in einem gesellschaftlichen Gewebe leben, in dem es von losen, kreuz und quer wuchernden, ungleichzeitigen Fäden nur so wimmelt, heterogenes Tätigsein, dessen gesellschaftlicher Nutzen alles andere als offensichtlich ist, oder deren einziger direkt gesellschaftlicher Nutzen die Freiheit ist, nach eigenem Gutdünken zu leben.“ (220)
Man hat den Eindruck, als sei selbstverständlich eine Art „Schlaraffenland“ gegeben. Diese Voraussetzung ist jedoch nicht einfach gegeben. Sie muss immer wieder reproduziert werden und dies noch dazu unter sehr herausfordernden Bedingungen angesichts der Folgen des Klimawandels. Ich bin ebenfalls wie Holloway der Meinung, dass wir gute Voraussetzungen haben oder entwickeln können, die allen Menschen ein lebenswertes Leben ermöglichen können. Aber so unbestimmte und abstrakte Umschreibungen wie „gesellschaftliches Fließen“ und „heterogenes Tätigsein“ sind wenig richtungsweisend für das wirkliche Handeln unter konkreten Bedingungen.
Zusammenfassung
Ich fasse im Folgenden noch einmal zusammen, wie ich den Bezug von Holloway auf die Marxsche Unterscheidung von konkreter und abstrakter Arbeit bewerte.
Ausgangspunkt ist die Kritik einer Interpretation des Marxismus, die durchaus vereinseitigt ist. In dieser Interpretation wird davon ausgegangen, dass die „sog. ursprüngliche Akkumulation“ historisch abgeschlossen ist und die weitere (erweiterte) Reproduktion des Kapitalismus sich nur noch auf die Aneignung des unbezahlten Teils der Lohnarbeit bezieht, wodurch der Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit in den Mittelpunkt gestellt wird und der Klassenkampf lediglich auf einen Kampf gegen die Ausbeutung der Arbeit gerichtet ist, wobei die Arbeit selbst nicht in Frage gestellt wird:
Demgegenüber betont Holloway, dass die „sog. ursprüngliche Akkumulation“ weiter geführt wird und dass der den Kapitalismus sprengende „lebendige Antagonismus“ zwischen der konkreten Arbeit als „bewusste Lebenstätigkeit“ und ihrer abstrakten Form besteht:
Beide Sichtweisen stellen eine Vereinfachung der Marxschen Theorie dar. Dies zeigt sich bei ihrer etwas umfassenderen Darstellung:
Für Menschen irgendwo in der Welt, wo die Arbeitskraft noch nicht getrennt wurde von den sachlichen Produktionsfaktoren, ist natürlich der Widerstand gegen diese Trennung das Hauptkampffeld. Für jene, die tatsächlich nur über ihre Arbeitskraft verfügen können, steht nach die vor die Frage, wie sie Zugriff auf die für wirkliches Tätigsein notwendigen sachlichen Voraussetzungen bekommen. Im Bereich der Software oder auch kleineren Handwerksbetrieben oder kleineren Gemeinschaftsgärten ist dies erheblich einfacher zu lösen als für große Agrarflächen und z.B. großtechnische Anlagen. Hier schlägt irgendwo Quantität in Qualität um und in der gesamtgesellschaftlichen Dimension reicht es eben nicht aus, sich die Alternative nur in einer Summe von Kleinprojekten vorzustellen.
Aneignungsverhältnisse als Wand
Man kann ja nicht sagen, Holloway würde die Konsequenz der erweiteten marxschen Sichtweise (mit der Berücksichtigung der Trennung von lebendigen und sachlichen Tätigkeitsfaktoren) nicht verstehen – er findet sie ja auch in der Realität:
„Wenn wir unsere Leben nicht der Arbeit widmen, die das Kapital schafft, blühen uns Verelendung, selbst Hungertod, oftmals gewaltsame Unterdrückung.“ (13)
Es ist nun wirklich die Frage, ob genügend Menschen ausreichend viele Ressourcen zur Verfügung haben und zur Verfügung stellen (können/wollen), um das „anders Schaffen“ leisten zu können, ohne die Frage der Enteignung stellen zu müssen. Ich würde auf jeden Fall das Eine (Enteignung) nicht gegen das Andere (neu selber schaffen und nicht privat aneignen (lassen)) ausspielen.
Der alte Enteignungsdiskurs und die Enteignungspraxis (Übernahme der sachlichen Produktionsmittel und Weiternutzung in fast unveränderter Form) muss aus mehreren Gründen kritisch hinterfragt werden:
- Viele Produktionsmittel enthalten „technisch eingebaute“ Unterdrückungsmechanismen (tayloristisch kontrollierte Fließbandarbeit…).
- Vieles wird gar nicht mehr gebraucht (Rüstungsgüter, Kernkraftwerke, Buchungssoftware…)
- Manche Produktionsweisen sind weder im ökologischen Sinne, noch im Sinne des Tierschutzes oder der Humanität aufrecht zu erhalten (Fleischmästereien und entsprechende Schlachthöfe…).
An vielen Stellen hat der Kapitalismus bereits das Gebiet verlassen, so wie in der aufgegebenen früheren Autostadt Detroit. Dort haben sich große Einkaufszentren bereits zurückgezogen, es gibt kein frisches Obst und Gemüse mehr zu kaufen. Diese Gegenden bieten z.B. Brachflächen für Gemeinschaftsgärten und sie werden auch nach und nach genutzt. Bei stillgelegten Produktionsanlagen wie in der Solarbranche ist es aber kaum vorstellbar, sie weiter zu führen, weil erstens die laufenden Produktionskosten zu hoch sind und ein großer Absatzmarkt benötigt würde, wenn die Anlagen stabil kontinuierliche durchlaufen sollen. Franz Nahrada fragt angesichts des ökonomischen Niedergangs in Griechenland, ob nicht „eine lokal organisierte, zugleich international solidarisch unterstützte Peer – Production in das Vakuum der absehbar sehr tiefen Krise vorstoßen könnte“.
Trotzdem ist es nicht hinnehmbar, dass z.B. weltweit immer mehr Agrarflächen in Privateigentum übergehen („Landgrabbing“, siehe hier und hier und hier…). Auch an anderen Stellen werden wir, wenn wir eine andere Produktionsweise verallgemeinern wollen, nicht um das Stellen der Eigentumsfrage für die bisher von der Menschheit erarbeiteten produktiven Mittel und vor allem für die Naturressourcen nicht herum kommen können. Insofern sehe ich keinen so großen Riß zwischen den Kontrahenten der Debatte im Keimform-Blog bezüglich des Stellens der Eigentumsfrage.
So, jetzt schließe ich diesen Text ab. ich weiß nicht, wie sehr ich noch einmal auf Holloway eingehe, bevor ich wieder andere Projekte vorantreibe.
Zur „Gebrauchswert der Arbeit“ (nach Wolfgang Pohrt)
September 24, 2011 at 10:16 pm
„Eine streng systemtheoretische Lesart kann dazu verleiten, sich lediglich der enormen Wandstärke dieses Systems zu vergewissern…“
Dann ist streng systemtheoretisch also gleichbedeutend mit extrem statisch?
September 26, 2011 at 1:42 pm
Nein, überhaupt nicht. Das System kann sehr dynamisch sein in seiner eigenen Selbstregeneration. Es regeneriert sich aber immer so, dass sein Systemcharakter gleich bleibt.
September 26, 2011 at 5:24 pm
Marx interessierten jedenfalls insbesondere die Entwicklungsbedingungen der sich im Schoße der alten Gesellschaft – systematisch – entwickelnden Transforamtionspotenziale. Auch wenn er dabei nicht immer ganz richtig lag. Statt unkaputtbare Wände gings mehr ums Erkennen, warum auch das System des privateigentümlichen „Füreinanders“ gegen die Wand fahren wird.
September 25, 2011 at 7:18 am
Vielleicht kommt’s später noch und meine Anmerkung ist vorlaut. (Schaffe derzeit nicht alles in einem Rutsch)
Dennoch: „Diese Abstraktion von den Gebrauchswerten bei der Betrachtung der die Waren produzierenden Arbeit ist nicht mehr nur eine gedankliche Abstraktion, sondern sie findet gesellschaftlich praktisch tatsächlich statt.“
Das gilt allerdings auch nicht total sondern nur in einem bestimmten Hinblick, der allerdings für den Gesamtzusammenhang nicht unwesentlich ist.
Käufer interessiert in der Regel der Gebrauchswert (das konkret Nützliche) und der ökonomische (Tausch-)Wert ist in so fernvon Interesse, als dass ein geringer Wert mehr Gebrauchswerte bedeutet. Das zu bedenken ist ungeheuer wichtig z.B. auch für eine „ökologische“ Kritik kapitalistischer Vergesellschaftungsweisen. Subjektivistische Betrachtungen, bei denen die Illusion genährt weden, dass sich die Preise durch „Wertschätzungen“ der Käufer bilden, können deshalb auch keine vernünftige Kritik der bestehenden Verhältnisse entwickeln. Das wird zum Problem, wenn wertmindernde und den Gebrauchswert deshalb steigernde Arbeitsersparnis ökologisch bzw. sozial verheerend ist. Die Isolierung der privat produzierenden und konsumierenden Subjekte voneinander und der so bewirkte Fetischcharakter der Ware lässt Raubbau wie Überfischung oder tierquälerische Massentierhaltung) aus der Sicht des Käufers als ein Mehr an sozialer Gerechtigkeit erscheinen.
Auch aus Sicht einzelner Unternehmen ist der Gebrauchswert durchaus von Interesse. Der sich durch Produktivitätssteigerungen ergebene Entwertung der Ware, sobald die Konkurrenz gleich zieht, d.h. die Produktivitätssteigerung sich verallgemeinert hat, entkommt das Unternehmen durch Produktinovationen. Hat ein Unternehmen die (Gebrauchswert-) Bedürfnisse der potenziallen Kunden besonders gut vorausgesehen und bringt ein entsprechendes Produkt auf den Markt so kann es eine ganze Weile – vermutlich – Extraprofite erwirtschaften.
Natürlich ist der Wert als Aneignungsmittel zentral, aber aus (Gebrauchswert aneignender) Käufersicht ein möglichst geringer und aus (Wert aneignender) Verkäufersicht ein möglicht hoch realisierter.
„(Dabei ist festzuhalten, dass die Abstraktion also nicht erst im Tausch entsteht, sondern bereits der Produktion zugrunde liegt).“
Aber deshalb, weil in der Produktion das Marktgeschehen vorausgesetzt wird. Die Summe der Tauschakte bewirkt, dass sich die zur Reproduktion der Ware gesellschaftlich notwendige (!) Arbeitszeit als regulierendes Gravitatiionszentrum der Preisbildung durchsetzt.
Gruß hh
September 25, 2011 at 10:48 am
„Das Denk-Abstraktum „Arbeit“, das von der Gesellschaftsform abstrahiert, verliert unter bestimmten konkret-historischen Verhältnissen seine Abstraktheit …“
???
Geht bestimmt etwas präziser und damit auch verständlicher. Etwa: die allgemeine Bestimmung von „Arbeit“ als eine Tätigkeit, die auf einen vorher bestimmten (geplanten) Nutzen zielt, gilt für alle historischen oder regionalen Formen der Vergesellschaftung dieser Tätigkeiten. (Ob die dann für alle Zeiten „Arbeit“ benamst werden wird, sei einmal dahin gestellt).
Diese Tätigkeiten/Arbeiten nehmen aber historisch bzw. örtlich verschiedene Formen der Vergesellschaftung an wie etwa verschiedene Formen der Zweckbestimmung, Verausgabung und Aneignung. Kapitalistische Aneignung von Arbeitsergebnissen (ob von Arbeitsvermögen oder der von ihr produzierten Waren) wird über Geld vermittelt bzw. dem Besitz an Zugriffsrechten auf ein Quantum Gebrauchswerte bzw. als nützlich erachteter Güter und Dienste in einem Umfang, der von dem Wertäquvalent abhängt, also der die sich im „Geldwert“ (als – um dieser Wert schwankenden – Preis) wiederspiegelnden Arbeitszeit, die zur Reproduktion des Begehrten gesellschaftlich notwendigen (!) (also nicht konkret für diese Ware tatsächlich konkret verausgabten) Arbeitszeit.
Bei der unternehmerischen Aneignung ist die Bewegung von Geld, Ware Mehr Geld (G-W-‚G) das treibende Motiv. Bei der Aneignung von Arbeitsvermögen z.B. ist die Bedeutung der konkreten Arbeit, die die zu verwertende Arbeitskraft produziert hat, gleichgültig – nicht allerdings der (zur Verwertung!) bestimmte Gebrauchswert der Arbeitskraft (Weshalb ja die OECD auch ihre Pisa-Tests durchführen lässt). Der Gebrauchswert soll möglichst hoch (kapitalproduktiv) sein, während der ökonomische Wert möglichst niedrig sein soll.
Die Realabstraktion findet sich also z.B. in der Form des Aneignungsvermögens. Es darf allerdings der (historisch gesehen) gesellschaftiche Nutzen dieser Realabstraktion nicht übersehen werden, wenn man darüber hinaus möchte, nämlich, dass die eben auch von zu langsamer oder über den Bedarf hinaus geleisteter Arbeit absieht und dies zur ständigen Beschleunigung (aber – unter dem Strich – auch Verbesserung) der Produktion nötigt. (Die Kehrseiten habe ich oben schon beschrieben).
Die Überwindung dieses Produktions- bzw. Produktivitätssteigerungstyps wird in einer Formveränderung der Zweck- und Mittelbestimmung, Verausgabung und Aneignung von Ressourcen (von denen Arbeitszeit oder das wissenschaftlich-technische Kow How jeweils eine ist) bestehen müssen. man dürfte recht nahe bei Marx sein, wenn man die Etablierung weltgemeinschaftlicher (!) (statt privateigentümlicher) Formen der Zweck- und Mittelbestimmung, Verausgabung und Aneignung von Arbeitsvermögen und anderer Naturreichtümer ins Visir nimmt.
Gruß von hh
Kommunismus ist Weiterentwicklung der Freiheit
kooperativ denken und handeln zu können ;-).
September 25, 2011 at 11:18 am
„So sehr ich ja das Anliegen von Holloway, die Brüchigkeit und nicht die Festigkeit der Wand zu analysieren, teile – so sehr muss ich aber auch davor warnen, den Bruch an der falschen Stelle zu behaupten. Bei Marx ist auch die konkrete Arbeit ein Moment der kapitalistischen Produktion, nichts außerhalb ihrer. Sie ist Produktion auf Basis vereinzelter Warenproduzenten, die privat produzieren und die erst über den Austausch als gesellschaftliche Arbeit anerkannt wird.“
Ich finde, dass das gut auf den Punkt gebracht ist. Genau so sehe ich das auch. Marx / Engels sprechen explizit von der Notwendigkeit, den Widersruch zwischen dem gesellschaftlichen Charakter/Inhalt der Produktion und der privaten Form ihrer Aneignung aufzuheben. Weshalb es mir im Übrigen angebracht scheint, sich über moderne (freiheitliche) Formen der Vergemeinschaftung Gedanken zu machen (bzw. entsprechende Gedanken zu betrachten).
So, genug philosophiert für heute. Für den Rest des Sonn(en)tages gilt: What a wonderfull world 🙂
September 26, 2011 at 1:46 pm
Hm, natürlich geschieht die Produktion nie, auch im Kapitalismus nicht, wirklich „ungesellschaftlich“. Aber letztlich sehe ich im zitierten „Widerspruch zwischen dem gesellschaftlichen Charakter/Inhalt der Arbeit und der privaten Form der Aneignung“ auch das Problem, dass der „geesellschaftliche Charakter/Inhalt der Arbeit“ nicht in Frage gestellt scheint und hier eben nicht seine auch private Form thematisiert wird!
Zum Sonntag siehe: https://philosophenstuebchen.wordpress.com/2011/09/26/die-schonsten-schwersten-stunden-des-jahres%E2%80%A6/ 😉
September 26, 2011 at 5:43 pm
Das halte ich für eindeutig überinterpretiert. Gesellschaftlich heißt doch nur, dass Füreinander produziert wird, nicht dass die dabei angewandten Mittel und die Zwecke ganz prima sind. Die privateigentümliche Aneignung hintert ja grad an der sozialen bestimmung der Inhalte.
Im übrigen empfehle ich wirklich, einen Unterschied zwischen Vergesellschaftung und Vergemeinschaftung zu machen und den Mut aufzubringen, die Notwendigkeit moderner (freiheitlicher) Vergemeinschaftungsprozesse zu sehen und auch dafür zu streiten.
Gruß hh
Hatte am Sonntag Morgen übrigens kurz mal einen Blick auf den Marathon geworfen am Kottbusser Damm – auf dem Weg zum Frühstück am Kanal. Und konnte sogar einen Blick auf die dahin sausenden Spitzensprinter erwischen. Meine Güte! So schnell würd ichs ja nicht mal 50 Meter durchhalten. Ein paar Scater und Rollstuhlrenner hab ich auch noch gesehen. Von der Dixeband-Konserve kam „I will survive..“ Alles in allem eine schöne Sache. Aber nix für mich. Mir reicht es voll und ganz, wenn ich mich durch lange Texte quälen muss (was jetzt natürlich keine Anspielung auf deine Texte war :-))
September 26, 2011 at 7:33 am
Ok, nun ist alles gelesen. Ich sage Danke für das freie Gut, dem ich Fortschritte in Richtung Gemeingut (Gegenstand der Verallgemeinerung?) wünsche. Abschließend lässt sich wohl sagen, dass die Wahrnehmung wütend überschäumender Produktivkraft den Globalisierungsgegner Holloway offenbar dazu verleitet hat, sich noch weiter von Marx „weltkommunistischen“ Perspektiven zu entfernen, wo eine Annäherung daran notwendig wäre, (was im Übrigen nach Marx auch die emanzipatorische Funktion eines Zusammenfindens von Philosophie, Wissenschaft und sozialer Bewegung wäre, um am Ende auch den Klassenkampf zwischen den Trägern des variablen und konstantem Kapitals zu überwinden), um stattdessen Zuflucht in krudestem Schlaraffenland-Liberalismus zu suchen, als deren höchstes Gut das von gesellschaftlichen Zumutungen befreite „konkrete“ vor sich hin Werkeln erscheint.
Als eines der Hindernisse auf dem Weg, es sich zur Aufgbe zu machen, auf den Fundamenten des kapitalistischen Füreinanders ein kommunistisches Miteinander aufzubauen, und die Stellen zu entdecken, die in eine solche Richtung gehen oder zu entwickeln wären, sehe ich eine verbreitete (weil sicher auch verständliche) Furcht, Gemeinschaft, Gemeinschaftlichkeit, Vergemeinschaftung vom Ruch des romantisch Reaktionären, Repressiven und Regressiven zu befreien, also über neue, moderne (= freiheitliche) Formen der Vergemeinschaftung (auch Weltvergemeinschaftung) zu reden.
„…“ich würde auf jeden Fall das Eine (Enteignung) nicht gegen das Andere (neu selber schaffen und nicht privat aneignen (lassen)) ausspielen.“
Das sehe ich auch so. Hinzu kommen müsste aber, die „Enteignung“ oder positiv formuliert „weltgemeinschaftliche Aneignung“ als ein Prozess zu betrachten, der sich auch innerhalb der alten Formen entwickelt (und entwickeln muss).
„Der alte Enteignungsdiskurs und die Enteignungspraxis (Übernahme der sachlichen Produktionsmittel und Weiternutzung in fast unveränderter Form) muss aus mehreren Gründen kritisch hinterfragt werden“
Vor allem muss natürlich auch – immer mehr – danach gefragt werden, für welche konkreten Zwecke welche Formen der sozialen (öffentlich rechtlichen?) Kontrolle bzw. Möglichkeiten der Mitgestaltung im Endeffekt benötigt werden, damit man nicht der juristischen Gemeineigentum-Illusion einer in Wirklichkeit bürokratischen Verhinderung von Mitgestaltungsmöglichkeiten unterliegt.
„Viele Produktionsmittel enthalten „technisch eingebaute“ Unterdrückungsmechanismen (tayloristisch kontrollierte Fließbandarbeit…). Vieles wird gar nicht mehr gebraucht (Rüstungsgüter, Kernkraftwerke, Buchungssoftware…) Manche Produktionsweisen sind weder im ökologischen Sinne, noch im Sinne des Tierschutzes oder der Humanität aufrecht zu erhalten (Fleischmästereien und entsprechende Schlachthöfe…).“
Es muss also auch darum gehen, wie unangenehme Arbeiten besser (d.h. in einer sozial bzw. ökologisch korrekten Weise) umgangen, abgebaut oder wenns nicht anders geht in einer humanistischen Weise vergeben bzw. ausgeglichen werden können und auch darum, dass am Ende weltgemeinschaftlich entschieden werden kann, welche sozialen bzw. ökologischen Mindestatandards an Produkten, Produktionsverfahren deren Ökobilanz usw. gestellt werden sollen. Was im Übrigen einschließt, dass Bedürfnisse nicht einfach nur besser befriedigt sondern auch – miteinander – hinerfragt und sozialen bzw. ökologischen Zielen angepasst werden können.
Gruß hh
P.S. Es ist übrigens sehr, sehr interessant, wie weitgehend sich die Reformkommunisten der Tschechesslovakei der 1960er Jahre eben damit auseinander gesetzt hatten. Es ist zu hoffen, dass sich rechtzeitig vor dem 50. Jahrestag deren Zerschlagung durch die Panzer der SU ein Verlag finden wird, der die sehr lesenwerten Texte von Radovan Richta und Kollektiv wieder auflegt.
September 26, 2011 at 1:50 pm
Zum P.S. Das würde mich wirklich mal interessieren, wie sich Richta und so weiter damals unter der Herrschaft von fordistischen Produktionsmitteln eine Selbstbestimmung in der Produktion vorgestellt haben… Nach den anarchosyndikalistischen Produktions-Räte-Konzepten oder auch K. Korsch habe ich da eigentlich nie was gefunden, was ansatzweise realistisch erschien, wenn man nicht in Klein-Klein-Landwirtschafts- und Handwerkskommunen geraten will.
September 26, 2011 at 6:11 pm
Werde das demnächst etwas ausführlicher in „mehr (Öko-)Kommunismus wagen“ erörtern. Nur so viel: sie gehen davon aus, dass Sozialismus solange nicht verwirklicht werden kann, wie die fordstische Produktionsweise noch eine Notwendigkeit ist, und dass der Weg zu einem humanistischen Miteinander nur in dem Maße beschritten (also auch verallgemeinert) werden kann, wie die stupiden Arbeiten reduziert bzw. überwunden werden können. Sie setzen vor allem auf eine Wechselwirkung von technisch-wissenschaftlicher Revolution und der dadurch wachsenden (prinzipiellen) Möglichkeit (heute müssen wir auch sagen: Notwenigkeit) diese sozial(istisch) zu steuern.
Dezember 6, 2011 at 9:49 am
Puh, war mir doch eine längere Zeit aus dem Blick geraten. Lese es z.Z. immer nur zwischendurch in der U-Bahn .-). Nur kurz: Die große Hoffnung des Richta-Kollektivs richtete sich auf die Überwindung (!) des Fordismus durch die weitere Automatisierung im Zeitalter der wissenschaftlich-technischen Revolution.
Die würde einfache menschliche Arbeit mitsamt deren inhumanen Arbeitsbedingungen ersetzen und die Wissenschaft zur Produktivkraft Nummer Eins machen. Die wiederum würde die Produktionsketten immer weiter verwissenschaftkichen und auf eine intelligente Weise „kybernetisch“ flexibilisieren was somit automatisch (!) zur human(istisch)en Grundlage für eine weltweite (!) sozialistische Transformation würde. (Weshalb man im Prinzip auch keinen „Ostblock“ mehr bräuchte, schwingt an manchen Stellen als durchaus selbstbewusste, aber in den Augen der SU-Oberen natürlich „äußerste Gefahr“ signalisierende Botschaft mit). Eine weitere Aussage: Sozialismus könne umgekehrt auf Basis einer fordistischen Produktionsweise auch nicht wirklich funktionieren bzw. voran kommen, weil das die Entfaltung der Persönlichkeiten enge Grenzen setzt..
Als Energie der Zukunft stellte man sich im Übrigen die Nutzung von Atomkraft vor („Kernenergie“) Dass wir heute darüber hinaus sind, und gerade die Anti-AKW-Bewegung als Beispiel für sich „unter der Oberfläche“ vollziehende Prozesse der „Aneignung der Produktionsmittel durch die Gesellschaft“ (Marx) wahrnehmen (könnten), kann allerdings durchaus als Bestätigung für deren Analysen verstanden werden. Wenn sie wohl auch die Entwicklung der Sozialdemokratie eher in einer rosaroten Brille gesehen hatten und das neoliberalistische Rollback noch nicht auf dem Schirm hatten. (Obwohl das auch als Anzeichen und Mittel der Entstehung postfordistischer Gesellschaften interpretiert werden kann, wo die Sozialdemokratie unverhoff zur konservativen Kraft wurde. Und es hatten ja auch noch ganz adere die Deutsche Post des 20. Jahrhunderts als Keimform des Sozialismus
Oh, kein Platz mehr. Dann halt später nocheinmal zum Fordismus
Die Leistung des Fordusmus wäre dann, ……………….
Oktober 8, 2011 at 11:16 am
[…] der Ökonomie und ihrer Formbestimmung bleibt“. Letztlich ist genau das auch die Hypothese von John Holloway, weil der Doppelcharakter der Arbeit letztlich auf den Unterschied zwischen Gebrauchswert und Wert […]
Oktober 10, 2011 at 8:45 am
[…] den Umweg des Pohrtschen Buches „Theorie des Gebrauchswertes“ komme ich auch wieder zu der Fragestellung, die in Holloways Buch „Kapitalismus aufbrechen“ zentral ist: dem Nachdenken darüber, wie die […]