Ein Panel auf der Konferenz „Great Transformation: Die Zukunft moderner Gesellschaften“ beschäftigte sich mit dem Ökosozialismus. Später las ich nach, dass es ein „Netzwerk Ökosozialismus“ gibt. In Bezug auf die Einschätzung der Lage waren alle Beteiligten hier sehr drastisch. Frieder Otto Wolf etwa sagte: „Wir müssen die Katastrophen jetzt einbauen in die Realität.“ Das entspricht etwa dem, was mir klar wurde, als ich „Crashtest für Utopien“ schrieb.
Diese Lage führt auch dazu, dass man sich den Sozialismus nicht mehr als möglichst reiche Gesellschaft ohne Mangel vorstellen kann, sondern es geht, so Bruno Kern, um eine „absolute Verbrauchsreduktion“. Dies relativierte Frieder Otto Wolf, indem er von selektiver Schrumpfung, Aufrechterhaltung wichtiger Bereiche und gar Wachstum anderer (wie ökologischer Landwirtschaft) sprach. Und dies alles geht nicht mit und im Kapitalismus, sondern erfordert eine neue Gesellschaftsform, den Sozialismus. Sozialismus wird in unterschiedlichem Maße verbunden mit Staatlichkeit. Nicht alle teilen die Meinung von Bruno Kern, der von der Notwendigkeit einer verstärkten Staatlichkeit zu Beginn der Umgestaltung (aufgrund ihrer Durchsetzungsmacht angesichts widerstrebender Interessen) ausgeht. Alle verweisen auf die entscheidende Rolle von „Aktivität und Selbsttätigkeit der Menschen“ (Wolf). In der Diskussion verwies ich darauf, dass die Erfahrung gezeigt hat, dass gerade ein stark agierender Staat diese Selbsttätigkeit der Menschen radikal einschränkt. Das ist nicht nur eine Folge von Unterdrückung, sondern auch von Bequemlichkeit: Immer wenn jemand anders sich den Hut aufsetzt, kann ich mich zurück lehnen.
Bei der Frage, wie eine solidarische Gesellschaft auf wesentlich schmalerer Ressourcenbasis aussehen könnte (Kern), antwortet Bruno Kern mit der Vorstellung einer Steady-State-Gesellschaft, bei der alle materiell-energetischen Verbräuche auf ein Zehntel des jetzigen Werts reduziert sind (das entspricht den Studien aus den 90er Jahren zu einem „nachhaltigen Deutschland“ aus den 90er Jahren) mit einem hohen Grad an Selbstversorgung (der einen Markt unnötig macht), wobei durch den Wegfall vieler sinnloser Arbeiten dennoch Zeitwohlstand entsteht. In der Diskussion sprach er davon, dass er sich bei hoch arbeitsteiligen Prozessen keine Gesellschaft ohne Staat oder Markt vorstellen könne. Ich erinnere mich sofort daran, wie erlösend es für mich gegen Ende der 90er Jahre gewesen war, im Diskussionszusammenhang Oekonux an einer Wirtschaftsweise mitzudenken, bei der eine „Alternative Ökonomie“ in einem global arbeitsteiligen Prozess funktioniert, oder daran, dass wir dann meinten: „Eine andere Produktionswelt ist möglich“. Auf dieser Basis entwickelte ich dann das Konzept der „Selbstentfaltungs-Gesellschaft“. Auch das Buch „Kapitalismus aufheben“ von Simon Sutterlütti und Stefan Meretz, dessen utopischer Inhalt auch auf dieser Konferenz vorgestellt wurde, stellt ein Konzept der möglichen Vergesellschaftung ohne Staat und Markt vor. Dort wird nicht mehr von Sozialismus gesprochen, sondern von Commonismus. Der braucht dann kein „Öko-„ mehr als Vorsatz, denn Commoning bezieht per se die „Um-“-Welt mit ein. (Für ein Beibehalten des Worts „Sozialismus“ sprach auf der Abschlussveranstaltung in einem anderen Zusammenhang Klaus Dörre, weil dadurch die vergangene Form des Sozialismus immer mit im Gedenken bleibt).
All diese eben genannten Konzepte müssen sich jedoch dem Crashtest stellen – dies wurde kurz darauf deutlich. Viele früher als zeitsparend begrüßten produktiven Kräfte basieren auf einem nicht mehr haltbaren, erst recht nicht mehr steigerbaren Energieverbrauch (Substitution von Arbeit durch Energie, „Energiesklaven“). Spart der Wegfall „sinnloser“ kapitalistischer Arbeit (für in einer vernünftigen Gesellschaft sinnlose Bereiche wie Rüstung oder Marketing und nicht wirklich befriedigenden Konsum) tatsächlich so viel Arbeit ein, dass eine Rückführung von Arbeit in eine ökologische Landwirtschaft und zusätzlich noch Zeitwohlstand möglich ist? Wir wissen es noch nicht.
Was bleibt zu tun? Die recht unterschiedlich argumentierenden Vertreter der ökosozialistischen Bewegung, die sich stärker organisieren will, sprechen von Folgendem:
- Notwendigkeit der Entwicklung einer Exit-Strategie (Bruno Kern);
- Verbinden von strategischer Radikalität mit taktischer Flexibilität, was auch bedeutet: überall da einzuspringen, wo es brennt (Frieder Otto Wolf) und in den spezifischen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen die Mächtigen delegitimieren (Christian Zeller);
- jeden sozialen Konflikt als ökologischen begreifen und jeden ökologischen Konflikt als sozialen (Christian Zeller);
- die Frage aufwerfen: Wer bestimmt die Investitionen?
- Aufbau von gesellschaftlich-sozialen Infrastrukturen, bei denen die ökologische, feministische und Klassenfrage verschränkt werden und
- in diesen Prozessen lernend voranschreiten.
Interessant fand ich, dass für nächstes Jahr geplant wird, ein „Urgency Programme for Europe“ zu entwickeln.
P.S. Noch ein Foto von der großen Demo:
Oktober 4, 2019 at 12:34 pm
Dieser „Ökosozialismus“ klingt schon sehr nach einem Abschied von Marx. Das beginnt mit der Vorstellung von Sozialismus als einer „ganz anderen Gesellschaft“ von der niemand sagen kann, wie dieses Ganzandere urplötzlich in die Welt gelangen soll, während Marx von Sozialismus als einer längeren Periode des Übergangs zu einer Gesellschaft auf Basis (welt-) kommunistisch bestimmter Interaktionsbedingungen sprach.
Nicht, dass ich denke, dass Marx Ansichten in allen Dingen als richtiger Maßstab für die Bewältigung heutiger Herausforderungen gesehen werden sollte. Das von Marx wie Engels frisch, fromm, föhlich und frei heraus gebene Versprechen einer „Diktatur des Proretariats“ als Bedingung der Möglichkeit, einen solchen Übergang in die Wege zu leiten, halte ich beispelsweise für hochproblematisch. Aber Glauben an die Jungfrauengeburt einer „ganz anderen Gesellschaft“ ist schon sehr abseits des Kerns dessen was die Marx/Engelsschen Vorstellungen ausmachte.
Warum soll Sozialismus nicht möglich reich sein und machen? Wer hat jemanls behauptet, dass Sozialismus eine Gesellschaft ohne Mangel sein.
Marx hat jedenfalls etwas anders gesagt, nämlich dass das Zufrühkommen von Sozialismusversuchen, das heißt, bevor die anthropogenen Produktivkräfte weit genug entwickelt sind, bedeuten müsste, dass der Mangel nur umverteilt werden könnte, und die „ganze alte Scheiße von vorn bedginnen“ müsse. Der Einsicht scheinen sich ein Gutteil dieser „Ökoszialisten“ zu verweigern
Zum Ökosozialistischen Manifest siehe: https://mehr-oeko-kommunismus.blog/warum-ich-beim-okosozialistischen-manifest-nicht-mitgehe/
Oktober 5, 2019 at 6:46 am
Du schlägst wieder auf Ansichten ein, die hier und auch dort auf der Konferenz niemand vertreten hat („beginnt mit der Vorstellung von Sozialismus als einer „ganz anderen Gesellschaft“ von der niemand sagen kann, wie dieses Ganzandere urplötzlich in die Welt gelangen soll“). Bitte hör damit auf, das ist nicht kommunikativ.
Dass Marx das mit den Produktivkräften noch anders erhoffen konnte, ist tatsächlich auch Thema gewesen. Derzeit ist aber nichts in Aussicht, was die damit verbundene Hoffnung stützen könnte. Ein Großteil der als „produktiv“ erhofften Kräfte wurden inzwischen im Kapitalismus und auch allgemein zu Destruktivkräften. Energienutzung auf Basis CO2-Emission ist eben nur bezogen auf das BSP und ähnliches „produktiv“, aber nicht für die Menschheit und deren Lebensbasis auf dem Planeten Erde.
Deshalb verweigern sich die Leute dieser alten Ansicht von Marx nicht, aber sie müssen sie, wie Marx es wohl angesichts der Entwicklungen auch getan hat, neu darüber nachdenken. Was ist wirklich produktiv im Sinne der Befriedigung menschlicher Bedürfnisse UND der Aufrechterhaltung von planetaren Lebensgrundlagen?
Oktober 5, 2019 at 9:11 am
Ic schlage auf überhaupt nichts ein. Du gehst aber wieder nicht auf das ein, was ich geschrieben habe. Ich weiß nicht, wie man übersehen kann, dass der Anti-Reformismus dort aus fast jedem Satz quillt, Ich beziehe mich beispielsweise auf diesen Satz:
Marx revolutionstheoretischen Positionen zur Produktivkraftentwicklung und den Widersprüchen zwischen Produktivkraftentwicklung und Produuktionsverhältnissen haben mit Hoffnung nicht das geringste zu tun.,
Das verrät ein eher armseliges Anknüpfen an Marx Erkenntnissen. Die werden unter Ökosozalisten offenbar nicht als Leitlinien für weitere Forschungen sondern als Dogmen missverstanden.
Marx/Engels: Die deutsche Ideologie. MEW Bd. 3, S. 69
Vor einigen Jahren war ich mal angefangen, diesbezüglich etwas Ordnung hineinzubringen. Ist dann leider liiegen geblieben, jett aber zentraler Bestandtteil meines Projektes „Das Anthropozän gestalten.“.
https://mehr-oeko-kommunismus.blog/2008/09/30/wie-produktivkraftentwicklung-produktionsverhaltnisse-in-frage-stellt/
Oktober 4, 2019 at 4:39 pm
Danke für den Beitrag Annette, ich war auch wirklich erstaunt, dass Zeller und Wolf sich beide tendenziell gegen Staat ausgesprochen haben und Kern ja auch meinte: eig brauchen wir gar kaum noch Staat wenn alle Selbstversorgung machen, und das Überbleibsel wäre dann demokratisch. Nur die Frage was anstatt Staat blieb nur sehr grob. Wolf sprach von „neuer politischer Ordnung“, aber was das ist war mir (und ich glaub auch ihm) unklar …
Oktober 5, 2019 at 6:46 am
Ach, du warst auch da? Da hätten wir uns ja mal sprechen können… 😉