Der zweite Auftaktvortrag zur Veranstaltungsreihe „Hegel in Transformation“ von Hartmut Rosa beschäftigte sich dem Thema einer „Soziologie der Weltbeziehung“. Meine Referierung ist wieder nicht als perfekte Wiedergabe des Gesprochenen zu verstehen, sondern ist durch meine Wahrnehmung und Interpretation „gebrochen“.
Hartmut Rosa stellte gleich zu Beginn dar, dass er sich in der Hegelschen Philosophie nicht immer genau auskennt – dass er aber einige Kategorien und auch Stellen gefunden hat, bei denen er einen Bezug zu seinem Thema gefunden hat. Er sprach davon, dass er „von Hegel eigentlich keine Ahnung“ habe, aber mit einem Augenzwinkern meinte er, dass er beschlossen habe, seine „eigenen Gedanken einfach als hegelsch auszugeben“. Schauen wir mal, was dabei entstanden ist:
Sein Thema ist die „Soziologie der Welterfahrung“, d.h. eine „Theorie, die das Zusammentreffen von Menschen und Welt analysiert“. Dabei machen die Menschen gegenteilige Erfahrungen, die mit den Begriffen „Entfremdung“ und „Resonanz“ bezeichnet werden können.
Bei Hegel fand H. Rosa „Entfremdung“ und „Anerkennung“ als Grundmodi der Erfahrung.
Entfremdung
Mit der „Entfremdung“ wird eine Erfahrung beschrieben, die Menschen insbesondere seit Beginn der bürgerlichen Moderne machen. Das vorbürgerliche Individuum wird von C. Taylor noch so beschrieben, dass sein Selbst „porös“ gegenüber der Welt war, dass noch keine klare Trennung zwischen Selbst und Welt vorlag. Das moderne Selbst dagegen ist „abgepuffert“, es schiebt eine Trennung zwischen sich und Welt.
Eine Reinterpretation dieser Gegebenheit kann ich mir hier nicht verkneifen: Es handelt sich wohl eher darum, dass das Individuum im Verlauf der sog. ursprünglichen Akkumulation zwangsweise „von Grund und Boden gewaltsam“ expropriiert, verjagt „und zum Vagabunden“ gemacht wurde (MEW 23: 765) und auf diese Weise das bürgerliche Individuum als Vereinzeltes, Isoliertes entstand. Alfred Flacke beschreibt die entstandene Situation:
„Das System kapitalistischer Lohnarbeit […] überantwortete […] die so Befreiten der endgültig als Selbsterhaltung ausgegebenen individuellen Sorge um den eigenen Lebensunterhalt […].“ (Flacke 2009: 37)
„Individualität bedeutet jetzt also, das der Mensch sich als eigenständig und von der Gemeinschaft abgetrennt wahrnimmt, weil und indem er sich […] Güter privat aneignen muss und kann.“ (ebd.: 49)
Eine Weiterführung dieses Gedankens müsste der Widersprüchlichkeit dieser so entstandenen Individualität nachgehen, wobei sich zeigt, dass die „Freiheit“ des bürgerlichen Individuums nur eine abstrakte ist und zur vollen Konkretisierung anderer gesellschaftlicher Verhältnisse bedarf…
Ich will hier aber keine eigene Abhandlung anschließen, sondern mit der Referierung des Vortrags weiter machen. H. Rosa meinte, dass er methodisch immer ganz nah an den Erfahrungen ansetzt und für die Entfremdung nannte er folgende Erfahrungsbedeutungen: Entfremdet fühle ich mich, „wenn mir etwas nicht passt“, wenn „ich mich nicht zu Hause fühle“. Entfremdung ist auch, wenn ein Prozess, der zu uns gehörte, uns fremd, kalt, äußerlich, gleichgültig oder gar widerwärtig wird. Die depressive Befindlichkeit ist eine Form von Entfremdung. Es herrscht eine „Beziehung der Beziehungslosigkeit“ (Jaeggi). Eine gewisse Entfremdung von der Herkunftswelt ist – auch nach Hegel – während der Adoleszenz notwendig.
Hartmut Rosa definiert Entfremdung als Misslingen der Weltaneignung und sie entsteht aus dem eigenständigen (nicht erzwungenen) Handeln in einem nicht angeeigneten Kontext. Sie zeigt sich vor allem dann, wenn ich etwas freiwillig tue/will, was ich nicht „wirklich“ tue/will. Er ist z.B. nicht Wissenschaftler geworden, um lange Anträge für Geldbewilligungen zu schreiben oder gar Leute zu entlassen. Studierende können sich entfremdet fühlen, wenn sie Essays schreiben (müssen), die sie eigentlich sinnlos finden…
Nur beiläufig, auch in Erweiterung des Vortragsinhalts von Klaus Vieweg, erwähnte Rosa die Marxsche Analyse der kapitalistischen Verhältnisse. Die herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse sind nicht bloß einfach Marktbeziehungen, sondern der kapitalistische Markt ist durch den Zwang zur Kapitalakkumulation (also G-W-G´) gekennzeichnet. Mit der darin enthaltenen Eskalationslogik (deren Beschleunigungseffekte er soziologisch untersucht hat) haben die Entfremdungserfahrungen zu tun. Leider führte er dies dann nicht näher aus, sondern blieb beim Phänomenologischen.
Auf dieser Ebene suchte er dann auch nach Alternativen.
Anerkennung
Eine mögliche alternative Form von Welterfahrung findet H. Rosa bei Hegel in der
„Anerkennung“ vor und interpretiert diese als „Grundvoraussetzung für Freiheit“. Freiheit wird dabei bestimmt als „im Anderen ganz bei sich selbst zu sein“, d.h. die Entfremdung (als Subjekt/Objekt-Spaltung) zu überwinden. Anerkennung könnte also die Kategorie sein, mit der die gelingende Form der Weltbeziehung beschrieben wird als eine Form der Realisierung von Freiheit.
Wie wir gleich sehen werden, übernimmt H. Rosa diesen Gedanken nicht, sondern sucht weiter nach anderen Gegenbegriffen zur Entfremdung. Ich möchte aber hier noch etwas zur „Anerkennung“ einschieben. So ergänzte Klaus Vieweg in der Diskussion, dass Anerkennung nur ein Moment von Freiheit sein könne. Anerkennung bezieht sich immer auf einen intersubjektiven Vorgang (so dass z.B. Beziehungen zur Natur keine der Nicht-/Anerkennung sein können). Freiheit als „im Anderen bei sich sein“ ist mehr als Anerkennung.
Die Dissertation von Alfred Flacke (2009) beschäftigt sich ausdrücklich mit dem Thema der „Anerkennung“ bei verschiedenen Autoren, insb. Hegel. Flacke zeigt, dass der frühe Hegel nach der Liebe als dem Prinzip, mit dem sich ein autonomes Subjekt im Anderen finden kann, in der Anerkennung „die Chance der Überwindung der Trennung“ (50) gesucht hatte („Das Wort der Versöhnung ist […] ein gegenseitiges Anerkennen […].“ (HW 3: 493)). An anderer Stelle jedoch wird deutlich, dass Hegel letztlich doch ein isoliertes Individuum unterstellt, denn er bindet die Personalität an Privateigentum, das er als „erste Weise der Freiheit“ (HW 7: 91) betrachtet. Von dieser Position aus bestimmt sich der Kampf um Anerkennung als toddrohendes Unterfangen und ist „auf den Tod des Andren“ gerichtet (HW 3: 148). Kapitalistische Konkurrenz eben. Flacke kennzeichnet Anerkennung deshalb als Herrschaftsmechanismus, der die „notwendige Beziehung der auf Kooperation angewiesenen Gesellschaft ohne die tatsächlich zerstörte Gemeinschaft herstellen soll und zwar durch eben diese gemeinschaftszerstörende Herrschaft“ (Flacke 2009: 90).
Auch Axel Honneth (der Doktorvater von Hartmut Rosa), der im Kampf um Anerkennung vorwiegend die Entfaltung einer autonomen Selbstverwirklichung sieht, setzt Konkurrenz voraus und naturalisiert damit bestimmte gesellschaftliche Verhältnisse. In diesen Verhältnissen ist Anerkennung zu verstehen als „prekäre Sicherung des individualisierten Überlebens (des Herrn und des Knechts) durch aktiv ausgeübte oder passiv hingenommene und so immer wieder neu installierte, gemeinschaftszerstörende Herrschaft“ (Flacke 2009: 155).
Resonanz
Auch für Hartmut Rosa ist die Anerkennung nicht die Antwort auf die Frage nach dem Gegenbegriff zur Entfremdung. Er stellte andere Antwortversuche vor und verwies jeweils auf deren Mängel:
- Die „wahre Natur“ oder die Essenz (das Wesen) als Gegenbegriff – ist unhaltbar.
- „Authentizität“ (Heidegger, Taylor…) als Übereinstimmung mit dem eigenen inneren Kern – ist unhaltbar, weil/falls es diesen „inneren Kern“ nicht gibt.
- „Autonomie“ (Jaeggi…) = Selbstbestimmung, Kontrolle über die Umstände – ist unhaltbar, weil sich ja auch Diktatoren „entfremdet“ fühlen können – Sklaven und Liebhaber dagegen „ganz bei sich selbst“
- Leben gemäß den eigenen starken und schwachen Wertungen (Taylor) …
- Übereinstimmung zwischen Habitus und Umwelt…(Bordieu)
- Anerkennung (Honneth)…
Ich fand diese Zusammenstellung sehr interessant. Sie zeigt die Suchbewegung nach Alternativen zum Gegebenen.
Hartmut Rosa selbst meint, die Alternative in der Kategorie „Resonanz“ gefunden zu haben. Dazu gibt es auch ein schönes Interview in der taz. Resonanz versteht er als „Zustand, bei dem einem die Außenwelt nicht mehr als fremd erscheint“. Resonanzerfahrungen geschehen, wenn eine Verbindung als lebendig, als resonant erscheint. Als Beispiele nannte er das Gefühl, wenn man angelächelt wird, sobald man die Cafeteria betritt oder wenn man beim Musikhören „ganz bei sich selbst“ ist. Ein anderes interessantes Beispiel war dasjenige von Kindern, die häufig besonders die traurigen Märchen „schön“ fanden. Warum können traurige Geschichten schön sein? Weil sie als berührend erlebt werden, weil sie Resonanz erzeugen.
Mit der Resonanz sind, wie wir an den Beispielen mit der Musik und den Märchen sahen, nicht nur intersubjektive Beziehungen angesprochen, sondern sie gibt es auch im Bereich der ästhetischen Erfahrungen, der Natur und die Wirkung der Religion erklärt sich ebenfalls durch gelungene Resonanzerfahrungen.
Resonanzerfahrungen gehören zu einem gelingenden Leben. Hartmut Rosa schloss damit auch einen Kreis zu seiner Arbeit als Soziologe: auch zur Arbeit gehört normalerweise das Erleben von Sinn und dies zeigt sich als Resonanz. Das Fehlen von Resonanz wird dann als problematisch erlebt, einerseits im Fall der Arbeitslosigkeit als Verlust des Sinns, und andererseits im Fall der Überlastung und wenn man seine Arbeit aus verschiedenen Gründen heraus nicht gut machen kann.
Die Resonanzerfahrung soll als „Maßstab für Handlungsoptionen“ (in taz) wirken und ihr Vorteil gegenüber anderen Handlungskriterien ist ihre inhaltliche Offenheit. Sie gibt nichts vor, ist nicht normativ.
In der Diskussion wurde daran anschließend auch danach gefragt, ob H. Rosas Konzept ohne „Menschenbild“ auskomme. Schließlich hatte er so etwas wie eine „menschliche Natur“ oder eine Essenz als Gegenkonzept zur Entfremdung ausdrücklich abgelehnt. In der Antwort gab H. Rosa zu, dass auch er so etwas wie „schwache“ anthropologische Annahmen voraussetzen muss, so die Annahme: „Menschen sind konstitutiv auf soziale Resonanz angewiesen.“ Das zeigt sich wenigstens an den zerstörerischen Folgen, wenn diese Resonanz nicht vorhanden ist. Dabei lässt er aber „offen, was die Resonanzerfahrung auslöst“, dies kann individuell oder auch kulturspezifisch verschieden sein.
Dazu gehört auch, dass nicht ein anderer Mensch für einen anderen einschätzen kann, ob dieser sich entfremdet oder resonant fühlt. In einer Frage war problematisiert worden, ob nicht das Problem häufig eher darin bestehe, dass eine vorhandene Entfremdung von dem Betroffenen gar nicht gefühlt wird. Ein Formel-1-Fahrer kann behaupten, nicht entfremdet zu sein – aber das „Im-Kreis-rumfahren“ ist doch „in Wirklichkeit“ ein entfremdetes Tun. Dies sieht H. Rosa nicht so. Er geht davon aus, dass es in einem Tun, das von Menschen in solcher Weise getan wird wie das Formel-1-Fahren wenigstens auch Spuren gibt von Resonanz. Wenn das mit Entfremdung verbunden ist, kann das niemand anders bestimmen, sondern „man muss es an den Erfahrungen der Leute selbst zeigen können“. Dieses Herangehen erinnert mich an die Kritische Psychologie als Psychologie von „je mir“.
Ich weiß noch nicht so recht, was ich von dieser Theorie der Resonanz halten soll. Sie öffnet riesige Scheunentore für spirituell-esoterische Vereinnahmungen, aber ob sie gesellschaftstheoretisch tragfähig und politisch handlungsleitend werden kann, ist für mich noch offen.
Wichtiger wäre für mich eine negierende Anknüpfung an die Bestimmung von Entfremdung als Misslingen der Weltaneignung durch eigenständiges (nicht erzwungenes) Handeln in einem nicht angeeigneten Kontext. Das macht z.B. die Kritische Psychologie mit den Kategorien der restriktiven und verallgemeinerten Handlungsfähigkeit. Der Kontext muss thematisiert werden und warum wir unter den gegebenen Umständen (kapitalistische Verhältnisse) strukturell behindert werden, Resonanzerfahrungen zu gestalten und zu erleben.
April 20, 2012 at 7:12 pm
„Entfremdung“ wird wo bei Hegel abgehandelt?
April 23, 2012 at 11:08 am
Siehe dazu: https://philosophenstuebchen.wordpress.com/2012/04/21/entfremdung-bei-hegel-und-marx/
April 20, 2012 at 7:27 pm
Ich stimme Annette grundsätzlich zu.
Die Einsteinschen Relativitätstheorien sind keine Alternativen zur, sondern Weiterentwicklungen der Klassischen Mechanik. Analog scheint es mir erforderlich sein, nicht Alternativen zur, sondern Weiterentwicklungen der Klassischen Politischen Ökonomie zu suchen.
April 20, 2012 at 8:25 pm
Hm, in der Gesellschaft geht es doch aber mitunter nicht nur um die Erkenntnis des Gegebenen, sondern die Veränderung/Beseitigung genau der Strukturen, die man deshalb erkennen will. Die „Weiterentwicklung“ ist dann mehr eine KRITIK (wobei die Wirkungsbedingungen erkannt werden, um sie aufzuheben).
Als Gegenbeispiel: Die Ökonomie des Kapitalismus ist ja nicht nur die Erweiterung der Ökonomie des Feudalismus, sondern sie hatte einen ganz anderen Gegenstand, einen, der historisch aufgehoben wurde. In der klassischen Physik und auch der Relativitätstheorie reden wir immer noch über „unser“ Universum (seit dem sog. „Urknall“), wir können dessen Bedingungen/Strukturen (noch???) nicht so umkrempeln wie die gesellschaftlichen bei grundlegenden Umbrüchen…
April 20, 2012 at 8:55 pm
„Hm, in der Gesellschaft geht es doch aber mitunter nicht nur um die Erkenntnis des Gegebenen, sondern die Veränderung/Beseitigung genau der Strukturen, die man deshalb erkennen will.“ Genau – sonst würde ich hier nicht teilnehmen 🙂
„Die “Weiterentwicklung” ist dann mehr eine KRITIK (wobei die Wirkungsbedingungen erkannt werden, um sie aufzuheben).“ Ich bin mir nicht sicher, ob „mehr“ richtig ist
„Die Ökonomie des Kapitalismus ist ja nicht nur die Erweiterung der Ökonomie des Feudalismus“ – „Erweiterung“ würde ich nicht benutzen (klingt zu quantitativ), da die entscheidenden Herrschaftsformen grundverschieden (qualitativ) sind
„wir können dessen Bedingungen/Strukturen (noch???) nicht so umkrempeln wie die gesellschaftlichen bei grundlegenden Umbrüchen“ – klingt da die in der DDR verbreitete Unsitte einer gewissen Unterscheidung von gesellschaftlichen und Naturgesetzen durch? wäre schade, denn die gesellschaftlichen Gesetze sind genausoviel/wenig beeinflussbar wie die Naturgesetze, dito für die Randbedingungen
April 20, 2012 at 9:00 pm
NB: wir leben nicht im „Kapitalismus“
April 23, 2012 at 12:02 pm
Aber in gesellschaftlichen Verhältnissen, die wesentlich dadurch gekennzeichnet sind, dass jeder Mensch seine Existenz nur dann reproduzieren kann, wenn er seine Arbeitskraft verkauft oder so viel Geld hat, dass es als Kapital eingesetzt werden kann…
Damit unterscheiden sich diese konkreten gesellschaftlichen Verhältnisse von anderen, die es bereits gab, die es nur teilweise noch gibt und die es hoffentlich künftig mal gibt… Als zusammenfassender Begriff dafür gilt mir hier „Kapitalismus“.
April 22, 2012 at 5:34 pm
Ich halte viel davon, Kapitalismus als eine zu bezwingende Naturgewalt zu begreifen. Und naklar: Die Gesetzmäßigkeiten, die Entstehen und Vergehen von Handlungsbedingungen (Strukturen) der menschlich Gesellschaft bestimmen, machen sich immer unabhängig vom Willen Einzelner geltend, und treten den Menschen also als Naturgesetze gegenüber. Andererseits ist eine soziale Emanzipation aus der „menschlichen Vorgeschichte“ (Marx) denkbar.
Die per kapitalistische Beschleunigungsmaschinerie gesetzmäßig voran gepeitschte Produktivkraftentwicklung macht es technisch möglich (und mehr noch notwendig!), die Parameter der menschlichen Entwicklung (die Handlungs- bzw. Entwicklungsbedingungen) bewusst so zu setzen, dass vorher (mit) bestimmte Entwicklungsziele mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit erreicht werden könnten.
So eine kommunistische Aufhebung des Unterworfenseins unter eine als Naturgewalt ablaufende Entwicklung msste dann wohl auch die Vorstellung einer ewigen Trennung zwischen einer „System-“ und einer „Lebenswelt“ überwinden.
Gruß hh
April 22, 2012 at 5:50 pm
Um nicht missverstanden zu werden: Ich will damit natürlich nicht gesagt haben, dass sich Menschen immer und überall entsprechend der gesellschaftlichen Naturgesetze verhalten mssen (d.h. der Gesetzmäßigkeiten, die der Natur der historisch gegebenen Gesellschaftsformation entsprechen), dass es also keine (kleineren) Spielräume gibt. Auch müsste man eher davon sprechen, dass sich die Gesetzmäßigkeiten durch den (von den gesellschaftlichen Entwicklungsgesetzen vorstruktutierten) Willen der gesellschaftlichen Akteure durchsetzen. Der kulturelle Spielraum wird allerdings in der Regel massiv überschätzt. (Beides, könnte brigens als ein Entfremdungsphänomen gesehen werden).
April 22, 2012 at 8:29 pm
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Was ist daran Natur, außer „die Natur des Menschen“?
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Ich verstehe Marx hier politisch: es soll die breite Mehrheit statt einer kleinen Minderheit bestimmen. Wissenschaftlich gibt es keinen Unterschied zwischen den Gesetzen der Gesellschaftsformationen.
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Ziele sind Politik, das hat mit dem Entwicklungsstand der Produktivkräfte nichts zu tun.
April 23, 2012 at 11:31 am
Was am Kapitalismus Naturgewalt ist? Haben sich irgendwo die technischen Voraussetzungen einer Trennung von Produzierenden und Produktionsmittel (und somit von Produktion und Konsum, Bedürfnissen und der Verantwortung für die sozialen bzw. ökologischen Kosten, sie zu erfüllen) entwickelt und ist dieser Prozess der „ursprünglichen Akkumulation“ erst eimal im Gange, gibt es kein Halten mehr. Bestimmte geschichtliche Prozese spielen sich mehr oder minder gesetztmäßig ab, je nach regional oder zeitlich bedingten Unterschieden lediglich in verschiedenen Variantenin der politischen Form oder dem Ausmaß der dabei zu Tage tretende offenene Gewalt. Dazu gehört die Herausbildung von Nationalstaaten und Verdrängung von Stammeskulturen oder deren Umwandlung in Begünstigungsgemeinschaften innerhalb von Staatsformen in „Vielvölkerstaaten“, die als Systeme „korrupter Eliten“.wahrgenommen werden. Entwicklung und Einsatz stets effizienterer Produktionstechniken, Verdrängung des weniger Effizienten, Ausdehnung von Märkten, Zentralisation der Produktion usw. am Ende das Phänomen der sichtbaren Irrationalität des nach Anlagemöglichkeiten um die Welt vagabundierenden Kapitals und des „Idiotenspiels“ (wie H. Rosa es so treffend nennt) der Finanzwirtschaft.
Solange die Grundlagen dieser „Fortschrittsmaschinerie“ bestehen bleiben, also u.a. die Konkurrenz privateigentmlich agierender Arbeitskaftkonsumenten und Marktwertsammler sowie der Natonalstaaten, die vom Wohl und Wehe „ihrer“ Unternehmen abhängig sind, werden diese Naturgewalten nicht in einem – inzwischen – als erforderlich identifizierten Ausmaß gezämt werden können und alle Appelle, do jetzt mal endlich eine umweltgerechte Haltung anzunehmen und also den Lebensstil zu ändern, gehen weitgehend ins Leere bzw. werden im besten Fall höchstens zu Keimformen einer neuen Produktionsweise, in der gesetzmäig abläufende Anläufe sicher nicht ausgeschaltet sind, aber doch in einem sehr viel größeren Ausmaß als heute gegeben, manipulierbar sind, sprich ein wirklich kultivertes (weltweites) Miteinander tatsächlich möglich wird. .
Nein, es geht um Bedingungen, unter denen die breite Mehrheit berhaupt in die Lage kommt, ihre Verhältnisse nach Maßgaben er Vernunft zu regeln. (Nicht um politische Ökonomie sondern deren Kritik und Aufhebung)
Ziele sind Politik, das hat mit dem Entwicklungsstand der Produktivkräfte nichts zu tun.
Puh, es scheint nicht leicht, sich Philosophen verständlich zu machen. Produktivkraftentwicklung (und damit – historisch – im Übrigen auch „Entfremdung“) ist notwendig, damit die Globalisierten dieser Erde überhaupt in die Lage geraten (auch einer Notlage) können, das globale Miteinander vernnftog, also entsprechend miteinander bestimmter Ziele zu regeln, bei denen Bedürfnsse und soziale Kosten ihrer Erfüllung, Konsum und Produktion usw. als eine Einheit betrachtet werden können.
Gruß hh,
April 20, 2012 at 8:59 pm
NB: Individuum (lat.: Unteilbares) ist eine Erfindung der Bourgoisie, schrieb Ehrenfest
April 23, 2012 at 11:10 am
Damit ist das Thema Individualität aber doch nicht „gegessen“, oder?
April 21, 2012 at 10:06 am
Von Hartmut Rosa ist übrigens unlängst ein Beitrag in der Le Monde Diplomatique erschienen, der mit in Vielem aus dem Herzen sprach auch wenn er am Ende doch recht allgemein blieb. Jedenfalls m.E. sehr lesenswert:
http://www.monde-diplomatique.de/pm/2012/04/13.mondeText.artikel,a0025.idx,3
Stimmt, aber sind die bürgerlichen Freiheiten nicht sehr konkret? Die Freiheit, nicht für die sozialen bzw. ökologischen Kosten des eigenen, individuellen Tuns (insbesondere auch das als selbstbestimmt empfundenen) gerade stehen zu müssen, gibt es ja zum Beispiel tatsächlich.
April 21, 2012 at 9:56 pm
Ob da nun noch die „Resonanz“ hinzu kommt oder nicht: Mir kommt das ein wenig vor, wie die Suche nach neuen Göttern, die man meint, einmal in dem und ein anderes Mal wieder in einem anderen Begriff gefunden zu haben.
Ist dieser Kampf um den Titel des Höchsten und Allmächtigsten aller Begriffsgötter (die die Menschen allesamt auf den linken Pfad der Tugend führen sollen), nicht selbst ein Entfremdungsphänomen?
Warum eigentlich wird nicht an Marx anknüpfend über Kommunismus als „wirkliche Bewegung“ der Aufhebung von Entfremdung gesprochen? In dem ganz und gar profanen Sinn, dass es darauf ankäme, aus dem kapitalistischen (weitgehend unfreiwilligen und wenig gestaltbaren) Füreinander (weil es die Menschen und ihre Institutionen voneinander und der von ihnen genutzten Natur entfremdet) ein weltweites Miteinander zu machen. Ein miteinander ins Gespäch kommen, ein Ergründen und Anwägen der verschiedenen Bedürfnisse und der sozialen bzw. ökologischen Kosten ihrer Erfüllung? Über die Frage, wie ein weltgemeinschaftliches Nachhaltigkeitsmanagement aussehen msste und wie wir dahin kommen?
Gruß hh
April 23, 2012 at 11:12 am
Das erinnert mich gerade daran, dass Renate Wahsner in diesem Zusammenhang an Moses Hess erinnert, für den es die Kategorie des „Für-einander-seins“ gab.
April 23, 2012 at 12:00 pm
Hier müssten wir auseinanderklamüsern, was „abstrakt“ und „konkret“ bedeutet. Siehe dazu z.B.: https://philosophenstuebchen.wordpress.com/2012/01/28/verstand-vernunft-10/ und https://philosophenstuebchen.wordpress.com/2012/01/29/verstand-vernunft-11/.
April 23, 2012 at 3:09 pm
Dort lese ich:
So ist es. Und weiter:
Nunja, aber sind „Gelingen“, Anerkennen“, „Freiheit“ oder „Resonanz“ zu begreifende Gegenstände? Die Bedeutung dieser Begriffe und die Möglichkeit, über deren Vernunft zu urteilen hängen davon ab, ob eine Aneignung mittels Raub, Tausch, ideeller Identifikation oder freiwilig und gern bereiteten Genuss gelingt, und die Resonanz auf die Aneignung in der Anerkennung als erfolgreicher Räuber, Geschäftsmensch, Freund, Genießer oder eines vorbildlichen Tuns liegt.
Wenn die FDP nun „Wachstum“ als angeblich „neues“ Leitmotiv wählt, so ist das ja zum Beispiel keineswegs ein Abschied vom Leitmotiv „Freiheit“, denn die war ja schon vorher die Freiheit zum fröhlich, unbekümmerten Vorwärts in die Klimakatastrophe.Die übergroße Wählerresonanz der FDP bei der letzten Bundestagswahl dürfte der Erleichterung geschuldet gewesen sein, die das Wahlkampfversprechen gewesen sein, sie auch in Zukunft von Sorgen über verrückt spielende Finanzmärkte und absterbende Korallenriffe fern zu halten und sich entsprechend frei zu fühlen.
April 23, 2012 at 4:55 pm
„Anerkennung“,“Freiheit“ usw. könnten Kategorien sein auf dem Weg „vom Abstrakten zum Konkreten“. Worauf ich hinweisen wollte, war, dass im philosophischen Sprachgebrauch „konkret“ nicht einfach verwendet wird für das sinnlich-Vorhandene, Daseiende, Tatsächliche – sondern eine genau bestimmte Bedeutung hat. Zum „Abstrakten“ gibts einen netten Text von Hegel selbst: http://www.comlink.de/cl-hh/m.blumentritt/agr91.htm.
Worauf es bei all diesen praktischen politischen Fragen auch mal ankäme, wäre das genaue geistige Durcharbeiten der jeweils genannten wirklichen gesellschaftlichen Verhältnisse mittels der Methode, die wir von Hegel lernen können – wie in den bereits zitierten Beiträgen kurz geschildert. Vieweg ist ansatzweise so vorgegangen, hat natürlich keine Zeit gehabt, das im Einzelnen auszuführen (und was ich davon notiert habe, sollte ich nun auch noch löschen). In der Struktur von Marxens „Kapital“ sieht man das auch (wenn mans erkennt).
April 23, 2012 at 2:15 pm
Kapitalistisch ist man ja füreinander, man ist bzw. wird vergesellschaftet. Aber die Regeln des Füreinanders, nach denen sich regel, wer davon über Kurz oder Lang (warum) profitiert und wer dabei (warum) das Nachsehen hat, ist dem Spiel der kapitalistischen Urkräfte unterworfen. Deshalb lohnt m.E. ein – gemeinsames – lautes Nachdenken über moderne Formen der Vergemeinschaftung.
April 23, 2012 at 5:00 pm
Es geht hier wie meistens in der Philosophie nicht um irgendeine Bedeutung der verwendeten Worte, die man sich so zurecht denken kann, wie man gerade möchte. Sondern die Inhalte der Kategorien sind (in den jeweiligen Texten der Autoren) inhaltlich durchaus bestimmt und nur wenn man sie so fasst, wie die Autoren (bzw. seine eigenen Abweichungen davon genau kenntlich macht), kann man dann verstehen, was sie damit meinen. Ich selbst habe Moses Hess nicht studiert, ich wollte diesen Kommentar als Erinnerung daran und Aufforderung dazu aber notieren.
Warum R.Wahsner ihn nennt: Letztlich sind wahrscheinlich auch die Hegelschen Kategorien noch sehr stark von bürgerlich(-kapitalistischen) Verhältnissen bestimmt und sie vermutet, dass in den Gedanken von M. Hess mehr steckt, was etwas anderes ausdrückt als wieder bloß eine Neubenennung der bürgerlich-kapitalistischen Verhältnisse. Ich möchte diesen Hinweis auf das mögliche Mehr nicht gleich wieder untergebuttert sehen…, sondern würde mich sehr dafür interessieren, wenn es mal jemand genauer studiert oder darüber weiß…
April 23, 2012 at 9:26 pm
Wann sind denn bürgerliche Freiheiten streng philosophisch betrachtet „konkret“ und wann „abstrakt“?
April 23, 2012 at 9:16 pm
April 24, 2012 at 4:44 pm
„Ich meine, dass Begriffe wie das “Füreinandersein” an heutige Erkenntnislagen und Perspektiven angepasst gehören. Wenn sowas mit Philosophie unvereinbar ist, dann ist das der Grund, warum mir Philosophie auf Ewig fremd bleiben wird.“
Natürlich gehören „Begriffe angepasst“. Ich bitte nur zu unterscheiden: Worte und Begriffe. Wortbedeutungen verändern sich historisch und auch subjektiv ständig. Begriffe dagegen sind doch eher so etwas wie das bis jetzt gesammelte Weltwissen zu einem bestimmten Erfahrungs-/Erkenntnisgegenstand – da möchte ich mich vorher schon kundig machen, was viele tausende kluge andere Köpfe vorher dazu gedacht haben und möchte dann von da aus weiter machen. Ich mache das z.B. häufig, in dem ich austeste, inwiefern z.B. Ernst Bloch viele Erkenntnisse von Hegel zur Dialektik weiter entwickelt hat (und ob mir noch was Besseres einfällt).
Ich selbst staune ständig nur, wieviel Tiefe und Vielfalt auch von den alten Philosophen schon vorgedacht war und in ihren Begriffen mit drin steckt, was mir heute noch wertvoll erscheint. Ich kann diese Schätze nicht gering achten.
Natürlich soll kein Mensch, der es nicht möchte, zum philosophischen Denken gezwungen werden. Meine Angebote hier zielen aber auch darauf ab, Hinweise zu geben, wo es sich wohl doch lohnen könnte, mal tiefer nachzuschauen…
April 24, 2012 at 5:10 pm
[…] Der fleißige Blogkommentator hhirschel fragte mich in einem Kommentar zum Beitrag “Von der Anerkennung zur Resonanz”: […]
Juni 19, 2012 at 9:34 pm
[…] Hegels Philosophie der sozialen Welt und auch die Anerkennungstheorie wurde in den Vorträgen hier in Jena bereits mehrmals gesprochen. Die Kooperation kommt ins Spiel […]