„Ökosozialismus“ – Dieses Wort begegnet mir immer wieder bei meiner Suche nach Alternativen zum real herrschenden Kapitalismus. „Sozialismus“ war ab 1990 anrüchig geworden, es provozierte sofortige Ablehnung, deshalb verschwand diese Bezeichnung fast vollständig. Der Teil „Öko-“ dagegen wurde immer brisanter. Wenn ich etwas vom „Ökosozialismus“ hörte, dann meist als Kennzeichnung der Position eines bestimmten Autors, wie Bruno Kern (2019), Christian Zeller (2020) oder Klaus Dörre (2021) aus der letzten Zeit. Und bei denen gibt es viele Differenzen, so dass es nicht gerade leicht erscheint, die eigene Position da einzuordnen.

Wie breit die Autor*innenschaft und die Positionen gestreut sind, die man insgesamt dem Ökosozialismus zuordnen kann, zeigt das Buch „Ökosozialismus“ von Alexander Neupert-Doppler (2022). Dabei zeigt sich auch, dass die Kritik von Simon Sutterlütti am Ökosozialismus (2020) in ihrer Abstraktheit ziemlich an den real existierenden Ökosozialismus-Konzepten vorbei geht. Die Vielfalt der ökosozialistischen Konzepte lädt natürlich zur Kritik an jedem einzelnen ein, dies findet auch innerhalb derer statt, die sich als Ökosozialist*innen bezeichnen oder entsprechende Konzepte vertreten.

Die „Einführung“ in den Ökosozialismus anhand von 50 Autor*innen aus 50 Jahren (unter denen ich mich auch befinde ;-)) ist sehr ungewöhnlich und lässt auch fragen, warum wer warum/nicht enthalten ist. Einerseits erfolgt die Darstellung in einer zeitlichen Entwicklungsfolge und legt nahe, dass auch jeweils in verschiedenen Zeiten typische inhaltliche Debatten ausgefochten wurden. Auf jeden Fall finde ich im Durchgang durch die referierten und auch die in den Quellen erwähnten Büchern und Texte viele, die ich auch in meiner Bibliothek habe und gut finde. Und am Schluss hab ich mal in meine eigenen Webseiten geschaut, was ich schon alles geschrieben habe, was auch noch alles inhaltlich dazu gehört, ohne dass ich es in die Überschrift „Ökosozialismus“ gepackt habe… (siehe unten).

Was ist Ökosozialismus?

Die schon sehr alte Hoffnung auf eine gerechte Beteiligung an der Nutzung der Reichtümer der Erde durch alle Menschen, an eine Gleichheit der Menschen in dem Sinne, dass alle gleichermaßen ihre Bedürfnisse befriedigen können, wird gemeinhin mit „Sozialismus“ oder „Kommunismus“ bezeichnet. Seit ziemlich genau 50 Jahren, d.h. spätestens seit der Veröffentlichung des Berichts an den Club of Rome „Die Grenzen des Wachstums“ im Jahr 1972 wurde klar, dass das Ausmaß der Naturvernutzung und –zerstörung Grenzen haben muss. Rudolf Bahro (1980) schrieb deshalb:

„Bisher habe der Materialismus sich nur damit begnügt, die Welt zu verändern, nun komme es darauf an, sie zu erhalten.“ (paraphrasiert in Neupert-Doppler 2022: 53)

Die übliche Bestimmung von Sozialismus und Kommunismus wird deshalb ergänzt durch die Forderung, die Grenzen des Wachstums nicht zu überschreiten. Alexander Neupert-Doppler sieht die Quintessenz des Ökosozialismus deshalb in der Losung:

„Jeder*Jede nach seinen*ihren Fähigkeiten, jedem*jeder nach seinen*ihren Bedürfnissen[1] – im Rahmen der ökologischen Grenzen unserer Umwelt!“ (ebd.: 13)

Bei André Gorz wurde das Ziel 1977 ähnlich formuliert. Es geht da um die „bestmögliche Befriedigung aller empfundener Bedürfnisse durch alle zugänglichen Produkte, die mit einem minimalen Aufwand an Arbeit, Energie und Rohstoffen zu erzeugen sind.“ (zit. ebd.: 35) Eine neuere Vorstellung für eine solcherart an den Bedürfnissen orientierte, aber im Rahmen der natürlichen Reproduktionsfähigkeit bleibende Wirtschaft ist die sog „Donut-Ökonomie“ nach Kate Raworth (2018).

Dabei zeigen die radialen Werte von Nullpunkt an in Richtung des Ausmaßes der Nutzung von Ressourcen wie Wasser oder der Zerstörung von wichtigen Lebensgrundlagen durch die Menschen. Natürlich braucht die Bedürfnisbefriedigung aller Menschen ein gewisses Maß an Nutzung/Zerstörung (im Innenkreis), aber der Bereich, in dem die Menschen agieren, darf nicht größer werden als die Grenzen der Reproduktionsfähigkeit der genutzten oder zerstörten Ressourcen auf der Erde, dies ist durch den Außenkreis gekennzeichnet. Zwischen der minimal notwendigen und der maximal möglichen Nutzung befindet sich der grüne „sichere und gerechte“ Bereich, der im Dreidimensionalen wie ein Donut aussieht. Wenn man annimmt, dieser (vor allem ökologisch) sichere und (sozial) gerechte Bereich werde durch eine ökosozialistische/-kommunistische Gesellschaft verwirklicht, dann kann das Bild auch hierfür genutzt werden. Als allgemeine Prinzipien des Ökosozialismus/-Kommunismus[2] gelten: Gleichheit, gemeinsame Güternutzung, mehr Beteiligung, weniger Konsum und lokales Wirtschaften“ (Neupert-Doppler 2022: 120). Ökosozialist*innen stehen im Nachhaltigkeitsdiskurs vor allem dafür, die Frage danach zu stellen, wer für die Probleme verantwortlich ist und wer die Folgen trägt. Wer trägt letztlich die Kosten der Bepreisung oder Versteuerung von umweltschädlicher Produktion? (ebd.: 93). Sie betonen, dass es nicht nur um einen technologischen Umbau oder Konsumverzicht geht, sondern darum, die gesellschaftlichen Verhältnisse zu ändern.

Weit verbreitet ist im Ökosozialismus auch die Einsicht, dass vorhandene Reichtümer in der bestehenden Form nicht einfach nur übernommen werden und die Produktionsmittel umgebaut werden müssen (ebd.: 35).

Ökosozialismus als Utopie

Ökosozialismus gibt es noch nirgendwo auf der Welt. Das Konzept eines Ökosozialismus ist ein „Vorgriff auf zukünftige Möglichkeiten“ (Neupert-Doppler 2022: 10). Sie entspricht damit dem Ur-Bild einer U-Topie, einer Gesellschaft, die es noch nirgends gibt. Als „Utopie“ gilt dasjenige, was unter den gegenwärtigen Rahmenbedingungen „keinen Ort“ hat, sondern über diese Rahmenbedingungen hinausweist.[3] U- oder Metopien können wünschbare Zukünfte beinhalten, aber auch gefürchtete, das eine wird Eutopie genannt, das andere Dystopie. Im Allgemeinen werden die Eutopien im engeren Sinne auch Utopien genannt. Eu/Utopien sind in diesem Sinne „subjektiv gestaltete Zukunftsentwürfe, die im Ganzen oder im Detail eine wünschbare zukünftige Gesellschaft skizzieren“ (Schwendter 1994: 19). Der Text „Utopia“ von Thomas Morus ist nicht nur ein Wunschbild für bessere Zeiten, sondern „Utopia“ ist, wie auch der Ökosozialismus, eine „Alternative am Abgrund“:

„Wer vor dem Abgrund steht, der kann nur noch umkehren. Am Abgrund zählen keine Reformprogramme; es gibt nur noch Alternativen.“ (Kraft 1991/2020: 55)

Die Bezeichnung „Utopie“ ist oft auch abwertend gemeint. Als etwas, das nur Wunschträumerei bleiben wird. Alexander Neupert-Doppler schreibt dazu:

„Ja, Ökosozialismus war und ist eine Utopie. Falsch aber ist es, aus der Tatsache, dass etwas noch nicht ist, darauf zu schließen, dass etwas niemals sein kann. Wird der Ökosozialismus als Utopie angegriffen, ist das Beste, das getan werden kann, ihn als Utopie zu verteidigen.“ (Neupert-Doppler 2022: 9)

Utopie verweist auf etwas, das noch nicht existiert, aber möglich ist. Das Mögliche steckt im Wirklichen drin, aber existiert noch nicht (vgl. nach Hegel bei Schlemm 2015). Dabei gibt es zwei Formen von Möglichem: 1. Das Mögliche (1) bezieht sich auf die vorhandenen Bedingungen: Unter bestimmten gegebenen Bedingungen gibt es bereits ein Möglichkeitsfeld möglicher mit diesen Bedingungen vereinbarer Zustände, von denen i.a. nur wenige existieren. 2. Manches wird erst möglich (2), wenn sich die Bedingungen grundlegend verändern, aber auch diese Veränderung der Bedingungen hängt von den gegebenen Bedingungen ab, sie ist nicht in beliebiger Weise möglich. Utopien beziehen sich vor allem auf die Möglichkeit (2), bei deren Realisierung sich die Bedingungen grundlegend ändern müssen. Erst dann kann „die Realität in Wirklichkeit ganz anders werden“ (ebd.). Auf diese Weise kann auch das Unmögliche in die Utopie integriert werden, wie es (Koltan 2013: 79) versucht, denn was unter bestimmten Bedingungen (noch) nicht zur Möglichkeit (1), also dem vorhandenen Möglichkeitsfeld gehört, kann als Möglichkeit (2) unter neuen Bedingungen durchaus noch entstehen.

Alexander Neupert-Doppler unterscheidet mehrere Funktionen von Utopien, denen ökosozialistische Gedanken zuzuordnen sind (vollständig in Neupert-Doppler 2022: 200):

  • Kritische Negation: Artensterben, Autostädte, extreme Arbeitsteilung, Armut, Entfremdung, Extraktivismus…, Geschlechterrollen und Hierarchien, Konsumismus, Profitmaximierung, Wachstumszwang des Kapitalismus…
  • Artikulation von Bedürfnissen: Ästhetik, Anerkennung, … Atemluft, berechenbares Klima, Ernährungssicherheit, Entschleunigung, Emanzipation… Zeitwohlstand…
  • Bewusste Intention: Aufhebung der formalen Trennung von Produktion und Reproduktion, Bedarfswirtschaft, Basis- oder Rätedemokratie, Gerechtigkeit bzw. Gleichheit, Kreislaufwirtschaft, Nachhaltigkeit…
  • Konkretion von Möglichkeiten: Gemeinschaften, … Lernprozesse und Rahmen-Planung…
  • Motivation zum Handeln: Arbeitszeitverkürzung und attraktive Arbeit, … Generationen- und Geschlechtergerechtigkeit, Infrastruktursozialismus…

Angesichts der sich verschärfenden allgemeinen Krise des Kapitalismus in sozialer, aber auch in ökologischer und klimatischer Hinsicht wird mehr und mehr nach Alternativen gesucht. Neupert-Doppler erwähnt die immer auch drohende ökofaschistische Tendenz, bei der die Freiheit zugunsten der Unterordnung unter eine (Volks-)Gemeinschaft aufgegeben wird (Neupert-Doppler 2022: 157) und die sich in entsprechenden rechtsorientierten Siedlungs-Projekten zu realisieren versucht (vgl. Schmidt 2014).

Eine andere Tendenz ist der Versuch, in ökokonservativer Weise das kapitalistische Wachstum bloß zu bremsen, einzudämmen, aber nicht grundsätzlich in Frage zu stellen. Hier wird zumeist stark auf den Staat gesetzt (Neupert-Doppler 2022: 24f.). Ökoliberale Konzepte wollen auf demokratischem Wege und mit einer ökologischen Technologie die Wirkungsweise der Marktwirtschaft reformieren, auch sie unterliegen dem „Staatsfetischismus“ (ebd.: 25) und sie beschwören die individuelle Freiheit, weshalb sie vor allem auf die Veränderung des individuellen Lebensstils hinzielen (ebd.: 157).

Ökosozialistische Konzepte kritisieren den Individualismus des Ökoliberalismus: „Einen Stil kann man sich individuell erkaufen oder zulegen, sofern die materiellen Ressourcen zur Verfügung stehen. Aber ein umfassender Lebensentwurf hängt von gesellschaftlichen Bedingungen ab, …“ (zit. in ebd.: 22) und betonen vor allem soziale Aspekte, wenn es um Lösungen der ökologisch-klimatischen Probleme geht.

Solche Fragestellungen wurden vor allem in den 1990ern interessant, als sich eher der (meist ökoliberale) Nachhaltigkeitsdiskurs gegenüber ökosozialistischen Konzepten durchsetzte und seit anerkannt wird, dass es größere technologische und z.T. auch soziale Umbrüche geben muss, diese aber unter dem Namen „Transformation“ daherkommen und Revolutionskonzepte marginalisieren. Sogar ein Hauptgutachten des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen aus dem Jahr 2011 heißt: „Welt im Wandel. Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation“ (WBGU 2011).

Breite, Vielfalt und Widersprüchlichkeit

Es gibt zu vielen Fragen ein weites Spektrum von Ansichten auch innerhalb des Ökosozialismus. Dabei geht es unter anderem um die Frage der Staatlichkeit, zur Wachstumsorientierung, zur Ursache der Probleme und dabei zur Reichweite und Tiefe des Kapitalismusbegriffs. Auch die Fokussierung auf entweder Lokales oder Globales spielt eine unterschiedliche Rolle. Auch innerhalb dieser Strömung gibt es unterscheidbare Unterströmungen, so in den Alternativen von eher anarchistisch inspirierten Konzepten (Bookchin) über föderale bis hin zu eher autoritären Modellen (Harich). Auch jene Richtungen, die wie die letzteren von vornherein Abwehr hervorrufen, sind nicht einfach abstrakte Setzungen, sondern sie meinen, dass freiere Konzepte keine Chance (mehr) hätten. Hans Jonas meinte z.B., die ökologische Krise zwinge „widerstrebend“ zur „Tyrannis“ (Jonas 1979: 106). Dies teilen aber längst nicht alle Ökosozialist*innen.

Die oben schon genannte utopische Dimension der „Konkretion von Möglichkeiten“ bietet eine weitere Unterscheidung: Hier werden folgende Ökosozialismus-Konzepte unterschieden (Neupert-Doppler 2022: 200):

  • Libertärer Ökosozialismus: Gemeinschaften, Bewegungen und Selbstverwaltung.
  • Demokratischer Ökosozialismus: Partei, Lernprozesse und Rahmen-Planung.
  • Autoritärer Ökosozialismus: Ökodiktatur, Umerziehung, Staatswirtschaft.

Viele ökosozialistische Konzepte versuchen tatsächlich, den Staat als Instrument der Umgestaltung von Wirtschaft und Gesellschaft zu verwenden. Bruno Kern etwa meint: „Die starke Rolle des Staates ist natürlich keine Idealvorstellung, sondern eine unvermeidliche Notwendigkeit in der Übergangsphase zu einem Zustand stabilen Gleichgewichts“ (Kern 2019: 176). Thomas Ebermann und Rainer Trampert meinen jedoch, „Es gibt keine wirklich emanzipative Politik, die sich über den Staat verwirklichen kann.“ (zit. in Neupert-Doppler 2022: 50f.). Auf Parlamente orientierte Politik braucht, wie die Erfahrung der GRÜNEN zeigt, mindestens Bewegungen auf der Straße, ein Misstrauen in den Staat des Kapitals und basisdemokratische Organisationsprinzipien (ebd.: 56).

Seit jeher wird von Ökosozialist*innen das Wirtschaftswachstum hinterfragt und sie bilden unter Linken damit eine Ausnahme, denn Linke tun sich normalerweise mit Wachstumskritik schwer, weil es „zur Erfahrung der Nachkriegsgeneration“ gehört, „dass Wachstum Wohlstand ermöglicht“ (ebd.: 156). Wolfgang Harich schrieb in seinem Buch „Kommunismus ohne Wachstum“: „Ich glaube jedoch nicht mehr, daß es jemals eine im Überfluß lebende, eine aus dem Vollen schöpfende kommunistische Gesellschaft geben wird.“ (Harich 1975: 33, zit. in Neupert-Doppler 2022: 41) Auch Bruno Kern betont, dass die Wirtschaft nicht nur nicht mehr wachsen, sondern sogar schrumpfen muss. „Gleichgewichtsökonomie oder Gesundschrumpfung klingen schöner als Postwachstum.“ (zit. in Neupert-Doppler 2022: 162) Zur notwendigen Schrumpfung siehe auch Schlemm (2019) und Adler (2023). Dabei wird auch häufig eine Differenzierung gemacht: Natürlich müssen Bereiche der menschlichen Care-Arbeit, der Arbeit an der Wiederherstellung von ökologischen Lebensgrundlagen usw. weiter wachsen – aber alle rein profit- und an einer Konsumausdehnung orientierten Wirtschaftstätigkeiten müssen zurück gefahren werden.

Insbesondere gegenüber der Verdrängung des ökosozialistischen durch den Diskurs der Nachhaltigkeit seit den 1990ern wurden die ökosozialistischen Konzepte herausgefordert. Nachhaltigkeit kritisiert dabei im allgemeinen nur Ausmaß der Naturzerstörung und Ausbeutung, will Wachstum nur umsteuern und dies meist mit marktwirtschaftlichen Mitteln (Bepreisung…). D. h. es wird nicht das Grundprinzip des Kapitalismus mit seiner Profitorientierung angegriffen – es soll nur nicht zu viel bzw. durch Spekulation errungener Profit sein. Die Option, es könne einen Grünen Kapitalismus geben, wird dabei offen gelassen. Es wird aber auch gefragt, ob sich der Diskurs um Nachhaltigkeit kritisch-utopisch aufladen lässt (ebd.: 119). Ulrich Schachtschneider etwa titelt einen Text 2007: „Soziale Nachhaltigkeit als konkrete Utopie?“ und stellt fest, dass die meisten Nachhaltigkeitsangebote mit dem Kapitalismus nicht kompatibel sind. Björn Wendt 2018 nennt ein Buch „Nachhaltigkeit als Utopie“ und Daniela Gottschlich versucht mit dem Begriff „Kommende Nachhaltigkeit“ 2017 die nachhaltige Entwicklung „aus kritisch-emanzipativer Perspektive“ zu sehen. Letztlich wurden mit dem Aufschwung der Klimabewegung seit Fridays for Future auch Menschen angeregt, über die Zukunft nachzudenken, die erst mal gar nicht antikapitalistisch eingestellt sind/waren. Es wäre nun zu schauen, ob deren Verständnis nicht in antikapitalistischer Richtung, also in Richtung von Alternativen wie Ökosozialismus, zuzuspitzen wäre. Es geht dann darum, die auf bloße Wachstumsbeschränkung, Individualisierung und Anrufung des Staats orientierten Ansichten weiter zu entwickeln in Richtung des Begreifens gesellschaftlicher Verhältnisse, der Bedeutung sozialer Gerechtigkeit und Selbstbestimmung-/organisierung.

Dabei lassen sich neuere Aussagen des IPCC und des aktuellen Berichts an den Club of Rome aufgreifen. Im IPCC-Bericht wird zum Beispiel fast Revolutionäres gefordert: Da wird ein „rasche[r] und tiefgreifende[r] weltweite[r] Wandel in allen Bereichen der Treibhausgasemissionen […] sowie beim Verbrauch und Verhalten“ (IPCC AR6 WG III: 17-17) gefordert; es geht um „transformatorische Änderungen der Produktionsprozesse“ (SPM-38, C.5) und „disruptive Veränderungen in der Wirtschaftsstruktur (SPM-56, D.3.2). Wie das in einer kapitalistischen, geopolitisch, national und unternehmerisch auf Konkurrenz gepolten Wirtschafts- und politischen Struktur erreicht werden kann, steht in den Sternen. Im neuen Bericht an den Club of Rome mit dem Titel „Earth for all“ (Dixxon-Decléve u.a. 2021) werden als die beiden wichtigsten Kehrtwenden genannt: Abschaffung der Armut und der extremen Ungleichheit. Auch dies erfordert, wenn man es ehrlich betrachtet, ein Ende des Kapitalismus.

Ist der Umschwung des Kapitalismus in Richtung von etwas Neuem, wie dem Ökosozialismus, eine Transformation oder eine Revolution? Genauso wie die Bezeichnung „Sozialismus“ hat der Begriff „Revolution“ seit dem Ende des real gewesenen Sozialismus[4] kaum noch eine Chance. Dagegen wird immer öfter von „Transformation“ gesprochen, so auch in Studien für die Bundesregierung. So heißt ein Hauptgutachten des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen: „Welt im Wandel. Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation“ (WBGU 2011). Dort wird die aus ökologischen Gründen notwendige Transformation verglichen mit dem Ausmaß und der Tiefe der Veränderungen während der neolithischen Revolution und der industriellen Revolution. Beim Wort „Transformation“ lassen sich grundlegende Veränderungen ansprechen, ohne dass etwas Umsturzhaftes vorgestellt werden muss. Alexander Neupert-Doppler meint, eine Transformation könne man auch schrittweise beginnen und sie könnte revolutionäre Brüche beinhalten (Neupert-Doppler 2022: 194). Er schlägt dafür auch die Bezeichnung „Radikale Transformation“ vor. Andere Bücher von Ökosozialisten dagegen verwenden bewusst „Revolution“, so J.B. Foster mit: „Die ökologische Revolution“ (2009) und Christian Zeller: „Revolution für das Klima“ (2020). (vgl. auch Schlemm 2019)

Inhaltlich wird ein Umsturz letztlich gar nicht erwähnt; als Bestandteile des Wegs zum Ökosozialismus werden folgende Elemente genannt: Aufbau einer Organisation (Bookchin), Vorbereitung einer Revolution (Foster), Beschränkung auf Einstiegsprojekte (Schachtschneider), Transformationsprozess (Lipietz), politische Bildung (Becker), einen neuen Menschentypus hervorbringen (Sarkar) (ebd.: 128). In den Kämpfen muss ein Vorschein der Utopie bereits enthalten sein (ebd.: 165). Saral Sarkar sieht folgenden Dreischritt vor: 1. Staat übernimmt die Kontrolle über die Produktionsmittel; 2. Wirtschaftliche Aktivitäten werden weitgehend dezentralisiert und in örtliche Selbstversorgungs- und Selbstverwaltungsstrukturen überführt; 3. Es wird ein Weltwirtschaftsrat auf höchster planetaren Ebene konstituiert (Sarkar 2001: 336). Für die Übergangszeit verwendet Derek Wall die Bezeichnung „Amphibie“: „half in the dirty water of the present but seeking to move on to an new, unexplored territory“ (zit. in Neupert-Doppler 2022: 134). Für meine Überlegung, dass aufgrund der veränderten Bedingungen sich alle Utopien einem Crashtest unterziehen müssen (Schlemm 2013a, siehe auch Schlemm 2013b), führt Neupert-Doppler die Bezeichnung Phönix –Effekt ein (Neupert-Doppler 2022: 169), was ich aber zu optimistisch finde. Denn es wird m.E. viele Jahrhunderte dauern, bis wieder weniger Arbeitsstunden zur eigenen Bedürfnisbefriedigung und für den Wiederaufbau funktionierender umfassender Ökosysteme unter dauerhaft extrem instabilen Klima- und Wetterbedingungen notwendig sein werden. Die Utopie in sehr langandauernden dystopischen Zuständen muss mit weniger Freizeit und mit mehr Anstrengung funktionieren als wir es jetzt gewohnt sind, dafür aber ist eine Utopie dann gekennzeichnet durch eine gerechte Verteilung von Aufwand und Nutzen, so dass auch unter beliebig schlimmen Bedingungen das Bestmögliche für alle Menschen verwirklicht werden kann. Das ist immer noch utopisch genug.

Utopien konkretisieren!

Utopisch genug müssen wir sein, wenn wir unter den sich rasant verschlechternden natürlichen und gesellschaftlichen Bedingungen bei allem Schlimmen immer noch das Beste herausholen, erkämpfen wollen. Wir müssen dabei radikal die Klassenfrage reformulieren nicht nur als Streit um Anteil am Mehrprodukt, sondern vor allem an Monopol über Entscheidungen darüber, ob und was wieviel mit welchem Zweck (Bedürfnisbefriedigung statt Profit) hergestellt wird. Und dies bekämpfen.

Zu diesen Kampffelder gehören allerorts die nun langsam, viel zu langsam in Angriff genommenen Veränderungsprozesse, die in Jena z.B. nach der Verkündung des Klimanotstands in die Erarbeitung eines vom Stadtrat abgesegneten Klima-Aktions-Plans mündeten. Vor allem in den bisher von Kohleabbau und –nutzung geprägten Regionen ist ein Strukturwandel unabdingbar. Und gegenüber den ökokonservativen oder ökoliberalen Vorhaben, wie sie sich unter den gegebenen Machtbedingungen stark machen, müssen linke und speziell auch ökosozialistische Konzepte ankämpfen. Ein Konzept für eine „sozialökologische Transformation im Rheinischen Revier“ (Sander u.a. 2020) mag hier richtungsweisend sein.

Auch Alexander Neupert-Doppler geht davon aus, dass in aktuellen Kampfbewegungen Utopisches steckt, auch wenn es oft nur wie Rückzugsgefechte aussieht. (Neupert-Doppler 2018) Aber er erinnert auch auf Marxens Maxime: „Jeder Schritt wirklicher Bewegung ist wichtiger als ein Dutzend Programme“ (MEW 19 KrGP: 13).

Also, gehen wir vorwärts auf diesem Weg, hinter uns ist nur noch der Abgrund…


[1] Statt „Bedürfnissen“ steht im Buch noch einmal „Fähigkeiten“, was nach einer Mail des Autors vom vom 15.8.23 an mich aber falsch ist. D.h. es ist „Öko-Kommunismus“, denn die Verteilung nach Bedürfnissen gehört üblicherweise zum Kommunismus (Marx: MEW 19 KrGP: 21) und nach Leistung zum Sozialismus. Saral Sarkar (2001) wählt explizit eine Verteilung nach der Leistung: „Jeder nach seinen Fähigkeiten und jedem nach seiner Arbeitsleistung.“ (zit. in Neupert-Doppler 2022: 123)

[2] im folgenden nur „Ökosozialismus“ genannt.

[3] Man könnte dies auch „Metopie“ nennen, weil die Vorsilbe „Mé“ das Nichtsein als Mögliches meint, während die Vorsilbe „Oú“ eigentlich das Nichts als Unmögliches bezeichnet.

[4] Wers immer noch nicht weiß: 1989/1990 war nicht das Ende des „Kommunismus“, und der real gewesene Sozialismus kann ehrlicherweise nicht gemessen werden an den Idealen des Kommunismus, sondern nur an dem, was der Realsozialismus als seine (möglichen) Ziele reklamierte. Ob und wie etwas Besseres wirklich möglich gewesen wäre, ist in konkreten Studien nachzuweisen.


Literatur

Frank Adler (2023): Was kann weg – für ein stabileres Klima? Sozialökologische Reduktion – Vorschlag für eine Transformationsstrategie. Pankower Vorträge, Heft 241, „Helle Panke“ e.V.

Dixxon-Decléve, Sandrine; Gaffney, Owen; Ghosh, Jayati; Randers, Jørgen; Rockström, Johan; Stoknes, Per Espen (2022): Earth for all. Ein Survivalguide für unseren Planeten. Der neue Bericht an den Club of Rome, 50 Jahre nach „Die Grenzen des Wachstums“. München: oekom.

Dörre, Klaus (2021): Die Utopie des Sozialismus: Kompass für eine Nachhaltigkeitsrevolution. Berlin: Matthes & Seitz.

Harich, Wolfgang (1975): Kommunismus ohne Wachstum – Bafeuf und der ´Club of Rome`, Hamburg; Rowohlt.

IPCC AR6 WG III (2021): IPCC-Sachstandsbericht AR6 WGIII: Climate Change 2022. Mitigation of Climate Change, Beitrag der Arbeitsgruppe III zum Sechsten Sachstandsberichts des zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaänderungen (IPCC), Berlin. (SPM steht für Summary for Policymakers)

Jonas, Hans (1979): Das Prinzip Verantwortung. Frankfurt am Main.

Kern, Bruno (2019): Das Märchen vom grünen Wachstum – Plädoyer für eine nachhaltige Gesellschaft. Zürich: Rotpunktverlag.

Koltan, Michael (2013): Utopischer Marxismus. Henri Lefebvres Entwurf eines revolutionären Romantizismus. In: jour fixe initiative berlin (Hg.): Etwas fehlt. Utopie, Kritik und Glücksversprechen. Münster: edition assamblage 2013. S.79-104.

Marx, Karl (MEW 19 KrGP): Randglossen zum Programm der deutschen Arbeiterpartei (Kritik des Gothaer Programms). In: Karl Marx, Friedrich Engels, Werke Band 23. Berlin: Dietz Verlag 1987. S. 15-32.

Neupert-Doppler, Alexander (2022): Ökosozialismus. Eine Einführung. Wien, Berlin: mandelbaum.

Neupert-Doppler, Alexander (2015): Utopie. Vom Roman zur Denkfigur. Stuttgart: Schmetterling Verlag.

Neupert-Doppler, Alexander (Hrsg.) (2019): Konkrete Utopien. Unsere Alternativen zum Nationalismus. Stuttgart: Schmetterling Verlag.

Raworth, Kate (2018): Die Donut-Ökonomie. Endlich ein Wirtschaftsmodell, das den Planeten nicht zerstört. München: Hanser.

Sander, Hendrik; Siebenmorgen, Bastian; Becker, Sören (2020): Kohleausstieg und Strukturwandel. Für eine sozialökologische Transformation im Rheinischen Revier. Rosa-Luxemburg-Stiftung. Studien. Berlin.

Sarkar, Saral (2001): Die nachhaltige Gesellschaft – Eine kritische Analyse der Systemalternativen. Zürich: Rotpunktverlag.

Schlemm, Annette (2009): Für eine Revolution der Rettung.  In: Philosophenstübchen.

Schlemm, Annette (2013a): Was fehlt? Crashtest für Schönwetterutopien. Jour fixe initiative Berlin (Hrsg.): „etwas fehlt“ – Utopie, Kritik und Glücksversprechen. Münster: edition assemblage 2013, S. 241-253.

Schlemm, Annette (2013b): Schönwetter-Utopien im Crashtest. Osnabrück: Packpapier-Verlag.

Schlemm, Annette (2015): Vernünftige Wirklichkeit – wirkliche Vernunft. In: Philosophenstübchen.

Schlemm, Annette (2019): Forderungen zur Minderung des Klima-Umbruchs. In: Philosophenstübchen.

Schmidt, Anna (2014): Völkische Siedler/innen im ländlichen Raum. Basiswissen und Handlungsstrategien. Hrsg. von Amadeu Antonio Stiftung. Berlin.

Schwendter, Rolf (1994): Utopie. Überlegungen zu einem zeitlosen Begriff. Berlin-Amsterdam.

Sutterlütti, Simon (2020): Warum ein staatlicher Sozialismus wahrscheinlich nicht ökologisch wird. Keimform-Blog 18. Juni 2020.

WBGU (2011): Welt im Wandel. Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation. Berlin.

Zeller, Christian (2020): Revolution für das Klima – Warum wir eine ökosozialistische Alternative brauchen. München: oekom.

Frühere Texte von mir

Zum Ökosozialismus:

Ökosozialistische Inhalte im „Philosophenstübchen“: