Dieser Text diente der Selbstverständigung für ein Gespräch zum Thema: „Umgang mit Meinungsverschiedenheiten in der Linken – Auswege aus dem Schützengraben“ am 08.10.2023, zu dem ich, ausgehend von meinem Artikel für die Marxistischen Blätter, für einen Input eingeladen wurde.

1.

Politik gegen unmenschliche Zustände muss selbst menschlich sein. Menschenwürdig und ihrer Subjektivität gerecht werdend. An dieser Stelle trifft sich Politik mit dem Inhalt der Kritischen Psychologie als marxistischer Subjektwissenschaft. Das Fehlen von Menschlichkeit in linker Politik ist der Gesellschaft und den Linken nie gut bekommen. In seinem Buch „Erbschaft dieser Zeit“ kritisierte Ernst Bloch die Kommunisten aufgrund ihrer ungeschickten Propaganda: „Nazis sprechen betrügend, aber zu Menschen, die Kommunisten völlig wahr, aber nur von Sachen.“[1] Noch in der DDR gab es viel zu kritisieren. Aus Gesprächen mit einfachen Frauen notierte Maxi Wander in ihrem berühmten Buch „Guten Morgen, du Schöne“ z.B. die Bemerkung: „Man dürfte nicht soviel Wert nur auf die klare Linie legen, die kennen wir ja inzwischen, sondern mehr auf Menschlichkeit.“[2] Auch die Dichterin Gisela Steineckert musste sich 1984 noch stark machen für die Meinung: „… es gibt nichts auf der Welt, was rechtfertigen könnte, daß im Sozialismus der Verlust der Würde eines Einzelnen ein Gewinn sein könnte“[3]. Sie hat, wie wir anderen DDR-Erfahrenen, diesen Verlust immer und immer wieder erlebt und sie sah ihn später nicht unberechtigt als eine der Ursache des Scheiterns an. (Nachtrag: In der Diskussion verwies eine Frau mit DDR-Erfahrung darauf, dass viele mittlerweile die Kollektivität aus der DDR vermissen. Ja: wir meinen nicht die neoliberale Individualisierung und es müsste nur eine Kollektivität nicht auf Kosten der Individualität sein („vom Ich zum Wir“), sondern eine auf Grundlage einer reich entwickelten Individualität („Ichs im Wir“)).

2.

(mehr …)

Klaus Holzkamp entwickelt die Begriffe/Kategorien zur Erforschung des Psychischen mit Hilfe einer funktional-historischen Kategorialanalyse. Dabei geht er davon aus, dass das jetzt in der hochentwickelten komplexen Psyche Vorhandene sich aus früheren, einfacheren Formen herausentwickelt hat. Wenn man das, was allen Entwicklungsformen gemeinsam ist, verstehen will, muss man sich die früheste Form davon anschauen. Man versteht dann seine Funktion und seinen Unterschied zu anderen Formen besser. (Holzkamp 1983: 48ff.)

Einfache Organismen und Pflanzen sind in ihrer Aktivität dadurch bestimmt, dass Umweltreize unmittelbar auf innere Prozesse einwirken. Pflanzliche „Tropismen“, also die Reaktionen auf Licht, Gravitation oder Wasser zeigen die „Reizbarken“ dieser Organismen. Die Psyche entsteht, sobald die Aktivität eines Organismus nicht mehr nur direkt durch biochemische Prozesse innerhalb des Stoffwechsels gesteuert wird. Wenn sich also zwischen den äußeren Einfluss und die Aktion des Organismus Informationsleitungen schieben, die nicht mehr direkt biochemisch wirken, sondern andere Informationskanäle nutzen, spricht Holzkamp (in Nachfolge von Leontjew) von „Sensibilität“ und dabei ist dann auch die Psyche entstanden als „signalvermittelte Lebenstätigkeit“.

(mehr …)

Im aktuellen Heft der „Marxistischen Blätter“ mit dem Schwerpunkt „InnenAnsichten Subjekt und Klassenkampf“ erschien gerade ein Beitrag von mir. Ich habe dafür Konzepte und Begriffe aus der „Kritischen Psychologie“ vorgestellt und diesmal auch mit der Frage nach der Bedeutung der Klassenunterscheidung verbunden. Hier ist der Text, mit Erlaubnis der MBl.

Zur Bedeutung der Kritischen Psychologie für befreiende Bewegungen

Eine Theorie für Menschen, nicht über Menschen

Warum wehren sich ausgerechnet die ausgegrenzten und verarmenden Menschen so wenig gegen die sozialen Zumutungen? Warum fühlt sich das Engagement in linken Gruppierungen und Institutionen oder auch emanzipativen Bewegungen oft genau so schlecht an wie der Rest des Lebens in dieser Konkurrenzgesellschaft? Was können wir tun, um unsere sozialen Beziehungen in den Parteien und Bewegungen zu verbessern?

Der Umgang miteinander, die Gestaltung der zwischenmenschlichen Beziehungen wird immer mehr zu einem Kriterium für Menschen, sich an Aktionen und Bewegungen zu beteiligen oder auch nicht. Menschen sind nicht mehr bereit, sich „einer Sache zu unterwerfen“ oder gar der Herrschaft von Menschen, die für „die Sache“ zu sprechen behaupten. Damit vollzieht sich der Prozess der Befreiung, der „in der Sache“ der marxistischen Befreiungsbewegung und des Klassenkampfs zum Ziel erklärt wird, auch innerhalb der Beteiligten selbst. 

Subjekt/ivität im Marxismus

(mehr …)

Nächste Woche stelle ich in einer Gruppe die Kritische Psychologie nach Klaus Holzkamp, ergänzt um die Praxen der Kollektiven Selbstverständigung im Sinne dieser Konzeption, vor:

Hier noch mal die Daten:

Wo? Hörsaal Psychologie, Philosophenweg 3

Wann? 10.01. 2023, 18 Uhr

Mehr zur Kritischen Psychologie von mir gibts hier und hier.

Für den Praxisteil gibt es folgende Links zur Kollektiven Selbstverständigung (aus der Präsentation):

Ich befinde mich, gemeinsam mit jeweils ca. 15-25 Menschen gerade virtuell bei einem Wochenend-Treffen „in Hiddinghausen“. Ein Teil dieser Runde trifft sich regelmäßig dort und beschäftigt sich mit Fragestellungen aus der Kritischen Psychologie in Verbindung mit der angestrebten gesellschaftlichen Transformation. Dieses Jahr ist das Thema fokussiert auf die Klima-Krise als Herausforderungen für unsere Vorstellungen vom eigenen Leben und der Transformation. Ich hatte dafür diesen Text mit meinen Gedanken und Infos dazu geschrieben (welcher  dann auch bei einem Workshop besprochen wurde).

Es ging bei den Gesprächen häufig darum, dass es vielen schon jetzt schwer fällt, noch Hoffnung zu haben. Und wir waren im allgemeinen erstaunt, dass es uns trotz der digitalen Schnittstellen zwischen uns (wir benutzen „Big Blue Button“ und Mattermost) recht gut gelingt, miteinander in Verbindung zu kommen und zu bleiben. Heute läuft noch die Auswertung und das Verabreden von weiteren Vorhaben…

Ich kann natürlich nicht alles berichten, was wir erlebt haben bei diesem Seminar. Das Thema war ja eigentlich ein trauriges, wir haben viel über den Verlust von Hoffnungen gesprochen und wie wir damit umgehen. Das war für viele sehr, sehr hilfreich. Alleine, dass man mal drüber reden kann…!

Einige Sprüche sind sicher auch mitteilenswert:

  • The only way out is the way through.
  • „Flatten the curve“ des Absturzes der Menschheit
  • Konkurrenz auskoopierieren!
  • Move slow and repair things!
  • Teil der Landschaft zu sein ist besser als Teil des Problems zu sein (und noch besser, Teil der Lösung zu sein)

Für die Auswertung nutzen wir flinga.fi und das funktionierte ganz hervorragend. Einen kleinen Eindruck mit Augenzwinkern gibts hier:

Gestern abend gabs eine Online-Party. Im „Vorprogramm“ wurden im Party-Channel von Mattermost z.B. solche Lieder geteilt:

 

Im Channel eines Workshops über Flugscham wurde folgendes Video empfohlen:

 

Auch dies hier:

[https://www.youtube.com/watch?v=aNXG0wPzLh0]
(Im Moment funktioniert hier das Verlinken nicht, kopiert die URL am besten)

Ich habs schon im Kino gesehen und finde es wirklich prima.

 

Hier gibts noch ein  Bildchen aus meinem realen Philosophenstübchen zur Partyzeit:

 

Am Himmelfahrts-Wochenende findet traditionellerweise ein Treffen von Menschen statt, die sich mit Kritischer Psychologie beschäftigen und nach Wegen für eine gesellschaftliche Transformation suchen. Diesmal wird es nicht in unserem üblichen idyllischen Ort stattfinden können, sondern nur online. Wir sammeln in einem Mattermost-Projekt alle möglichen Inputs und koordinieren uns dort. Für Leute, die nicht dort drin sind, möchte ich hier die bisher zusammengestellten Inputs auflisten:

(mehr …)

Ein Gesprächswochende über den Themenkomplex „Klimawandel – Lebensführung – Transformation“ wird, wie so viele andere, in die Online-Welt ausgelagert. Das bedeutet auch, inhaltliche Beiträge vorher vorzubereiten und vorzustellen. Hier ist meiner:


Diese Datei gibts auch als PDF-Datei zum Downloaden.

1. Zwischen-Ergänzung zu: „Wissen, Fühlen und … Träumen“

2. Ergänzung zu einem „Crashtest für Transformationskonzepte“


Die meisten Texte zum Klimathema verwenden jetzt nicht mehr die harmlose Bezeichnung „Klimawandel“, sondern „Klimakrise“. Und statt „Erderwärmung“ wird „Erdüberhitzung“ gewählt. Das letztere ist übertrieben, das erste immer noch beschönigend. Denn die Erde als Planet kann sich nicht wirklich überhitzen; als astronomischer Körper kann es ihr egal sein, ob sie genau so heiß ist wie die Venus. Nur wir und mit uns die derzeitige Biosphäre brauchen ökologische Bedingungen, deren Veränderungen ein gewisses Maß nicht überschreiten sollten. Wenn sie überschritten sind, haben wir nicht nur eine „Krise“, die in nächster Zeit wieder gelöst werden könnte, sondern wir leben dann quasi „auf einem anderen Planeten“ (vgl. die Berichte in Schlemm 2019). (mehr …)

Ich kann mich nur noch vage daran erinnern, aber es waren Veranstaltungen während den Ferienunis „Kritische Psychologie“, die mich darauf aufmerksam machten, dass es zwischen der individuellen und der gesellschaftlichen Ebene noch soziale Orte gibt, die für die Orientierungen und Begründungen von Handlungen von Individuen wesentlich sind. Insbesondere den Namen Josef Held merkte ich mir. Vor kurzem las ich nun die IG-Metall-Jugendstudie aus dem Jahr 2002 (Bibouche, Held 2002) und fand darin interessante inhaltliche Ergebnisse zu Orientierungen von Jugendlichen zur damaligen Zeit (immerhin von vor 20 Jahren), aber auch wertvolle konzeptionelle Ergänzungen zu dem, was ich aus der Kritischen Psychologie kenne. Ich denke, diese sind wichtig 1. für das inhaltliche Konzept der Kritischen Psychologie wie auch 2. für die daraus abgeleiteten Praxen der Kollektiven Selbstverständigung. (mehr …)

Da im Kontext des Diskussionsblogs „Keimform.de“ viel von den Begriffen aus der Kriti-schen Psychologie nach Klaus Holzkamp gehalten wird, möchte ich hier auch an die Bedeutung der Begriffe „Interaktion“, „Kooperation“ und „Handeln“ erinnern, weil die sich auch auf unterschiedliche Beziehungsformen beziehen.

  • Interaktion: Einbeziehen von Sozialpartnern in die Aktivität eines Einzelnen auf operativer Ebene (schon bei Tieren).
  • Kooperation: die Beteiligten antizipieren einen gemeinsamen verallgemeinerten Nutzen (eine vorgegebene Zielkonstellation) und agieren dementsprechend gemeinsam; Kooperation bezieht sich auf den überindividuellen, nicht mehr unmittelbaren Zusammenhang der verallgemeinerten Vorsorge für die je individuelle Existenz.
  • Handeln: gesellschaftliches Handeln kann auch die gesellschaftliche Zielkonstellation in Frage stellen und verändern.

Das, was Benni mit „Metapersonalität“ meint, erscheint bei Holzkamp als Bestimmung von Gesellschaftlichkeit: Dies ist „die individuellen Lebensläufe überdauernden Welt gegenständlicher und symbolischer Bedeutungen“, die „in der produzierten gegenständlichen Welt“ angelegt sind (Holzkamp 1977a/2015: 233). Gerade die individuelle Möglichkeitsbeziehung von Individuen verweist auf die Gesellschaftlichkeit als Struktur der Ermöglichung dieser Möglichkeitsbeziehung. Die Gesellschaft zeigt sich den Individuen gegenüber als Bedeutungsstrukturen (gesamtgesellschaftliche Handlungsnotwendigkeiten), die jedoch für die Individuen „ nicht den Charakter von direkten Handlungsdeterminanten“ haben, „, sondern lediglich von gesellschaftlichen Handlungsmöglichkeiten, die zwar einerseits global gesehen zur subjektiven Lebenserhaltung /-entfaltung „irgendwie“ genutzt werden müssen, denen gegenüber aber andererseits das Individuum im jeweils speziellen Fall über „Alternativen“ verfügt“ (Holzkamp 1988: 35).

2. Die systemtheoretische Perspektive auf das gesellschaftliche-Allgemeine

 

Frigga Haug hat im vorigen Jahr ein neues Buch mit vorwiegend schon älteren Texten veröffentlicht, die sie durch Vor- und Zwischenworte nachträglich in einen persönlichen Entwicklungs- und Erkenntnisweg einordnet. Ich kann es nur empfehlen, wenn man sich mit der Vielfalt ihrer Gedanken und Praxen einlesen möchte oder mehr Hintergründe dazu wissen möchte. Deshalb habe ich auch eine Rezension für die junge Welt geschrieben.

Zur Rezension bei der jungen Welt